Zurück ins Mittelalter?

antimagnet

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um die gegenposition etwas zu stärken (ja, ich wäre auch in der lage mit selber zu diskutieren, und das teilweise äußerst kontrovers):

die falsifizierbarkeit der evolutionstheorie ist in der tat ziemlich tricky (wenn ich mich recht entsinne, ist sogar der master of falsifizierbarkeit, karl popper himself, mal da drüber gestolpert; hat sich aber wieder gefangen). denn im prinzip sagt die evolutionstheorie: was besser angepasst ist, pflanzt sich fort - und was sich fortpflanzt, war wohl besser angepasst. ein klassischer zirkelschluss, nicht falsifizierbar. (es lassen sich aber auch noch andre, falsifizierbare hypothesen aus der evolutionstheorie ableiten). ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber vielleicht wäre auch paradigma ein bessres wort für evolutionstheorie als theorie. beim intelligenten schöpfer - egal, ob göttlich oder nicht (was denn dann eigentlich?) fallen mir aber keinerlei falsifizierbare hypothesen ein.

ansonsten: wenn wir hier von wissenschaft sprechen, meinen wir (oder zumindest ich) natürlich empirische wissenschaften. früher war ich da dogmatischer und habe vehement die meinung vertreten, dass nur diese wissen-schaft im genuinen wortsinn seien (denn nur die empirische vorgehensweise schafft echtes wissen), aber mittlerweile bin ich da etwas altersmilder geworden und zähl auch mal diese komischen geisteswissenschaften zu den wissenschaften. weiß nicht, ob die geisteswissenschaftler auf falsifizierbarkeit bestehen, wenn sie doch eh nie überprüfen wollen, ob "das" in echt so ist.

davon ab: wissenschaft ist halt auch nicht alles. subjektive/naive/alltags- theorien dürfen natürlich widersprüchlich, tautologisch, zirkelschlüssig, teleologisch, unfalsifizierbar und wasweißichnochalles sein, aber die haben ja auch nicht den zweck, echtes wissen zu schaffen, sondern den menschen, der dran glaubt, möglichst geschmeidig durchs leben zu führen. würden wir alles mit wissenschaftlicher akkuratesse betrachten wollen, wir bekämen ja noch nicht mal ne suppe gekocht. evolutionär betrachtet also höchst sinnvoll, dass die alltagstheorien viel zu simplifizierend gestrickt sein dürfen.
 

Gammel

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antimagnet schrieb:
die falsifizierbarkeit der evolutionstheorie ist in der tat ziemlich tricky (wenn ich mich recht entsinne, ist sogar der master of falsifizierbarkeit, karl popper himself, mal da drüber gestolpert; hat sich aber wieder gefangen). denn im prinzip sagt die evolutionstheorie: was besser angepasst ist, pflanzt sich fort - und was sich fortpflanzt, war wohl besser angepasst. ein klassischer zirkelschluss, nicht falsifizierbar.

Ist dies denn nicht eher die Definition, was mit 'angepasst' im Sinne der Evolution gemeint ist ?
Oder wie definierst du sonst 'angepasst'. Da kann sonst alles mit gemeint sein.

Das der 'angepassteste' sich fort pflanzt ist dann keine Vorhersage der Evolutionstheorie, sondern eine Klärung/Definition der benutzten Begriffe.
 

Themis

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antimagnet schrieb:
die falsifizierbarkeit der evolutionstheorie ist in der tat ziemlich tricky (wenn ich mich recht entsinne, ist sogar der master of falsifizierbarkeit, karl popper himself, mal da drüber gestolpert; hat sich aber wieder gefangen). denn im prinzip sagt die evolutionstheorie: was besser angepasst ist, pflanzt sich fort - und was sich fortpflanzt, war wohl besser angepasst.
Habe durch Zufall einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung entdeckt:

Die Fliegen lernen bei diesem Versuch, die gute von der bitteren Marmelade zu unterscheiden. Aber nur jene Weibchen, die sich noch drei Stunden später an die Lektion erinnern und auf Anhieb die richtige Marmelade wählen, dürfen sich fortpflanzen. Dieses Experiment wiederholt Kawecki wieder und wieder: Nach zwei Dutzend Generationen ist tatsächlich eine Variante von Fliegen entstanden, die schneller lernen als ihre Vorfahren und das Gelernte länger behalten.

Doch wenn es so einfach ist, warum sind dann draußen in der Natur nicht längst massenhaft intelligente Superhirnfliegen entstanden? Der Grund hierfür ist: Die verbesserte Hirnleistung hat einen Preis, wie Kawecki herausgefunden hat. Die Larven dummer Fliegen wachsen schneller - bei knappem Futter ist das ein klarer Überlebensvorteil. "Offensichtlich gibt es in der Natur nichts umsonst", sagt Kawecki.
link
Natürlich fehlt in dem 4seitigen Artikel eine detailliertere Beschreibung zum Aufbau des Experimentes, jedoch scheint der Tadeusz Kawecki den "Zirkelschluß" wahrhaftig durchbrechen zu können (wenn man dem Artikel glauben darf).
 

agentP

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Natürlich fehlt in dem 4seitigen Artikel eine detailliertere Beschreibung zum Aufbau des Experimentes, jedoch scheint der Tadeusz Kawecki den "Zirkelschluß" wahrhaftig durchbrechen zu können (wenn man dem Artikel glauben darf).

Ich kann mir vorstellen, dass das Problem mit der Überprüfbarkeit ein Stück weit daran liegt, dass es schwierig ist eine "saubere" Hypothese aufzustellen, wenn aufgrund der Komplexität von Einflüssen aller Art nie so richtig abzusehen ist, wie die "Anpassung" hinterher aussehen wird.

In dem Versuch wird nachgewiesen, dass sich ein Merkmal durchsetzt, wenn man im Labor idealisiert und Fliegen mit einem bestimmen Merkmal einen Reproduktionsvorteil verschafft. In der Natur setzt sich aber dann wohl doch ein anderes Merkmal durch, das sich vermutlich nur schwer vorhersagen lässt und man wieder nur hinterher quasi im Rückblick sagen, was letztendlich passiert ist.
 

dkR

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antimagnet schrieb:
um die gegenposition etwas zu stärken (ja, ich wäre auch in der lage mit selber zu diskutieren, und das teilweise äußerst kontrovers):

die falsifizierbarkeit der evolutionstheorie ist in der tat ziemlich tricky (wenn ich mich recht entsinne, ist sogar der master of falsifizierbarkeit, karl popper himself, mal da drüber gestolpert; hat sich aber wieder gefangen). denn im prinzip sagt die evolutionstheorie: was besser angepasst ist, pflanzt sich fort - und was sich fortpflanzt, war wohl besser angepasst. ein klassischer zirkelschluss, nicht falsifizierbar.
Du läßt die expermientellen Daten zur Mutation/Artbildung unter Selektionsdruck außer acht.
Evolution (Anpassung über Resistenzen) unter Selektionsdruck bzw. Wegnahme von Selektionsfaktoren kann man relativ billig im Labor nachzüchten - letzteres ist fast noch viel toller. Da läuft man allerdings zwangsweise in das schon hier und in meinem Blog erwähnte Problem des Artbegriff bei Organismen, die sich nicht-sexuell fortpflanzen. Und bei größeren Viechern läuft man in das Proble, dass das alles so endlos ewig dauert. Würde man die Mutationstheorie falsifizieren, fällt die ET in sich zusammen, was nicht geht, da Mutationen einfach eine Tatsache sind.
denn im prinzip sagt die evolutionstheorie: was besser angepasst ist, pflanzt sich fort - und was sich fortpflanzt, war wohl besser angepasst.
Man kann auch anderweitig ausgerottet werden, natürlich läuft das im Prinzip auf Fortpflanzung hinaus, aber wieso sich eine Spezies nicht ausreichende Fortpflanzt ist nicht zwangsläufig monokausal.
Selektionsdruck läßt sich leider nicht vernünftig quantifizieren, das macht die experimentelle Seite nicht ganz einfach.
 

agentP

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Selektionsdruck läßt sich leider nicht vernünftig quantifizieren, das macht die experimentelle Seite nicht ganz einfach.


Wunderbar. Genau auf den Punkt, was ich heute morgen so unbeholfen versucht habe in Worte zu fassen. (Vermute ich zumindest). :lol:
 

Gilgamesh

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Um was für ein Selktionsdruck handelte es sich denn beim Menschen, dass dieser sich in den letzten 60 Tausend Jahren mehr entwickelte, als z.B. der Ameisenbär oder der Hai in den letzten 60 Mio Jahren..?
 

agentP

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Inwiefern hat sich denn der Mensch in Bezug auf sein artspezifisches Erbgut wesentlich mehr entwickelt, als der Ameisenbär oder der Hai?
 

InsularMind

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Genau. Oder die Küchenschabe, oder der Röhrenwurm, die Sumpfbirke, der Hefepilz... Sie sind alle nur Varianten, die sich für ihre Verhältnisse gleich 'weit' entwickelt haben, würde ich sagen.
Wer's nicht glauben kann, soll's doch einfach mal mit einer Amöbe aufnehmen, und versuchen, um seinen Milchshake herumzufließen.
:geifer:

Diese evangelismusschwere Entwicklung in den USA ist für mich ein guter Grund, um dort nicht mehr zu leben zu wählen. Irgendwann schaffen sie die Medizin ab, weil sie gegen grundreligiöse Ideen verstößt, oder sie fangen wieder damit an, hirsutismusbetroffene Leute zu jagen und zu töten, weil sie deren Erbproblem für eine Verursachung durch Teufelsbesessenheit halten. Die armen Rothaarigen bemitleide ich jetzt schon. Und alle, denen die Zehen über Kreuz stehen, weil sie zu lange viel zu enge Schuhe tragen mussten, weil sie gern etwas von Hexen haben könnten.
 

agentP

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In den Bundesstaaten wo die Evangelikalen genug Einfluss haben um sich in dem Punkt durchzusetzen, würde ich allerdings noch aus einer Menge anderer Gründe nicht leben wollen. Da wo sie keinen Einfluss haben, stehen Forschungszentren für Evolutionsbiologie von Weltrang.
Wird sicher interessant, wie sich das Thema weiterentwickelt ohne den Rückhalt einer Bundesregierung, die die religiöse Rechte offen hofiert.
 
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