Ohne Energiekrise ins Chaos?

Ein_Liberaler

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sercador schrieb im Thread "Was würden wir die Aliens fragen?":

Raumschiff landet, Kontakt verläuft friedlich, erstes Gastgeschenk ein funktionierender Fusionsrektor, alle Energieprobleme sind gelöst.

Gibt es einen schnelleren Weg, unsere Wirtschaft ins Chaos zu stürzen?

Die Machtstrukturen Europas zu beginn der Neuzeit (um 1600) waren stark ans Gold gekoppelt. Die Weltmacht Spanien erhielt durch ihre südamerikanischen Kolonien Unmengen an Gold.
Die Folge? Es war ihr Untergang.
Die heutigen Machtverhältnisse sind an den Faktor Energie gekoppelt.
Eine Rasse, die intergalaktisch reisen kann, hat kein Energieproblem.

Logischer Schluß?

Mir ist nicht ganz klar, wie uns plötzlicher Wohlstand ins Chaos stürzen soll.

Die Spanier erlebten damals eine schlimme Inflation, weil sie in den eroberten amerikanischen Gebieten, übertrieben ausgedrückt, Bargeld im Tagebau fördern konnten. Dennoch ist der Niedergang Spaniens imho nicht denkbar ohne schwere militärische Niederlagen und innere Unruhen bis hin zum Bürgerkrieg, die durch eine zentralistische, instinktlos durchgeführte Verwaltungsreform ausgelöst wurden.

Der Fusionsreaktor würde kein Geld produzieren, sondern ein Gut. Eine Branche würde ihre Geschäftsgrundlage verlieren, aber auch sie nur in einem Prozeß, der sich über einige Jahre oder wenige Jahrzehnte hinzöge. Alle anderen würden profitieren.
 

Goatboy

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Wird bei diesem Szenario davon ausgegangen, dass von heute auf morgen in jeder Abstellkammer ein Fusionsreaktor stände oder dass es Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern würde, bis die Kraftwerke auch irgendwo in Myanmar oder der Mongolei gebaut würden?

Edit: Bei näherer Überlegung ist es wohl nicht ganz fair, die Mongolei in einem Atemzug mit Myanmar zu nennen. Sagen wir lieber Nordkorea.
 

Ein_Liberaler

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Sagen wir, das erste kommerziell nutzbare Fusionskraftwerk ist nach zehn Jahren am Netz.
 

sercador

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Das Szenario war das Geschenk inklusive Bauanleitung.
Also ausreichend Energie von Ulan Bator bis Oberpfaffenhofen.

Eine auf dem üblichen Weg gefundene Lösung des Energieproblems erwarten wir ja irgendwann. Die Kernfusion bietet sich für Spekulationen an, weil ihre Beherrschung tatsächlich unbegrenzte Energie zur Verfügung stellen würde.

Meine pessimistische Haltung gegenüber der Geschenk-Situation basiert auf meinem Blick auf die Weltwirtschaft.
Auf der einen Seite stehen da die Saudis und andere Herrscherfamilien (man hört gar nichts mehr aus Brunei?), deren Schicksal es ist, parasitär auf Quellen fossiler Brennstoffe zu hocken.
Auf der anderen Seite stehen nicht nur etablierte und aufstrebende Industriestaaten mit ihrem Energiehunger. Prinzipiell ist die Globalisierung in Bezug auf die fossilen Energien vollzogen. Die Wichtigkeit eines Landes kann in direkter Kongruenz zu seiner Beteiligung an der internationalen Energiebilanz gewertet werden.
Das in diesen Systemen fließende Kapital ist z.Z. die Haupttriebfeder für Forschung, Entwicklung, politische Bündnisse, Machtverhältnisse, Ressourcenverteilung, Demokratisierung und und und.

Natürlich wäre es der Beginn eines neuen Zeitalters der Menschheit, wenn sie das Energieproblem ad acta legen könnte.
Aber ein dermaßen tiefer Bruch in der Menschheitsgeschichte birgt Gefahren.
Mit endlos verfügbarer Energie lässt sich sehr viel Unsinn anstellen. Wer wird, wer kann das kontrollieren?
Wonach wird die Menschheit nach diesem Geschenk streben?
Alle Preise,jede Währung, jeder Besitz müssen neu definiert werden.
Wird das friedlich möglich sein?
Werden die bisherigen ersten Mächte nicht einen gnadenlosen Kampf führen, um ihre Stellung in der Hierarchie zu behalten?
Und werden die bisherigen Verlierer im internationalen Vergleich nicht auch an Vergeltung denken?

Ich würde die Übergabe als ein Danaergeschenk und die Überbringer als feindlich gesinnt betrachten.
 

Goatboy

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Es ist natürlich schwer, hier darüber zu spekulieren, wer wie reagieren würde. Aber entwickeln wir die Idee doch einmal Schritt für Schritt, des Spaßes halber.

Der Bauplan liegt also vor und muss nur noch verwirklicht werden. China beginnt am nächsten Tag mit dem Bau des ersten Fusionskraftwerks. In Deutschland wird eine Kommission gegründet. Die Ölförderländer sprechen sich gegen die neue Technologie aus und ändern nichts an ihrem Vorgehen. Der Rohölpreis sinkt. Energiekonzerne stürzen sich auf die Kernfusion, um sich einen Marktvorteil zu verschaffen und die Aufträge für die Verwirklichung in den Industrieländern zu erhalten. In Deutschland wird über die Umweltverträglichkeit diskutiert. Nach und nach schließen westliche Länder Verträge mit Energiekonzernen und Bauunternehmen ab und beginnen mit der Errichtung. In China geht das erste Fusionskraftwerk ans Netz. In Deutschland wird über Subventionen debattiert. Nach und nach entstehen neue Reaktoren; alte Atom-, Kohle-, Solar- und andere Kraftwerke müssen abgerissen und entsorgt werden. Die Baubranche erlebt eine Blüte, hier entstehen neue Arbeitsplätze. Gleichzeitig gehen in der Energiebranche welche verloren; das Anforderungsprofil ändert sich: für die neuen Kraftwerke werden zunehmend Ingenieure und qualifizierte Facharbeiter benötigt. Immer neue Elektrofahrzeuge werden auf Messen vorgestellt. Der Rohölpreis ist im Keller. In ärmeren Ländern ist die Kernfusion noch nicht angekommen, hier freut man sich über die niedrigen Ölpreise.

Das sind nur ein paar spontane Ideen für die erste Zeit. Natürlich unvollständig und vielleicht fehlerhaft. Einverstanden? Nein?
 

sercador

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Ahmadineschad zieht sofort alle Ingenieure aus dem Projekt Buschehr ab.
Binnen kürzester Frist hat der Iran die Kernfusion.
Israel selbstverständlich auch.
Beide Länder drohen der Welt mit totaler Vernichtung, sollte die andere Seite nicht endlich diszipliniert werden.
Unvorstellbar?
 

Goatboy

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Dass aus Bauplänen für ein ziviles Kraftwerk automatisch die Anleitung für den Bau einer Massenvernichtungswaffe abzulesen wäre, halte ich für unwahrscheinlich. Noch unwahrscheinlicher finde ich, dass Israel mit einer totalen Vernichtung der Welt drohen würde.

Weiter: einige Jahre später nimmt die Bedeutung der Ölförderstaaten weiter ab. Die Führer können sich nicht halten, die arabische Welt stürzt ein.
 

Ein_Liberaler

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Investitionen in Öl-, Gas- und Kohleförderung werden zurückgefahren, die Restbestände werden verramscht. Wind-, Solar- und Bioenergie haben ausgespielt. Kapital, Arbeitskräfte und Flächen stehen für andere Verwendungen zur Verfügung. Außer der arabischen Welt taumeln auch Rußland und Venezuela. Und natürlich Norwegen. Um Norwegen wär's schade.
 

Goatboy

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Ein_Liberaler schrieb:
Um Norwegen wär's schade.
Allerdings :wink: . In weiser Voraussicht hat Norwegen aber für genau diesen Fall vorgesorgt und in den 90ern einen Fonds eingerichtet, in den Gewinne aus dem Ölverkauf fließen. Momentan befinden sich darin umgerechnet etwa 350 Milliarden Euro, so dass Norwegen nach der Überlieferung der Kernfusion nicht völlig auf verlorenem Posten steht.

Was passiert mit all den taumelnden Ländern? Einfach Armut? Revolten? Wirtschaftliche Neuorientierung?
 

haruc

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Goatboy schrieb:
Was passiert mit all den taumelnden Ländern? Einfach Armut? Revolten? Wirtschaftliche Neuorientierung?

Urlaubsparadiese. Da Energie nun praktisch unendlich zur Verfügung steht können diese Länger sich auf Erholung und Unterhaltungsindustrie spezialisieren. (Wie es ja heute schon ansatzweise der Fall ist).

Ausreichend Süßwasser wird gewonnen indem einfach das Meerwasser entsalzen wird. Das Überschüssige Salz wird irgendwo in Zentralasien deponiert oder in Kaisernatron und Salzsäure umgewandelt. (Energie ist ja da) und mit dem Süßwasser wird die Sahara begrünt. Unendliche neue Anbaugebiete für Landwirtschaftliche Erzeugnisse können erschlossen werden. Der Welthunger wird besiegt und Frieden und Wohlstand brechen aus.
 

Goatboy

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Na Moment, das geht mir zu schnell. Damit all das möglich wird, müssen diese Länder dann ja erstmal Fusionskraftwerke haben. Die kosten Geld. Und die Länder sind ja in Schwierigkeiten, weil sie mit Öl und Gas kaum noch was verdienen. Private Investoren können da Abhilfe schaffen, aber die werden den gewonnenen Strom dann ja auch nicht gratis hergeben. Billig ja, aber gratis nicht. Die unbegrenzten Energiereserven werden somit relativiert.
 

haruc

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Damit hast Du schon recht... Nun, wer in den fetten Jahren prasst, hat in den mageren Jahren nichts wovon er zehren kann. Pech gehabt.

Da die Menschheit diese Technik zum Nulltarif bekommen hat hat natürlich auch niemand ein exklusives Recht darauf und folglich darf auch niemand einen finanziellen Nutzen aus der Technik schlagen (das gilt aber nicht für den von Goatboy erwähnten Bau der Kraftwerke, das ist ja wieder was anderes).

Was, wenn wir diesen Ländern in unserem eigenen Interesse ein paar von den Kraftwerken spendieren würden? Ich meine gemessen an den aufzuwendenden Finanzmitteln, die eine wohl möglich jahrzehntelange Entwicklungshilfe kosten würde wäre solch eine einmalige Unterstützung doch sicherlich günstiger und sinnvoller.
 

DrJones

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Wenn das Sprichwort von Brecht stimmt:
Code:
„Armer Mann trifft reichen Mann und sehn sich an. Da sprach der Arme zum Reichen: "Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich!“

dann würde ich mal vermuten, dass es große Anstrengungen gibt, den unendlichen Reichtum der dem Fusionsreaktor entspringt auf künstliche Art zu beschränken um die Verhältnisse, so wie sie sind aufrecht zu erhalten.

Ohne Armut gibt es keinen Reichtum, und die Reichen wollen schließlich Reich bleiben...
 

Goatboy

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Na ja, Brecht zu Wirtschaftsfragen zu zitieren... :wink: Da könnte ich jetzt auch mit einer angeblichen Anekdote aus der Oktoberrevolution kommen, die ich mal aufgeschnappt habe und die ungefähr folgendermaßen ging:

"Wieso demonstrieren die Leute da?"
"Sie wollen, dass niemand mehr reich ist."
"Komisch, ich wollte immer, dass niemand mehr arm ist."
 

dkR

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Ich glaube nicht, dass man Öl von jetzt auf gleich duch Strom ersetzen kann, dafür fehlen einfach die Speichertechnologien.

Davon abgesehen, dass Fusionskraftwerke strahelnden Atommüll produzieren.
 

haruc

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Davon abgesehen, dass Fusionskraftwerke strahelnden Atommüll produzieren.

Okay angenommen die Aliens erklären uns einen einfachen Weg wie man das Problem mit dem Atommüll bewerkstelligen kann. (ZB. dadurch dass man den strahlenden Müll in zusammen mit einer superschnell laufenden Uhr in eine Kiste steckt, wodurch die Halbwertszeit von zb. 50.000 Erdenjahren auf wenige Wochen verkürzt werden kann ;) )
 

dkR

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Dann können wir auch Atomkraftwerke bauen, brauchen wir eh für Radioisotope. :rofl:
Hauptsache dieser EE-Quatsch hat endlich ein Ende.

Was ich sagen wollte, Strom kann Öl nicht ersetzen, daher werden sich die Auswirkungen einer Fusionstechnologie in Grenzen halten.
 

haruc

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Hmja stimmt auch wieder.

Hauptsache dieser EE-Quatsch hat endlich ein Ende.

Meinst du damit EE generell oder die an Wahnsinn grenzende Geisteshaltung bezüglich EE, die momentan politisch verordnet ist?

Ich find zb. Wasserkraft eigentlich ziemlich cool, vor allem weil man diese Art von Energie schon sehr sehr früh benutzt hat. Jedoch: Deutschland gehört zu den Ländern mit den meisten bewegten Gewässern und kann trotzdem seinen Stromverbrauch nur zu 1% aus Wasserkraft decken.

Ein wahrhaft großer Beitrag zur Energieeinsparung und damit zum Klimaschutz könnte das sofortige Abschaffen des Web2.0 darstellen. Milliarden Menchen auf der Welt müssten sich auf einmal etwas neues suchen, womit sie 50% ihrer Lebenszeit vernichten. Unermessliche Kräfte würden befreit. Der Internet-Traffic würde um 95% einbrechen, die Netze wären nichtmehr überlastet (vor allem die Mobilfunknetze). Studenten könnten wieder wertvolle Essays schreiben ohne ständig auf Facebook zu schreiben wie schleppend die Arbeit doch vorangeht usw. Prokrastination hätte ein Ende. Ja ich hasse Web 2.0.

Zurück zum Thema:

Wenn wir das Problem mit dem strahlenden Abfall gelöst haben und weiterhin auf AKWs setzen, dann sind wir ja doch abhängig von einer anderen Ressource: Uran. Die Energiekrise bliebe also bestehen, ihre globalen Schwerpunkte würden sich nur verschieben. Oder?
 

dkR

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ich finde, man sollte Umweltschutz nicht auf Klimaschutz (genauer, CO2-Reduktion in Westeuropa und die damit zusammenhängende Deindustralisierung) begrenzen.
Wasserkraft ist ziemlich cool, die Frage ist was ist einem wichtiger. Lebensstandard oder Umweltschutz, natürlich nur der Lebensstandard anderer Leute. Bei der Technologie- und Fortschrittsfeindlichkeit die in diesem Land herrscht, ist das leider ziemlich klar.
 
G

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Reden wir nicht drum rum.

Mit Wasserkraft oder anderen EE können wir unseren Lebensstandard nicht halten. Wer weg vom Öl (und anderen Fossilen Energien) will muß sich klar sein, daß das bedeutet wie um 1880 zu leben.

Nicht daß ich das nicht für eine gangbare Möglichkeit halten würde, fragt sich nur ob das auch funktioniert.
 

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