Der problematische Begriff "Groß-Israel"

Ask1 Redaktion

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Von "Groß-Israel" liest man immer mal wieder, zum Teil in ganz verschiedenen Zusammenhängen. Der Begriff taucht auf zionistischen Internet-Seiten oder von rechtsorientierten israelischen Politikern geäußert als Ziel israelischer Politik auf. Aber was ist damit gemeint? Von was für einem "Groß-Israel" sprechen Zionisten und israelische Politiker heutzutage? Und warum sorgt das immer wieder für so viel Aufsehen? Beantworten wir zunächst die erste Frage: Von welchem "Groß-Israel" sprechen Zionisten und israelische Politiker heutzutage, was ist damit gemeint? Nun, folgendes:
"Eretz Yisra‘el" - ein Land, das vom Mittelmeer bis an den Jordan reicht. Dies entspräche dem heutigen israelischen Staatsgebiet plus Gaza-Streifen und Westjordanland. Die Ausweitung des israelischen Staatsgebiets wird in Israel von rechtsorientierten Kreisen verfolgt, die erfahrungsgemäß immer dann Zulauf haben, wenn besonders viele Selbstmordanschläge oder andere Angriffe auf Israel stattfinden. Dieses "Groß-Israel" beinhaltet das aktuelle israelische Staatsgebiet sowie das Westjordanland und den Gaza-Streifen.
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Man kann dieses "Eretz Israel" ablehnen und als Großmachtsfantasie brandmarken, oder die Frage danach stellen, welche Rechte denn die Palästinenser in diesem "Eretz Israel" hätten - aber dies würde alles kaum erklären, wieso der Begriff zum Beispiel auch in der aktuellen Debatte über Israels Krieg gegen die Hisbollah im Libanon fällt.

Der Grund ist einfach: Es gibt noch ganz andere Vorstellungen darüber, was sich hinter dem Begriff "Groß-Israel" verbirgt. In rechtsradikalen, radikal islamischen und schlicht antisemitischen Kreisen ist immer wieder die Rede von einem "Groß-Israel", das vom Euphrat bis zum Nil reichen würde. 1 Die Rede von so einem "Groß-Israel" geht auf mehrere Quellen zurück. Die wohl prominenteste ist eine Stelle in der Genesis (Gen 15; 18-21), die als Teil des Alten Testamentes sowohl Teil der christlichen Bibel als auch der jüdischen Thora und deren Deutung umstritten ist.
Dort heißt es:An dem Tage schloss der HERR einen Bund mit Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dies Land geben, von dem Strom Ägyptens an bis an den großen Strom Euphrat: die Keniter, die Kenasiter, die Kadmoniter, die Hetiter, die Perisiter, die Refaïter, die Amoriter, die Kanaaniter, die Girgaschiter, die Jebusiter.
Man sollte bedenken, dass dort nirgends vom Nil die Rede ist. Die Formulierungen, der "große Strom Euphrat" gegenüber "dem Strom Ägyptens", sowie die Tatsache, dass sowohl die ersten jüdischen Kommentare als auch andere Bibelstellen von einem sehr viel kleineren "Eretz Israel" sprechen, legen nahe, dass der tatsächlich gemeinte Strom der Wadi al-Arisch ist.2
Darüber hinaus wird in der Prophezeiung dieses Land ausdrücklich Abrahams Nachkommen versprochen. Zu diesen Nachkommen gehört auch Ismael, der Stammesvater der Araber, wodurch die Prophezeiung ohnehin längst erfüllt ist - unabhängig davon, wie Israels Grenzen aussehen. Ein Israel dieser Größe wird von manchen rechtsgerichteten Parteien wie Likud in Israel als fernes Idealziel diskutiert.
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Damit sind wir aber immer noch nicht bei einem "Groß-Israel von Nil bis Euphrat" angelangt. Ein Israel in diesen Grenzen wurde in der Tat in den dreißiger und vierziger Jahren von rechtsextremistischen Zionisten diskutiert. Es wird unterstellt, dass diese spezielle Strömung innerhalb des Zionismus - die darüber hinaus in etwa so lange aufgehört hat zu existieren, wie der Nationalsozialismus in Deutschland - der einzig wahre Zionismus sei - was völlig an der Realität vorbeigeht.

Es ist zwar richtig, dass zum Beispiel der spätere israelische Ministerpräsident Menachem Begin Mitglied der Terrororganisation "Irgun" war, als deren Führer er 1946 ein Sprengstoffattentat auf das Hotel "King David", wo englische Offiziere mit ihren Familien untergebracht waren, verüben ließ. Allerdings darf man nicht übersehen, dass Begin auch derjenige war, der den bis heute bestehenden und glänzend funktionierenden Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten maßgeblich möglich gemacht hat. Ebenso wie in Deutschland Politiker oftmals weniger radikal agieren als dies bei ihnen als junge Männer der Fall gewesen ist - man denke etwa an Joschka Fischer - ist auch bei israelischen Politikern die tatsächliche Politik oft meilenweit von den Idealen, denen sie einst in ihrer Jugend angehangen haben, entfernt.
Dies gilt auch für den derzeitigen Ministerpräsidenten Israels, Ehud Olmert. Olmert war zwar einst Mitglied der rechtsgerichteten Betar gewesen, verkündete jedoch am Wahlabend diesen Jahres:
"Ich bin bereit, den Traum von einem Groß-Israel aufzugeben.".3
Darüber hinaus wird bei dieser Diskussion leider so gut wie immer übersehen, dass der Gründer des Zionismus - Theodor Herzl - nicht nur über "Groß-Israel" in Palästina, sondern auch über andere mögliche Heimstätten für einen jüdischen Staat geschrieben hatte, zu denen unter anderem Argentinien gehörte.4 Dazu kommt, dass ein "Groß-Israel von Nil bis Euphrat" noch nie von irgendeinem israelischem Politiker als Ziel geäußert worden ist.

Solche Unterstellungen gehen meist auf Quellen zurück, die dem rechtsextremistischen, islamistischen oder antisemitischen Umfeld zuzurechnen und darüber hinaus meist auf Hörensagen begründet sind. Und trotzdem wird die "jüdische Weltverschwörung" immer wieder als Fakt verkauft. So sagte beispielsweise Necmettin Erbakan, der Gründer der Millis Görüs-Bewegung, die von antijüdischem, als antizionistisch getarntem Denken geprägt ist5:
Die arbeiten daran, Groß-Israel zu gründen und die Welt zu beherrschen, den Salomon(ischen; Anm. d. Red.) Tempel wieder zu erbauen und sich ihr gelobtes Land zwischen Nil und Euphrat zu verwirklichen. Zur Realisierung dieses Aberglaubens plant Israel die gewaltsame Unterdrückung.6Das angeblich geplante "Groß-Israel" sieht dieser Meinung nach so aus, dass es auch Teile des Irak, Syriens, der Türkei, Saudi-Arabiens, Ägyptens, des Sudans, des Libanons, Jordaniens, und Kuwaits umfasse.
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Quellen, die so ein "Groß-Israel von Nil bis Euphrat" als Ziel israelischer Politik rechtfertigen, gibt es nicht. Stattdessen wird - oftmals trotz besserem Wissen - immer wieder, wenn etwa israelische Politiker von "Eretz Israel" sprechen und damit den Gaza-Streifen und das Westjordanland meinen, so getan, als wäre ein "Israel von Nil bis Euphrat" gemeint und würde somit irgendeine Art von radikaler Expansion geplant.
Da Quellen fehlen, wird dieses Ziel einer finsteren zionistischen Verschwörung, die angeblich die Politik Israels kontrollieren würde, in die Schuhe geschoben. Hier ist bereits der Grundstein zum Aufbau einer antisemitischen Weltverschwörungstheorie gelegt. Denn woher - wenn nicht von erwiesenermaßen lügenden Revisionisten aus dem Umfeld von Nazis, radikalen Islamisten oder schlicht Antisemiten - das Wissen um diese Verschwörung stammen soll, diese entscheidende Information bleiben einem Anhänger dieser durch und durch propagandistisch motivierten Verschwörungstheorie leider schuldig.


[1] Wikipedia - Greater Israel
[2] Pipes, Daniel: Imperial Israel - The Nile-to-Euphrates Calumny
[3] Wikipedia-Artikel zu Ehud Olmert
[4] Theodor Herzl - Der Judenstaat
[5] Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg, 2003; S. 67
[6] zitiert nach einem Statement der Millis Görüs-nahen Nachrichtenagentur Habervakti vom 24. August 2003
 

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