Hm, "Erwachsensein" wird ja vielfach mit dem Erreichen eines bestimmten moralischen und kognitiven Reifegrades gleichgesetzt - das steckt ja auch schon in der Semantik des Wortes "Erwachsen" drin, anders als bei "Heranwachsenden" usw.
Nur habe ich damit ein Problem. Aus dem Wort "Erwachsen" heraus erwächst die Illusion eines endgültigen, höchstmöglichen Zustandes. Faktisch ist es aber so, dass man sich immer weiter entwickelt und im Idealfall zu höheren Einsichten gelangt.
Aber dennoch scheint es einen gewissen Konsens über den Reifegrad zu geben, der den "Erwachsenen" vom "Heranwachsenden" unterscheidet, obwohl sich beide Begriffe ja nur auf bestimmte Bereiche eines Spektrums beziehen. Es ist also tatsächlich möglich, dass "erwachsene" Menschen während ihrer "Erwachsenenzeit" größere, umfassendere Entwicklungen mitmachen können, als beim Übergang zwischen "Heranwachsendem" und "Erwachsenem". Letztlich handelt es sich dabei ja auch wiederum nur um konstruierte Etiketten, mit denen sich bestimmte Gruppen von anderen aus verschiedenen Motiven heraus abgrenzen.
Wie definiere ich "Erwachsensein"?
Psychisches "Erwachsensein" hat für mich nichts mit dem körperlichen Erwachsensein zu tun. Es gibt einfach zu viele Menschen, die eigentlich erwachsen sein müssten, es aber nicht sind.
Ich gehe da ein Stück weit mit Rousseau mit, der ja davon ausgeht, dass im Menschen bereits bei der Geburt "das Gute" angelegt ist, und alles "schlechte" nur auf schädigende gesellschaftliche Einflüsse zurückzuführen ist. Meiner Ansicht nach bringen Kinder von Natur aus schon viele wertvolle Haltungen und Anlagen mit, die gerne als "kindlich" verlacht werden, aber eigentlich nur "menschlich" und ziemlich wertvoll sind. Unser Bildungssystem tut sein bestes, diese Anlagen abzukonditionieren und den uniformen, aber ethisch armseligen "Kompetenzmenschen" heranzuziehen. (Das ist, nebenbei bemerkt, eines der größten Verbrechen unserer Zeit.)
Für mich gehört daher zum geistigen "Erwachsensein" in allererster Linie das Entfalten der menschlichen Anlagen. Nicht unbedingt die vollkommene Entfaltung, aber doch Entfaltung bis zu einem gewissen Grad, ab dem der selbstständige Reifungsprozess mehr oder weniger ungefährdet vom Individuum betrieben werden kann. Wohlgemerkt: Viele Anlagen sind schon da und müssen nur vor der Zerstörung bewahrt werden.
Was bedeutet dies also? Einerseits: Bewahrung und Kultivierung einer natürlichen, in sich ruhenden, authentischen Seele. Andererseits: Befähigung zur autarken, selbstbestimmten, reflektierten, verantwortungsbewussten, rücksichtsvollen Teilhabe in der demokratischen Gesellschaft.
Autark und selbstbestimmt heißt nicht, dass man egoistisch sein soll, sondern seinen Weg unabhängig und frei entdecken können sollte. Rücksichtsvoll soll nicht heißen, dass man sich Anderen komplett unterordnet und es jedem recht machen soll - sondern vielmehr die Rechte Anderer respektieren und bewahren und diese durch das eigene Handeln nicht bedrängen oder beschneiden soll.
Ich weiß, das ist ein Anforderungskatalog, den viele "Erwachsene" nicht erreichen und nie erreichen werden. Aber man wird ja wohl noch hoffen dürfen
Die Sache mit Kleidungsstil und Musikgeschmack hat nichts mit Erwachsensein zu tun. Das sind nur äußere Attribute, die bestimmten Gruppen zugeordnet werden (gut, im konkreten Fall ist der Wechsel von HipHop zu irgendwas anderem, etwa Kreissägegeräuschen und kosmischen Klängen, durchaus ein Merkmal für einen Inneren Reifeprozess

Aber dieser äußere Wechsel kann nur minimal zum inneren Wandel beitragen. Es gibt auch komplette Idioten, die klassische Musik hören und mit Anzug und Krawatte rumlaufen.)