Ein Gedanke zum 11. September
Betroffenheit ist ausverkauft. Alle! Nichts mehr da. Kriegen wir auch nicht wieder rein. Wir haben nach dem 11. September all unser Mitleid, Solidarität und Heuchelei den Amerikanern in den gierigen Schlund geworfen. Abgestumpft von ins Hirn gestanzten Bildern - ausgelaugt von Beileidsbekundungen - Berichte über Retter und Attentäter - Reden und Gerede, ist unsere Mauer aus Ignoranz gegenüber den täglichen Katastrophen nicht mehr zu durchdringen. Dabei bedarf es gar keinen Wolkenkratzer, einem Mohammed Atta, einer Live-Übertragung um das Heulen zu kriegen. Kratzer auf der Seele kann man sich jederzeit und überall holen. Man muß nur den Mut haben, einmal richtig hinzuschauen.
Ein Kind stirbt!
Nein, das ist nicht korrekt ausgedrückt. Es verreckt, krepiert, siecht dahin.
Langweilig, weil so unspektakulär. Gleich fällt es um und um den Rest kümmern sich die Aasgeier.
Keine Boeings, kein Pathos, keine Sprünge aus dem 89 Stockwerk.
Keine Action! Nicht mal ein Aufruf zur kollektiven Betroffenheit.
Langweilig! Es schreit ja nicht mal. Nur das Summen der Schmeißfliegen. Igitt!
Wo ist die Mutter?
Vielleicht bleichen ihre marmorierten Knochen auch schon in der sengenden Sonne Afrikas. Oder sie hat das Fehlen ihres Kindes noch gar nicht bemerkt. Die haben ja so viele. Nichts zu fressen, aber rammeln wie die Karnickel.
Von wegen "fett füttern" und dann kommen die alle hier hin und nehmen uns die Arbeit weg.
Man könnte helfen!
Quasselquark! Die Spenden versickern doch in dubiosen Quellen oder in den Verwaltungen der Hilfsorganisationen. Und wofür soll man denn noch alles spenden?
Hochwasseropfer, Tierheim, Frauenkirche. Ja, ist denn schon wieder Weihnachten?
Hilfe bedeutet neue Abhängigkeit. Wir hatten nach dem Krieg ja auch nichts.
Nein, dafür gibt es keine Solidarität.
Keinen Gedenktag, keine Paraden, nicht mal einen kleinen Börsencrash.
Die Flaggen sind auf halbmast, aber nicht für dich, kleines Mohrenkind.
Der Feuerwehrmann, der dich rettet, würde nie zum Mythos werden.
Eine betroffene Politikerfresse zu deinem Schicksal keine Wählerstimmen bringen.
Nein, keine Erhöhung der Tabaksteuer für dein Leben.
Angriffskriege, Vergeltungsschläge, Solidaritätsbekundungen gibt es nur für Konsumeinheiten.
Du konsumierst nicht.
Du verreckst, krepierst, siechst dahin.