Was lest Ihr grade?

Telepathetic

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streicher schrieb:
Ist halt die Frage, ob Wachstum stets und immer die Maxime sein sollte.
Was ist die Alternative außer Stagnation? Es geht doch auch darum, dass alle Menschen wohnen und essen können. Wenigstens soviel Wachstum muß sein. Aber vermutlich ist es so, dass ab einem bestimmten Plateau nicht mehr Wachstum benötigt wird und es nur noch darum geht, das Plateau zu halten, um einigermaßen sicher leben zu können.
 

hives

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Telepathetic schrieb:
streicher schrieb:
Ist halt die Frage, ob Wachstum stets und immer die Maxime sein sollte.
Was ist die Alternative außer Stagnation? Es geht doch auch darum, dass alle Menschen wohnen und essen können.

Die Verteilung von Wohlstand oder den Resultaten von Wachstum ist doch eine ganz eigene Frage. Wachstum und durchschnittliche oder minimale Lebensqualität können korrelieren, müssen das aber nicht. Wenn zeitgleich mit Wachstum eine Verteilung entsprechend ungleicher wird, bringt das den Leuten im unteren Bereich der Verteilung nichts. Ebenso kann eine Verteilung gleichmäßiger werden, ohne dass es generelles Wachstum gibt. Das Argument, man müsse doch zumindest mehr Wachstum haben, bis alle Menschen wohnen und essen können, ergibt imho wenig Sinn, es sei denn, man geht strikt davon aus, dass gleichzeitig mit Wachstum immer auch die Verteilung von Wohlstand egalitärer wird oder zumindest gleich bleibt, was eben sehr zweifelhaft ist.
 

Ein_Liberaler

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streicher schrieb:

Entschuldigung, aber was für ein Mumpitzartikel! Luthers Thesenanschlag erfolgte erst am 31. Oktober. Und es ist ja nicht so, als ob nicht gerade erst Reformationstag gewesen wäre und als ob nicht nächstes Jahr Reformationsjubiläum gefeiert würde, man kann das also durchaus mitkriegen. Jedenfalls wenn man sich von der europäischen Kultur und Geschichte nicht vollkommen entfremdet hat. Abertausende Protestanten fliehen also fünf Monate vor der Reformation in das offensichtlich schon protestantische England, weil sie in Frankreich wg. ihres Glaubens verfolgt werden?

Aber was rede ich, es ist die ZEIT... Herz, Haltung, Ahnungslosigkeit.
 

Telepathetic

Großmeister
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hives schrieb:
Das Argument, man müsse doch zumindest mehr Wachstum haben, bis alle Menschen wohnen und essen können, ergibt imho wenig Sinn, es sei denn, man geht strikt davon aus, dass gleichzeitig mit Wachstum immer auch die Verteilung von Wohlstand egalitärer wird oder zumindest gleich bleibt, was eben sehr zweifelhaft ist.
Ja, Du hast recht. Ich bin davon ausgegangen, dass alle in Arbeit sind und genug verdienen, während ich gleichzeitig davon ausgegangen bin, dass nicht alle in Arbeit sind und unterstützt werden müssen. Wenn alle in Arbeit sind und genug verdienen, dann können auch alle wirtschaftlich wachsen, wenn auch in unterschiedlicher Stärke. Dann braucht es keine Verteilung. Wenn nicht alle in Arbeit sind und unterstützt werden muß, dann muß umverteilt werden, was aber nicht bedeutet, dass das Mehr an Wachstum auch gleichermaßen verteilt wird.
 

streicher

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Telepathetic schrieb:
streicher schrieb:
Ist halt die Frage, ob Wachstum stets und immer die Maxime sein sollte.
Was ist die Alternative außer Stagnation? Es geht doch auch darum, dass alle Menschen wohnen und essen können. Wenigstens soviel Wachstum muß sein. Aber vermutlich ist es so, dass ab einem bestimmten Plateau nicht mehr Wachstum benötigt wird und es nur noch darum geht, das Plateau zu halten, um einigermaßen sicher leben zu können.
Warum nicht auch allmähliches Schrumpfen? Sicher, ohne Weiteres geht das nicht. In unserer Wirtschaftsweise bedeutet das eine Krise. Ich denke, man sollte Strategien entwickeln, um zukünftig zu verhindern, dass ein wirtschaftsliches Schrumpfen nicht gleichzeitig und zwangsläufig eine wirtschaftliche Krise bedeutet, und eine Volkswirtschaft eine Resilienz aufweist. Sprich: die Einwohner dieser Volkswirtschaft sind in gewissem Maße autark, weil sie sich relativ gut (oder teilweise) selbst versorgen können (z.B. durch eigenen Anbau von Lebensmitteln, Herstellung weiterer Güter) und sich selbst helfen kann (wenn ein Gerät defekt ist, wird nicht gleich neu gekauft, sondern repariert).
Eine grundsätzliche Entwicklung führt dazu, dass wir uns in unserem Land ohnehin darüber Gedanken machen müssen, wie wir in Zukunft mit einer schrumpfenden Wirtschaft umgehen: die Bevölkerung nimmt ab, und sie wird älter. Es braucht also schlaue Ideen, um eine relativ hohe Lebensqualität zu erhalten bzw. zugänglicher zu machen. Vielleicht braucht es dazu auch eine Neuausrichtung der Idee darüber, was gute Lebensqualität bedeutet.
 

Telepathetic

Großmeister
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Die Wirtschaft wird doch schon geschrumpft durch hohe Steuern, Geldmengenausweitung und Negativzinsen. Ich weiß, Du meinst etwas anderes, nämlich dass weniger produziert wird, z.B. indem die Konsumenten weniger kaufen, dafür selbst anbauen; sich Neuanschaffungen sparen und ebenso Reparaturkosten, indem sie selbst reparieren. Also eine erhöhte Do-it-Yourself-Mentalität anstelle einer Mentalität des Wegwerfens und Ersetzens.

Selbstanbau von Gemüse ist bestimmt eine schöne Sache, aber was ist, wenn die Ernte ausfällt? Wo will man anbauen, wenn man nicht einen Garten zussätzlich zum Haus besitzt oder einen Kleingarten zusätzlich zur Mietswohnung anmieten kann? Wer besitzen will oder mieten muß, der muß auch die Kosten dafür aufbringen. Fragt sich, ob der Einkauf im Supermarkt nicht eben doch günstiger und effizienter ist.

Fraglich ist auch, ob heutige Geräte, genauso wie die heutigen Autos nicht eigentlich schon viel zu komplex aufgebaut sind, um für Nicht-Profis so ohne Weiteres verständlich zu sein. Spezialwerkzeuge sind häufig nötig. Hinzu kommt ein Zeitfaktor, um den Aufbau eines Gerätes zu verstehen, den Fehler exakt zu lokalisieren und es bereits beim ersten Versuch korrekt reparieren zu können. Nicht jeder hat diese Zeit zur Verfügung. Die Begrenzung der Zeit ist ein Grund für Arbeitsteilung. Spezialisierung entsteht aufgrund einer immer komplexer werdenden Arbeitswelt.

Ressourcen werden ja auch schon dadurch geschont, dass recycelt wird.

Die schrumpfende Bevölkerung ist imo eine schrumpfende deutsche Bevölkerung. Aber egal wie rum, Maschinen übernehmen im wachsenden Maße eine Vielzahl an Arbeiten, darunter auch die Herstellung von Lebensmitteln. Die Zukunft könnte so aussehen, dass die Menschen die immens steigende arbeitsfreie Zeit mit dem Wohl anderer Menschen beschäftigen, so dass, unpräzise gesagt, vermehrt die Maschinen für das materielle Wohl der Menschen arbeiten und die Menschen dadurch mehr Zeit haben, sich um das emotionale, geistige Wohl der Menschen zu kümmern.
 

streicher

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Während einer Konjunktur wird die Wirtschaft ausgebremst, damit sie nicht zu heiß läuft. Das ist die Phase, in welcher die Steuern hochgeschraubt werden. Während einer Rezession werden sie heruntergesetzt, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und Investitionen zu erleichtern. Da kurbelt der Staat also wieder an. Die Phase des Schrumpfens wird meines Erachtens nicht bewusst herbeigeführt, sondern möglichst kurz gehalten.

Selbstanbau: sicherlich droht der Ausfall. Sich komplett selbst zu versorgen, mag beinahe ein Ding der Unmöglichkeit sein. Aber wenn man Zeit und Muße hat, warum nicht selbst anbauen und ernten und dafür sich ein paar Einkäufe sparen? Es gibt viele Bäume, die überall herumstehen und von niemanden geerntet werden. Viele Früchte bräuchten gar nicht den langen Weg aus Neuseeland antreten, wenn wir im eigenen Land nur selbst gezielt zulangen würden. Nüsse, Beeren, Äpfel, Quitten - da ist vieles da.

Um nicht alleine dazustehen, werden Erntegemeinschaften gegründet, oder Genossenschaften, die zum Beispiel Gewächshäuser nutzen oder bauen. Diese Strukturen könnten lokal durchaus einiges zur Versorgung der Bewohner beitragen. Lokales und regionales Wirtschaften wird gestärkt, lange Transportwege können vermieden werden: Energievermeidung. Das kann durchaus preislich anspruchsvoller sein. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es das nicht sein muss.

Was die Reparatur von komplexen Geräten angeht, muss ich dir recht geben: das ist für den Laien erstmal unmachbar. Aber was man noch nicht kann, liesse sich lernen durch gezielten Wissenstransfer an Orten, die dafür eigens eingerichtet werden: Repair-Cafés (dazu zwei Seiten: Reparatur-Initiativen, Repaircafé. Unternehmen unterstützen diese Initiativen durchaus auch: besser Reparieren als Wegwerfen, natürlich auch aus Eigeninteresse...
 

streicher

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Mir kamen noch ein paar Gedanken...

Telepathetic schrieb:
Ressourcen werden ja auch schon dadurch geschont, dass recycelt wird.
Das ist der Weg, den uns die Natur vormacht. Auf den sollten wir möglichst 100-%ig einschwenken. Wenn der Mensch zum Beispiel nicht mehr km³ Gestein zur Erlangung von Ressourcen abtragen müsste, wäre schon viel erreicht.

Die schrumpfende Bevölkerung ist imo eine schrumpfende deutsche Bevölkerung. Aber egal wie rum, Maschinen übernehmen im wachsenden Maße eine Vielzahl an Arbeiten, darunter auch die Herstellung von Lebensmitteln. Die Zukunft könnte so aussehen, dass die Menschen die immens steigende arbeitsfreie Zeit mit dem Wohl anderer Menschen beschäftigen, so dass, unpräzise gesagt, vermehrt die Maschinen für das materielle Wohl der Menschen arbeiten und die Menschen dadurch mehr Zeit haben, sich um das emotionale, geistige Wohl der Menschen zu kümmern.
Noch betrifft der Bevölkerungsrückgang nur wenige Staaten, darunter meistens Industriestaaten. In nur wenigen Jahrzehnten betrifft es einen großen Anteil der Staaten...
Ich könnte mir vorstellen, dass die Menschen auf anderen Wegen zu mehr Zeit finden (Zeitwohlstand und weniger Stress): wenn sie nicht mehr ganz so viel arbeiten müssten, da Unternehmen sich an eine gewisse Unternehmenssethik halten (und nicht haufenweise unbezahlte Überstunden einfordern), die Leute ihre Kosten selbst senken (durch etwas weniger Konsum, Eigenanbau, DIY - Do-It-Yourself: mehr Reparieren anstatt Wegwerfen, Solidargemeinschaften, Tausch- und Leihinitiativen, etc.). Sicher: ihre Gartenarbeit (falls es für sie möglich ist) würden sie vielleicht auch als Freizeitaktivität verstehen.

Du sprichst einen wichtigen Aspekt an: sich um das Wohl anderer Menschen kümmern - und du sagst, dafür müsse die Zeit geschaffen werden. Dazu gehört aber auch, dass Arbeit in einem Rahmen geschaffen werden muss, dass nicht haufenweise Menschen durch den Sieb fallen. Die Gemeinwohl-Ökonomie zielt in diese Richtung.
Gemeinwohl-Ökonomie: Werte-Wandel in der Wirtschaft

1. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist der Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle.
Weiter - siehe Link...
 

Telepathetic

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Arbeit geschaffen werden muß - oder das Individuum muß sich mehr darum, was es tun kann, um dem Gemeinwohl mit den momentanen und zukünftigen Mitteln etwas beizusteuern. Ansonsten bin ich eindeutig für mehr Anteilnahme und Gemeinschaftlichkeit, wenn Partizipation freiheitlich bleibt.

Mit Blick auf "strukturelle Gewalt" im Baum-Thread, möchte ich den noch unausgegorenen Gedanken einwerfen, dass die strukturelle Gewalt in den Gemeinschaften, kleinste bis größte, überwunden werden muß. Was auch immer das bedeuten mag, weiß ich bis jetzt noch nicht.

Die Ideologie existiert, dass die Welt nur Frieden finden kann, wenn alle Nationalstaaten aufgelöst werden, alle Regierungsgewalt auf eine global wirkende Organisation übergeht und sämtliche Bereiche menschliches Lebens einheitlich geregelt werden, also z.B. dass es nur eine einzige Währung für die ganze Weltgemeinschaft zum Wirtschaften geben soll. Aber würde dadurch das Ungleichgewicht von Macht, die ungleiche Verteilung von Vermögen und Möglichkeiten berührt werden? Würde nicht eine einzige Gruppe, demokratisch legitimiert selbstverständlich, sämtliche finanzielle und militärische Macht in Händen halten? Würden nicht die 1-%er dann den gesamten Globus regieren?
 

streicher

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Telepathetic schrieb:
Arbeit geschaffen werden muß - oder das Individuum muß sich mehr darum, was es tun kann, um dem Gemeinwohl mit den momentanen und zukünftigen Mitteln etwas beizusteuern. Ansonsten bin ich eindeutig für mehr Anteilnahme und Gemeinschaftlichkeit, wenn Partizipation freiheitlich bleibt.
Nur wenn die Partizipation freiwillig ist, kann sie wirklich als lohnend oder gewinnbringend empfunden werden. Ich denke, dass die Leute durchaus ermutigt werden dürfen, auch bei dem Aufbau der Strukturen mitzuwirken, die eine weitere Partizipation dauerhaft sicherstellt. Damit würde Politik nicht mehr so "von oben herab geschehend" empfunden, da Partizpateure unterschiedlichster Funktion auf Augenhöhe entwickeln und gestalten.

Telepathetic schrieb:
Mit Blick auf "strukturelle Gewalt" im Baum-Thread, möchte ich den noch unausgegorenen Gedanken einwerfen, dass die strukturelle Gewalt in den Gemeinschaften, kleinste bis größte, überwunden werden muß. Was auch immer das bedeuten mag, weiß ich bis jetzt noch nicht.
Über "strukturelle Gewalt" habe ich mich schon lange nicht mehr unterhalten. Verstehst du die "strukturelle Gewalt" wie sie der Friedensforscher Johan Galtung definiert:
„Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist.“?

Telepathetic schrieb:
Die Ideologie existiert, dass die Welt nur Frieden finden kann, wenn alle Nationalstaaten aufgelöst werden, alle Regierungsgewalt auf eine global wirkende Organisation übergeht und sämtliche Bereiche menschliches Lebens einheitlich geregelt werden, also z.B. dass es nur eine einzige Währung für die ganze Weltgemeinschaft zum Wirtschaften geben soll. Aber würde dadurch das Ungleichgewicht von Macht, die ungleiche Verteilung von Vermögen und Möglichkeiten berührt werden? Würde nicht eine einzige Gruppe, demokratisch legitimiert selbstverständlich, sämtliche finanzielle und militärische Macht in Händen halten? Würden nicht die 1-%er dann den gesamten Globus regieren?
Die Weltregierung. Oder der Welteinheitsstaat. Es stellen sich viele Fragen:
Wie kommen die bald 200 Länder dazu, die eigene Staatsgewalt, Souveränität aufzulösen und die Souveränität einem einzigen Souverän zu übertragen?
Wie wird die Einheitlichkeit dieses Weltstaates erhalten?
Wer regiert - sind es wieder ('politische') Eliten?
Wir sehen es an den heutigen Flächenstaaten, wie schwierig es überhaupt ist zu regieren. War es nicht Helmut Schmidt, der gesagt hat, dass ein Land wie Deutschland unregierbar ist? Ein Gebilde wie die BRD oder Nigeria oder Indonesien ist einfach zu groß, um alle Menschen unter einen Hut zu bringen. Gerechter könnte es vielleicht dann zugehen, wenn kleinräumiger Politik unter Parzipation geschieht und lokale wie regionale Interessen berücksichtigt werden, und zwar ernsthaft nach Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit strebend. Ausnutzung und Ausbeutung - dass zum Beispiel ein Globaler Spieler wie Nestlé sich in armen Ländern gutes Wasser der örtlichen Bevölkerung unter den Nagel reißt, und die Bevölkerung ihr eigenes Wasser in Flaschen kaufen muss, darf dann nicht mehr vorkommen.

Erst neulich habe ich mich im Rahmen eines kleinen Umweltprojektes mit Kindern im Alter von 10 bis 12 darüber unterhalten, wie sie sich eine bessere Welt vorstellen. Sie nannten u.a. folgende Punkte:
- Es sollte weniger Arm und Reich geben
- Die Leute sollten weniger mit Geld machen, mehr tauschen
- Die Menschen sollten sich mit dem zufrieden geben, was sie haben
 

Telepathetic

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streicher schrieb:
Ich denke, dass die Leute durchaus ermutigt werden dürfen, auch bei dem Aufbau der Strukturen mitzuwirken, die eine weitere Partizipation dauerhaft sicherstellt. Damit würde Politik nicht mehr so "von oben herab geschehend" empfunden, da Partizpateure unterschiedlichster Funktion auf Augenhöhe entwickeln und gestalten.
Ich finde auch, dass die Leute ermutigt werden dürfen. Dafür müssen sie schon früh, spätestens in der Schule, zu mündigen Bürgern erzogen werden, also dass sie sich selbst informieren und denken und selbstständig tätig werden. Mir ist bewußt, dass nicht alle die gleichen Funktionen einnehmen können, aber es ist ein positiver Fortschritt, wenn es keine reine Befehlsstrukturen mehr gibt, sondern wenn sich auch die "unteren Ränge" gefahrlos mit den "oberen Rängen" auseinandersetzen können. Idealerweise entsteht ein "Top-down-bottom-up"-System, also eines, in dem sich alle gegenseitig beeinflußen können.

streicher schrieb:
Über "strukturelle Gewalt" habe ich mich schon lange nicht mehr unterhalten. Verstehst du die "strukturelle Gewalt" wie sie der Friedensforscher Johan Galtung definiert: [...]?
Also, hier muß ich ersteinmal passen und mich eingehender mit Definitionen von "struktureller Gewalt" beschäftigen, um mich darüber unterhalten zu können. Ich meine aber mit "struktureller Gewalt", dass es eine herrschende Schicht gibt, die ihre Vorstellungen von Gesellschaft mittels subtiler, psychologischer und / oder physischer Gewalt auch gegen die Interessen der nicht-herrschenden Schichten durchsetzt.

streicher schrieb:
Gerechter könnte es vielleicht dann zugehen, wenn kleinräumiger Politik unter Parzipation geschieht und lokale wie regionale Interessen berücksichtigt werden, und zwar ernsthaft nach Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit strebend.
Das ist ja eigentlich eine der Strategien, die mit der Agenda 21 verfolgt werden. Allerdings ist auch die Agenda 21 ein "Top-down"-Projekt und daher hat so ziemlich alles, was ich eigentlich für richtig halte, einen unangenehmen Beigeschmack, einfach weil genau vorgegeben ist, wie die Welt laut Agenda 21 aussehen soll und dementsprechend sind lokale, regionale Interessen den größeren Interessen untergeordnet. Der Einfluß der Politik in allen Bereichen wird größer und wenn z.B. Mädchen Fußball spielen, dann ist das ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Nicht falsch verstehen, Mädchen können ja ruhig Fußball spielen, aber warum ist das so wichtig und ist es so, dass mit Puppen spielende Mädchen ein zivilisatorischer Rückschritt wären?

Meiner Meinung nach bedeutet lokale und regionale Partizipation nicht, dass man im Prinzip vorgeschrieben bekommt, was geht und was nicht geht, sondern, dass man sich zusammensetzt und diskutiert, was nötig ist, z.B. um Arbeit zu schaffen, damit die Menschen würdig und selbstbestimmter leben können, anstatt von Stütze und wirkungslosen H4-Maßnahmen leben zu müssen.


streicher schrieb:
Erst neulich habe ich mich im Rahmen eines kleinen Umweltprojektes mit Kindern im Alter von 10 bis 12 darüber unterhalten, wie sie sich eine bessere Welt vorstellen. Sie nannten u.a. folgende Punkte:
- Es sollte weniger Arm und Reich geben
- Die Leute sollten weniger mit Geld machen, mehr tauschen
- Die Menschen sollten sich mit dem zufrieden geben, was sie haben
Ich würde mich schon mit weniger Armut zufrieden geben. Laut FAZ vom 18.11.2016 (Artikel: Wie Deutschland Superreiche besteuert) trägt übrigens "das oberste Prozent der Steuerpflichtigen [...] fast viermal so viel zum Einkommensteueraufkommen bei wie die gesamte untere Hälfte."
Geld ist aber eigentlich ein viel besseres Mittel, um an Waren zu kommen, einer der Gründe ist, dass man nicht unbedingt etwas zum Tauschen parat hat, was jemand möchte, der etwas hat, das man haben möchte. Hier ist dann auch ein weiterer Kritikpunkt an heutiger (Agenda 21-) Politik: wirtschaftliche Prozesse werden nicht erklärt, dagegen wird Wirtschaft grundsätzlich schlecht hingestellt und als Heilungsmittel idealistisches Gedankengut eingeführt. Entsprechende Diskussionen finden sich zuhauf auf Weltverschwörung; ich stelle mich grundsätzlich auf die Seite des Users Ein wilder Jäger, wenn es um ökonomische Fragen geht.

Sicherlich halte ich viele Ideale und Moral für richtig und für eine Regulation des alltäglichen Lebens erforderlich, gleichzeitig halte ich viele der Vorstellungen, die so aus der Öko-Ecke und der Politik der Grünen und eben aus der UNO mit ihrer Agenda 21 stammen für falsch, unrealistisch und nicht zum Ziel führend.
 

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Telepathetic schrieb:
Ich finde auch, dass die Leute ermutigt werden dürfen. Dafür müssen sie schon früh, spätestens in der Schule, zu mündigen Bürgern erzogen werden, also dass sie sich selbst informieren und denken und selbstständig tätig werden. Mir ist bewußt, dass nicht alle die gleichen Funktionen einnehmen können, aber es ist ein positiver Fortschritt, wenn es keine reine Befehlsstrukturen mehr gibt, sondern wenn sich auch die "unteren Ränge" gefahrlos mit den "oberen Rängen" auseinandersetzen können. Idealerweise entsteht ein "Top-down-bottom-up"-System, also eines, in dem sich alle gegenseitig beeinflußen können.
Es gibt wohl einen allmählichen Paradigmenwechsel. Die Schulbildung geht von dem Schwerpunkt "Wissensvermittlung" weg und gleichzeitig gewinnt die Vermittlung von "Kompetenzen" an Gewicht. Damit wird mehr darauf geschaut, dass die Schüler etwas für das konkrete eigene Leben mitbekommen, sie werden weniger gebildet, sondern dazu herangeführt bzw. ihnen die Möglichkeit gegeben, sich selbst aktiv zu bilden. Das bedeutet auch, dass der Unterricht weniger frontal geführt wird (die Tendenzen gibt es ohnehin schon), Teamarbeit und das selbstständige Planen und organisieren gefördert und gewollt wird. Auch die Lehrkräfte probieren sich neu aus. Die neuen Lehrpläne werden schon, bundesweit meine ich, allmählich eingeführt.



Telepathetic schrieb:
Also, hier muß ich ersteinmal passen und mich eingehender mit Definitionen von "struktureller Gewalt" beschäftigen, um mich darüber unterhalten zu können. Ich meine aber mit "struktureller Gewalt", dass es eine herrschende Schicht gibt, die ihre Vorstellungen von Gesellschaft mittels subtiler, psychologischer und / oder physischer Gewalt auch gegen die Interessen der nicht-herrschenden Schichten durchsetzt.
An den Begriff können wir uns ja annähern. Strukturelle Gewalt hat als Ausgangspunkt gesellschaftliche Bedingungen: in der Arbeitswelt: Leistungsdruck; wie du schon angedeutet hast: ungleiche Lebensbedingungen für unterschiedliche Gruppen; fehlende Kontrollinstanzen. Damit ist die Gewalt mehr oder minder in das System eingebaut.

Das ist ja eigentlich eine der Strategien, die mit der Agenda 21 verfolgt werden. Allerdings ist auch die Agenda 21 ein "Top-down"-Projekt und daher hat so ziemlich alles, was ich eigentlich für richtig halte, einen unangenehmen Beigeschmack, einfach weil genau vorgegeben ist, wie die Welt laut Agenda 21 aussehen soll und dementsprechend sind lokale, regionale Interessen den größeren Interessen untergeordnet. Der Einfluß der Politik in allen Bereichen wird größer und wenn z.B. Mädchen Fußball spielen, dann ist das ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Nicht falsch verstehen, Mädchen können ja ruhig Fußball spielen, aber warum ist das so wichtig und ist es so, dass mit Puppen spielende Mädchen ein zivilisatorischer Rückschritt wären?

Meiner Meinung nach bedeutet lokale und regionale Partizipation nicht, dass man im Prinzip vorgeschrieben bekommt, was geht und was nicht geht, sondern, dass man sich zusammensetzt und diskutiert, was nötig ist, z.B. um Arbeit zu schaffen, damit die Menschen würdig und selbstbestimmter leben können, anstatt von Stütze und wirkungslosen H4-Maßnahmen leben zu müssen.
D'accord. Bestimmte Notwendigkeiten hat man lokal, regional (oder sogar global) erkannt und man sucht gemeinsam nach Wegen, vor Ort Lösungen zu schaffen, die dann nicht abgeschlossen sein müssen, sondern möglicherweise langfristiger weiterentwickelt werden. Die Strukturen, die man schafft, könnten für ganz unterschiedliche Belange/Projekte/Anliegen nützlich sein.
Von den bestehenden Strukturen, die manchmal verlangsamend wirken oder deckeln, würde man sich evtl. ein wenig abdocken. Das würde zwangsläufig auf mehr Partizipation hinauslaufen. Denn es macht ja einen Unterschied, ob ein Ausschuss seinen Bürgern eine Anhörung anbietet, oder ob ein Gremium geschaffen wird, dass zivilgesellschaftliche Akteure hinter seinem Rücken hat und die Bürger vor Ort engagieren wollen, zum Beispiel in den Phasen, in welchen die Bedarfe festgestellt werden, bei der Planung und in der Umsetzung.


Ich würde mich schon mit weniger Armut zufrieden geben. Laut FAZ vom 18.11.2016 (Artikel: Wie Deutschland Superreiche besteuert) trägt übrigens "das oberste Prozent der Steuerpflichtigen [...] fast viermal so viel zum Einkommensteueraufkommen bei wie die gesamte untere Hälfte."
Geld ist aber eigentlich ein viel besseres Mittel, um an Waren zu kommen, einer der Gründe ist, dass man nicht unbedingt etwas zum Tauschen parat hat, was jemand möchte, der etwas hat, das man haben möchte. Hier ist dann auch ein weiterer Kritikpunkt an heutiger (Agenda 21-) Politik: wirtschaftliche Prozesse werden nicht erklärt, dagegen wird Wirtschaft grundsätzlich schlecht hingestellt und als Heilungsmittel idealistisches Gedankengut eingeführt. Entsprechende Diskussionen finden sich zuhauf auf Weltverschwörung; ich stelle mich grundsätzlich auf die Seite des Users Ein wilder Jäger, wenn es um ökonomische Fragen geht.

Sicherlich halte ich viele Ideale und Moral für richtig und für eine Regulation des alltäglichen Lebens erforderlich, gleichzeitig halte ich viele der Vorstellungen, die so aus der Öko-Ecke und der Politik der Grünen und eben aus der UNO mit ihrer Agenda 21 stammen für falsch, unrealistisch und nicht zum Ziel führend.
Wenn Spritautos bis 2030 abgeschafft werden sollen, klingt das nach Öko-Diktatur. Nein, dass soll es nicht werden. Überhaupt finde ich einige Ideen, die "grün" anmuten, beim genaueren Nachdenken gar nicht mal unbedingt so "grün". Es gibt sicherlich einige, die sich für die großen Umweltfragen/-Probleme und Wirtschaftsfragen unserer Zeit idealtypische Lösungen ausgedacht haben. Und wahrscheinlich ist ohnehin nur ein Lösungsmix realisierbar. Effizienz, Suffizienz, Partizipation und Bildung. Das sind nur Schlagworte. Mehr Effizienz würde zum Beispiel bedeuten, dass in der Produktion weniger Energie verloren geht, die Rohstoffe mehr zirkulieren. Mehr Suffizienz würde bedeuten, dass einzelne Personen vielleicht sogar weniger brauchen und mehr Dinge einfach selbst lösen kann. Mehr Partizipation würde bedeuten, dass die einzelnen Leute mehr mitwirken können: das könnte mehr Zufriedenheit erzeugen, insbesondere auch mehr lokale Lösungen. Mehr Bildung oder vielleicht auch eine neu ausgerichtete Bildung könnte lebensnaher sein, jedoch auch die Reflexion und das Hinterfragen fördern bzw. auch die Kompetenz fördern, selbst zu planen und zu organisieren und zu realisieren.
 

Telepathetic

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streicher schrieb:
Es gibt wohl einen allmählichen Paradigmenwechsel. Die Schulbildung geht von dem Schwerpunkt "Wissensvermittlung" weg und gleichzeitig gewinnt die Vermittlung von "Kompetenzen" an Gewicht. Damit wird mehr darauf geschaut, dass die Schüler etwas für das konkrete eigene Leben mitbekommen, sie werden weniger gebildet, sondern dazu herangeführt bzw. ihnen die Möglichkeit gegeben, sich selbst aktiv zu bilden. Das bedeutet auch, dass der Unterricht weniger frontal geführt wird (die Tendenzen gibt es ohnehin schon), Teamarbeit und das selbstständige Planen und organisieren gefördert und gewollt wird. Auch die Lehrkräfte probieren sich neu aus. Die neuen Lehrpläne werden schon, bundesweit meine ich, allmählich eingeführt.
Du sprichst von den neuen Kerncurricula. Man kann sie bereits auf den Seiten der Kultusministerien im PDF-Format anschauen, bzw. auf seinen Rechner runterladen.

Der Vorteil der Vermittlung von Kompetenzen anstelle von auswendig lernen kann sein, dass Schüler sich auf die Gebiete konzentrieren, die sie wirklich interessen, was zu hohen Leistungen führen kann. Ein Nachteil kann sein, dass Schüler sich auf Gebiete konzentrieren, die ihnen niemals etwas nützen werden. Zugegeben, die Gefahr ist keine neue; geht jemand ein Fach studieren, von dem es heißt, mit diesem ist die Zukunft zu machen, dann gibt es dennoch keine Garantie, dass dieser jemand auch tatsächlich Arbeit im studierten Bereich finden wird.

An den Begriff können wir uns ja annähern. Strukturelle Gewalt hat als Ausgangspunkt gesellschaftliche Bedingungen: in der Arbeitswelt: Leistungsdruck; wie du schon angedeutet hast: ungleiche Lebensbedingungen für unterschiedliche Gruppen; fehlende Kontrollinstanzen. Damit ist die Gewalt mehr oder minder in das System eingebaut.
Die Gewalt scheint eigentlich sogar mehr oder minder in das Leben eingebaut zu sein. Wobei es ja hier um Gewalt von Mensch gegen Mensch geht. In der Arbeitswelt konkurrieren Menschen gegen andere Menschen. Das alleine muß noch kein Anlaß zu Gewaltanwendung sein. Stellt sich die Frage, was Gewalt ist, wo sie anfängt. Physische Gewalt ist eine Ausdrucksform, eine andere ist psychische Gewalt. Ich bin mir nicht sicher, ob Leistungsdruck eine Form von Gewaltanwendung ist. Auch wenn es unfair gegenüber dem Individuum erscheint, aber wenn es die geforderte Leistung nicht bringen kann, dann muß sich ein Arbeitgeber wohl fragen, ob diese Person trotzdem ein Teil des Teams bleibt und eventuell anders planen, Ziele aus Rücksichtnahme neu festsetzen oder aber die Person muß durch eine neue Arbeitskraft ersetzt werden.

Ungleiche Lebensbedingungen für unterschiedliche Gruppen, finde ich nur dann wirklich abträglich, wenn diese Gruppen über keine öffentlichen Mitgestaltungsmöglichkeiten verfügen, d.h. wenn sie ausgegrenzt werden. Es gibt ja auch durchaus Leute, die sich bewußt für ein enthaltsames Leben entscheiden oder Leute, die auf den nächsten Karriereschritt verzichten, weil sie sich anderen Dingen widmen möchten. Als Gewalt würde ich in diesem Zusammenhang bezeichnen, wenn der Stärkere z.B. Informationsbeschaffung, Meinungsbildung- und äußerung für bestimmte Gruppen unter Strafe stellen würde und diesen Gruppen vorschreibt, was sie zu denken und zu öffentlich zu vertreten haben.

In dem Redeausschnitt von Frau Wagenknecht in der Sammlung aktueller Zitate sehe ich in den Reaktionen ihrer Mitpolitikern so etwas wie eine subtile Gewalt. Denn anstatt sie reden zu lassen und dann mit Argumenten/anderen Perspektiven/von mir aus parteipolitisch gefärbten Meinungen zu antworten, wird reingeredet, verhöhnt, von vornherein geblockt.

Denn es macht ja einen Unterschied, ob ein Ausschuss seinen Bürgern eine Anhörung anbietet, oder ob ein Gremium geschaffen wird, dass zivilgesellschaftliche Akteure hinter seinem Rücken hat und die Bürger vor Ort engagieren wollen, zum Beispiel in den Phasen, in welchen die Bedarfe festgestellt werden, bei der Planung und in der Umsetzung.
Ja, sicher macht es einen Unterschied. Die Demokratie breitet sich überall aus, und mehr Menschen nehmen ihr Recht in Anspruch, sich zu äußern und sich mit anderen zusammenzuschließen, z.B. im Rahmen eines Vereines, um etwas für sie Wichtiges aufzubauen. Da sich die Arbeitswelt dahingeht wandelt, dass die Zahl der dauerhaft Arbeitslosen eher noch größer wird und die dagegensteuernden Maßnahmen der Ämter weiterhin geringe bis keine Wirkung zeitigen dürften, werden sich sehr viele selbst beschäftigen müssen. Auch ohne Bezahlung. Sicherlich werden nicht alle ein Versagen des Staates und des Westens erkennen wollen und zum IS wechseln, sondern die realen Entwicklungen sehen und das tun, was bleibt, nämlich sich in irgendeiner sozialen oder politischen Sache zu engagieren. Die Chance scheint mir zu sein, dass das was der Staat einfach nicht schaffen kann, von den Heeren der Arbeitslosen geschafft werden könnte. Wie das konkret aussehen könnte, muß aber jeder selbst herausfinden.


Wenn Spritautos bis 2030 abgeschafft werden sollen, klingt das nach Öko-Diktatur. Nein, dass soll es nicht werden. Überhaupt finde ich einige Ideen, die "grün" anmuten, beim genaueren Nachdenken gar nicht mal unbedingt so "grün". Es gibt sicherlich einige, die sich für die großen Umweltfragen/-Probleme und Wirtschaftsfragen unserer Zeit idealtypische Lösungen ausgedacht haben.
Ich habe nun endlich herausgefunden, was mich eigentlich stört an der Agenda 21. Es ist das Gefühl überrollt zu werden von Anforderungen wie ich sein soll und was ich zu denken habe und was ich ablehnen und was ich gutheißen soll. Die Ironie an der Geschichte ist ja, dass ich die Ansichten, die der Agenda 21 zugrundeliegen nichtmal grundsätzlich ablehne. Dennoch scheint bereits alles festzustehen, alles ist perfekt durchgeplant. Wo ist da echte Partizipation? Nur ein Beispiel, die Leute sollen mehr Fahrrad fahren. Also müssen die Leute dahingebracht werden mehr Fahrrad zu fahren. Echte Partizipation bedeutet für mich aber Folgendes: ein Problem wird erkannt, in diesem Falle der negative Effekt zu großen Benzinverbrauchs für die Umwelt und die größer werdende Verstopfung des Straßensystems. Anstatt jetzt eine einzige Lösung vorzuschreiben, wird das Problem an die Öffentlichkeit abgegeben - die kann nämlich durchaus sehr kreativ sein - bis dann eine, zwei, mehrere Lösungen gefunden werden, die u.U. viel besser sind als das Umsteigen auf Fahrräder. Das Internet bietet eine super Infrastruktur, z.B. über Seiten wie diese, die völlig unpolitisch Probleme lösen will.

Mehr Bildung oder vielleicht auch eine neu ausgerichtete Bildung könnte lebensnaher sein, jedoch auch die Reflexion und das Hinterfragen fördern bzw. auch die Kompetenz fördern, selbst zu planen und zu organisieren und zu realisieren.
Die Frage ist mMn, ob wir eine Art Plan- und Kommandowirtschaft haben wollen, in der die von Dir genannte Form der Bildung lediglich Augenwischerei ist, weil sämtliche Bereiche des Lebens gesetzgeberisch, bzw. per Soft Power durchgestaltet sind und in Wahrheit keine Alternativen zulassen, was Partizipation zu einem reinen Schauspiel machen würde.

Oder ob die von Dir genannte Form der Bildung den Wortbedeutungen gerecht wird und mehr in sowas wie Basisdemokratie mündet, bzw. eine starke Privatgesellschaft zulässt, in der privates Unternehmertum und Initiative Tugenden sind. Da es wohl auch nicht wünschenswert ist, ganz ohne staatliche Regulation auszukommen, kann eigentlich nur der Mittelweg, also eine starke Privatgesellschaft voller mündiger, an der Gemeinschaft interessierter, Bürger, die sich nicht darauf verlassen, dass der Staat schon alle Probleme lösen wird, anstrebenswert sein.
 

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Telepathetic schrieb:
Der Vorteil der Vermittlung von Kompetenzen anstelle von auswendig lernen kann sein, dass Schüler sich auf die Gebiete konzentrieren, die sie wirklich interessen, was zu hohen Leistungen führen kann. Ein Nachteil kann sein, dass Schüler sich auf Gebiete konzentrieren, die ihnen niemals etwas nützen werden.
An der Wissensvermittlung führt wohl kein Weg vorbei. Es geht weniger um das "ob", sondern um das "wie". Wie kann den Lernenden etwas vermittelt werden, so dass sie tatsächlich etwas mitnehmen? Das Gelernte soll lebensnäher sein und den Lernenden nicht sinnlos erscheinen. Was braucht es an Inhalten dazu? Wenn man die Möglichkeit bekommt, eine eigene Schülerfirma zu gründen, hat es ein ganz anderes Format als das trockene Verbuchen auf irgendwelchen imaginären Konten.

Ich bin mir nicht sicher, ob Leistungsdruck eine Form von Gewaltanwendung ist. Auch wenn es unfair gegenüber dem Individuum erscheint, aber wenn es die geforderte Leistung nicht bringen kann, dann muß sich ein Arbeitgeber wohl fragen, ob diese Person trotzdem ein Teil des Teams bleibt und eventuell anders planen, Ziele aus Rücksichtnahme neu festsetzen oder aber die Person muß durch eine neue Arbeitskraft ersetzt werden.
Ohne Leistungsdruck scheint es oft nicht zu gehen. Allerdings dürfen die Anforderungen nicht überhöht oder rücksichtslos sein: derjenige, der dem Druck ausgesetzt ist, muss sich auch mal artikulieren können bzw. manchmal ist schlicht und einfach Unterstützung erforderlich. Wenn jemand unter den Arbeitsanforderungen zusammenbricht, behält er oder sie ein Trauma davon zurück. Und ein Arbeitgeber sollte doch daran interessiert sein, dass das nicht passiert. Neben Arbeit unter Druck braucht es zwischendurch auch Zeiten der Entspannung - auch in der Arbeit.

In dem Redeausschnitt von Frau Wagenknecht in der Sammlung aktueller Zitate sehe ich in den Reaktionen ihrer Mitpolitikern so etwas wie eine subtile Gewalt. Denn anstatt sie reden zu lassen und dann mit Argumenten/anderen Perspektiven/von mir aus parteipolitisch gefärbten Meinungen zu antworten, wird reingeredet, verhöhnt, von vornherein geblockt.
Ist meines Erachtens eine undemokratische Verhaltensweise, mit welcher man sich unglaubwürdig macht. So funktioniert keine tatsächliche Überzeugungsarbeit, für die es stichhaltige Argumente braucht.

[Dauerarbeitslose etc.]
Sicherlich werden nicht alle ein Versagen des Staates und des Westens erkennen wollen und zum IS wechseln, sondern die realen Entwicklungen sehen und das tun, was bleibt, nämlich sich in irgendeiner sozialen oder politischen Sache zu engagieren. Die Chance scheint mir zu sein, dass das was der Staat einfach nicht schaffen kann, von den Heeren der Arbeitslosen geschafft werden könnte. Wie das konkret aussehen könnte, muß aber jeder selbst herausfinden.
Not macht erfinderisch. Ich denke auch, dass Engagement wichtig ist, und zwar konstruktiv. Und dabei darf auch an den bestehenden Strukturen etwas geändert oder ergänzt werden, in Richtung mehr Teilhabe.
Das bestehende wirtschaftliche System muss ja nicht gleich über den Haufen geworfen werden oder komplett zusammenbrechen, wie es gerne gefordert wird. Aber ein Mehr an Gemeinwohlgedanken und weniger (Raubtier-)Kapitalismus würde der Allgemeinheit sicherlich besser tun.


Dennoch scheint bereits alles festzustehen, alles ist perfekt durchgeplant. Wo ist da echte Partizipation? Nur ein Beispiel, die Leute sollen mehr Fahrrad fahren. Also müssen die Leute dahingebracht werden mehr Fahrrad zu fahren. Echte Partizipation bedeutet für mich aber Folgendes: ein Problem wird erkannt, in diesem Falle der negative Effekt zu großen Benzinverbrauchs für die Umwelt und die größer werdende Verstopfung des Straßensystems. Anstatt jetzt eine einzige Lösung vorzuschreiben, wird das Problem an die Öffentlichkeit abgegeben - die kann nämlich durchaus sehr kreativ sein - bis dann eine, zwei, mehrere Lösungen gefunden werden, die u.U. viel besser sind als das Umsteigen auf Fahrräder. Das Internet bietet eine super Infrastruktur, z.B. über Seiten wie diese, die völlig unpolitisch Probleme lösen will.
Gehe ich voll mit. Mit Vorschriften und Gesetzen, Verboten und Geboten, Richtlinien und Gebühren ist es nicht getan. Die verlinkte Seite spricht für sich und zeigt es ganz deutlich - es geht um Initiative: "I want to be a problem solver" ... "I want to run challenges" Es ist schön positiv formuliert, nach dem Motto: Du kannst etwas schaffen. Du kannst etwas anstoßen.
Wenn die Leute selbst mitgestalten können, erleben sie Selbstwirksamkeit, eine schöne Triebfeder, um anschließend Weiteres anzustoßen.
Und übrigens: die Menschen vor Ort werden am Besten wissen, was sie brauchen, selbst Kinder... Nur ein Beispiel: Münchner Mädchen und Jungen mischen mit - Kinderbeteiligung.
 

Telepathetic

Großmeister
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streicher schrieb:
Wenn man die Möglichkeit bekommt, eine eigene Schülerfirma zu gründen, hat es ein ganz anderes Format als das trockene Verbuchen auf irgendwelchen imaginären Konten.
Ja, das ist schon wahr. Der Königsweg in der Schulausbildung liegt wohl darin, einerseits ein breites Allgemeinwissen zu erwerben - man kann eben nicht nur nach Lust und Laune Fächer wählen und darauf vertrauen, dass man das nicht gelernte sowieso niemals brauchen wird. Je mehr Wissen, desto größer die Chancen in einem Beruf arbeiten zu können, der einem gefällt, in ihm Karriere zu machen und wenn man aus dem Beruf herauswachsen sollte, in einen anderen Beruf wechseln zu können. Andererseits lernt es sich besser, wenn man ein praktisches Ziel vor Augen hat, welches man bereits während der Schulzeit verfolgen kann. Und wenn eine Schülerfirma "pleite" geht, dann entstehen keine Nachteile für das eigene Leben, sondern nur Vorteile wie die Erfahrung und Charakterbildung, z.b. weil man sich getraut hat, eine Firma zu gründen.

Ohne Leistungsdruck scheint es oft nicht zu gehen. Allerdings dürfen die Anforderungen nicht überhöht oder rücksichtslos sein: derjenige, der dem Druck ausgesetzt ist, muss sich auch mal artikulieren können bzw. manchmal ist schlicht und einfach Unterstützung erforderlich. Wenn jemand unter den Arbeitsanforderungen zusammenbricht, behält er oder sie ein Trauma davon zurück. Und ein Arbeitgeber sollte doch daran interessiert sein, dass das nicht passiert. Neben Arbeit unter Druck braucht es zwischendurch auch Zeiten der Entspannung - auch in der Arbeit.
Ganz eindeutig. Kluge Arbeitgeber achten darauf, dass eine Unternehmenskultur, wie Du sie umreißt, gelebt wird.

Ist meines Erachtens eine undemokratische Verhaltensweise, mit welcher man sich unglaubwürdig macht. So funktioniert keine tatsächliche Überzeugungsarbeit, für die es stichhaltige Argumente braucht.
Es ist mMn genau eine solche Art des 'Nichternstnehmens von Positionen', die Parteien wie der AfD Kraft geben. Nichternstgenommen scheinen die Ängste von Bevölkerungsteilen genommen zu werden, die ein Problem mit der Flut an komplett kulturfremden Menschen (ich meine die Flüchtlinge) haben. Anstatt aber diese Ängste ernstzunehmen, werden sie von manchen sofort als Ausdruck von ideologischer Feindseligkeit verdammt. Als wenn es da nur diese eine Möglichkeit geben kann. Auf einer solchen Basis lässt sich nicht diskutieren, lassen sich keine Ängste nehmen. Aber die betroffenen Menschen können nicht anders, als Lösungen suchen zu müssen, also suchen sie sie eben woanders, wenn sie sie in den etablierten Parteien nicht mehr finden. Genau derselbe Effekt ist mMn im Rest Europas in der verstärkten Kraft rechter Parteien zu erkennen und drüben in Amerika in der Wahl des Präsidenten. Solange also etablierte Parteien keine inkludierende Wirkung haben, sondern lediglich einen Teil repräsentieren, wird es neue Parteien geben, die idealerweise ein Bewußtsein für das Problem und einen Raum für dessen Lösung schaffen, so wie die Grünen damals.

Aber vielleicht weicht die Wirklichkeit der Politik und der Legislative, Exekutive, Judikative ein wenig ab von dem, wie, ganz allgemein gesagt, die Medien sie darstellen, bzw. der Ausschnitt, den die Medien darstellen, ist nur ein ganz kleiner und meistens noch mit dem ideologischen Bias, bzw. dem (sehr) negativen Blick, der Schreibenden versehen.

Das bestehende wirtschaftliche System muss ja nicht gleich über den Haufen geworfen werden oder komplett zusammenbrechen, wie es gerne gefordert wird. Aber ein Mehr an Gemeinwohlgedanken und weniger (Raubtier-)Kapitalismus würde der Allgemeinheit sicherlich besser tun.
Ja zu mehr Gemeinwohlgedanken. Den Gedanken, dass man ja nicht gleich das bestehende System über den Haufen werfen braucht, ist ein Gedanke, den ich auch mit Blick auf Religion habe. Der Grund, warum ich mich seit Jahren mit dem Judentum beschäftige, ist ja gerade der, dass der Gemeinschaft viel Bedeutung beigemessen wird und ein Hauptaugenmerk darin besteht, dass man eigentlich moralisch dazu verpflichtet ist, sich um die Anderen mitzubekümmern. Nur mal so nebenbei.


Es ist schön positiv formuliert, nach dem Motto: Du kannst etwas schaffen. Du kannst etwas anstoßen.
Wenn die Leute selbst mitgestalten können, erleben sie Selbstwirksamkeit, eine schöne Triebfeder, um anschließend Weiteres anzustoßen.
Mehr Posivität tut not in unseren Landen. Ich denke, das wirklich Schlimme ist ein negatives Weltbild zu entwickeln, weil der Glaube an die Gültigkeit eines Weltbildes, dieses Weltbild Realität werden lässt.

Und übrigens: die Menschen vor Ort werden am Besten wissen, was sie brauchen, selbst Kinder... Nur ein Beispiel: Münchner Mädchen und Jungen mischen mit - Kinderbeteiligung.
Das hat auch etwas hoffnungsvolles an sich. Anstelle der Bevormundung durch Besserwisser, tritt vielleicht in großem Stil eine Achtung vor dem Standpunkt des Anderen und der Wille unterschiedliche Standpunkte in die Lösung einfließen zu lassen.
 

Simple Man

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Wäre es nicht sinnvoller, das alles in einem eigenen, passenden Thread zu diskutieren? Das hat mit dem, was gerade gelesen wird, eher weniger zu tun ... ^^
 

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Cixin Liu: Die drei Sonnen
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Aus dem Chinesischen von Martina Hasse. China, Ende der 1960er-Jahre: Während im ganzen Land die Kulturrevolution tobt, beginnt eine kleine Gruppe von Astrophysikern, Politkommissaren und Ingenieuren ein streng geheimes Forschungsprojekt. Ihre Aufgabe: Signale ins All zu senden und noch vor allen anderen Nationen Kontakt mit Außerirdischen aufzunehmen. Fünfzig Jahre später wird diese Vision Wirklichkeit - auf eine so erschreckende, umwälzende und globale Weise, dass dieser Kontakt das Schicksal der Menschheit für immer verändern wird.
Chinesischer SciFi ist Neuland für mich... Liu hat mich bislang mehr als überzeugt.
 

haruc

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Zwar nicht gerade in meiner Leseliste, aber man sollte es nicht unerwähnt lassen:

Herfried Münkler: Der Erste Weltkrieg.

Münkler, selbst Politologe, schreibt eine Geschichte des 1. Weltkrieges (insbesondere des "Weges in den Krieg") aus Sicht der aktuellen Konfliktforschung, und bringt durch diesen Interdisziplinären Ansatz einen, wie ich finde, frischen Wind in die Diskussion. Wobei "frisch" hier mit Vorsicht zu genießen ist, das Buch ist immerhin fast zwei Jahre alt. Und zum 1. Weltkrieg publizieren ja alle gerade wie blöd.


Ansonsten:

Klemperer, Victor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten.

Die Tagebücher des Dresdner Philologen Klemperer, der als Jude in "Mischehe" das 3. Reich überlebte. Sie geben einen sehr authentischen, lebhaften und scheinbar auch ehrlichen Einblick in den jüdischen Alltag der Jahre 1933-1945 in Deutschland.

Ich glaube man muss dazu nicht mehr sagen. Wer Zeit und Muse hat, sich 1000 Seiten privaten Alltag anzutun, der sollte das tun. Nirgends sonst bekommt man so detailreich und hautnah mit, wie im 3. Reich der "Kessel" schrittweise angeheizt wurde. Besondere Stärke sind auch die immer wieder diskutierten Gerüchte über neue Zwangsmaßnahmen gegen Juden, mysteriöse Durchbrüche der Franzosen an der Maaß usw...vor denen Klemperer entweder Angst hatte (Zwangsmaßnahmen), oder auf die Klemperer und seine Bekannten alle Hoffnung setzten (alliierte Erfolge gegen das 3. Reich)... Zeug eben, das im Augenblick alles überstrahlt, in der Retrospektive aber unter den Tisch fällt... Es ist eben jenes Stochern im Nebel, dem Menschen zu allen Zeiten in der Gegenwart ausgesetzt sind, in der sie handeln müssen, das aber kaum sonst je mit einer solch schrecklichen Ungewissheit verbunden war, wie für die Juden im 3. Reich.

Aus dem Tagebuch ging nach dem Krieg dann auch das ganz hervorragende Buch "L.T.I." hervor, welches jedem deutschsprachigen Menschen hiermit ebenfalls wärmstens ans Herz gelegt sei.
 

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