streicher schrieb:
Führt also eine Person schlicht durch Übungen oder durch Einnahme von Stoffen sein Gehirn dazu, dass es ihm sozusagen "Streiche" spielt?
Wir neigen anzunehmen, unsere Wahrnehmung liefe als laufender, objektiver Prozess ab, vergleichbar einer 2-kanaligen Farbvideokamera mit 3-dimensionaler Abbildung + 2-kanaligem Audio. Das ist nicht der Fall.
Bereits in der Netzhaut wird begonnen, die gemessenen Potentiale der Sehzellen einer ersten Verarbeitung zu unterziehen. Dabei werden 90% der Information als "irrelevant" verworfen, nur rund 10% der Informationen werden vom Gehirn einer weiteren Verarbeitung zugeführt. Der Grund: Das Gehirn wäre mit der Verarbeitung aller Informationen schlicht überfordert.
Bereits an dieser Stelle erfolgt eine Interpretation der zu filternden Informationen. Um Fehlinterpretationen zu erzeugen, braucht es nicht einmal Übungen oder gar Drogen. Es reicht, wenn das darzustellenden Objekt einfach in hohem Maße "unwahrscheinlich" ist und mutmaßlich in der Natur in dieser Form nicht vorkommt. Auf diesem Prinzip beruhen die meisten "optischen Täuschungen".
Ein sehr anschauliches Beispiel ist die
Illusion der rotierenden Maske, ein Effekt, der übrigens nicht nur, wie hier, bei der 2-dimensionalen Animation auftritt, sondern auch bei einem 3-dimensionalen Objekt.
Selbst wenn wir
definitiv wissen, dass die Maske aktuell
konkav zum Betrachter steht, können wir sie nur
konvex sehen. Der Grund dafür ist, dass es in der Natur solche Objekte nicht gibt und es daher ziemlich
unwahrscheinlich ist, das wir sie zu Gesicht bekommen. Es wird daher die
wahrscheinlichste Variante angenommen - und das ist das konvexe Gesicht.
Aber auch im weiteren Verlauf der Informationsverarbeitung ist alles letztlich Interpretation. Das Gehirn entwirft aus den vorhandenen Informationen eine "wahrscheinlichste" Variante, ja simuliert sogar eine Realität "in die Zukunft", für die nächsten Bruchteile von Sekunden. Denn das Gehirn hat genau dasselbe Problem wie heutige VR-Soft- und Hardware: Selbst bei schnellster Verarbeitung hinkt diese der Realität hinterher.
Halluzinogene Drogen stören vermutlich diese Filter- und Simulationsprozesse. Genau ist dies nicht erforscht, seit den späten 60er Jahren hat man praktisch alle Experimente mit Halluzinogenen am Menschen aus ethischen, moralischen, juristischen und sozialen Gründen verboten. Und Tiere können einem ja leider nichts sagen. Aber auch bereits vorher hatte die pharmazeutische Industrie die Forschungen an Halluzinogenen weitestgehend eingestellt, da sich die ursprünglich gehegten Hoffnungen auf neue, wirksame Psychopharmaka nicht erfüllten.
streicher schrieb:
Kann das Gehirn selbst, durch Ausschüttungen von Botenstoffen, die Wahrnehmung verändern?
O ja, es kann, aber oft ist das ein pathologischer Zustand. Die derzeitige psychiatrische Lehrmeinung geht von einem Transmittermodell der Verarbeitungsprozesse des Gehirns aus. Demnach sind psychische Krankheiten wie die Schizophrenie, die Bipolare Störung u.a. Störungen von Transmitter-Gleichgewichten, die zu den Bewusstseinsstörungen der Patienten führen.
Im Wesentlichen sind dies aber bislang nur Annahmen und Modelle. Vor allem deshalb, weil sich die Transmitter im Gehirn praktisch nicht messen lassen, bislang noch unbekannten Prozessen unterliegen und von außen zugeführte Botenstoffe oder deren Gehalt im Blut wenig Aussagekraft haben. Das Gehirn ist bis heute eine "Black Box" geblieben. Die pharmazeutische Forschung hangelt sich daher bis heute meistens an Derivaten bereits bekannter Substanzen entlang. Und wie wir erst kürzlich gesehen haben (Tote bei Medikamenten-Test in Frankreich), kann die Entwicklung von Medikamenten mit neuen Wirkungsmechanismen ein äußerst riskanter Prozess sein.
streicher schrieb:
Kann zum Beispiel Schlafentzug oder wochen- bis monatelange kurze Nächte dazu führen, dass man Dinge wahrnimmt, die man sonst nicht sieht?
Wenn "Ja" - was sind diese Wahrnehmungen dann tatsächlich?
Man kann. Diese Wahrnehmungen sind dann andere Interpretationen der Realität (was immer diese sein mag). Empfehlen möchte ich das aber keinem.
streicher schrieb:
Welche Situationen gibt es dann noch, die eine Person dazu führen, dass sie nicht wahrnimmt, wie sie es sonst tut?
Epilepsie. Wahn. Schizophrenie. Bipolare Störung.