Aphorismus schrieb:
Außerdem: Für mich ist Religionsfreiheit einfach kein sinnvoller Begriff, da zu den meisten Religionen gehört, den Angehörigen anderer Religionen zu erzählen, dass sie nach dem Tod ewige Leiden und Qualen erwarten. Die eigene Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Diese hetzerischen Greuelmärchen, die an Intoleranz kaum zu überbieten sind, gesetzlich zu sanktionieren, finde ich unmöglich und hat für mich nichts mit Freiheit zu tun.
Ich fände es schön, wenn die Menschen allesamt den Glauben an diese "Drohebotschaft", wie progressive Theologen so schön sagen, verlören. Daß ihre Verbreitung sich unterbinden ließe, glaube ich eher nicht, und ich bezweifle auch, daß irgendjemand das Recht dazu hätte. Wir können (und müssen) die Ketzerverbrennung unterbinden, die Hinrichtung von Apostaten, wie sie der Islam vorschreibt, u.ä. Die Meinung, daß irgendein höheres Wesen uns nach unserem Tode grausam bestraft, ist für mich dumm, aber kein Aufruf zur Gewalt.
Das skandalöse ist, dass man, möchte man mit 18 Jahren aus der Kirche austreten, dafür bezahlen muss. Das kostet Gebühren. Man muss für das Kündigen eines Vertrags bezahlen, den man im nicht geschäftsfähigen Alter mit einer nicht existenten (oder zumindest nicht nachweisbaren) Macht abgeschlossen hat. Ansonsten dürfen Eltern ihren Kindern natürlich jeden Mist einbleuen, das ist Freiheit.
Ich bin ja auch in manchen Punkten ein Prinzipienreiter, also kann ich gegen dieses 50-Euro-Prinzip nur einwenden, daß es nicht meins ist. Ich meine, für den Austritt sollte eine formlose Erklärung reichen, aber wichtig ist mir das nicht. Herrje, die Jagdscheinverlängerung kostet mich alle drei Jahre 150 Euro für einen Stempel und eine Unterschrift, Dauer der Amtshandlung inklusive Plauderei über dies und das fünf Minuten. Viele Gebühren dienen einfach nur der Abzocke.
Um noch schnell Erbsen zu zählen: Ich denke, daß der Vertrag eher mit der Kirche geschlossen wird als mit Gott, und eigenverantwortlich austreten kann man ab 14.
Meine These ist folgende: So wie du denken viele Leute. Auch viele, die in einflussreichen Positionen sitzen. Diese Leute sind oftmals christlich-religiös motiviert oder zumindest geprägt. So lange diese Leute Gesetze machen, ist Religionsfreiheit Utopie.
Solange das Gesetzemachen nicht überhaupt sehr stark eingeschränkt wird, ist jede Freiheit Utopie. Und ich bin nicht der Ansicht, daß diese Leute denken wie ich. Ich beschränke mich nämlich auf Einmischung in Bereiche, die mich persönlich angehen. Das ist in meinen Augen der grundlegende Unterschied, nicht, ob ich Kirchen oder Moscheen bevorzuge oder beide der Ruhe der Anwohner über- oder unterordne. Back on topic:
Wieso gibt es evangelische und katholische Religion ganz selbstverständlich an Schulen, Islamunterricht ist aber ein absoluter Aufreger? Gut, da spielen auch pragmatische Fragen mit rein, wie etwa die, wie man die Lehrer schulen soll, aber der evangelische/katholische Religionsunterricht kann einem die Frage, ob Lippenstift gut oder böse ist auch nicht beantworten... Die restliche Aufregung in den Medien ist imho nichts als Intoleranz und religiöses Platzhirschdenken.
Die Aufregung in den Medien ist mir entgangen.
Meines Wissens ist der Islamunterricht an den Schulen ein Problem, weil die islamischen Gemeinden sich bisher nicht als Körperschaft öffentlichen Rechts haben anerkennen lassen. In Berlin ist das vor einigen Jahren geschehen, aber nur von einer Untergruppe, gewissermaßen einer Konfession, wenn man das so sagen kann. Die Sunniten und Schiiten könnten das wohl auch, haben es bisher aber vermieden. Das ist jetzt aus der Erinnerung, ich habe da spontan keine Quellen zu. Die Türkei und Saudi-Arabien, die den außerschulischen Religionsunterricht fördern, haben wohl auch kein Interesse an Islamunterricht unter deutscher Aufsicht.
Ich stelle mir das auch schwierig vor. Ein guter Christ, der die Worte Jesu befolgt, kann sich in unserer Gesellschaft hervorragend integrieren, ein guter Moslem, der dem Koran und den Hadithen folgen will, eher nicht.
Was den Lippenstift angeht... Letztlich muß sich jeder selbst entscheiden, ob er da einer Religion folgen will (streng christlich betrachtet ist das Ding sicher verboten, Hoffahrt ist bekanntlich eine Todsünde) oder einer Philosophie oder ob es ihm völlig egal ist. Die staatliche Schule hat zu vermitteln, daß die Religionen da nichts zu befehlen haben, jedenfalls nichts rechtswirksames. Diese Trennung von Staat und Religion dürfte schwer in Einklang mit dem Islam zu bringen sein.
Außerdem hat sich das einfach so ergeben. Christlichen Religionsunterricht gibt es, seit es öffentliche Schulen gibt, christliche Theologie ist eine der vier ursprünglichen Fakultäten. Islamischer religionsunterricht hat keine gewachsenen Strukturen, er muß komplett aus dem Boden gestampft werden - und das Thema ist jahrzehntelang einfach vernachlässigt worden.
Ich würde es begrüßen, wenn Deutschland ein laiizistisches Land wäre.
Solange es nicht so verkrampft zugeht, daß der Bundespräsident keine Weihnachtsansprache mehr halten darf, wäre mir das recht.
Ich glaube nicht, dass in Deutschland Religionsfreiheit existiert. Nicht grundsätzlich. Manche sind gleicher als andere.
Ja, die Schiene, die unsere Republik fährt, ist in sich nicht schlüssig, geprägt von Kompromissen, altem Herkommen und Halbheiten. Zweifellos.
Es geht in diesem Land nicht darum, grundsätzlich alle gleich zu behandeln.
Ich vermute, daß das auch gar nicht möglich ist, und außerdem ist es ungerecht, ungleiches gleich zu behandeln. Der Staat sollte sich mehr zurückhalten, er muß sich nicht überall einmischen.
Es geht viel mehr darum, Gewohnheitsrechte nicht zu verletzen.
Nun, das ist ja auch gut so, denke ich. Geschriebenem Recht stehen sie ja nach, also sollte das kein Problem sein.
Wenn diese Gewohnheitsrechte über der Religionsfreiheit stehen, ist diese für mich nichts wert.
Ich habe eher nicht den Eindruck, daß sie das tun.
Was diesen Punkt angeht, teile ich übrigens dein Erleben: Ich habe nicht den Eindruck, dass du meine Meinung bezüglich dieses Punktest verstehst, obwohl ich ebenfalls auführlich versucht habe, dir meine Position klar zu machen. Ich mag Konsequenz und verabscheue halbe Sachen. Und "halber" als der Umgang mit nicht-christlichen Glaubenssystemen in Deutschland wird's nicht.
Ich rechtfertige diesen Umgang eigentlich nicht. Wieder einmal gilt: Wenn Menschen halbe Sachen machen, ist das ziemlich folgenlos, wenn der Staat halbe Sachen macht, können die Auswirkungen skandalös sein. Übrigens auch, wenn er konsequent ist. Meine Folgerung: Er sollte überhaupt möglichst wenig machen.
Genau. Das wird aber ständig getan. Und die christlich geprägte Bevölkerung klatscht Beifall, weil ihre Interessen geschützt werden, während mir ob dieser Ungleichbehandlung das Mittagessen hochkommt.
Nehmen wir als Beispiel mal den Kopftuchstreit. Ich bin ja der Meinung, daß der Staat kein Recht hat, das Kopftuch zu verbieten. Gleichzeitig bin ich der Meinung, daß Kopftuch und Nonnenhabit nicht dasselbe sind, weil Nonnen sich als etwas besonderes betrachten, während die Kopftuchträgerin in der Regel der Ansicht ist, alle Frauen sollten es halten wie sie. Drittens halte ich es für ein Menschenrecht, daß Eltern selbst entscheiden, wer ihre Kinder unterrichtet - und sobald man diesem simplen Menschenrecht Geltung verschafft, entfällt jeder Grund, Lehrer zu einem an die Mehrheitskultur angepaßten Kleiderstil zu zwingen.
Welche Ungleichbehandlungen gibt es eigentlich in Deutschland?
- Kopftuchverbot
- Kirchensteuer
- Religionsunterricht
Welche noch?