(aus telepolis)....Zusammenbruch durch Bewußtsein besagt, daß die Welt sich solange nach der Quantenmechanik verhält, bis ein Mensch sie beobachtet. In diesem Augenblick wird sie allgemein wahrnehmbar. Diese Theorie schafft philosophische Probleme für Experimentalphysiker beiseite, aber sie führt für Kosmologen zu Problemen, deren Arbeitsgebiet das gesamte Universum ist, denn sie setzt voraus, daß die Welt um individuelle und bewußte Beobachter herum mit kollabierten Wellenfunktionen durchsetzt ist. Diese Zusammenbrüche sind der Theorie nicht zugänglich und können experimentell nicht quantifiziert werden, weswegen es unmöglich wäre, Gleichungen für das gesamte Universum zu bilden. Doch wie kann eine universelle Wellenfunktion, in der sich jedes Teilchen für alle Zeiten wie eine Welle ausbreitet, mit individuellen Erfahrungen in Übereinstimmung gebracht werden, für die sich Teilchen in bestimmten Positionen befinden?
Hugh Everett hat sich dieser Frage in seiner Promotionsarbeit zugewandt. Wenn man, so hat er gezeigt, von einer sich universell entwickelnden Wellenfunktion ausgeht, bei der sich die Konfiguration eines Meßgeräts genauso wie die eines Teilchens wie eine Welle durch seinen Möglichkeitsraum ausbreitet, dann hat die überall vorhandene Wellenfunktion, falls zwei Instrumente dasselbe Ereignis gemessen haben, ihre maximale Größe in Situationen, bei denen die Aufzeichnungen sich überlagern, und ist sie dort aufgehoben, wo sie nicht miteinander übereinstimmen. Eine Höhe in der kombinierten Welle stellt folglich eine Möglichkeit dar, bei der beispielsweise ein Instrument, das Gedächtnis eines Experimentators und die Eintragungen in einem Notizbuch darin übereinstimmen, daß sich ein Teilchen aufhalten könnte - ein herausragender Common Sense. Doch die ganze Wellenfunktion weist viele solcher Höhen auf, die jeweils einen Konsens hinsichtlich eines unterschiedlichen Ergebnisses darstellen.
Everett hat gezeigt, daß die Quantenmechanik, wenn man sie befreit von problematischen kollabierenden Wellenfunktionen, noch immer Voraussagen über Common-Sense-Welten ermöglicht - nur macht sie dies über sehr viele Welten, die alle leicht verschieden sind. Die keinen Kollaps-Sicht wurde als die viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik bekannt. Ihre Implikation, daß jede Beobachtung die Welt in etwa 10 hoch 100 unterschiedliche Erfahrungen verzweigen läßt, schien den Common Sense so außerordentlich zu verletzen, daß sie von vielen leidenschaftlich abgewiesen wurde. Obgleich Kosmologen mit der universellen Wellenfunktion arbeiteten, wurde ihr Zusammenhang mit der Alltagswelt weitere 20 Jahre lang übersehen.
Kürzlich durchgeführte raffinierte Experimente, die die meisten, vom Verstand schwer verarbeitbaren Voraussagen der Quantenmechanik bestätigten, erhöhten den Wert der viele-Welten-Theorie gegenüber anderen Deutungen, die andere Einflüsse für das Überspringen von Zeit und Raum erfordern, um die beobachteten Korrelationen zu erklären. Der theoretische, von Everett zuerst beschrittene Weg wird befahren und weiter ausgebaut. Seit den späten 80er Jahren haben James Hartle und Murray Gell-Mann ihre grundlegenden Kozepte der Messung und der Wahrscheinlichkeit untersucht.
Everett hatte gezeigt, daß die herkömmlichen Regeln für das Kollabieren der Wellenfunktion in Bezug auf die aus einer Messung entstehenden Wahrscheinlichkeiten von außerhalb eines Systems konsistent mit dem sein würden, was ein innerer Beobachter in jeder Version berichten würde. Dadurch war die Notwendigkeit eines Außen oder eines Kollapses nicht mehr gegeben und wurde unser Bewußtsein zur Existenzgrundlage von vielen Welten. Er hat niemals versucht zu zeigen, wie diese besonderen Meßregeln zuerst entstanden sind. Gell-Mann und Hartle stellen diese schwierige Frage. Sie sind noch weit von einer endgültigen Lösung entfernt, aber ihre Arbeit zeigt, wie speziell - oder illusorisch - die Welt des Common Sense wirklich ist.
Hartle und Gell-Mann sagen, daß dann, wenn wir Ereignisse in ihrem kleinstmöglichen Detail, also in der Dimension von 10 hoch 30 Zentimetern - was weitaus kleiner als das bislang Erreichbare ist - zu beobachten und erinnern versuchen, die Interferenz aller möglichen Welten ein brodelndes Chaos ohne dauerhafte Strukturen, ohne ruhigen Ort, um Gedächtnisinhalte zu speichern, und ohne konsistente Zeit entstehen ließe. Auf einer groben Sichtskala von 10 hoch 15 Zentimetern, was der submikroskopischen Welt entspricht, die heute von der Hochenergiephysik erreicht wird, bleibt ein Großteil des Chaos unbeobachtet und verschmelzen viele Welten. Dadurch heben sich die wildesten Möglichkeiten auf und bleiben jene übrig, in denen die Teilchen eine konsistente Existenz und Bewegung besitzen, auch wenn sie in einem Vakuum weiterhin unvorhersagbar bleiben, das mit einer flüchtigen virtuellen Energie vor sich hinwallt.
Alltägliche Objekte weisen die sauberen und vorhersagbaren Trajektorien des Common Sense nur deswegen auf, weil unsere schwachen Sinne noch grober sind und nichts wahrnehmen, was kleiner als 10 hoch 5 Zentimeter ist. Bei Größenordnungen, die das Alltägliche (oder die Auflösung Gell-Manns) überschreiten, werden die uns interessierenden Ereignisse so verschmolzen, daß sie unsichtbar werden. Das Universum ist dann langweilig und vorhersagbar. In der größtmöglichen Dimension hebt sich die Materie des Universums durch die negative Energie in seinen Gravitationsfeldern (die sich, wenn die Materie zusammenfällt, verstärken, während sie Energie freigeben) auf und es gibt als Summe überhaupt nichts.
Keine vollständige Theorie kann bislang unsere Existenz und unsere Erfahrungen erklären, aber es gibt Hinweise, wie dies geschehen könnte. Die winzigen, in unseren Computern simulierten Welten werden oft durch verstellbare Regeln gekennzeichnet, die die Interaktion zwischen benachbarten Regionen steuern. Wenn die Interaktionen ziemlich schwach gemacht werden, frieren die Simulationen schnell in einer Einförmigkeit ein, wenn sie sehr stark sind, kann der simulierte Raum intensiv in einem chaotischen Wallen köcheln. Zwischen den Extremen gibt es einen schmalen Rand des Chaos mit hinreichend Spielraum, um interessante Strukturen zu erzeugen, und hinreichend Ruhe, um sie bestehen und miteinander interagieren zu lassen.
Solche Borderline-Universen können Strukturen enthalten, die gespeicherte Informationen zur Erzeugung von anderen Dingen benutzen. Darunter können sich auch perfekte oder unvollständige Kopien dieser Strukturen befinden, wodurch eine darwinistische Evolution der Komplexität ermöglicht wird. Wenn die Physik selbst ein Spektrum an Interaktionsgraden zeigt, dann ist es keine Überraschung, daß wir selbst an der flüssigen Grenze des Chaos leben, da wir weder im erstarrten Eis noch in formlosem Feuer leben oder uns hätten in der Evolution entwickeln können.
Seltsam am Spektrum von Gell-Mann und Hartle ist, daß es sich dabei nicht um einen externen Knopf handelt, mit dem der Grad an Interaktion gesteuert wird, sondern um wechselnde Interpretationen einer einzigen grundlegenden, von Beobachtern erzeugten Wirklichkeit, die Teil der Interpretation sind. Das ist dieselbe Schleife der Selbstinterpretation, der wir schon begegnet sind, als wir Beobachter innerhalb von Simulationen betrachtet haben. Wir sind in der Welt, die wir wahrnehmen, wer wir sind, weil wir uns so sehen. Es gibt fast ganz sicher andere Beobachter in exakt denselben Bereichen der Wellenfunktion, die alles völlig verschieden sehen und für die wir einfach bedeutungsloses Rauschen sind.
Die Ähnlichkeit zwischen den vielen Welten Everetts und den philosophischen möglichen Welten wird aber vielleicht noch größer werden. In der Quantenmechanik der vielen Welten besitzen physikalische Konstanten unter anderem bestimmte Werte. Gravitation bei Objekten wie Schwarzen Löchern verletzt die Regeln, und eine vollständige Quantentheorie der Gravitation kann vielleicht mögliche Welten voraussagen, die Everetts Skala weit überschreiten. Und wer weiß, welche möglichen Raffinessen noch auf uns warten?
Es könnte sich herausstellen, daß die Physik, wenn wir durch immer weitere Schichten der Interpretation stoßen, immer weniger Zwänge auf die Natur der Dinge ausübt. Die von uns beobachteten Regelhaftigkeiten sind möglicherweise nur eine Folge der Selbstreflexion: Wir müssen die Welt als kompatibel mit unserer Existenz sehen - mit einem starken Pfeil der Zeit, verläßlichen Wahrscheinlichkeiten, wodurch Komplexität sich entwickeln und bestehen kann, Erfahrung sich in verläßlichen Speichern ansammelt und die Folgen des Verhaltens vorhersehbar werden. Unsere Mind Children, die ihre eigene Substanz und Struktur bis in die kleinsten Einzelheiten hinein beeinflussen können, werden vermutlich unser enges Verständnis von dem, was ist, weit transzendieren.