3.Sozialpsychologische Aspekte der Nachfrage nach Sport
In der Literatur lassen sich eine ganze Reihe von Publikationen finden, die sich mit den Gründen beschäftigen, warum Menschen Sportveranstaltungen besuchen oder sie sich im Fernsehen ansehen, obwohl die wenigsten davon eindeutig empirisch belegt sind. Die meisten Autoren kommen dennoch zu ähnlichen Ergebnissen, die sich mehr durch ihre Struktur und ihre Begrifflichkeiten, als durch ihre Inhalte unterscheiden. Im wesentlichen werden folgende Gründe für das Sportinteresse seitens der Zuschauer herausgearbeitet:
Ø Spannung ohne Risiko
Ø Geselligkeit
Ø Geringer intellektueller Anspruch
Ø Mystifizierung und Heldentum
Ø Erleben von Emotionen
Ø Identifikation
Ø Kommunikationsthemen
Die Moderne Gesellschaft ist v.a. von Routine und Bürokratie geprägt, Unsicherheiten werden dadurch möglichst ausgemerzt, Risiko planbar gemacht, was beim Menschen zu Langeweile führt. Er sucht folglich zunehmend nach Spannung und Abwechslung. Diesen Nervenkitzel findet der Zuschauer im Sport, ohne dabei jedoch selbst ein Risiko eingehen zu müssen, da er im Falle einer Niederlage keine Konsequenzen zu befürchten hat: Sport birgt jede Menge Überraschungspotential, nicht nur im Ergebnis. Verletzungen, Entgleisungen der Spieler etc. bieten Gelegenheit für Voyeurismus jeglicher Art, welcher vom Zuschauer dankbar angenommen wird .
Untersuchungen zeigen ferner, dass v.a. Großereignisse wie die Fußball- Weltmeisterschaft häufig in Gruppen verfolgt werden. Ob nun mit Freunden zu Hause, auf öffentlichen Großleinwänden, oder in der Kneipe, man trifft sich mit Gleichgesinnten, um einem Sportereignis beizuwohnen . Somit wird der Fußball im Fernsehen gleichzeitig zu einem sozialen Gemeinschaftsereignis, an dem auch immer mehr Nichtsportinteressierte teilnehmen .
Aufgrund der zunehmenden Intellektualisierung der Gesellschaft suchen viele Menschen Ausgleich im Konkreten und Anschaulichen. Der Sport bietet hierfür aufgrund seiner leicht verständlichen Regelwerke und seiner Überschaubarkeit eine angenehme Lösung, welche, wie bereits erwähnt, durch alle Bildungsschichten hinweg Akzeptanz besitzt.
Ein weiteres Phänomen stellt in der heutigen Zeit sicherlich die schwindende Rolle der Religion dar, welche von der Wissenschaft zunehmend entmystifiziert wird. Der Sport bietet hierbei durch Verehrung von „Superhelden“ (z.B. “Die Helden von Bern“) eine Art Ersatzreligion für die Zuschauer, die allgemein akzeptierte ethische und maskuline Werte wie das „Nicht- Aufgeben“, oder Selbstaufopferung vermittelt. Außergewöhnliche Athleten werden zu übermenschlichen Ikonen, die Macht Heldentum und Mythen darstellen hochstilisiert . Der sportliche Held erlaubt es dem Zuschauer ferner durch seine herausragende Leistung für einen kurzen Moment eine perfekte Welt mitzuerleben.
Als wesentlich empfindet der Zuschauer auch die Tatsache, dass der disziplinierte, affekt- und emotionsunterdrückende Verhaltenscode der Gesellschaft beim Fußballschauen außer Kraft gesetzt wird. Ein Ausleben von Gefühlen aller Art wird hierbei sogar oft gefordert, während so etwas in nahezu allen anderen Lebensbereichen verpönt ist. Der Sport bietet dem Betrachter folglich einen Ort der Gefühlshygiene . Dies könnte auch die Erklärung dafür sein, dass häufig zusätzlich alkoholische Getränke konsumiert werden, die bekanntlich auf die affektiven Gefühlsebenen wirken.
Viele Autoren greifen ebenfalls den Punkt der Identifikation als wesentlich auf. STOLLENWERK geht dabei davon aus, dass die Menschen danach streben, ihr Selbstwertgefühl durch die Identifikation mit erfolgreichen Sportlern und Mannschaften zu steigern . Dies führt zur Bildung von Gruppen, für dessen Angehörige das Fantum einen zentralen Fixpunkt ihres Lebens darstellt. Die Verbundenheit mit einem Verein erhöht für den Fan außerdem die Spannung und intensiviert das emotionale Erleben eines Wettkampfes . Besondere Identifikationsmöglichkeiten bieten hierbei v.a. internationale Wettkämpfe. Das Mitfiebern mit der eigenen Nation, und damit das Abgrenzen von anderen, erzeugt ein vertieftes Wir-Gefühl unter den Anhängern, dass der zunehmenden Intimität und dem Gemeinschaftsverlust in unserer Gesellschaft entgegenwirkt.
Schließlich erfüllt der Sport eine nicht zu unterschätzende Kommunikationsfunktion. Aufgrund des bereits erwähnten breiten Interesses in der Bevölkerung stellt der Sport eines der häufigsten Gesprächsthemen im Alltag dar, bei dem nahezu jeder mitreden kann. In einer von Spezialisierung und Differenzierung geprägten Gesellschaft ist das eher eine Seltenheit.
All diesen genannten Motiven ist gemein, dass sie eine Art Kompensationsfunktion für Probleme und Verlusterscheinungen in der Gesellschaft übernehmen. Obwohl der Zuschauersport sicherlich nicht die einzige Möglichkeit darstellt die einzelnen Defizite auszugleichen, so ist ihm jedoch zueigen, dass er all diese Bedürfnisse gleichzeitig anspricht .