Kungel-Kapitalismus
Die Arbeitnehmer müssen das Marktrisiko übernehmen. Und die Konzernchefs?
Von Uwe Jean Heuser
Klassenkampf in Deutschland? Siemens vereinbart mit seinen deutschen Handyfertigern unbezahlte Mehrarbeit, und DaimlerChrysler droht 6000 schwäbischen Arbeitern mit dem Aus, wenn sie künftig nicht Privilegien von einer halben Milliarde Euro im Jahr aufgeben. Die Chefs der verschiedensten Unternehmen wollen ähnliche Angebote machen, die man nicht ablehnen kann.
Nein, das ist die Marktwirtschaft. Die Volkswirtschaft ändert die Richtung nach zwanzig Jahren Mut- und Maßlosigkeit. Und ganz untypisch für dieses Land, geht alles blitzschnell. Vergangenes Jahr scheiterte die IG Metall noch mit dem Versuch, dem Osten die 35-Stunden-Woche überzustülpen. Nun zerschlägt der größte deutsche Konzern auch im Westen die Illusion von der festen Arbeitsmenge, die es nur fair zu verteilen gelte – ausgerechnet in Sindelfingen, wo die Gewerkschaft ihre Macht einst mit dem »Spätschichtzuschlag« ab zwölf Uhr mittags symbolisierte.
Und doch wird man das mulmige Gefühl nicht los, als trumpften dort die Falschen auf. Müssen die Daimler-Oberen unbedingt den Macho geben und ihre Mitarbeiter mit dem Verweis auf die »schwäbische Krankheit« wütend machen? Und können sie guten Gewissens die Leute unten in der Hierarchie zum Verzicht anhalten, nachdem sie sich selbst fette Saläre verschafften, während der Börsenwert um mehr als 60 Prozent abstürzte? Hier wabert der Geruch von Ledersesseln und Zigarrenrauch, der nicht zu einer Wirtschaft passt, die sich der Leistung und dem Risiko verschreibt.
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All das konnte die Aufseher bei Daimler im Frühling nicht davon abbringen, noch vor der Hauptversammlung den Vertrag des angeschlagenen Vorstandsvorsitzenden bis 2008 zu verlängern – ein Jahr bevor der alte Vertrag ausläuft. Auf diese Weise halten sich Aufsichtsratschef Hilmar Kopper und Schrempp gegenseitig an der Macht. Doch auch genau der Betriebsratschef, der nun auf die Barrikaden ging, war dabei. »Der Vorstandsvorsitzende soll seinen Job zu Ende bringen«, trompetete Erich Klemm im Februar.
Alle haben Schuld – mithin keiner. Nach diesem Prinzip funktioniert die Deutschland AG, die nun zerbricht. Immer noch werden viele Ex-Chefs automatisch zum obersten Aufsichtsrat – selbst Rolf-Ernst Breuer, Vorgänger von Josef Ackermann an der Spitze der Deutschen Bank, der mit seiner Plapperei über die Kreditwürdigkeit des Großkunden Kirch die größte Bankersünde überhaupt beging. Und immer noch weigern sich mehr als zwei Drittel der Dax-Unternehmen, die Gehälter der einzelnen Vorstände preiszugeben. Wer hinter dieser Forderung nach Transparenz den Neid der Besitzlosen vermutet, hat etwas zu verbergen.