Ich finde, dass man etwas differenzieren sollte. Mitleid ist in erster Linie ein Gefühl, dass ich habe, wenn ich sehe, wie jemand leidet, und der Meinung bin, dass derjenige es nicht verdient hat. Fakire bemitleide ich ebensowenig wie fastende Moslems oder Masochisten.
Amokläufer - und solche die es gerne geworden wären - tun mir per definitionem nicht leid, weil mein Mitleidsgefühl den (potentiellen) Opfern gilt. Ich kann das nicht splitten. Das ist bei vielen anderen, ähnlichen Situationen nicht anders. Wenn ich beispielsweise die Bilder aus Abu Ghraib sehe, dann denke ich nicht: "Diese arme Frau - tausende Meilen weg von zu Hause, pottenhässlich, in einem stinkenden irakischen Gefängnis - was muss wohl dieser Frau alles zugestoßen sein, dass sie sich freiwillig diesen Job ausgesucht hat?" oder "Ist die nicht vielleicht von ihren Vorgesetzten instrumentalisiert worden?" sondern "Was macht diese dumme Sau da mit den armen Irakern?!?" Das passiert reflexartig.
Ich denke mir ja in Bezug auf die Opfer auch nicht: "Wen haben diese Leute aus Saddams Geheimdienst wohl schon alles gefoltert, dass sie da jetzt in diesem Knast sitzen?" sondern einfach nur: "Diese armen Menschen, wie kann man denen so etwas nur antun?" Da geht es um die Unantastbarkeit der Würde von Menschen, da läßt mein Gefühl nicht mit sich spaßen.
Mitleid ist stuationsabhängig. Und Amokläufer kann ich einfach nicht bemitleiden, sorry. Das ist für mich einfach die allerunterste Stufe Mensch, das geht nicht. Wer wahllos Leute umbringt, hat bei mir auf gut Deutsch gesagt verschissen, was Mitleid angeht.
Aber "Dummheit" ist da meines Erachtens kein Kriterium. Amokläufer sind in der Regel überdurchschnittlich intelligent, was sie nicht davon abhält, asozialste Entscheidungen zu treffen. Und mancher Trottel ist ein lieber Kerl.
Was meine Meinung außerdem von Lazarus' Position zu unterscheiden scheint - ich schreibe scheint, weil ich ihn da nicht ganz verstehe und daher auch nicht einschätzen kann - ist, dass ich zwar kein Mitleid gegenüber Amokläufern empfinde, sie aber auch nicht abgrundtief hasse. Ich will die nicht bestrafen und mich daran erfreuen, wie sie leiden, sondern dass sie mit dem bescheuerten Verhalten aufhören. Mir ist klar, dass sie meist selbst Opfer sind, nur entschuldigt das imho weder die jeweiligen Taten, noch heißt das, dass ich Mitleid mit ihnen habe. Darum fände ich das beste, sie zu therapieren. Klappt ja nur meistens nicht, weil die mit sich genau so wenig Geduld haben wie mit anderen und die Quickie-Therapie Marke Knarre-an-Kopp-und-Abzug-drücken oder wahlweise den SPrung vor die S-Bahn vorzuziehen scheinen.
Und wenn sie das ohnehin tun, dann ist es mir lieber, dass sie direkt diesen Weg wählen, als vorher noch einen Haufen anderer Leurte ungefragt mit in den Tod zu nehmen. Da ich kein Mitleid mit den Tätern habe, ist mein Ton entsprechend. Und wer mehrfachen Mord plant - und ja, auch wer mehrfachen Mord plant und dann vom älteen Kumpel gesagt bekommt, dass man das doch lieber lassen sollte, aber trotzdem weiterhin Amokläufer glorifiziert - den nenne ich dann auch ohne mit der Wimper zu zucken einen Idioten, auch wenn er sich gerade umgebracht hat. Wem das nicht passt, dem kann ich auch nicht helfen, der muss das wohl oder übel akzeptieren.
Edit:
Das "Selektionsvokabular" ("lebenswert" vs. "nicht lebenswert" etc. pp.) - nicht das hier Missverständnisse entstehen - das vor allen Dingen Lazarus benutzt, lehne ich übrigens grundlegend ab. Mir geht das erheblich zu weit. Ich würde mir nicht anmassen wollen, darüber zu entscheiden, wer leben soll und wer nicht. Aber wenn jemand Selbstmord begeht, der so bekloppte Pläne im Kopf hat wie der zeitweilige Amokläufer in spe, um den es hier geht, dann habe ich mit dem aus oben genannten Gründen weder Mitleid, noch finde ich es unpassend zu sagen: Ein Idiot auf Deutschlands Straßen weniger - gut so! Warum der überhaupt zum Idioten geworden ist, steht da für mich auf einem völlig anderen Blatt. Kinderschänder sind fast immer selbst als Kinder misshandelt worden. Macht es das besser? Für mich nicht, sie bleiben imho Abschaum, der weggesperrt gehört. Und den Schlüssel am besten wegschmeißen.
Und ohne irgendwen persönlich zu meinen - und das meine ich ernst, denn das ist mein Fazit aus zig Amokläufer-Diskussionen und nicht nur auf diesen Fall bezogen - habe ich den Eindruck, dass die, die am meisten Mitleid mit den Tätern haben, dieses Mitleid häufig nicht etwa aus noblen Beweggründen, wie etwa christlichem Vergeben selbst des schlimmsten Idioten und allumfassender Nächstenliebe haben, sondern weil sie selber in der Schule oder sonstwo einen auf den Deckel gekriegt haben und gehänselt worden sind und deshalb, wohl oft, wenn nicht gar meistens, unbewusst, mit dem "Rächer der Entehrten" sympathisieren.
Da mischt sich dann das Verständnis der Frustration und Motive des Täters mit der Sichtweise, den Täter auch immer als Opfer zu sehen, denke ich, wodurch sich meiner Meinung nach der Fokus des Mitleids in eine Richtung verschiebt, in die er nicht hin gehört.