Wohin steuert die Türkei

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Erdoğan nennt Verhütung "Betrug" an der türkischen Nation
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich gegen Geburtenkontrolle ausgesprochen. Dies laufe muslimischen Tradition zuwider, sagte Erdoğan bei einer Rede in einer Bildungsstiftung in Istanbul. Man werde die Zahl der Nachfahren und die Bevölkerung vergrößern. Keine muslimische Familie könne Familienplanung und Geburtenregelung praktizieren, sagte er weiter. "Was immer unser Herr sagt, was immer unser geliebter Prophet sagt, diesem Pfad werden wir folgen."
Will Erdogan die Theokratie einführen? Dass er Demokratie, Wissenschaft und Rechtsstaat einstampfen will, wissen wir ja schon...
 

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Politiker, Prominente und Aktivisten haben Anzeige gegen den türkischen Präsidenten Erdogan erstattet:

Strafanzeige gegen Recep Tayip Erdogan u.a. nach dem Völkerstrafgesetzbuch wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Daraus:
Während einer weiteren Ausgangssperre (vom 14. Dezember 2015 bis zum 02. März 2016) kamen in drei Häuserkellern in Cizre zwischen dem 23. Januar und wahrscheinlich dem 11. Februar 2016 nach bisherigen Erkenntnissen mindestens 167 Menschen ums Leben. Die genaue Zahl der Opfer ist noch unbekannt, ebenso sind viele der 167 Leichen noch nicht identifiziert. Einige starben, weil sie trotz einstweiliger Verfügungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) keine medizinische Hilfe erhalten konnten, viele weitere sind nach allen Erkenntnissen bei lebendigem Leibe verbrannt bzw. teilweise vermutlich auch verbrannt worden, nachdem sie bereits tot waren.

Weiter:
Der UN-Menschenrechtskommissar Prinz Zeid Ra'ad Zeid al Hussein merkt an, dass im Vergleich zu anderen Bezirken, Städten und Dörfern im Mittleren Osten – einschließlich Silopi, Nusaybin und dem Stadteil Sur von Diyarbakir, der Hauptstadt der Region –, die über Wochen unbefristet abgeriegelt wurden und zu denen der Zugang aufgrund der schweren Sicherheitspräsenz immer noch fast unmöglich ist, mehr Informationen aus Cizre bekannt geworden sind. „In 2016 ein derartiges Informationsdefizit darüber zu haben, was in einem solch großen und geographisch zugänglichen Gebiet passiert, ist außerordentlich und tiefst beunruhigend“, sagte Zeid al Hussein. „Dieser Totalausfall befeuert den Argwohn über das, was passiert. Ich erneuere deshalb meinen Ruf nach Zugang für Angehörige der Vereinten Nationen und andere objektive Beobachter und Ermittler, einschließlich zivilgesellschaftlicher Organisationen und Journalisten.“
 

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Das ist ein Hammerschlag. Der Militärputsch in der Türkei in der letzten Nacht scheint gescheitert. Über 260 Tote, weit über 1000 Verletzte. Die Bevölkerung war aufgerufen, sich den Putschisten entgegenzustellen. Das tat sie auch: eine weitere Militärjunta wollte sie nicht an der Macht. AKP und die nationalistische MHP zeigen sich geeint. Die AKP mit Erdogan an der Spitze wird die Situation nutzen, um regider gegen jede Art von Widerstand oder Opposition vorzugehen. Schon liest man, dass massiv gegen die Justiz vorgegangen wird. Erst kürzlich war zu lesen, dass auch an den Universitäten gesäubert würde.
Fast 3000 Richter nach Putschversuch in der Türkei abgesetzt
 

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Todesstrafe für Putschisten sind im Gespräch, schrille Töne in Richtung Amerika, zweifelhaftes Verhalten in Richtung EU, Skandale, Demokratieabbau, Aufputschen der inneren Konflikte mit den Kurden, Säuberungen, Zwangsumsiedlungen, (...)

Sind dann EU-Beitrittsverhandlungen nicht völlig fehl am Platz? Als NATO-Partner erlaubt die Türkei sich ebenso Fehltritte.

Die Türkei als Verbündete steht infrage - Zeit für eine Mahnung, das könnte man unterstreichen...
 

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Das ist ein längeres Zitat, aber die Statistik ist beeindruckend. Der Staat wird in der Türkei umgebaut, rapide und radikal. Das hat schon etwas psychopathisches.
Zehntausende Staatsbedienstete wurden wegen angeblicher Verbindungen zum gescheiterten Putschversuch suspendiert oder entlassen:

30 der 81 Gouverneure
Mehr als 9000 Beamte des Innenministeriums, darunter 7899 Polizisten. Auch 1000 Mitglieder der Gendarmerie und der Küstenwache wurden entlassen
2745 Justizbeamte, darunter Richter, Staatsanwälte und Mitglieder des Hohen Rates der Justiz
100 MItarbeiter des Geheimdienstes MIT
21 700 Lehrer oder andere Bedienstete des Bildungsministeriums
1122 Mitarbeiter der staatlichen Behörde für religiöse Angelegenheiten (Diyanet)
1500 Beamte des Finanzministeriums
399 Mitarbeiter des Familienministeriums
30 Mitarbeiter des Außenministeriums
245 Mitarbeiter dese Jugend- und Sportministeriums
257 Mitarbeiter der Staatskanzlei von Ministerpräsident Binali Yıldırım
283 Mitglieder der Präsidentengarde
Fast 200 Mitarbeiter der höchsten Gerichte
100 Mitarbeiter des Nachrichtendienstes
21 000 Privatlehrern wurde die Arbeitserlaubnis entzogen
1577 Dekane und die Rektoren aller Universitäten wurden entlassen, allen Akademikern bis auf Weiteres die Ausreise verboten.
Zwei Botschafter
52 Inspekteure der Provinzen

Außerdem haben 211 Mitarbeiter der Fluggesellschaft Turkish Airlines und 198 Mitarbeiter der Türk Telekom ihren Job verloren.

Dicht gemacht wurden drei Nachrichtenagenturen, 16 Fernsehsender, 23 Radiostationen und 45 Zeitungen. Mehr als 2250 Gesundheits-, Bildungs- und Sozialeinrichtungen wurden geschlossen oder vom Staat übernommen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Darunter sind 1229 Stiftungen und Verbände, mehr als 1000 private Bildungszentren und Studentenwohnheime, 19 Gewerkscharten, 35 Kliniken und 15 Universitäten.

Fast 16 000 Festnahmen, Zehntausende Entlassungen, Foltervorwürfe

Gleichzeitig macht man sich hier Sorgen darüber, wie sehr die türkischen Entwicklungen nach Deutschland getragen werden. Von Auseinandersetzungen und Übergriffen war schon einiges zu lesen. Und bizarre Fernsehauftritte von Erdogan-Verfechtern gab es auch. Hoffentlich bleibt in Köln die Demo (+ Gegendemos) heute ruhig. Erdogan darf zu den Demonstranten über Großleinwand nicht sprechen, das hat das Bundesverfassungsgericht beschlossen.

liveticker
Am Kölner Hauptbahnhof sind mitterweile die ersten Teilnehmer der Pro NRW-Kundgebung eingetroffen. Sie müsse scih alle in einem vor dem Bahnhof eingerichteten Zelt von der Polizei durchsuchen lassen.
 

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Ein paar Links zu den aktuellen und noch recht jungen Entwicklungen...

Der Cumhuriyet-Chefredakteur wurde festgenommen.
Die Redakteure der "Cumhuriyet" wehren sich gegen den jüngsten Schlag der türkischen Regierung. Die aktuelle Ausgabe erschien in vollem Umfang, aber ungewohntem Format.
Protest mit weißen Flächen
Erdogan, Sisi, Prayut und Nkurunziza unter den neuen Feinden der Pressefreiheit


Gebietsforderungen: Erdogan bekundet Interessen an griechischen Inseln vor der Küste der Türkei und in Mossul auf irakischem Territorium (Der Irak warnte die Türkei jüngst vor einem Einmarsch): Warum Erdogan griechische Inseln zurückhaben will


Und: Der türkische Präsident will das Parlament über die Einführung der Todesstrafe abstimmen lassen. Das Bemühen um eine EU-Mitgliedschaft ist wohl Geschichte.
 

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Jetzt dreht das Regime in der Türkei wohl endgültig im diktatorischen Stil durch.

Heute Nacht wurde also Selahattin Demirtas, der Chef der pro-kurdischen Partei HDP, verhaftet. Zusammen mit mindestens zehn weiteren Abgeordneten seiner Partei. Seitdem sind die sozialen Medien Facebook, Twitter, Whatsapp und sogar Instagram und Youtube gesperrt. Das heißt: Die Seiten laden nicht, die Feeds bleiben eingefroren, man kann keine Nachrichten senden oder empfangen.
Türkei sperrt soziale Netzwerke

Steinmeier bestellt türkischen Gesandten ein
 

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Nach dem 'Putsch'...
haruc schrieb:
Jetzt hat Erdogan seien Reichtagsbrand.
Treffender ist es nicht formulierbar.

Das türkische Parlament soll über eine Reform abstimmen, die Präsident Erdoğan umfassende Rechte gewährt. Da die Mehrheit fehlt, könnte es zu einem Referendum kommen.
Türkisches Parlament behandelt Präsidialsystem

„Indem sie Vorschriften zum Schutz vor Folter außer Kraft gesetzt hat, hat die türkische Regierung den Sicherheitsbehörden de facto einen Blankoscheck dafür ausgestellt, Gefangene nach Gutdünken zu foltern und zu misshandeln“, so Hugh Williamson, Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Die Fälle, die wir dokumentieren, deuten darauf hin, dass einige Beamte genau das getan haben. Die türkische Regierung muss die Schutzvorschriften auf der Stelle wieder in Kraft setzen.“

Eine Regelung in den Notverordnungen entbindet Regierungsangehörige von jeder Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand.
Türkei: Notstand ermöglicht Folter

06. Dezember 2016 - Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte im mehrheitlich von Kurdinnen und Kurden bewohnten Südosten der Türkei hat rund eine halbe Million Menschen in die Flucht getrieben. Laut einem neuen Amnesty-Bericht könnte die Vertreibung der Bewohnerinnen und Bewohner ganzer Stadtteile eine kollektive Bestrafung der betroffenen Bevölkerung darstellen.
Hunderttausende Kurden im Südosten der Türkei vertrieben
 

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Nun steht das Parlament in der Türkei unmittelbar davor, sich selbst zu entmachten. Ist das die letzte Wahl der Türkei?

Das Volk könnte auch noch in einem Referendum abstimmen, aber versteht das Volk in der Türkei die Situation und das Unheil am Horizont?
Die jüngste Umfrage von „Anar“, einem regierungsnahen Meinungsforschungsunternehmen, das Erdogans ehemaligem Stellvertreter Besir Atalay gehört, gibt Auskunft darüber, wie die Bevölkerung zu der Sache steht: 36 Prozent der Bürger geben an, von dem zur Debatte stehenden System „nichts gehört“ zu haben, 28 Prozent haben „sehr wenig Ahnung“, 78 Prozent „ein wenig“. Fast vier von fünf Bürgern wissen also gar nicht, was das System bringt, über das sie im Referendum entscheiden sollen. Nur einer von fünf Wählern ist davon unterrichtet, dass die gesamte Macht im Land in der Hand einer Person vereint werden soll.
Katastrophal.
 

Ein_Liberaler

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Verstehen die Türken, daß unser Verständnis von Staat und Regierungsführung das einzig richtige ist, oder halten sie an ihren falschen Auffassungen fest?
 

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Sehen sie die drei Staatsgewalten lieber in einer Hand, oder bevorzugen sie in der Tendenz die gegenseitige Kontrolle der Staatsgewalten?

Die Verfassungsreform zielt auf Machtkonzentration:
- Abschaffung des Postens des Ministerpräsidenten
- Präsident kann per Dekret regieren, also ohne nachträgliche Zustimmung des Parlamentes
- Parlament und Präsident werden zeitgleich gewählt
- Der Präsident bekommt mehr Einfluss auf den Rat der Richter und Staatsanwälte (kann fast die Hälfte der Mitglieder bestimmen)
- Der Präsident stellt den Staatshaushalt auf

- Noch was?
 

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Ist das jetzt eine Überdosis an Satire in Europa? Die Türkei wird gegen die Niederlande vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Nur - wer tritt den die Menschenrechte mit den Füßen
- UN report details massive destruction and serious rights violations since July 2015 in southeast Turkey,
- Platz 151 von 180: Die Türkei gehört zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Journalisten weltweit..

Wie sollten die europäischen Staaten/Regierungen auf die wilde Herumbeißerei der türkischen Regierung reagieren? Sie setzt auf Eskalation und auf die Errichtung der eigenen Diktatur. Da ist doch kein Einvernehmen möglich.
 

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In der Türkei ist das Referendum über die Einführung des Präsidialsystems denkbar knapp ausgegangen. Can Dündar, Ex-Chefredakteur der "Cumhuriyet" sieht Erdogan jedoch auf dem absteigenden Ast („Das ist der Anfang vom Ende der Ära Erdogan“

Er meint auch, dass ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht kommen werde.
Dündar: Mit der Todesstrafe blufft Erdogan nur. Er hat doch auch schon früher gesagt, damit werde er sich erst befassen, wenn das Parlament das von ihm fordert – obwohl dort die Mehrheit sowieso auf sein Kommando hört. Er hätte es also schon längst tun können, wenn er das wirklich wollte. Mit diesem Statement am Sonntagabend wollte er nur seinen Anhängern gefallen. Aber er weiß nach dem Referendum, wie groß der Widerstand in der Bevölkerung ist. Ich glaube nicht, dass er so ein Referendum wagen wird. Europa sollte Erdogan nicht immer so ernst nehmen.
Sehr ihr das auch so?
 

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Erst neuerdings habe ich mich mit einem Bekannten türkischer Abstammung unterhalten, der die Türkei jährlich besucht. Er meinte, dass die Bevölkerung sehr eingeschüchtert ist, weil die Regierung hart durchgreift. Wer also was ausrichten wolle, solle seine Kinder auf die Universität schicken, damit sie später in Posten mit Verantwortung reinrutschen. Ansonsten müsse man hoffen, dass in 20 Jahren bessere Zeiten angebrochen sind.
 

Rivale-von-Nogar

Großmeister
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So viele Satire-Videos, was es mittlerweile von ihm gibt, da sieht es schon so aus, dass ihn keiner mehr ernst nimmt. Diesen Erdogan.
 

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Da gibt es allerdings noch ganz andere Videos. Erdogans Sicherheitskräfte haben bei seinem Besuch in Washington eine massive Schlägerei begonnen. Selbst in anderen Ländern gehen also diese Kräfte brutal gegen seine Kritiker vor. Abgeordnete in den USA fordern Strafverfolgung für die Schläger. Hier: Erdogan Bodygard Attack. Wir sollten vielleicht wieder mehr über Staatsterrorismus reden.

Außenpolitisch läuft es für das türkische Regime überhaupt nicht blendend, innenpolitisch in Sachen Machtkonzentration erreicht das türkische Regime seine Ziele. Aber bleibt die Türkei nicht auch ein Pulverfass? Die Volksabstimmung bewies die innere Zerrissenheit eindeutig. Wirtschaftlich geht es der Türkei keineswegs gut. Dabei dürften die zahlreichen Festnahmen und Amtsenthebungen nicht förderlich sein. Eher scheint die Türkei in Richtung Abgrund als in Richtung "Großreich" zu treiben, wie es Erdogan gerne hätte.
 

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The UN Human Rights Office on Friday published a report detailing allegations of massive destruction, killings and numerous other serious human rights violations committed between July 2015 and December 2016 in southeast Turkey, during Government security operations that have affected more than 30 towns and neighbourhoods and displaced between 355,000 and half a million people, mostly of Kurdish origin.
UN report details massive destruction and serious rights violations since July 2015 in southeast Turkey
In den Medien liest man recht wenig davon, regelmäßig jedoch auf telepolis: Diyarbakir - Stadt-Zerstörung und Enteignung.
 

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