Die USA sind nicht mehr bündnisfähig
Arno Widmann
Es hat in der Menschheitsgeschichte noch niemals eine Macht gegeben, die die Welt so dominierte wie die Vereinigten Staaten das heute tun. Während die römischen Cäsaren sich für Weltenherrscher hielten, beanspruchten die chinesischen Kaiser dasselbe für sich. Es kam niemals zum Konflikt zwischen den beiden Ansprüchen, denn niemandes Horizont war damals wirklich global. Als die europäischen Mächte begannen, weltumfassend zu agieren, entdeckten sie das Gleichgewicht der Mächte. Von den Habsburgern bis zu den Windsors, von Alexander bis Hitler kam es immer wieder zu Versuchen, eine Macht als Universalmacht zu etablieren. Sie scheiterten alle. Immer galt die Regel: Keiner ist so stark, dass er einem Bündnis des Zweit- mit dem Drittstärksten widerstehen könnte.
Sie gilt nicht mehr. Im Jahre 2003 wird der Verteidigungshaushalt der USA größer sein als die fünfzehn nächstgrößten Etats zusammen. Es geht aber nicht nur um Masse. Entscheidend ist die Qualität. Da dürfte es ausgeschlossen sein, dass die USA in den nächsten Jahren geschlagen werden können. Im Bereich "Forschung und Entwicklung" gibt das US-Militär dreimal so viel Geld aus wie die nächst- größten sechs Staaten zusammen. Das erreichen die USA mit nicht mehr als 3,5 Prozent ihres Bruttosozialproduktes. Die Wirtschaftskraft der USA - schon Kalifornien allein ist die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt - verschafft ihrer militärischen Übermacht eine Grundlage, an der keine andere Volkswirtschaft rütteln kann.
Seit Jahrzehnten wächst die Überlegenheit der USA. So unangefochten wie heute haben sie noch nie in Ökonomie, Technologie und Militär an der Spitze gestanden.
Aber selbst die USA können nicht gleichzeitig die ganze Welt kontrollieren. Die nächsten zwanzig Jahre werden sie Afghanistan nicht allein lassen können. Sie haben jede Menge Probleme vor ihrer südlichen Haustür und sie bekommen stündlich in Afrika, Asien und Europa neue hinzu. Es gibt, schon aus Kostenerwägungen heraus, gute Gründe für die USA - mögen sie auch von der derzeitigen Regierung kaum gehört werden - trotz ihrer einzigartigen Überlegenheit, nicht Popeye zu spielen, sondern sich mit Verbündeten abzustimmen.
Aber Großmächte zeichnen sich nicht durch Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse kleinerer und sei es noch so treuer Bündnisgenossen aus. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen und sie verfolgen sie so, wie sie es für richtig halten. Die USA sind derzeit mehr als eine Großmacht. Die USA sind die einzige Großmacht. Es ist einigermaßen naiv anzunehmen, dass sie gerade im Augenblick ihrer größten Machtentfaltung besondere Rücksicht auf andere Staaten nehmen.
Die USA sind nicht mehr bündnisfähig. Nicht aus Gründen mangelnder Moral, sondern es gibt für sie keinen zwingenden Grund, Bündnisse einzugehen. Wenn der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärt, die USA würden sicherlich Verbündete haben bei einem Krieg gegen den Irak, sie könnten den aber auch ohne sie führen, so ist das keine Provokation, sondern die Wahrheit. Die Nato ist für die USA desto überflüssiger, je wichtiger sie für die Bündnispartner wird. Das Gleiche gilt für alle internationalen Institutionen von der Uno bis zum Internationalen Strafgerichtshof. In den USA wird durchaus registriert, wie sehr das Interesse der Europäer an diesen Einrichtungen in den Jahren des Aufstiegs der USA zur einzigen Weltmacht gestiegen ist.
Es war richtig von der Bundesregierung, die USA darauf hinzuweisen, dass sie nicht bereit ist, deutsche Truppen gegen den Irak einzusetzen. Es ist auch richtig, wenn der Bundesaußenminister darauf hinweist, dass diese Weigerung nur gilt, solange es keine neuen Erkenntnisse über das Treiben Saddam Husseins gibt. Käme es - in welchem Zusammenhang auch immer - zum Beispiel zu einem Angriff auf Israel, wäre Joschka Fischer sicher der Erste, der wieder zum Falken würde.
Auch Bundeskanzler Schröder hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass die Bush-Regierung unter der Hand die Geschäftsgrundlage änderte, als sie als Ziel ihrer Aktionen nicht mehr die Zulassung der Waffenkontrolleure, sondern den Sturz Saddam Husseins nannte. So einfach sollte man es auch der Supermacht nicht machen. Aber noch besser wäre, die Gegner der Bush-Pläne würden Vorschläge in die Öffentlichkeit bringen, wie Saddam das Handwerk zu legen ist. Das würde ihre Position nicht nur glaubwürdiger machen, sondern erheblich stärken.