Israelis äußern sich kritisch zur Politik in ihrem Land

samhain

Ehrenmitglied
Registriert
10. April 2002
Beiträge
2.976
@Vondenburg

>>und dann zitierst Du Noam Chomsky, einen amerikanischen Juden.

Sorry, aber nicht jeder Jude ist automatisch ein Israeli (und umgekehrt auch nicht) und kann deshalb auch nicht als Stimme aus Israel gelten.<<

ich weiß, ich weiß...genau deswegen habe ich ihn hier auch vorher nie gepostet.

ich werde mal sehen, was sich noch an kritischen texten aus israel, ausser u. avnery, auftreiben lässt.
 

samhain

Ehrenmitglied
Registriert
10. April 2002
Beiträge
2.976
"Araber herausschnüffeln"

von Gideon Levy

Ha'aretz / ZNet 26.05.2003

Auf die Äußerung von Kabinettsminister Gideon Ezra ist eigentlich nur mit Schock zu reagieren. Dieser israelische Minister erklärte letzte Woche, man solle in Israel Araber als Sicherheitsleute nutzen, denn nur sie hätten "den Geruchssinn, um andere Araber herauszuschnüffeln - mehr als Wachleute, die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert sind". Wenn man in Europa etwas Vergleichbares über Juden sagte, die Welt wäre zurecht empört. Wäre eine Möglichkeit, Ezras Aussage einfach zu ignorieren: Welche Relevanz kommt schließlich der miesen Äußerung eines unbedeutenden Ministers bei, dessen verbales Niveau vages Licht auf die Institution wirft, von der er kommt, nämlich dem Shin-Bet-Geheimdienst bzw. auf den Kabinettstisch, an dem er sitzt? Bei längerem Nachdenken sollten wir Ezra sogar dankbar sein, liefert er uns doch eine treffende Beschreibung der Realität, in der wir leben. Denn wir "schnüffeln" die Araber schon jetzt "heraus"; sie sind uns generell verdächtig, aus rein ethnischen Gründen. Wir alle sind Rassisten. Ob es uns nun lieb ist oder nicht, unsere Wirklichkeit ist die einer nationalen Segregation - wenn nicht einer rassistischen. Echte Sicherheitsprobleme, schreckliche Terroranschläge in unseren Städten, die moralischen Narben unserer jahrzehntelangen Okkupation und die falsche Erziehung, die wir durchlaufen haben - eine Mischung aus alledem hat zu dieser Alltagsrealität beigetragen, die jeden schockt, der noch an Menschenrechte glaubt. Wir allerdings haben uns an die Situation gewöhnt. Unser Blick ist getrübt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass man Mitbürger zum Sprechen bringt, damit der Sicherheitsdienst aufgrund des Akzents entscheiden kann, welche Gefahr sie für uns darstellen. Für uns ist das ganz natürlich. Denn bei uns herrscht Rassismus - dabei meinen wir immer noch, wir lebten in einer extrem aufgeklärten, fortschrittlichen Gesellschaft. Aber nun hat uns Minister Ezra ohne es zu wollen, den Spiegel vorgehalten. Was wir darin erblicken, ist häßlich. Was macht es schon für einen Unterschied, ob wir Araber "herausschnüffeln", wie es Ezra vorschlägt oder Passanten zum Reden bringen, um ihren arabischen Akzent zu testen? "Orientalisches" Aussehen, ein arabischer Akzent, dunkle Hautfarbe oder traditionelle Kleidung erregen sofort unser massives Misstrauen. Sicher, bis zu einem bestimmten Grad ist es verständlich. Aber wir müssen uns bewusst sein, welch gravierende Folgen dieses Verhalten zeitigt. Eine Gesellschaft, die ihre Einwohner nach Abstammung sortiert und dies schulterzuckend akzeptiert, ist keine gerechte Gesellschaft. Und es kommt zu immer mehr brandstifterischen Manifestationen dieses Rassismus - denken wir nur an die ekelhaften Obszönitäten bei jedem Fußballspiel -, dies als direkte u. unausweichliche Folge der Akzeptanz dieser Situation. Und dabei habe ich die Diskriminierungen im Bereich Bürgerrechte bzw. beim Budget noch nicht einmal erwähnt.

Es ist schwer, im heutigen Israel Araber zu sein - ganz gleich, ob man nun Bürger des Staats Israel oder Bewohner der besetzten Gebiete ist.

Bevor er nicht das Gegenteil bewiesen hat, ist jeder Araber von vorneherein Objekt unseres Misstrauens. Vor einigen Wochen wollte Dr. Mohammed Darawshe, ein Bürger Israels, der am 'Givat Haviva Institute for Advanced Studies' (Studien- zentrum der Kibbutz- Artzi-Bewegung) arbeitet, mit dem Flugzeug von Eilat nach Tel Aviv. Aber bevor es losging, musste Dr. Darawshe dutzende impertinent-naseweise Fragen zum Zweck seiner Reise über sich ergehen lassen - allein aufgrund seiner ethnischen Herkunft. Die Fragen (Wo haben sie gelehrt u. zu welchem Themenbereich? Weshalb waren sie in Eilat?) hatten nichts mit einer möglichen Gefahr, die von ihm als Passagier ausgehen könnte, zu tun. Dr. Darawshe ist nunmal Araber, und Araber muss man so oft wie möglich verhören. Selbst wenn es eine Routineprozedur war, es ist anzunehmen, Dr. Darawshe wird die entwürdigende Behandlung in Eilat für lange Zeit nicht vergessen. Getrennte Flüge für Juden und Araber - bei uns längst zweite Natur. Man braucht gar nicht in die besetzten Gebiete zu gehen - wo Apartheid-Straßen nur für Juden und Ausgangssperren nur für Araber längst Realität sind -, um sich die Segregration vor Augen zu halten. Nein, sie besteht auch hier - hier, mitten in Israel. Unter der Ägide der angespannten Sicherheitslage hat dieses Phänomen in besorgniserregendem Maße zugenommen - man geht viel, viel weiter, als es die Zwänge verlangen. So haben arabische Studenten Schwierigkeiten, ein Apartment in einer jüdischen Stadt zu finden - allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, nicht aus Sicherheitsgründen, wohlgemerkt.

Arabische Bürger Israels wollen immer weniger aus ihren Städten u. Dörfern heraus. Bei jedem Kontakt mit ihren jüdischen Mitbürgern bzw. mit Behörden schlägt ihnen Misstrauen u. Demütigung entgegen. Dabei wäre es gerade im Interesse der Sicherheit (die Separarierung u. Unterscheidung natürlich manchmal nötig macht), wenn man unnötige Diskriminierung so weit als möglich vermeidet. Denn was ist die Folge: Wir haben hier eine junge jüdische Generation, die ohne Kontakt u. Erfahrung mit der arabischen Gesellschaft aufwächst - zumindest nicht auf gleichgestellter Basis. Für diese Generation stellen Araber nichts anderes dar als eine potentielle Gefahr, die man bekämpfen muss - und das noch bevor diese jungen Leute wehrpflichtig werden bzw. ihren korrumpierenden Militärdienst in den besetzten Gebieten ableisten. Zur gleichen Zeit ist eine arabische Generation herangewachsen, die sich ihrer Apartheid-Situation bewusst ist, und die nicht gewillt ist, diese zu akzeptieren (hinzu kommt noch jene junge Generation in den besetzten Gebieten, die Israelis nur als Bewaffnete kennt, die gewaltsam in ihre Häuser eindringen). Und da ist der arabisch-israelische Student, den man aus der Disko wirft, nur weil er einen bestimmten Akzent hat oder 'falsch' aussieht. Soi eine Erfahrung wird ihm lange nachhängen.

In den USA kennt man derzeit ähnliche Phänomene. Seit dem 11. September 2001 sind die Bürgerrechtsorganisationen dort verstummt. Jeder Bürger, dessen Name irgendwie muslimisch klingt, gilt jetzt als verdächtige Person. Niemand protestiert dagegen. Nicht wenige muslimische US-Bürger haben schon einen amerikanisch-klingenden Namen angenommen. In diesem Sinne: Nehmen wir uns kein Vorbild an den USA, und noch etwas: verlieren wir uns nicht - im Namen der Sicherheit - an den Rassismus. Seien wir Minister Ezra dankbar. Mit seiner kruden Ausdrucksweise hat er die nackte Wahrheit ans Licht gebracht. Ja, wir schnüffeln sie tatsächlich heraus, die Araber
 

argos

Meister
Registriert
28. August 2002
Beiträge
401
samhain schrieb:
@nabelschnur

(...)

hör mal zu mein kleiner, leider etwas blinder "freund":

(...)


Also ich versteh ja nicht viel von Psychologie, und das was Nabelschnurs Äußerungen mögen ihm/ihr vielleicht als Angriff ausgewertet werden, aber dazu sag ich nichts mehr
 

Hugo de la Smile

Großmeister
Registriert
10. April 2002
Beiträge
653
aloha,

ist es eigentlich unbedingt nötig, die gesamten artikel zu posten? würden nicht auszüge mit einem link genügen?

grüße

Hugo de la smile
 

BrettonWoods

Meister
Registriert
5. Juni 2003
Beiträge
327
Der Staat, von dem Scharon spricht
von Amira Hass
Ha'aretz / ZNet 28.05.2003


Gespräche und Behauptungen machen größeren Eindruck als Tatsachen und Geschehnisse, die sich tatsächlich auf dem Boden abspielen. Dies kann wieder einmal gesehen werden an den widersprüchlichen - den aufgebrachten oder zustimmenden - Reaktionen bei Verabschiedung der so genannten "Road Map" [neuester Friedensplan, vorgelegt von den USA, den Vereinten Nationen [(UNO), der Europäischen Union (EU) und Russland] und den Äußerungen Ariel Scharons, während einer Feuerpause, dass es falsch sei über 3,5 Millionen Palästinenser zu herrschen, dass eine Besatzung nicht gut sei und es keine Alternative gäbe, als sich mit der Errichtung eines Palästinenserstaates einverstanden zu erklären.

Die ‚Tatsachen' über das Land, die weniger beeindrucken sind als die Rhetorik, schafft Israel täglich aufs Neue. Diese ‚Tatsachen' sind: die Trennungs- und Sicherheitszäune um Siedlungen, die Sicherheits- und Zugangsstraßen, die kontinuierlich palästinensische Dörfer voneinander und von ihren Ländereien trennen und der Siedlungsausbau, der bereits während der ‚Oslo-Ära' so weit expandiert war, dass er ungefähr die Hälfte des gesamten Westjordanlandes einnahm.

Folgende Tatsachen sind das Entscheidende und werden es bleiben: das Gebiet auf dem die "Road Map" umgesetzt werden wird und das Gebiet auf dem der so genannte "Palästinensische Staat" errichtet werden soll.

Ein Besuch in der Gegend, in der die Kommission für Öffentlichkeitsarbeit, das Verteidigungsministerium, das Bauministerium und die Bulldozer des israelischen Verteidigungsministeriums an der Arbeit sind, macht klar, warum es für Premierminister Ariel Scharon leicht ist, über einen "Palästinensischen Staat" zu sprechen.

Ein Beratungsausschuss der Palästinenserverwaltung hat eine futuristische Karte erstellt, die auf jenen ‚Tatsachen' basiert. Der Ausschuss wird diese Karte all den Botschaftern und Abgesandten überreichen, die sich so enthusiastisch über Scharons "Staat" äußern.

Gemäß Scharons Plänen, wird der so genannte "Staat" aus drei voneinander getrennten Enklaven und Gaza bestehen, ohne Garantien darüber, dass die jüdischen Siedlungen innerhalb des Staatsgebildes abgebaut werden. Der "Trennungszaun" wurde zunächst nur als "temporär" deklariert, aber er besteht aus einem massiver Schutzwall, der viel Land vereinnahmt und bereits das Gebiet um Tulkarm und Qalqiliya - dem fruchtbarsten palästinensischen Ackerland - verunstaltet und somit einen der wichtigsten Eckpfeiler der palästinensischen Wirtschaft zerstört.

Der massive Ausbau jüdischer Siedlungen in Jerusalem und dessen Umgebung, zwischen Bethlehem und Ramallah und zwischen dem Toten Meer und Modi'in, verhindert jegliche Weiterentwicklung der Städte, ihrer Wirtschaft und Kultur - vor allem in Ostjerusalem. Die südliche Enklave zwischen Hebron und Bethlehem, wird von der zentralen Enklave um Ramallah, durch unzählige "gehegte und gepflegte" israelische Siedlungen, Tunnelstraßen und Autobahnen, getrennt werden. Die nördliche Enklave zwischen Jenin und Nablus wird vom Inneren des Westjordanlandes durch massive Siedlungsblocks wie Ariel-Eli-Shiloh getrennt.

Wahrscheinlich wird auch Scharons Absicht, einen Trennungszaun im Osten zu errichten, bald verwirklicht werden - denn sein Reden über einen "Staat" klingt in amerikanischen Ohren überzeugender, als jene Version, eines Israels, das weiterhin palästinensisches Land enteignet. Das Jordantal wird außerhalb des Palästinensischen Staates liegen und zwischen ihm und dem geteilten "Staat" werden jüdische Siedlungen mit niederer Bevölkerungszahl und enormen Landreserven wie Itamar, Nokdim und Tekoah und massive Siedlungen wie Ma'aleh Adumim entstehen.

Letzten Freitag veröffentlichte die Wochenendausgabe der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth einen interessanten Beitrag für all jene, die niemals die Gebiete betreten [Anmerkung der Übersetzerin: In Israel spricht man nicht von "besetzten Gebieten", sondern nur von "Gebieten"], der die Langzeitbedeutung des Trennungszaunes im Detail erläuterte, inklusive einer Landkarte, die eine auffallende Ähnlichkeit, mit der Landkarte aufweist, die von den Palästinensern [für die Botschafter] erstellt wurde.

Es existieren viele Berichte darüber, wie Zehntausende Dorfbewohner von ihren Ländereien abgeschnitten wurden, Dorfbewohner zwischen beiden Seiten der Zäune wie Gefangene leben und man Qualqiliya völlig isolierte. Es existieren auch Berichte über den Trennungszaun, der auf Wunsch der Siedler, in Richtung Osten ausgebaut wurde. Aber der Berichterstatter von Yedioth, Meron Rapaport, geht noch einen Schritt weiter, indem er Schlüsselpersonen in den Siedlungen nach "Tatsachen" befragt.

Gemäß den Aufzeichnungen von Ariel Mayor Ron Nahman, kannte er die Landkarte der palästinensischen Enkaven innerhalb des Zaunes schon länger: "Es handelt sich um die selbe Landkarte, die ich jedes Mal sah, wenn ich Arik [Spitzname von Ariel Scharon] seit 1978 besuchte. Er erzählte mir, dass er hierüber schon seit 1973 nachdenkt."

Ein Siedler aus Einav, der von sich selbst behauptet "sehr rechts" zu sein, sieht den Zaun als eine Katastrophe. "Er bedeutet für die Palästinenser einen wirtschaftlichen Todesstoß" erklärt Shmil Eldad Rapaport. "Es gibt Menschen, die hier einfach leben möchten, aber das schafft neuen Hass."

Moshe Immanuel von Salit rechtfertigt den Zaun wie folgt: "Die Palästinenser haben 1948 und 1967 verloren und sie werden auch dieses Mal verlieren … diejenigen, die den Krieg verlieren, sind diejenigen die auch verlieren."

David Levy, Vorsitzender des Regionalrates im Jordantal weiß, dass der Zaun die "Gebiete" im Innern Israels halten wird. Er weiß es, aufgrund von Treffen mit Scharon und aufgrund von Landkarten, die er ihm gezeigt hat.

Die Palästinenser sind erschöpft von dem ungleichen Kampf mit Israel, einer weltklasse Militärmacht. Wahrscheinlich werden sie sich entscheiden, da keinerlei Alternative in Aussicht steht, einen Bantustan-Staat, der weitere Hunderttausende Flüchtlinge aufnehmen wird, zu akzeptieren. Die abgeschlossenen Camps werden Armut und wirtschaftliche Not erzeugen, ohne Raum für weitere Entwicklungen. Ob ihre Kinder sich dazu entschließen werden, in "Frieden" innerhalb erstickender Enklaven zu leben, das ist eine völlig andere Frage.
 

BrettonWoods

Meister
Registriert
5. Juni 2003
Beiträge
327
Komm' zum Essen, wenn der Krieg vorbei ist
von Neve Gordon


"Komm zum Abendessen, wenn der Irak-Krieg vorbei ist", sagt Jamil, als ich gerade die Autotür öffne. Er hat den Sedan ein kurzes Stück vor dem Bethlehemer Militär-Checkpoint gegeparkt - dieser Checkpoint liegt Jerusalem am nächsten. "Ist das deine Art von Höflichkeit?", frage ich. "Wie meinst Du das?" fragt er zurück. "Stell Dir vor, ich lade Dich zum Abendessen ein und sage: Komm aber erst im Jahr 2008", ich grinse leicht. "Eigentlich hast Du recht", sagt Jamil, "der 1967-Krieg, ihr Israelis nennt ihn Sechstagekrieg, ist nach 35 Jahren immer noch nicht beendet. Und damals in Vietnam dachten die Amerikaner ja auch, sie könnten die Vietnamesen schnell besiegen, aber dann ging die Sache weiter, und sie haben das Land viele Jahre besetzt gehalten und 3 Millionen Menschen getötet - abgesehen von den 58 000 gefallenen US-Soldaten". Und Jamil fährt fort: "Wenn ich recht darüber nachdenke, solltest Du vielleicht wirklich schon nächste Woche zum Essen kommen. Wir sollten besser nicht warten, bis das Irak-Debakel zu Ende geht."

Ich steige aus Jamils Wagen u. klettere in den wartenden Laster. Jetzt ist es so gegen 17 Uhr. Wir sind damit fertig, Nahrungsmittel in 9 Dörfer in den südlichen Außenbezirken Bethlehems zu verteilen. Jetzt geht es zurück nach Jerusalem. Vorher hatten Aktivisten von 'Ta'ayush - arabisch-jüdische Partnerschaft' in den kleinen Ortschaften überall in der Westbank 100 Tonnen Nahrungsmittel verteilt - weil sie wissen, das Leiden der palästinensischen Bevölkerung am Irak-Krieg hat schon eingesetzt. Und damit meine ich nicht nur den Medien-Blackout - das Schweigen über jene 180 Palästinenser, die das israelische Militär seit Januar 2003 getötet hat. Nicht weniger dramatisch ist die fehlende Reaktion der Welt auf die humanitäre Krise, die sich in den besetzten Gebieten abzeichnet - eine Krise, die durch die langen Ausgangssperren u. Abriegelungen - Folge des Kriegsausbruchs - noch verstärkt wird.

Kürzlich veröffentlichte die Weltbank einen Bericht, der deutlich macht, wie dramatisch-gefährlich die Auswirkungen der israelischen Militärbelagerung sind. 27 Monate nach Ausbruch der Intifada leben 60 Prozent aller Bewohner von Westbank u. Gazastreifen unterhalb der internationalen Armutsgrenze von $2 Dollar am Tag. Die Zahl der Armen hat sich verdreifacht (von 637 000 im Sept. 2000 auf aktuelle fast 2 Millionen - bei einer Gesamtbevölkerung von 3,5 Millionen). Mehr als die Hälfte der Arbeiter ist arbeitslos. Die Menschen gelangen nicht mehr an ihre Arbeitsplätze u. nicht mehr auf ihre Felder. Es wird angenommen, dass mittlerweile mehr als eine halbe Million Palästinenser vollständig auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Der Pro-Kopf- Nahrungsmittelkonsum ist in den letzten beiden Jahren um 30 Prozent gesunken. Vor allem im Gazastreifen herrscht eine massive Unterernährungssituation. Eine kürzliche Studie des John-Hopkins-Instituts hat ergeben, die Unterernährung im Gazastreifen ist vergleichbar mit der in einigen armen Ländern der Sub-Sahara-Zone.

Genau diese Krise war Motiv für die Lebensmittelaktion von Ta'ayush. Aber es geht dabei nicht nur um humanitäre Hilfe. Die Kampagne hat auch eine politische Dimension, die uns sehr wichtig ist. In verschiedenen Teilen der Westbank kämpft die palästinensische Bevölkerung tagtäglich darum, auf ihrem Land zu bleiben - sie kämpft gegen Schikanen, gegen konstante Einschüchterungsversuche, gegen die Brutalität der jüdischen Siedler u. des israelischen Militärs. Nahrungsmittelhilfe u. Solidaritäts-Besuche, wie sie Ta'ayush organisiert, sollen die Palästinenser in ihrem Kampf gegen alle Widrigkeiten stärken, während die israelische Regierung systematisch u. auf konstanter Basis die Infrastruktur ihrer Existenz zerstört. Und noch etwas: Indem die Friedensaktivisten militärisches Sperrgebiet betreten, verstoßen sie gegen die Militärbelagerung. So können sie die psychologischen, physischen u. politischen Barrieren überwinden, die die israelische Regierung errichtet hat. Diese Barrieren sind darauf ausgerichtet, und zwar gezielt, alle Akte der Solidarität mit den okkupierten Palästinensern zu verhindern u. die Zusammenarbeit zwischen beiden Völkern zu behindern. Und die Separationsmauern, die Israel jetzt bauen läßt, düngen den Samen des Hasses nur noch mehr, gießen zusätzliches Öl ins Feuer unseres Konflikts.

Zurück zum Checkpoint (nahe Jerusalem): Unser Lebensmittellaster fährt jetzt langsam auf die Wachmannschaft zu. Israelische Polizisten fordern meine Begleiter u. mich zum Aussteigen auf. Juden ist es nämlich nicht erlaubt, Bethlehem zu betreten. Also hält man uns mehrere Stunden fest. Während unser Anwalt telefoniert, um unsere Freilassung zu erwirken, unterhalte ich mich kurz mit einem der (israelischen) Polizisten. Er sagt: "Bis vor ungefähr einem Jahr hatten die Palästinenser noch dieses Leuchten in ihren Augen. Das ist jetzt weg, ein Zeichen totaler Verzweiflung". "Aber wer verzweifelt, hat nichts mehr zu verlieren", flüstere ich. Ich frage den Polizisten, ob er nicht glaubt, dass das zu noch mehr Selbstmordattentaten führt. "Nein", erwidert er, "die Verzweiflung hier ist anders - mehr wie die der Juden in den europäischen Gettos".

Der Autor, Neve Gordon, ist Politik-Dozent an der israelischen Ben-Gurion-Universität. Ein Beitrag von ihm steht in dem Buch: 'The Other Israel: Voices of Refusal and Dissent'; erschienen 2002 bei New Press. Sie können ihn kontaktieren unter: ngordon@bgumail.bgu.ac.il
 

BrettonWoods

Meister
Registriert
5. Juni 2003
Beiträge
327
Israels Staatsterrorismus
von Lev Grinsberg

Worin besteht der Unterschied zwischen Staatsterrorismus und den Terrorakten individueller Attentäter? Wenn wir diesen Unterschied verstehen, verstehen wir gleichzeitig die Bösartigkeit der US-Politik im Nahen Osten bzw. die Katastrophe, die sich derzeit entfaltet. Jassir Arafat wird in seinem eigenen Bürogebäude belagert, von der israelischen Besatzungsarmee als Geisel gehalten, u. gleichzeitig wird er weiter gedrängt, "den Terror zu verurteilen", "den Terror zu bekämpfen". Der israelische Staatsterrorismus wird von den US-Regierenden als Akt der "Selbstverteidigung" deklariert, während die individuellen Selbstmordattentäter "Terroristen" sein sollen.

Der einzige kleine Unterschied besteht nur darin, daß die israelische Aggression auf das Konto ganz bestimmter Personen geht, nämlich auf das von Ariel Scharon, Benjamin Ben Eliezer, Schimon Peres, u. Schaul Mofaz, während Selbstmordattentate von verzweifelten Einzelpersonen begangen werden u. zwar im allgemeinen ganz gegen Arafats Willen. Nur eine Stunde nachdem Arafat seine Bereitschaft zu einem "Waffenstillstand" erklärt hatte u. den Juden (glaubwürdig) ein schönes "Passahfest" gewünscht, jagte sich in einem Netanyaer Hotel ein Selbstmordattentäter in die Luft u. tötete dabei 22 unschuldige Juden, die gerade "Passah" feierten. Arafat wurde sofort für die Tat verantwortlich gemacht, u. die derzeitige Offensive der Israelischen Streitkräfte wird mit dieser angeblichen Schuld Arafats legitimiert.

Gleichzeitig wird Scharons Verantwortung für die israelischen Kriegsverbrechen völlig ignoriert: Wen sollte man verhaften, angesichts der gezielten Ermordung von fast 100 Palästinensern? Wen ins Gefängnis werfen für den Tod von über 120 palästinensischen Sanitätern? Wer wird wohl verurteilt werden für mehr als 1,200 tote Palästinenser u. für die kollektive Bestrafung von mehr als 3 Millionen palästinensischer Zivilisten während der vergangenen 18 Monate? Und wen stellt man dereinst vor ein internationales Tribunal für die illegale Besiedlung von besetztem palästinensischen Land, für das Zuwiderhandeln gegen UN-Beschlüsse - und das über 35 Jahre?

Selbstmordattentate auf unschuldige Zivilisten sind ohne wenn u. aber zu verdammen, daran besteht kein Zweifel. Es handelt sich dabei um Akte der Barbarei, u. die sie verüben, sollten im Gefängnis landen. Aber man darf sie nicht in einen Topf werfen mit dem Staatsterrorismus der israelischen Regierung. Erstere sind nämlich Akte der Verzweiflung eines Volkes, das für sich selbst keine Zukunft mehr sieht, eines Volkes, das von einer einseitig-verzerrt wahrnehmenden u. unfairen Weltöffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wird; letztere dagegen entspringen der kalten u. "rationalen" Berechnung eines Staates bzw. eines militärischen Besatzungsapparats, der (sehr gut) ausgerüstet, finanziert u. gestützt wird durch die einzige Supermacht der Welt.

In der derzeitigen öffentlichen Debatte jedoch wird nicht einmal erwogen, Staatsterrorismus u. individuelle Selbstmordattentate als vergleichbaren Terrorismus einzuordnen. Der Staatsterrorismus u. die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung werden als "Selbstverteidigung" legitimiert, während Arafat - selbst jetzt noch unter Belagerung - dazu aufgefordert wird, "Terroristen" zu verhaften.

Ich stelle die Frage: Wer wird in diesem Fall Scharon verhaften - einen Mann, der die direkte Verantwortung für die Ermordung von Palästinensern trägt? Wann wird man auch ihn als "Terroristen" bezeichnen? Wann wird die Welt den Aufschrei des Palästinensischen Volkes endlich zur Kenntnis nehmen - erkennen, daß alles, was diese Menschen wollen, Freiheit u. Unabhängigkeit ist? Wann wird die Welt sich nicht mehr weigern, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Ziel der israelischen Regierung nicht "Sicherheit" ist, vielmehr die Fortsetzung (ihrer Politik) der Besatzung u. Unterdrückung gegen das Palästinensische Volk? Als oppositionelle Israelis kämpfen wir gegen diese Regierung an. Aber die internationale Unterstützung für Scharon gefährdet unsere Arbeit auf einer konstanten Basis. Es ist notwendig, daß sich die gesamte internationale öffentliche Meinung grundsätzlich ändert. Und die UN müssen Interventionstruppen entsenden, müssen dem Blutvergießen u. der derzeitigen Eskalation ein Ende bereiten. Was Israelis u. Palästinenser jetzt dringend brauchen, ist das Erwachen der internationalen öffentlichen Meinung u. eine radikale Änderung in der Haltung der Welt (zum Nahen Osten). Das ist dringend erforderlich, um unser Leben zu retten (und das meine ich wörtlich!) u. für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Dr. Lev Grinberg ist Politischer Soziologe u. Direktor des "Humphrey Instituts für Sozialwissenschaften" an der Ben-Gurion-Universität
 

nicolecarina

Erleuchteter
Registriert
6. Juni 2003
Beiträge
1.659
zum thema lange posts:

der vorteil: es melden sich fast ausschließlich leute zu wort, die sich mit dem thema beschäftigt haben - für unqualifizierte zwischenrufe fehlt die atmosphäre.

ich finds nicht schlecht, wer klickt schon jeden link im thread an, das sind ja dann oft seeeeeeiiiiiiiiitenweise infos, die es zu reflektieren gilt.
 

BrettonWoods

Meister
Registriert
5. Juni 2003
Beiträge
327
Ein israelischer Offizier antwortet Präsident Bush
von Shamai Leibowitz
ZNet 27.06.2002


Ich bin orthodoxer Jude u. arbeite als Strafverteidiger in Tel Aviv. Zudem bin ich Panzergrenadier - der Reserve -, und ich gehöre zu jenen 1000 (israelischen) Soldaten, die sich geweigert haben, Dienst in den ‘Besetzten Gebieten’ zu tun. Viele, die zu unserer Gruppe gehören, saßen während der letzten Monate in Militärgefängnissen ein. Präsident Bush hat uns nun also mit seinem neuen Nahost-‘Plan’ beglückt - und wir fragen uns, wie lange es wohl dauern wird, bis er begreift, wie nutz- und bedeutungslos dieser Plan ist. George W. Bushs Rede malt uns die Zukunft eines Palästinenserstaats in rosaroten Farben aus - eines utopischen Palästinenserstaats in ferner Zukunft wohlgemerkt - was Bush dabei tunlichst unerwähnt läßt, ist jedoch die derzeitige Realität in jenem Landstrich, der (laut seiner Rede), Schauplatz all dieser wunderbaren Dinge sein wird. Kein Wort davon, dass die israelische Armee beispielsweise in alle Westbank-Städte wiedereinmarschiert ist. Kein Wort davon, dass hunderttausende ihrer Bewohner durch eine strikte Ausgangssperre in ihren Häusern gefangen sind. Keine Rede davon, dass Zivilisten, die sich dennoch auf die Straßen ihrer Stadt wagen, von israelischen Panzern u. Apache-Hubschraubern erschossen werden wie streunende Hunde. Bushs mangelnde Einsicht, dass es keine Fortschritte (im Friedens- prozess) geben kann, solang ein ganzes Volk auf brutale Weise okkupiert wird, ist die Crux seiner ganzen Politik u. erklärt am besten, weshalb seine Nahost-Pläne sich auf konstanter Basis als Riesenflops erweisen. Bushs verblendetes Denken, er könne die Palästinenserführung allein durch eine Rede aushebeln, ist einfach gestört. Der amerikanische Präsident scheint ja ernsthaft zu glauben, er könne jeden Führer der Welt beseitigen, sobald der ihm nicht mehr paßt.

Diese Art des Denkens, wird uns noch eine Menge Blutzoll kosten. Lediglich eine Frage der Zeit, bis Bushs ‘neuer Rahmenplan’ nur noch Asche ist, während die Flammen in unserer Region immer höher u. höher lodern. Anstatt uns wenigstens einen Schimmer (echter) Hoffnung zu geben, sind Bushs Pläne wie der berühmte ‘brennende Dornbusch’* aus der Bibel (Exodus 3;2) - sprich: immer das Gleiche, nur noch mehr u. mehr davon: noch mehr israelische Okkupation u. als Folge noch mehr Terror, noch mehr Tote.

Ganz klar, die Terrorattacken sind einfach verabscheuungswürdig. Unter Zugrundelegung halbwegs gesunder politischer Maßstäbe gibt es dafür keinerlei Rechtfertigung. Aber wahr ist auch: keine noch so große Verdammung wird sie stoppen. Was Bush anscheinend nicht begreift, ist, dass diese Selbstmordattentate Resultat einer Massenhungersnot (in den ‘Besetzten Gebieten’) sind sowie der Demütigung des palästinensischen Volks. Bushs Berater schaden uns unendlich, indem sie einfach nicht einsehen wollen, dass nur ein sofortiges Ende der israelischen Okkupation ein sofortiges Ende des Palästinenseraufstands bewirken kann. Im Moment sehen wir eine Situation, in der 3,5 Millionen Menschen weder Zukunft, noch Hoffnung, noch Perspektive haben - außer der, Terrorist zu werden, um so wenigstens die kontinuierlichen Willkürakte u. den Beschuss durch israelische Militärhubschrauber, durch Panzer u. Artillerie rächen zu können. Präsident Bush hat nie einen Fuß in diese Region gesetzt. Aber wir leben hier, wir haben mitangesehen, wie man auf den Palästinensern herumtrampelt, wie man ihnen tagtäglich ihre Grundrechte vorenthält, wie man sie in jeder nur vorstellbaren Weise belagert u. okkupiert. Unser jüdischer Glaube lehrt uns: Wo es keine Gerechtigkeit gibt, gibt es auch keinen Frieden. Die Ideen hinter den Osloer Verträgen - vor allem die Idee, wir könnten ein Friedensabkommen “aushandeln”, während wir gleichzeitig weiter Besatzungsmacht spielen -, haben sich als romantischer Blödsinn herausgestellt. Oder können Sie sich ein Vergewaltigungsopfer vorstellen, das nebenher mit seinem Vergewaltiger verhandelt? Oder stellen Sie sich mal einen unterdrückten Sklaven vor, der mit seinem Herrn einen ‘Freiheitsvertrag’ aushandelt?

Im Grunde ihres Herzens ist vielen Israelis klar, dass wenn wir aufhören, dieses (palästinensische) Volk zu unterdrücken u. zu demütigen, wir wieder zu einem ruhigen, sicheren u. demokratischen Staat Israel werden - zu einem Staat Israel Seite an Seite mit einem lebensfähigen palästinensischen Staat. Die meisten intelligenten Menschen auf der Welt begreifen inzwischen, dass die Palästinenser schon seit Jahren Anrecht auf einen eigenen Staat hätten. Und man hätte auch schon längst eine israelisch-palästinensische Grenze ziehen müssen, die zwei komplett abgetrennte u. souveräne Staaten abgrenzt. Es gibt nur eine einzige Einrichtung in der Welt, die dies nicht wahrhaben will: die israelische Regierung.

Dies bedeutet: es ist Aufgabe von uns israelischen Soldaten, uns / unser Land zu verteidigen. Wir müssen uns gegen unsere eigene Regierung zur Wehr setzen. Und diese Verteidigung funktioniert nur über die Weigerung, bei dieser Okkupation mitzuwirken. Denn wir sind der Meinung, ein Soldat, der sich weigert, Millionen Palästinenser zu unterdrücken u. auszuhungern, dient seinem Land auf die bestmögliche Art u. Weise. Die Begründung ist einfach: Wenn genug Soldaten verweigern, wird die israelische Regierung irgendwann gezwungen sein, ihren Todesgriff um die Westbank u. um Gaza zu lockern. Dies würde tausenden von Menschen das Leben retten. Ein berühmter Satz im Talmud lautet: “Wenn nicht einmal ich auf meiner Seite bin - wer dann?” Bush hat uns hier bewiesen, wie verschroben seine Realitätssicht ist. Es liegt daher an uns, unsere Nation vor dem totalen Niedergang zu retten. Schieben wir Bush also beiseite u. erledigen wir den Job selber. Wir, die Bewegung der Verweigerer, werden wachsen u. wachsen, bis tausende israelischer Soldaten sagen: Genug ist genug! Dann wird dieses Land, das so lange Schlachtfeld war, sich hoffentlich zu einem Ort der Zuflucht entwickeln, zu einem Ort der Hoffnung u. der Vision - und zwar für all seine Bewohner.

Anmerkung d. Übersetzerin:

* Gottes Engel erscheint Moses hier aus einem brennenden Dornbusch heraus, der zwar dauerhaft brennt, aber sich nicht verändert, immer gleich bleibt, also nicht verbrennt. Wörtlich lautet Exodus 3;2: “Der Engel des Herrn erschien ihm (Moses) in einer Feuerflamme, mitten aus einem Dornbusch heraus. Er schaute, und siehe da, der Dornbusch brannte zwar im Feuer, wurde aber dabei nicht verzehrt.”
 

Wiesengrund

Meister
Registriert
26. Juni 2003
Beiträge
198
Das ist vielleicht ein klein wenig am Thema vorbei, mir aber egal. Einen Link kann ich leider auch nicht anbieten.


"Wir können hier nicht überleben" (Auszug aus einem) Interview mit Yoram Kaniuk, israelischer Schriftsteller (konkret 07/2003 S.22f.).

F(rage): Sie gehörten viele Jahre zur Spitze der isralelischen Linken, die eine friedliche Lösung des Palästina-Konflikts forderte und wurden zu einem Vorreiter des israelisch-palästinensischen Dialogs. Ende der achtziger Jahre gründeten Sie mit dem 1996 verstorbenen Dichter Emil Habibi ein palästinensisch-israelisches Komitee, das sich für den Dialog der beiden Gruppen einsetzte. Glauben Sie noch an diesen Dialog?

A(ntwort): Emil Habibi war einer meiner besten Freunde, und ich vermisse ihn wirklich sehr. Wir haben schon seit Ende der der sechziger Jahre gemeinsame Wege gesucht, um über eine Lösung des Konflikts nachzudenken. 1989 haben wir das Komitee gegründet. Später fand ich heraus, daß Arafat die Arbeit des Komitees als Versuchsballon für seine Oslo-Politik benutze. Er wollte testen, wie die israelische Gesellschaft auf den Plan der Zweistaatlichkeit reagieren würde. 1995 schlug uns der französische Verleger Emmanuel Moses vor, gemeinsam ein Buch zu schreiben (Das zweifach verheißene Land). Mein Thema war mein Leben mit den Arabern, und Habibi sollte über sein Leben mit den Juden schreiben. Was kam dabei heraus? Es klang, als wäre es ein Rädchen der nationalistischen Propaganda der PLO. Die arabischen Intellektuellen in der Westbank, in Gaza, in Jordanien und Ägypten haben mit uns zusammengearbeitet, solange sie die Kooperation für sich nutzen konnten. Seitdem es nicht mehr opportun scheint, uns zu treffen, boykottieren sie uns. Im letzten Jahr hat man mich zusammen mit dem palästinensischen Herausgeber nach Berlin eingeladen. Als wir uns abends in der Bar des Hotels trafen, schimpfte er nur übr Arafat. Er hatte in seiner Zeitung gewagt, die palästinensische Führung um Arafat zu kritisieren. Sein Büro in Ost-Jerusalem wurde daraufhin von der PLO geschlossen und seine Zeitung wurde ihm weggenommmen. Er war ruiniert. Am nächsten Tag saßen wir mit einem Reporter des "Tagesspiegel" für ein Gespräch zusammen. Er zog ein vorbereitetes Papier aus der Tasche und verlas eine Arafat-freundliche Erklärung. Danach schaute er mich nur an und zuckte mit den Schultern. Später, wieder im Hotel, sagte er zu mir: "Was kann ich schon machen?" Ich liebe Emil Habibi sehr, aber er hat mir nicht die ganze Wahrheit gesagt. Vielleicht wollte er es, aber er konnte es nicht.

F: Geben Sie angesichts der zahlreichen Selbstmordattentate heute einem israelisch-palästinensischen Friedensprozeß überhaupt noch eine Chance?

A: Ich habe vierzig Jahre meines Lebens damit verbracht, einen friedlichen Weg zu suchen. Ich wurde dafür von der israelischen Polizei geschlagen und verhaftet. Ich war einer der ersten, die sich für zwei gleichberechtigte Staaten stark gemacht haben. Aber so resigniert es auch klingen mag, ich habe keine Hoffnng mehr. Nach den Verhandlungen mit Barak und Arafat auf Einladung von Clinton in Camp David im Sommer 2000 und nach den gescheiterten Friedensverhandlungen von Taba im Februar 2001, als den Palästinensern wieder eine Lösung auf Grundlage einer territorialen Teilung angeboten wurde, und sie erneut ablehnten, glaube ich nicht mehr an eine friedliche Lösung. Sie können uns im Mittleren Osten einfach nicht akzeptieren. Das ist tragisch. Ich bin der Auffassung, daß wir die Westbank und den Gazastreifen räumen müssen, und eines Tages wird das auch geschehen, aber es wird nichts lösen. Es ist für die Palästinenser eine Sache von Alles oder Nichts. Sie werden nie eine Teilung akzeptieren. Sie werfen uns vor, wir seien Nazis. Wenn man sieht, wie die Busse, die Kinos und Cafés zerfetzt werden, wenn man diese jungen Manschen sieht, aus denen Hackfleisch gemacht wird, dann muß ich fragen: Das ist die Art von Krieg, den ihr führen wollt?

F: Das sind sehr pessimistische Töne von einem Mann, der sich jahrzehntelang für eine andere Lösung des Konflikts eingesetzt hat. Wie soll denn die Zukunft aussehen?

A: Es gibt fast 350 Millionen Araber, und sie mögen uns wirklich nicht. Dabei geht es gar nicht darum, wer gut oder schlecht ist. Sie haben das Recht auf das Land, und wir haben das Recht auf das Land. Eines Tages werden sie stark genug sein, um uns den Garaus zu machen. Mit einer Bombe können sie Israel zerstören. Diese Einschätzung wird von vielen Israelis geteilt. Manchmal denke ich darüber nach, daß ich zwar Kinder habe, aber vielleicht keine Enkel haben werde. Wir können hier nicht überleben. Es fällt mir nicht leicht das festzustellen, immerhin habe ich im israelischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft. Und Europa steht auf Seiten der Palästinenser, nicht auf unserer. Es gibt scheinbar keinen Kompromiß, und wie man in Israel sagt: "Such is life - and it´s getting sucher and sucher."
 

BrettonWoods

Meister
Registriert
5. Juni 2003
Beiträge
327
@Wiesengrund
Yoram Kaniuk ist einer der bekanntesten Schriftsteller Israels. Viele seiner Romane handeln vom israelisch-arabischen Konflikt. Kaniuk, 1930 in Tel Aviv geboren, denkt ambivalent: Er ist gegen die israelische Besatzung, aber für die jüdische Besiedlung der arabischen Gebiete.
Quelle: Zeit Archiv 07/2001

Israel: 80 Thesen für ein neues Friedenslager
von Uri Avnery
ZNet Deutschland 13.04.2001
http://www.zmag.de/article/article.php?id=287
 

Wiesengrund

Meister
Registriert
26. Juni 2003
Beiträge
198
BrettonWoods schrieb:
@Wiesengrund
Yoram Kaniuk ist einer der bekanntesten Schriftsteller Israels. Viele seiner Romane handeln vom israelisch-arabischen Konflikt. Kaniuk, 1930 in Tel Aviv geboren, denkt ambivalent: Er ist gegen die israelische Besatzung, aber für die jüdische Besiedlung der arabischen Gebiete.
Quelle: Zeit Archiv 07/2001

Bretton Woods, das wußte ich im Prinzip schon. Dennoch Danke. Ich kann keinen Link zum ganzen Interview anbieten. Oder wolltest Du klären, ob der Beitrag zum Thema paßt? Gelesen habe ich mal, daß Kaniuk sich für eine 3-Staatenlösung ausgesprochen hat. Einen für die Palästinenser, eine für orthodoxe Juden und einen für weltliche Israelis (Quelle?).
 

samhain

Ehrenmitglied
Registriert
10. April 2002
Beiträge
2.976
@nicolecarina

>>ich finds nicht schlecht, wer klickt schon jeden link im thread an, das sind ja dann oft seeeeeeiiiiiiiiitenweise infos, die es zu reflektieren gilt.<<

so ist es, es ist irgendwie entspannender so...

man muss natürlich immer aufpassen, das man nicht mit dem copyright in konflikt gerät, aber in diesem fall sind die artikel zur weiterverbreitung gedacht.

@BrettonWoods & Wiesengrund

ich finde es übrigens genial, das hier so langsam eine richtig gute sammlung kritischer texte entsteht.
 

BrettonWoods

Meister
Registriert
5. Juni 2003
Beiträge
327
Amira Hass
Sie ist die einzige israelische Journalistin, die einzige Journalistin weltweit, die den Alltag der Palästinenser lebt, über den sie schreibt. Amira Hass arbeitet für die linksliberale Tageszeitung Ha'aretz. Wenn israelische Panzer ins Zentrum der autonomen Stadt Ramallah vorrücken, wenn die Luftwaffe ihre Bomben und Raketen wirft, dann fühlt auch sie sich bedroht. Seit vier Jahren lebt Amira Hass in Ramallah, davor fünf Jahre in Gaza. Der Alltag der Palästinenser unter der israelischen Besatzungsmacht ist seit Jahren ihr Thema. Für sie ist die israelische Politik kolonialistisch, rassistisch und fördert die Apartheid. Diese Politik wird zum Desaster für beide Völker führen, so die Analayse von Amira Hass. Sie schreibt aber auch unerschrocken über Korruption in der palästinensischen Autonomiebehörde unter Arafat, über Folter in palästinensischen Gefängnissen, über Schnellgerichte und den Vollzug der Todesstrafe.




Ein Steinwurf weit von hier
von Amira Hass
Ha'aretz / ZNet 15.04.2003


Trotz allem, sie kommen immer wieder: die Kinder mit Steinen in den Händen. Ein einsamer Polizei-Jeep kommt über die Stadtgrenze von Ramallah. Die Erwachsenen gehen ihren normalen Verrichtungen nach. Aber plötzlich tauchen von irgendwoher ein paar Kinder auf, sie warten an der Ecke im Hinterhalt - warten auf jenes Geräusch, das wiedermal das Nahen des Symbols ihres Hasses verkündet. Es kommt auch vor, dass ein oder zwei Polizeiwagen genau gegenüber der Jungen-Schule im Zentrum von Betunya halten; Betuny liegt westlich von Ramallah. Scheint so, als legten sie es gezielt darauf an, morgens vor Ort zu sein, wenn alle Kinder in die Schule strömen u. nachmittags, wenn sie wieder herausströmen. Ein paar Kinder sind ja immer mit dabei, die sich im Steinewerfen üben wollen. In den Jeeps sitzen junge Soldaten, die nicht viel älter sind als diese Schulkinder (was vielleicht erklärt, weshalb man es so auf diesen Ort abgesehen hat), und diese Soldaten üben sich dann in ihren eigenen Waffen: Schockgranaten u. Tränengas.

Manchmal kommt aber nicht nur ein Jeep gefahren sondern gleich zwei - verstärkt durch einen APC (gepanzerter Mannschaftswagen) u. eine Militärambulanz: Ein Konvoi zum fürchten, der sich durch das Stadtzentrum u. die Marktstraße voller Menschen schiebt. Dann hat man es augenscheinlich auf Verhaftungen abgesehen. In diesem Moment greifen die Kinder - u. auch einige Nicht-Kinder - an. In manchen Fällen besteht die Reaktion der Soldaten einfach darin, schneller zu fahren, aber manchmal wollen sie auch unbedingt ein paar Salven über die Köpfe der Menschen abzufeuern - ob sie nun Steinewerfer sind oder nicht. Und auf die kurze Distanz spielt es auch keine Rolle, ob sie scharfe Munition verwenden oder Gummigeschosse (Stahlgeschosse im Gummimantel): beides ist gleichermaßen tödlich. An den Checkpoints, wo die Soldaten mit ihren Fahrzeugen u. Waffen permanent installiert sind, wollen die Kinder immer auf einer erhöhten Position stehen - einem Berg aus Dreck oder einem kleinen Hügel. Von dort aus werfen sie dann Steine auf ihr Ziel - die behelmten Soldaten; das Ziel ist aber so weit entfernt, dass sie es kaum erreichen können. Die Soldaten, in ihrer Entfernung, sind dabei mehr Symbol denn echte Zielscheibe. Steht bei dieser Szenerie auch noch die Sonne im Hintergrund oder der Horizont, so wirken diese Kinder fast wie geschmeidige Athleten, die sich in einer Art Zaubersport üben. Manchmal ignorieren die Soldaten die Kinder. Manchmal antworten sie mit Schockgranaten u. Tränengas. Dann zucken alle Leute ringsum zusammen - alle, bis auf die Kinder. Manchmal schießen die Soldaten aber auch scharf. Sie zielen nicht, um zu verwunden oder zu töten - schließlich sind sie nicht wirklich gefährdet - dennoch töten ihre Schüsse oder verletzen.

In Nablus, Tul Karm, Dschenin, Rafah u. Beit Hanoun sehen sich die Kinder in ihrem ungleichen Kampf keinen Jeeps gegenüber vielmehr Panzern u. verschiedensten Arten von Panzerfahrzeugen. Ihre dramatische Unterlegenheit in diesem symbolischen Kampf scheint die Kinder dabei ebensowenig abzuschrecken, wie die Lebensgefahr, die von jenen tödlichen Maschinen aus Stahl ausgeht. Schon Dreijährige können deren Namen besser auseinanderhalten als die der Wildblumen, die auf den Feldern blühen. Die Eltern der Kinder u. auch andere Erwachsene erklären ihnen: wenn es wenigstens helfen würde, die Besatzung zu besiegen, okay. Aber ihr bringt doch nur euer eigenes Leben in Gefahr, und die Besatzung bleibt. Manche Eltern kratzen ihr letztes Erspartes zusammen, nur um den Kindern einen Computer zu kaufen oder sie ins nächste Internet-Zentrum schicken zu können (selbst im Flüchtlingslager Qalandiyah gibt es mehrere). Die Eltern wollen geradezu, dass ihre Kinder computersüchtig werden - so wie Kinder anderswo auf Computerspiele scharf sind. Wenn die Eltern ein Auto besitzen, fahren sie ihre Kinder zur Schule u. holen sie wieder ab. Aber die meisten Eltern haben kein Fahrzeug. Und es ist ihnen auch unmöglich, die Kinder den ganzen Tag, Minute für Minute, zu überwachen.

Das Phänomen der steinewerfenden Kinder (von denen viele verletzt u. getötet werden) hat zudem viel zu tun mit der Schichtzugehörigkeit. Die Flüchtlingslager beispielsweise liegen am nächsten zu jenen Kreuzungen, an denen die Truppen der IDF (Israelische Armee) dauerstationiert sind. Und es sind die Viertel der unteren Bevölkerungsschichten, die am häufigsten von Armee-Razzien betroffen sind. Zudem gibt es dort dichtbevölkerte u. enge Gassen, die zum Widerstand einladen. In den Dörfern ist die Abriegelung eine konstante Erfahrung - sowohl für Erwachsene als auch für Kinder - auch wenn die Umgebung grün ist. Denn die Checkpoints rund um die Dörfer lassen jeden Trip in die Stadt zum außergewöhnlichen Ereignis mutieren. Nur diejenigen, die unbedingt müssen, machen das mit: Arbeiter, Behördenmitarbeiter, Studenten/Schüler, Kranke. So wird eine 7-Minuten-Distanz zur einstündigen (oder längeren) Abenteuerfahrt - zeitraubend u. voller Gefahren. Der Zugang zu typischen, altersentsprechenden Freizeitaktivitäten ist den Kindern vom Lande verwehrt: die vielfältigen Aktivitäten, die die Städte noch anbieten können wie etwa Judo- oder Debka-Kurse, Englisch, Basketball, Schwimmen oder Kindertheater.

Die breiten Straßen auf der anderen Seite der Checkpoints, Straßen, auf denen nur Israelis fahren dürfen, sind zu einem mehr als nur passageren Symbol geworden. Diese schwarzen Asphaltbänder - so nah u. doch so fern - für die Kinder personifizieren sie Israels Macht, das Regime der Diskriminierung schlechthin. Sie hassen sowohl die Straßen, als auch die Fahrzeuge, die darauf verkehren - als Symbole der Diskriminierung. Von der Gefahr getötet zu werden ganz abgesehen, ist (für diese Kinder) die Gefahr einer Verhaftung allgegenwärtig. Auch in der Nacht wird verhaftet. Man stelle sich einen Trupp bewaffneter Soldaten vor: der Vater muss das Kind wecken, kaum erwacht, wird es an irgendeinen Verhörort verschleppt. Man befragt es zu den Steinwürfen, u. dann muss es etwas unterschreiben - auf Hebräisch, eine Sprache, die es nicht versteht. Manchmal verprügeln die Soldaten die Kinder auch. Dabei sind die Prügler u. die Prügelknaben oft nur wenige Jahre auseinander im Alter. Aber wenn man noch so jung ist (wie die palästinensischen Kinder), u. in einer derartigen Situation mitten in der Nacht, klafft doch eine riesige Kluft zwischen denen, die Macht ausüben u. denen, über die sie ausgeübt wird.

Jedes palästinensische Kind kennt (im Gegensatz zu den Israelis) - die Berichte über stinkende, überfüllte Gefängniszellen, in denen die Kinder zwischen einer Woche u. 3 Monaten festgehalten werden.

Und trotzdem sind sie immer wieder zur Stelle - mit einem Stein in der Hand. Haben sie Angst, für Feiglinge gehalten zu werden? Werden sie zur Gewalt verführt? Ist es kindlicher Nachahmungstrieb? Angabe? Langeweile? Zu wenig Freizeitangebote? Es ist etwas dran an diesen Argumenten - aber sie beinhalten nicht die volle Wahrheit. Da ist dieses Grundgefühl, das hinter allem steckt - wenn man dieses Grundgefühl nicht begreift, bleiben alle Erklärungen laienpsychologisch.

Will man etwas über dieses Grundgefühl lernen, so braucht man nur den Kindern zuzuhören: Der Junge ist 9, das Mädchen 10. Ihre Eltern tun alles, um das Leben ihrer Kinder so sinnvoll wie möglich zu gestalten u. sie mit normalen kindlichen Aktivitäten zu beschäftigen - um sie von der Gefahr fernzuhalten. Aber als man diesen beiden Kindern erzählt, ein paar junge Israelis säßen im Gefängnis, weil sie den Militärdienst in den 'Gebieten' verweigern, fragt der 9-jährige ganz verwirrt: "Gibt es denn wirklich Juden, die lieber ins Gefängnis geh'n, anstatt als Soldaten hierher zu kommen?" Und seine ältere Schwester sagt: "Sie lassen sich wohl lieber wegsperren, damit sie uns nicht wehtun können".

---

Anmerkung d. Übersetzerin:

Amira Hass neues Buch 'Gaza' ist jetzt auch auf Deutsch erhältlich. Eine Buchrezension gibt es hier
 

citriatus

Meister
Registriert
3. Mai 2003
Beiträge
210
kritischer Beitrag von Gehad Mazarweh, einem israelisch-arabischen Psychoanalytiker:

"In Israel groß zu werden, ist nicht leicht. Ich wurde erniedrigt, gedemütigt im Bus oder auf der Straße. Lange Jahre durften wir die Wohngebiete ohne Passierschein nicht verlassen.* Diese Verfolgung konnte ich nicht mehr verkraften und so beschloss ich, Israel zu verlassen. Es gab eine Familiendiskussion und schließlich war die Familie auch einverstanden. Das war mir sehr wichtig. Ich bin israelischer Staatsbürger und habe es nie bedauert was die meisten Juden in Israel nicht begreifen wollen** , dass ich ein stolzer Bürger dieses Landes bin. Ich verdanke der israelischen Gemeinschaft einen großen Teil meiner inneren Freiheit, meiner Vorstellung von Demokratie, obwohl uns die israelische Demokratie nicht immer zugute kam. Als ich Israel verlassen habe, stellte ich fest, dass die Schweiz, die sich neutral gibt, Vorurteile gegenüber Ausländern hat. Rassismus, Chauvinismus, Faschismus ist kein spezifisches Merkmal einer Nation. Israel ist meine Heimat und deshalb habe ich nach 40 Jahren noch meine israelische Staatsbürgerschaft."

Da geht es weiter:

http://www.klick-nach-rechts.de/gegen-rechts/2003/06/mazarweh.htm
 

samhain

Ehrenmitglied
Registriert
10. April 2002
Beiträge
2.976
Schluss mit den Schein-Evakuierungen

von Gideon Levy

Ha’aretz / ZNet 20.06.2003



Die Operation zur Evakuierung der Westbank-Außenposten, wie sie die Regierung Scharon gerade durchführt, ist eine Farce, die dem Friedensprozess schadet. Wäre besser, diese Scharade schnellstmöglich zu stoppen. Der Schaden ist viel, viel größer als irgendein möglicher Nutzen. Der Premierminister, die politische Rechte u. die Siedler sind die Einzigen, die einen Vorteil von dieser abstrusen Räumungs-Prozedur haben. Verlierer sind die Palästinenser, vor allem aber der Friedensprozess. Die Amerikaner sind an diesem Betrug als vollwertige Partner beteiligt. Auch sie sollten sich jetzt zusammenreißen u. erkennen, dass diese Absurdität für den Frieden nichts bringt. Wäre ich Palästinenser, ich würde möglichst rasch klarstellen - nein danke, das ist weder Evakuierung noch vertrauensbildende Maßnahme. Es ist vielmehr ein Betrug, der viel kosten wird. Denn hier geht es nicht um die Evakuierung echter Siedlungen oder - noch wichtiger - echter Siedler. Hier führt man eine Farce auf, bei der alle Schauspieler die Regeln genau kennen, während sie auf der Bühne ihre Rollen spielen. Einziges Ziel ist es, noch mehr Macht, noch mehr Sympathien zu bekommen. Um die Förderung eines politischen Prozesses geht es nicht. Der, der durch dieses verlogene Schauspiel am meisten profitiert, ist natürlich der Premier. Schon wieder ist die halbe Nation geneigt zu glauben, wir hätten es mit einem “neuen Scharon” zu tun, mit einer “komplexen” und “faszinierenden” Persönlichkeit, die sich “historisch gewandelt” hat, mit einem israelischen de Gaulle, mit dem Einzigen, der fähig ist, Frieden zu schließen.

Scharon hat ein paar Wohnwägen wegschaffen lassen und ein paar dutzend radikale Siedler von einem Punkt der besetzten Gebiete zum andern verschoben. Und schon jubelt man ihn hoch. Mit einer Hand scheint er zu evakuieren, mit der andern zu morden. Sein einziges Ziel - die amerikanische Regierung zufriedenzustellen - er hat es zum Nulltarif erreicht. Zwar ist die politische Rechte ein wenig verärgert, aber auch ihr ist klar, das alles hier ist nur Schein. Die Rechte weiß ganz genau, eine wirkliche Siedlung würde Scharon nie auflösen. Dadurch kann der Premier wieder der miese alte Scharon sein, der Hamas- Führer ermorden lässt, während gleichzeitig auf internationaler Ebene politische Bemühungen für eine Waffenruhe mit Hamas laufen. Und zum Ausgleich für die Pseudo- Evakuierungen tötet man 24 Palästinenser - in 3 Tagen, im Zuge einer Attentatswelle, die dem Frieden weit mehr schadet, als die Fake-Evakuierungen ihm nützen können. Wenn das hier die erste der “schmerzvollen Konzessionen” ist, von denen Scharon spricht, weiß ich nicht, wem hier Schmerz zugefügt wird.

Die Evakuierung der Außenposten nützt auch den (jüdischen) Siedlern. Ohne einen Preis zu zahlen, stehen sie erneut als Opfer da - als die Beraubten, die Enteigneten. Besonders zynisch ist aber dieses Heulen und Wehklagen über jeden rostigen, alten Wohnwagen, der weggeschafft wird. Sie wissen, je lauter sich sich beklagen, desto weniger wird man künftig von ihnen verlangen, desto mehr wächst die öffentliche Sympathie für sie. Das ist von jeher ihre Strategie: jammern - egal, über was - etwas aus den andern herauspressen. Die Bilder der über die Erde geschleiften Siedler nützen ihnen. Die meisten Israelis sehen es nicht gerne, wenn die eigenen Leute gewaltsam weggeschleift werden. Der semi-gewaltätige Widerstand gegen die Evakuierung der Außenposten - die meisten dieser Außenposten sind ja einzig zum Zweck dieses Schauspiels errichtete Kulissen -, könnte viele überzeugen, dass es nie eine echte Chance geben wird, die Siedlungen ohne massives Blutvergießen zu evakuieren. Denn, wenn es schon so schwierig ist, den Außenposten auf ‘Bachelor’s Hill’ zu evakuieren, wie wird es erst bei Ofra, Ma’ale Aduminm oder Ariel sein?

Ein Nebenaspekt der Evakuierungen: Schön zu sehen, dass die Israelische Armee, Grenzpolizei u. Polizei noch nicht ganz vergessen haben, wie man sich in den Besetzten Gebieten mit Demonstranten auseinandersetzt, ohne diese gleich mit Schusswaffen zu töten. Sind sie je so mit palästinensischen Demonstranten umgegangen? Und es ist auch gut zu wissen - bei demonstrierenden Juden kann unser Oberster Gerichtshof sehr wohl aktiv werden und vorläufige Verfügungen erlassen. Der Staatsanwalt lädt sogar zur Anhörung. Die meisten Klagen von Palästinensern, deren Häuser abgerissen werden sollen, weist man üblicherweise ab. Handelt es sich jedoch um Juden, kennt der Oberste Gerichtshof seine Pflichten.

Die Evakuierung sämtlicher (jüdischer) Siedlungen ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einem gerechten Frieden. Die Evakuierung der Außenposten, wie letzte Woche durchgeführt, ist hingegen kein Schritt in Richtung Evakuierung der Siedlungen - im Gegenteil, es ist ein Hindernis auf diesem Weg. Ginge es Israel wirklich um Frieden und Vertrauensbildung gegenüber den Palästinensern, man hätte ein paar echte Siedlungen evakuiert - Siedlungen, deren Räumung von einem breiten öffentlichen Konsens getragen wird. Gaza zuerst - beispielsweise wären all jene skandalösen Siedlungen im Gazastreifen zu evakuieren, die einen hohen Blutzoll fordern - sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite, wäre ein guter Start. Die USA hätten das schon längst von Scharon fordern sollen. Die israelische Öffentlichkeit würde diese Evakuierungen auch akzeptieren und mit Verständnis begleiten; und den Palästinensern hätte man auf die Weise vermitteln können, dass sie einen echten (Verhandlungs-)Partner haben. Falls selbst das den Premierminister überfordern sollte, er aber an Fortschritt interessiert wäre - wie es die Heralde des “neuen Scharon” verkünden -, hätte es auch andere Möglichkeiten zu vertrauensbildenden Maßnahmen gegeben. So hätte er beispielsweise die unwürdigen Lebensbedingungen der Palästinenser massiv verbessern können. Er hätte die hunderten Straßensperren innerhalb der ‘Gebiete’ aus dem Weg räumen können. Er hätte viele der politischen Gefangenen freilassen können. Das hätte Abu Mazen geholfen, seine Position zu festigen - was die USA u. Israel ja von ihm wollen. Und Mazens Volk hätte man dadurch Hoffnung gegeben. Es wäre ein Signal gewesen, wir wolllen den Frieden wirklich.

Straßensperren oder Wohnwagen? In der momentanen Situation wäre es besser, zunächst die Straßensperren zu entfernen. Lasst die “Jugendlichen auf dem Hügel” sich ruhig austoben - bis Israel sich wirklich entschließt, die Siedlungen zu räumen.
 

BrettonWoods

Meister
Registriert
5. Juni 2003
Beiträge
327
Im Schutze der Rechtschaffenheit
von Shulamit Aloni

Frau Aloni ist Mitglied der israelischen Meretz-Partei. Sie war früher Ministerin in Israel, zudem Mitglied der Knesset.

Nein, wir betreiben keine Gaskammern und keine Krematorien. Aber wer sagt denn, dass ein Genozid immer nach dem gleichen Muster ablaufen muss?

Dr. Ya'akov Lazovik schreibt ('Academic Genocide', ein Artikel in der Ha'aretz vom 4. März), in einem Staat wie Israel sei es undenkbar, dass das Regime, die Nation, einen Genozid plant u. durchführt. Spricht aus seiner Aussage Naivität oder Selbstgerechtigkeit - schwer zu sagen.

Wir alle wissen, für Mord gibt es nicht nur eine einzige, ganz bestimmte Methode - nicht mal, wenn es sich um Genozid handelt. So schreibt der Autor Y.L. Peretz von der "selbstgerechten Katze", die kein Blut vergießt, weil sie all ihre Opfer erwürgt.

Die Regierung Israels hingegen - indem sie das Militär u. dessen Zerstörungspotentiale zum Einsatz bringt -, vergießt Blut u. erwürgt gleichzeitig. Oder wie anders nennt man das, wenn jemand eine 1-Tonnen- Bombe über dichtbesiedeltem städtischem Gebiet abwirft u. als Rechtfertigung anführt, wir wollten doch einen gefährlichen Terroristen und seine Frau zur Strecke bringen? Der Rest der getöteten und verletzten Bürger zählt natürlich nicht - Kinder u. Frauen darunter. Oder wie ist Folgendes zu erklären: Da werden in einer Regennacht um 3 Uhr morgens Bürger aus ihren Häusern geholt, dann verlegt man in ihren Häusern Bomben, verschwindet ohne Warnung, und als die Vertriebenen in ihre Häuser zurückkehren, werden die Bomben aktiviert. Das ist doch brutaler Mord - zudem Zerstörung von Eigentum.

Und was bringen sie als Rechtfertigung vor für das, was in Dschenin geschah? Wir haben doch nicht das ganze Viertel in die Luft gesprengt, lediglich 85 Häuser; kein Massaker, nur etwa 50 Bürger haben wir getötet. Wieviele Menschen muss jemand eigentlich töten und wieviel Zerstörung verursachen, bevor man von einem Verbrechen spricht - von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß den Gesetzen des Staates Israel (und nicht nur gemäß belgischem Gesetz)?

Noch ein Beispiel: Eine ganze Stadt (Hebron) wird abgeriegelt, eine ganze Stadt erhält Ausgangssperre, nur damit ein paar Zelebranten dieser rassistischen (Siedler-)Bande von Hebron zur Höhle der Vorväter (Grab der Patriarchen) marschieren können. Marktstände mit Obst u. Gemüse werden von Panzern zerstört, Bulldozer reißen ganze Häuser ab, u. ein paar Generäle in ihrer arroganten Hybris sind sogar noch geneigt, das ganze Stadtviertel abzureißen, und das alles nur für ein paar jüdische Siedler-Hooligans.

Ausgangssperren, Abriegelungen, Brutalität, Mord, die Zerstörung von Verdächtigen-Häusern - und trotz allem beschwören wir weiterhin papageienhaft jenen Satz: eine Person ist unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils (zumindest wenn es sich um unsern Premier u. seine Söhne handelt).

Der Befehl, den Ariel Scharon damals an die Soldaten auf ihrem Weg zur Rachemission in Qibiah* ausgab: "Bringt maximale Verluste an Leben und Eigentum bei" - er blieb bis heute unvergessen. Die drei Generäle - Scharon, Mofaz u. Yaalon - die unsere Regierungspolitik lenken, führen sich auf wie jene selbstgerechte Katze: strangulieren - alles wird abgewürgt. Eine Ausgangssperre folgt auf die nächste, Verhaftungen, immer noch mehr Verhaftungen. Man zerstört Straßen, und an den Straßensperren misshandelt man die Einwohner. Und wie sagte doch Benny Alon (Minister der derzeitigen Regierung): man solle "ihnen das Leben so bitter machen, dass sie sich freiwillig selbst transferieren". Das alles geschieht auf tagtäglicher Basis - hinzu kommen jene Zerstörungen, die unser Oberster Stabschef Yaalon als "Zerstörung für den Wiederaufbau" bezeichnet hat. Aus seinen Taten ist abzuleiten, was er unter "Wiederaufbau" versteht: den Bau immer neuer (jüdischer) Siedlungen.

Das Militär will vermeiden, sich als Militärverwaltung um die Belange der Einwohner kümmern zu müssen, also machen sie nur einen Ausfall u. ziehen sich dann gleich wieder zurück. Sie fallen in ein Dorf ein, töten, zerstören, verhaften ein paar Leute u. ziehen sich dann wieder zurück. Diejenigen die zurückbleiben - in der Asche der Ruinen - müssen sehen, wo sie bleiben.

Vielen unserer Kinder bringen sie in den Religionsschulen indoktrinativ bei, die Araber seien die Amalekiter - und Amalek, so lehrt uns ja die Bibel, muss zerstört werden. Schon gibt es einen Rabbi (Israel Hess), der in der Zeitung der Bar-Ilan-Universität schreibt, wir sollten alle zum Mittel des Genozids greifen, denn seine Forschung hätte ergeben, die Palästinenser sind die alten Amalekiter. Nichtsdestotrotz plant unsere Nation nicht den Genozid. Unsere Nation interessiert sich überhaupt nicht dafür, was in den 'Gebieten' vor sich geht. Alles was die Nation tut, ist die Befehle der legitimierten Repräsentanten unseres Regimes zu befolgen. Aber seit jener legitimierte Premierminister, der den Frieden bringen wollte, ermordet wurde, sitzt der Finger am Abzug locker, herrscht ungezügelte Raffgier u. findet sich stets ein Grund, eine Zehn- oder Hunderttausend-Einwohner-Stadt samt all ihrer Bewohner zu terrorisieren. Schließlich stehen immer ein paar Einwohner auf der "Gesuchtenliste". Und ein einzelner Gesuchter reicht, um - irrtümlicherweise natürlich - Frauen, Kinder, Arbeiter u. andere Menschen (falls man sie tatsächlich noch als 'Menschen' bezeichnet) zu bombardieren u. zu killen.

Aber wir, die Selbstgerechten, selbstverliebt in unsere eigene "jüdische Ethik", geben anschließend damit an, wie fantastisch sich unsere Ärzte in den Kliniken um die palästinensischen Opfer kümmern. Um was wir hingegen weit weniger Wirbel machen, ist die Tatsache, dass viele der Opfer kaltblütig in ihren eigenen vier Wänden exekutiert wurden.

Nein, noch handelt es sich nicht um einen Genozid jener einzigartig- schockierenden Art, dem damals wir zum Opfer fielen. Einer der schlauen Generäle sagte mir, wir besäßen doch keine Gaskammern und Krematorien. Heißt das im Umkehrschluss, alles, was eine Ebene darunter verläuft, verträgt sich mit jüdischer Ethik? Hat der General je von einem Volk gehört, das in seiner Gesamtheit behauptete, es habe nicht gewusst, was in seinem Namen geschah?

Anmerkung d. Übersetzerin

*1953, also genau vor 50 Jahren, war Ariel Scharon Kommandeur einer israelischen Einheit, die im jordanischen Dorf Qibiah rund 70 Zivilisten massakrierte.
 

Ähnliche Beiträge

Oben