Bananenrepublik Deutschland

agentP

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Von diesem Tag an hat Deutschland kein verfassungsgemäßes Bundeswahlgesetz mehr. Das Bundesverfassungsgericht hat vor drei Jahren wesentliche Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt und den Bundestag bis spätestens 30. Juni 2011 zur Neuregelung verpflichtet. Aber was kümmert es die Politik, wenn das höchste deutsche Gericht ihr befiehlt, das Fundament des Systems zu sanieren? Offensichtlich nicht mehr als die Eiche, wenn ein Schwein sich an ihr kratzt.
http://www.fr-online.de/politik/meinung/der-verhoehnte-waehler/-/1472602/8561012/-/

In der Wirtschaft dürfte jeder Manager, der eine derart wichtige Frist versemmelt seinen Hut nehmen. Jeder Angestellte müsste sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich weigert seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Im Klartext: Arbeitsverweigerung und damit Kündigung und evtl. Schadenersatz.

Ich bin ehrlich gesagt nicht mal in der Lage einzuschätzen, ob das nun Dummheit, Unfähigkeit, Chuzpe oder Kalkül ist, was da läuft.
Für die Schwarz-Gelbe Regierung ist es ein reines Armutszeugnis und die Grünen dürfen weiter Hase und Igel spielen:

Und doch hat die Zeit dem Parlament nicht gereicht. Sie hat nicht gereicht, obwohl die Grünen bereits vor der Bundestagswahl 2009 einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der allen Anforderungen entsprach.
Wäre ich Grüner, ich würde nur noch lauthals Freudenlieder vor mich hinsummen. Kann es etwas schöneres geben: Man macht einfach Dienst nach Vorschrift, hält den Ball flach und wartet ab, dass sich die politischen Gegner selber zerlegen.
Gerhard Schröder hatte seine Flutkatastrophe, die ihm überraschenden Rückenwind bescherte, die Grünen haben Merkel und Westerwelle.
 

Ein_Liberaler

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Meines Wissens liegt es an der Absicht, die Opposition mit ins Boot zu holen, um das Wahlgesetz auf eine breitere Grundlage als die Regierungsmehrheit zu stellen. Mit der Opposition konnte allerdings keine Einigung erreicht werden.

Dummheit, Frechheit, Kalkül? Das frage ich mich auch immer.
 

agentP

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Ja, weil meines Wissens die Vorschläge der Union entweder das Problem nicht völlig lösen oder sogar der CSU einen Vorteil verschaffen. Wenn man nämlich alle zwischen den Landeslisten ausgleichen müssen, dann ist es fein, wenn man nur eine Landesliste hat.
Man könnte natürlich auch einfach den Entwurf der Grünen nehmen, den auch unabhängige Verfassungsrechtler schon mehrfach gelobt haben. Ich nehme an darauf könnte man sich sehr wohl ganz fix mit der Opposition einigen. :)
Oder andersrum: Als Opposition würde ich auch den Teufel tun mich mit der Regierung auf einen unausgegorenen Entwurf zu einigen, wenn ich selber einen passenden längst in der Schublade habe.

Hier noch ein Interview mit dem Berliner Staatsrechtler Hans Meyer, der ebenfalls deutliche Worte findet:

Schwarz: Das heißt natürlich, für die großen Parteien sind Überhangmandate von Vorteil. Hat deshalb die Union bei der Wahlreform auf die Bremse gedrückt?

Meyer: Ja, selbstverständlich. Sie wollen unbedingt ihre Überhangmandate beibehalten und haben auch bisher, was man so hört, eine Idee vorgelegt, die das auch garantiert. Das ist ja auch klar, aus ihrem Interesse her müsste sie das machen. Nur mit der Verfassung hat das überhaupt nichts zu tun.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1478888/
 

Ein_Liberaler

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Ja, weil meines Wissens die Vorschläge der Union entweder das Problem nicht völlig lösen oder sogar der CSU einen Vorteil verschaffen.

Ja, wenn man mögliche Erfolge der CSU als das Problem ansieht... :lol:
 

agentP

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Erfolge aus eigener Kraft sind sicher kein Problem, Erfolge durch eine systemische Bevorteilung im Wahlrecht vielleicht schon. ;-)

Was mir gar nicht so klar war, ist dass neben dem 2005er Urteil bezüglich des negativen Stimmgewichts noch ein älteres von 1997 existiert, das auch die Überhangmandate an sich nur für Verfassungskonform ansieht, solange sie nicht regelmässig bei jeder Wahl auftreten, was aber der Fall ist. Meines Wissens werden es ja sogar ständig mehr.
Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der Koalition natürlich eine noch größere Frechheit.
 

agentP

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Ein_Liberaler schrieb:

Davon gehe ich aus:

Ja, es ist eindeutig eine Tendenz, und was die jetzige Koalition, die die natürlich behalten will, wenn es irgend geht, übersieht, ist, dass dieses Urteil, das damals 1997 gefällt worden ist, durchaus einen Vorbehalt gemacht hat - obwohl sowieso nur vier Richter dafür gestimmt haben -, einen Vorbehalt gemacht hat, indem sie gesagt haben, dass wenn die Verhältnisse sich so ändern, dass regelmäßig viele Überhangmandate anfallen, dann ist das unzulässig.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1478888/

Die Frage ob wir eine Tendenz haben, dass regelmässig viele . Überhangmandate haben lässt sich mit der Tabelle ganz gut abschätzen:

http://www.wahlrecht.de/ueberhang/ueberhist.html

Was auch immer "viele" genau heisst:
In den 40 Jahren bis zur Wiedervereinigung lag der Rekord bei 5 Überhangmandaten.
Als das Urteil 1997 gesprochen wurde gab es aus der Wahl von 1994 16 Überhangmandate, aktuell sind es 40 (!).
 

agentP

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Stimmt. Bin in der Zeile verrutscht und habe 2005 und 2008 addiert. :)
 

Simple Man

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Ist ja nun nicht so, dass koalitionsintern nicht Vorschläge diskutiert wurden und werden:

Wahlrecht.de: "Wahlrechtsreform? Zusätzliches negatives Stimmgewicht durch Koalitionsvorschlag"

^^

Ansonsten siehe auch hier:
SpiegelOnline: "Parteien blamieren sich mit Wahlrechtsreform"
Das Verfassungsgericht hat ein neues Bundestagswahlrecht gefordert - doch Schwarz-Gelb hat die Reform vertrödelt. Eine fristgerechte Einigung ist jetzt nicht mehr möglich, Deutschland steht bald ohne verfassungsfesten Abstimmungsmodus da. An der Schlappe will keiner schuld sein.
Ein extrem komplexes Thema, Rücksicht auf die Opposition, ein widerwilliger Koalitionspartner: Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim sieht in dem Versagen, innerhalb von drei Jahren keine Lösung für eine Wahlrechtsreform zu finden, vor allem eines: "Es handelt sich hier um eine eminente Machtfrage. Es geht den Parteien so intensiv um ihren Machterhalt, dass sie sich noch nicht einmal scheuen, sich öffentlich zu blamieren." Die Union habe ein großes Interesse an den Überhangmandaten - bei den nächsten Wahlen könnten diese den Ausschlag für die Regierungsbildung geben, so Arnim.
 

Simple Man

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Nun gab es ja neue Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht:
Die Zeit.de: "Verfassungsgericht verwirft schwarz-gelbe Wahlreform"
Das erst 2011 beschlossene Wahlrecht verstößt gegen das Grundgesetz. Nur noch bis zu 15 Überhangmandate sind zulässig. Bis zur Bundestagswahl muss ein neues Gesetz her.

Und die Lösung der Union? Dem Bundesverfassungsgericht verbieten, da Vorgaben machen zu dürfen:
FTD.de: "Union will Karlsruhe Kompetenz für Wahlrecht wegnehmen"
Die Union plädiert dafür, dem Verfassungsgericht per Grundgesetzänderung die Zuständigkeit für das Wahlrecht wegzunehmen.

:honk:
 

Brugrimm

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Wie lange haben wir über eine Chance geredet die vor uns steht, um eine Situation in Deutschland zu beeinflussen. Und was sehe ich, die islamkritische Partei die Freiheit hat bei der bayrischen Landtagswahl 0,1% der Stimmen bekommen. Warum berauben wir uns selbst die Möglichkeit den Islamischen Faktor nicht alleine, sondern mit Hilfe der Partei zu bekämpfen. Alle plärren, dass Stammtischgerede helfen nicht, man soll aktiv handeln, sonst kommt kein Stein ins Rollen. Und als Endresultat keine Spur etwas zu ändern. Und wenn der deutsche Bürger sein Kreuzchen nicht für die Partei, die unsere Interessen vertritt, stellt, kommen wir zum Nullresultat. Guckt mal zur Bürgerbewegung pro Deutschland, die will eine harte Asylpolitik durchführen. Wollen wir doch weniger Migranten? Ja, das wollen wir! Wir haben noch Zeit, geben wir uns eine Chance bei der BTW, na los!
 

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