Logik/Mathematik ohne Widerspruchsbeweis weniger paradox?

Trestone

Großmeister
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12. April 2002
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Hallo,

wenn ich die problematischen Punkte

a) in der Aussagenlogik
("Diese Aussage ist nicht wahr")

b) in der Mengenlehre
(Russellmenge R := {x: x -e x}, Überabzählbarkeit)

c) in der Arithmetik
(Gödelscher Unvollständigkeitssatz)

d) in der Informatik
(Halteproblem)

ansehe,

so fällt auf, dass die (anscheinenden/scheinbaren?) Paradoxien / Antinomien
erst bei Beweisversuchen auftreten.
Und all diese Beweise enthalten einen Widerspruchsbeweis bzw. indirekten Beweis als Kern.

Da ist es doch naheliegend, einfach den Überbringer der "schlechten Nachricht" zu bestrafen
und diese Beweisart zu verbieten ...

So viel ich weiß, hat der Konstruktivismus indirekte Beweise ausgeschlossen - aber dazu (leider) auch noch viel mehr.

Ich überlege mir nun, ob man da nicht etwas gezielter schneiden könnte?

Meist fällt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, den man mit zu ändern hätte.

Vielleicht ist das aber nur in Bezug auf Hypothesen nötig:
Nimmt man z.B. an, dass in Hypothesen Aussagen auch zugleich wahr und falsch sein können,
verlieren Widerspruchsbeweise (indirekte Beweise) ihre Beweiskraft
- ohne dass wir für gewöhnliche Aussagen
auf den Satz vom ausgeschlossenen Dritten verzichten müssten.

Ein Beispiel aus der Logik:

Sei L := "Diese Aussage L ist nicht wahr".

Dann ist L entweder wahr oder nicht wahr.

Versuche ich aber einen indirekten Beweis und nehme an,
dass L wahr ist, bewege ich mich im Reich der Hypothesen
und kann nicht sicher sein, dass L dort (d.h. bei den Hypothesen)
nicht auch zugleich nicht wahr ist.
Daher stellt die Folgerung, dass L dann auch nicht wahr ist,
keinen Widerspruch dar
- und L bleibt eine wohldefinierte zulässige Aussage.

(Ich weiß allerdings nicht, ob sie wahr oder falsch ist ,
obwohl sie genau eines von beiden sein muss...)

Analog gibt es dann in der Mengenlehre die Russellmenge,
die Menge aller Mengen und keine Überabzählbarkeit mehr.
(man kann wieder auf die alten Cantoraxiome zurückgehen.)

Was verlieren wir bei Verzicht auf Widerspruchsbeweise?
(Ab hier wirds etwas technisch, keine neuen Argumente mehr)

1) Oft wird Euklids Beweis für die Unendlichkeit der Primzahlen genannt.
Aber ich vermute, dass man ihn auch so formulieren kann,
dass zu gegebenen n Primzahlen stets eine neue n+1 -te konstruiert bzw. nachgewiesen werden kann.
Dabei könnte man die n Primzahlen ja auch konkret (z.B 2,3,7,43,...) nennen und muss man nicht hypothetisch argumentieren.

2) Beweis der Irrationalität von Wurzel 2 (V2):
Seien a, b ganze Zahlen mit a/b * a/b = 2. (Dies ist eine Hypothese!)
Dabei sei a/b ein gekürzter Bruch.
Dann gilt a*a = 2*b*b . Also muss a gerade sein, da der Bruch gekürzt ist,
muss b ungerade sein.
Nun ist in a*a aber 2 mindestens zweimal als Faktor enthalten, rechts in 2*b*b aber nur einmal (und alles ganzzahlig).
Das wäre ein Widerspruch, wenn wir nicht im Hypothesenland wären...

Evtl. verlieren wir also die Irrationalzahlen (bzw. sind unsere rationalen Zahlen vielseitiger als in klassischer Mathematik)


Zuletzt noch eine Kurzanalyse des Halteproblems aus der Informatik.
(Hier wirds sehr technisch)

Gesucht ist ein Programm H, das zu jedem Programm P mit (String-)Input X entscheidet,
ob dieses jemals stoppt oder endlos läuft (z.B. wg. einer Dauerschleife).

Definition/Grundeigenschaft H(P,X):
Für alle Programme P und Inputs X gilt:
IF P(X) stoppt THEN H(P,X):=true ELSE H(P,X):=false

Der klassische Gegenbeweis zur Existenz von H(P,X) geht nun wie folgt:

Angenommen H(P,X) existiert mit oben geforderter Eigenschaft.
(Das ist eine Hypothese!)

Dann konstruieren wir mittels H ein "seltsames" Programm S:

Definition S(P):
Für alle P gilt:
S(P):= IF H(P,P)=true THEN loop ELSE S(P)=true; STOP
(Im Gegensatz zur meta/umgangssprachlichen Formulierung bei H kann S(P) als echtes Programm geschrieben werden, wenn der Code von H vorliegt.
"loop" steht dabei für eine Dauerschleife)

S benutzt also das Ergebniss des Halteprogramms bei Anwendung eines Programmes P
auf seinen eigenen Quellcode als Input.
Nun betrachten wir noch die Selbstanwendung von S, d.h. wir nehmen als Input für S den Code für S.

S(S)= IF H(S,S)=true THEN loop ELSE S(S)=true; STOP

Da H(S,S)=true genau dann, wenn S(S) stoppt wird es jetzt paradox bzw. widersprüchlich:
S(S) loopt, wenn S(S) stoppt und stoppt, wenn S(S) nicht stoppt!

Klassisch ist damit gezeigt, dass S und damit auch H nicht existieren kann.
Da der Widerspruch aber hypothetisch auftrat, weisen wir ihn nach unserer neuen Logik zurück.
Es könnte so ein Halteprogramm H also doch geben.

Was ist nun aber, wenn wir es konkret konstruiert haben und seinen Code kennen?
Dann können wir auch S wie angegeben konkret konstruieren.
Und dann hätten wir doch einen konkreten Widerspruch und nicht nur einen hypothetischen?

Noch ist das alles fiktiv bzw. hypothetisch,
aber hier bin ich mir noch ziemlich unsicher und könnte Unterstützung gebrauchen - wie insgesamt zur Idee, hypothetissche Widerspruchsbeweise nicht mehr zuzulassen
bzw. bei Hypothesen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten aufzuheben.

Gruß
Trestone

P.S. Fahre heute Mittag für 1 Woche in Urlaub (ohne Internet)
 

mathesis

Neuling
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23. Juli 2007
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Hi!

Also da liegt wohl ein kleiner Denkfehler vor, denn nur weil man (möglicherweise) keinen direkten Beweis für die Nicht-Existenz der Russel-Menge (ist übrigens nicht die Menge aller Mengen!) in ZF (oder ZFC)angeben kann, heißt das ja noch lange nicht, dass man zeigen kann, dass diese Klasse im ZF-Universum liegt. (d.h. eine Menge ist und keine echte Klasse!)
Du schreibst aber (und scheinst damit einen Beweis ohne das Prinzip der Fallunterscheidung zu haben):
"Analog gibt es dann in der Mengenlehre die Russellmenge,
die Menge aller Mengen und keine Überabzählbarkeit mehr."

Genauso verhält es sich mit der Überabzählbarkeit und mit dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz und den anderen Beispielen die Du aufgeführt hast!

Es ist sogar so, dass (vorausgesetzt ZF ist wiserspruchsfrei und das ist diese Mengenlehre! ;-)) es keinen direkten Beweis dafür geben kann, dass die Russelmenge existiert oder für "es gibt keine überabzählbare Menge" gibt!

Was bringt Dir also Dein Vorschlag??

Grüße,
mathesis
 

Trestone

Großmeister
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12. April 2002
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870
Hallo mathesis,

zwar hast Du recht, dass meine Argumente ZF (=die mathematisch gängige mengentheorie) nicht groß verändern,
doch ich ziele eigentlich mehr auf die dahinterliegende "Idee einer Mengenlehre".
Wenn es gelingt, mittels meiner (oder anderer Ideen) eine Mengenlehre aufzubauen, in der man einfacher mit Russellmenge, Menge aller Mengen und Unendlichkeit umgehen kann, wäre das doch nicht schlecht.

Hier mein neuster (leider etwas komplizierter) Versuch dazu:
http://www.ask1.org/fortopic19223.html

Gruß
Trestone
 

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