Todesstrafe- Resozialisierung: was ist die schlimmere Strafe

antimagnet

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todesstrafe ist rache. sühne beinhaltet meiner meinung nach läuterung, also ein besser-werden danach. geht nicht bei der todesstrafe. abschreckung ist sie auch nicht, denn wer ein verbrechen begeht, rechnet damit, durchzukommen. triebtäter werden von gar nix abgeschreckt, also auch bei denen ist todesstrafe nur rache. ich find den rachegedanken durchaus legitim, jedoch todesstrafe nicht. vor allem, weil immer irrtümer möglich sind. für barbarisch halte ich sie auch, aber bei manchen verbreche(r)n wäre mir ein barbarischer tod egal, um ehrlich zu sein.
 

the_midget

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Zum Thema Strafe ein paar Gedanken als Ergänzung:

Die Gesellschaft/Staat braucht Strafen als Kontrollmechanismus. Der Sinn einer gesetzlich festgelegten Strafe ist es zu verhindern, daß ein bestimmtes Verhalten auftritt. Idealerweise handelt es sich dabei um Verhalten, das einerseits der gesamten Gesellschaft schaden würde und/oder einem Individuum oder einer Institution schaden würde. Letzteres ist die Schutzfunktion, die hier schon erwähnt wurde. Worauf es mir jetzt ankommt ist eher der erste Aspekt.

Jemand der vor Jahren ein Verbrechen begangen hat, aber nie erwischt wurde und dann doch noch auffliegt, muss vor allem aus Gründen der Gleichbehandlung bestraft werden. Auch wenn man ganz sicher sein könnte, daß derjenige keine Straftaten mehr begehen wird, muss er bestraft werden, sonst würden andere berechtigterweise fragen: Warum werde ich bestraft und er nicht?

Strafen dienen nicht nur der Resozialisierung und dem "Sühnen", sondern sind schlicht und einfach ein Teil der Spielregeln gesellschaftlichen Lebens.
Wer dieses oder jenes tut dem wird dieses und jenes als Konsequenz angetan. Ein Fußballspieler der ein schweres Foul begeht, bekommt einen Platzverweis.

Indem diese Regeln allgemeingültig und möglichst konkret festgelegt sind, steuern sie das gesellschaftliche Leben. Wer sich einen Vorteil davon erhofft jemanden zu schaden, muss mit einem Risiko (der Strafe) rechnen.
Wenn dieses Risiko schwerwiegend genug ist, kann es einen Menschen davon abhalten jemand anderem zu schaden, obwohl er dadurch Vorteile hätte. Eigentlich eine ganz rationale Angelegenheit.

Dieses Risiko der Strafe muss dabei für alle gelten - auch für den, der eigentlich keine Straftaten mehr begehen würde. Alles andere wäre unfair.

ich hoffe ich hab mich wenn schon nicht besonders elegant wenigstens verständlich ausgedrückt...


gruß

the midget
 

antimagnet

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es verjähren aber bestimmte untaten...


Wenn dieses Risiko schwerwiegend genug ist, kann es einen Menschen davon abhalten jemand anderem zu schaden, obwohl er dadurch Vorteile hätte. Eigentlich eine ganz rationale Angelegenheit.

nur gehen verbrecher meist nicht rational vor (auch nicht-verbrecher sind meist nicht rational). sie begehen verbrechen, bei denen es fast sicher ist, dass sie erwischt werden und verkalkulieren sich massiv bei der risikoabschätzung. zum glück gehen die menschen aber nicht rational vor, kann man fast sagen. mich hält zum beispiel nicht die wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, vom schädigen anderer menschen ab. mich hält meine gute kinderstube davon ab. das ist wesentlich stabiler, als rationales kalkulieren. ich gehör halt zu den deppen, die ne volle brieftasche aufs fundbüro bringen... wer sowas macht, handelt eigentlich irrational.
 

the_midget

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antimagnet schrieb:
es verjähren aber bestimmte untaten...

ja natürlich. Es gibt da durchaus Spielräume und die sollten auch soweit es vertretbar ist ausgenutzt werden. Mir ging es auch nur darum das bisher gesagte zu ergänzen. Es ist nur eine Seite der ganzen Sache.

Wenn dieses Risiko schwerwiegend genug ist, kann es einen Menschen davon abhalten jemand anderem zu schaden, obwohl er dadurch Vorteile hätte. Eigentlich eine ganz rationale Angelegenheit.

nur gehen verbrecher meist nicht rational vor (auch nicht-verbrecher sind meist nicht rational). sie begehen verbrechen, bei denen es fast sicher ist, dass sie erwischt werden und verkalkulieren sich massiv bei der risikoabschätzung.

Ich habe eher vom Standpunkt der Gesetzgebenden und der Politik aus gedacht. Ich denke aber schon, daß die meisten Verbrechen rational von statten gehen. Bei spektakulären Mordfällen oder Totschlagdelikten natürlich eher nicht, aber das sind ja nicht die einzigen Verbrechen, die man begehen kann. Zudem möchte ich behaupten, daß es ohne Strafen weitaus mehr Verbrechen aus rationalen Motiven geben würde, was natürlich schwer zu beweisen ist.

zum glück gehen die menschen aber nicht rational vor, kann man fast sagen. mich hält zum beispiel nicht die wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, vom schädigen anderer menschen ab.

Leider gehe ich (und der Gesetzgeber wohl auch nicht) nicht davon aus, daß alle so eine gute Kinderstube genossen haben wie du.
Nehmen wir mal als Beispiel Schwarzfahren: Sehr viele fahren schwarz, weil sie die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden als gering einschätzen. Ob sie dabei die Wahrscheinlichkeit richtig einschätzen, ist dabei vollkommen unwesentlich für die Frage ob sie rational handeln. Ich habe schon oft von bekannten gehört, daß sich Schwarzfahren auch dann noch für sie rechnet, wenn sie ab und zu mal erwischt werden.
Außerdem geht es mir wie gesagt um einen Aspekt von Strafen, ich denke nicht, daß Strafen mit dieser rationellen Sichtweise hinreichend geklärt sind. Andererseits gibt es aber darüber hinaus wenig sinnvolle Möglichkeiten das Verhalten durch Gesetze zu regulieren.

Eine ehrlicher Finder einer Brieftasche zu sein, scheint in der Tat irrational. Wenn es aber harte Strafen geben würde, wenn man sich als Finder nicht ehrlich verhält und die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden relativ hoch wäre, erscheint es schon weitaus rationaler.

Aber wie gesagt... das Ganze ist nur ein Aspekt von vielen.

gruß
the midget
 

Ellinaelea

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the_midget schrieb:
Ich habe schon oft von bekannten gehört, daß sich Schwarzfahren auch dann noch für sie rechnet, wenn sie ab und zu mal erwischt werden.
Jo. Die Rechnung geht aber wirklich auf. Ich gehört früher auch zu denen und hab bis heute weder ein schlechtes Gewissen noch sonstwas in die Richtung. Heut wär mir aber der Aufwand zu hoch. Mehr Kontrollen seitens der Bahnen erfordern mehr Aufmerksamkeit meinerseits. Dafür wär ich zu faul. Brauch keine künstliche Spannung mehr wie in Jugendjahren. Kommt dazu, dass das Fälschen von Fahrscheinen nicht mehr so einfach ist, wie vor 25 Jahren. Damals hab ich einfach zwei Fahrscheine hintereinander gelöst und den ersten in der Ausgabe stecken lassen. So bekam der untere keinerlei Stempel mit Uhrzeit und Datum ab und fertig war mein Freifahrschein für die Stadt Zürich. Hat jeweils ungefähr ein halbes Jahr gehalten bis er zu alt aussah, um neu gezogen sein zu können oder ein netter Kontrolleur das fehlerhafte Ding mit Entschuldigung eingezogen hat :)

the_midget schrieb:
Aber wie gesagt... das Ganze ist nur ein Aspekt von vielen.
Ein wirksamer Aspekt. Ein Gefängnispsychologe, den ich damals kannte, hat mir ernsthaft und glaubhaft versichert, wenn er nicht genau wüsste, dass es im Gefängnis enden würde, hätte er null Hemmungen sofort einen Bank auszurauben, solang der Schaden nur finanziell wäre und kein Mensch erschossen wird oder so.
 

the_midget

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Ellinaelea schrieb:
Ein wirksamer Aspekt. Ein Gefängnispsychologe, den ich damals kannte, hat mir ernsthaft und glaubhaft versichert, wenn er nicht genau wüsste, dass es im Gefängnis enden würde, hätte er null Hemmungen sofort einen Bank auszurauben, solang der Schaden nur finanziell wäre und kein Mensch erschossen wird oder so.

Ich schätze so denken viele Menschen. Ob sie auch so handeln ist die Frage.
Ich hab mir sowas zum Beispiel auch schon gedacht. Wenn es aber jeder tun würde, dann wäre das allerdings in der Tat ein gesamtgesellschaftlicher Schaden. Das ist das Problem: Es gibt Dinge, die sind solange es nur wenige tun nicht so wild. Wenn es aber alle tun würden... Und genau da muß der Staat regulieren allein um die gesellschaftliche und staatliche Stabilität (oder Teilbereiche davon) nicht zu gefährden.

Aber um nochmal auf die Todesstrafe und zum Beispiel den Strafbestand Mord zurückzukommen. Hier scheint mir ein Sonderfall vorzuliegen. Ich schätze mal die allermeisten Morde (zumindest die, die von "normalen Bürgern" begangen werden) sind in der Regel wohl tatsächlich nicht von rationalen Motiven geprägt. Um die Tötungshemmung zu überwinden braucht es schon mehr als nur Kalkül, da geb ich Antimagnet vollkommen recht. Insofern leugne ich auch eine Abschreckungswirkung der Todesstrafe.

Ich könnte mir vorstellen, daß Resozialisierung bzw, die ganzen Begleiterscheinungen, die ein Aufenthalt im Knast und eine entsprechende Täterbiographie auf den Rest des Lebens eines Mörders haben, da in der Tat noch sehr viel abschreckender sind. Manch einem wäre es vielleicht wert das Risiko auf sich zu nehmen selbst getötet zu werden, wenn man dafür eine gehasste Person mitnehmen kann. Hingegen 15 Jahre Knast und die folgenden Schwierigkeiten bei der übrigen Lebensführung erscheinen manch einem vielleicht dann doch als größeres Joch. Man muss aber auch bedenken, daß viele Straftaten erst aus Angst vor den Konsequenzen einer vorrangegangenen Straftat begangen werden.

Theoretisch müsste man da abwägen: Verhindere ich mehr Straftaten als ich Folgestraftaten "produziere" wenn ich ein Mindesttrafmaß festlege?

Solch eine Fragestellung ist allerdings sehr zynisch. Zum Glück muss nicht nur eine Person allein diese Dinge festlegen. Letztlich entwickelt sich auch das Strafgesetzbuch ja aus der Praxis und aus dem professionellen wie auch politischen und gesellschaftlichem Diskurs.


gruß

the midget
 

antimagnet

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der gefängispsychologe wäre gut beraten, irgendwo einzubrechen. da liegt die aufklärungquote knapp unter 20%. (klick)

ein rationaler mensch multipliziert die wahrscheinlichkeit des eintretens mit dem nutzen. sagen wir, es gibt 10.000€ zu erbeuten, dann wären das also 10.000*0,8=8.000€, die man innerhalb weniger stunden verdient. wer da nicht einbricht, handelt strenggenommen irrational (außer er hat nen noch besseren job). rationale verbrecher müssten sich ihr verbrechen nach der aufklärungsquote aussuchen...

Zudem möchte ich behaupten, daß es ohne Strafen weitaus mehr Verbrechen aus rationalen Motiven geben würde,

dem würd ich sogar zustimmen. ich meinte aber vielmehr, dass die meisten menschen sich benehmen, nicht weil sie die strafen fürchten, sondern weil sie wissen, dass es sich nicht gehört. der eigene ehrenkodex, sozusagen. sieht man ja bei ellinaelea, der alten schwarzfahrerin. schwarzfahren gehörte nicht zum ehrenkodex, also hat sie's gemacht. einem blinden bettler die münzen aus dem becher zu klauen schon. deswegen hat sie das gelassen. stimmt's?


oder, etwas gehobener ausgedrückt: es sind internalisierte normen, die menschen von deviantem verhalten abhalten. ob diese normen vom staat so gesetzt wurden, ist da relativ unabhängig von. so ist die norm, dass man keinen umbringt, sowohl bei den meisten menschen internalisiert, als auch von den meisten staaten auferlegt. das verbot zu kiffen, ist bei den meisten (kiffern) nicht internalisiert. sich die unterhose über den kopf zu ziehen, ist nicht staatlich verboten, aber trotzdem eine internalisierte norm. und deswegen kiffen mehr als sich leute unterbuxen über den kopf ziehen. und deswegen ist mord auch selten. mag aber sein, dass es einige wenige gibt, die tatsächlich nur die staatliche sanktion davon abhält, und es im falle eines wegfalls der staatlichen sanktionen einen dammbrucheffekt gibt.
 

Ellinaelea

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antimagnet schrieb:
dem würd ich sogar zustimmen. ich meinte aber vielmehr, dass die meisten menschen sich benehmen, nicht weil sie die strafen fürchten, sondern weil sie wissen, dass es sich nicht gehört. der eigene ehrenkodex, sozusagen. sieht man ja bei ellinaelea, der alten schwarzfahrerin. schwarzfahren gehörte nicht zum ehrenkodex, also hat sie's gemacht. einem blinden bettler die münzen aus dem becher zu klauen schon. deswegen hat sie das gelassen. stimmt's?
Stimmt *grins* Das ging viel weiter. Interessant, dass du das anreisst. Das erste, was ich gemacht habe, als ich damals Mitglied in der kriminellen Bande wurde, war denen die privaten Einbrüche abzugewöhnen. Meine Überlegung war, dass wir sonst vielleicht einen Menschen so erschrecken, dass er sich daheim nie mehr sicher fühlt. Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Also wurde ab sofort nur noch nächtlich in Bürogebäude und andere menschenleere Orte eingebrochen.
Ausserdem haben wir am Laufmeter Autos geklaut. Lustigerweise aber nur teure Schlitten wie Mercedes und so. Wenn wir nen Döschwo oder sonst ein kleines Gammelauto gesehen haben, haben wir denen sogar die versehentlich offen gelassenen Türschlösser verschlossen, damits sonst niemand klaut *ggg* Im Übrigen haben wir den grössten Teil der Beute meist einfach verschenkt. Ja, ja, ich weiss... mega seltsam... aber die reine Wahrheit. Ich hab niemals einem Bettler die Münzen aus seiner Kappe geklaut, dagegen mehrfach die Mütze mit Banknoten aufgefüllt.

Ich wage sogar die Behauptung, dass Kriminelle ein wesentlich ausgeprägteres Gefühl für Ehre und Ehrlichkeit haben. Schlicht darum, weil sie im Vergleich zum Normalbürger - aufgrund ihrer diversen Tätigkeiten - meist vertieft darüber nachgedacht haben. Öfter auch, weil man halt im Knast viel Zeit zum Nachdenken hat. Dass sie dann noch kriminell bleiben, liegt an der anderen Sichtweise auf die Welt.
Diejenigen, auf die das nicht zutrifft, das sind solche, die entweder im Affekt ihre Taten begangen haben oder unter pathologischen psychischen Störungen verschiedenster Art leiden.

Ein weiteres Beispiel für das schräge Ehrgefühl der Kriminellen könnte die Behandlung von Vergewaltigern und Kinderschändern im Gefängnis sein. Die ist - nach allem was ich mitbekommen habe - so übel, dass diese Sorte Verbrecher oft auf extra Stationen isoliert werden muss, damit sie es einigermassen unverletzt überlebt.
 

the_midget

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antimagnet schrieb:
der gefängispsychologe wäre gut beraten, irgendwo einzubrechen. da liegt die aufklärungquote knapp unter 20%. (klick)

ein rationaler mensch multipliziert die wahrscheinlichkeit des eintretens mit dem nutzen. sagen wir, es gibt 10.000€ zu erbeuten, dann wären das also 10.000*0,8=8.000€, die man innerhalb weniger stunden verdient. wer da nicht einbricht, handelt strenggenommen irrational (außer er hat nen noch besseren job). rationale verbrecher müssten sich ihr verbrechen nach der aufklärungsquote aussuchen...

Wie du jetzt auf diese Multiplikation kommst hab ich nicht verstanden.
Anyway...
Erbeutet man denn bei Einbrüchen wirklich so viel Geld? Wieviel Arbeit steckt eigentlich wirklich hinter so einem Einbruch? Ein normale Wohnungstür aufzubrechen dauert für einen Profi wohl nur einige Minuten... die Frage ist wieviel es zu holen gibt und ob der Einbrecher das vorher weiss und wie einschätzbar das Risiko für ihn ist. Das Zeug,das er klaut muss er zudem auch noch irgendwo loswerden. Er wird bestimmt nicht den vollen Wert der Ware dafür erhalten.
Zudem gilt: Auch Einbrechen will gelernt sein. Es spielt auch eine Rolle ob der potentielle Deviant überhaupt über die entsprechenden Werkzeuge und Kenntnisse verfügt einen Einbruch einigermaßen professionell übre die Bühne zu kriegen. Es ist vielleicht keine ehrliche Arbeit aber eben auch Arbeit...

Man kann sich also entscheiden: Entweder ein unbeständiges Leben als Einbrecher und manchmal mit ein wenig Glück und viel Geschick eine große Geldmenge abstauben verbunden mit dem Risiko im Knast zu landen. Ich schätze über kurz oder lang wird jeder irgendwann mal erwischt, der das längere Zeit betreibt.

oder: Man macht eine Ausbildung, mit halbwegs guten Berufsausichten, findet eine feste Anstellung und führt ein geregeltes Leben mit stabilen Finanzen und schwedischen Möbeln statt schwedischen Gardinen. Vorrausgesetzt man verfügt über die notwendigen Mittel und Möglichkeiten dies zu verwirklichen.

Verhalten sich "anständige Bürger" jetzt immer noch so irrational?

Jetzt wäre es interessant Zahlen zu haben, die etwas darüber aussagen welche Verbrechen am häufigsten begangen werden und in welchem Verhältnis sie zu der jeweiligen Aufklärungsquote stehen. Ich würde mal vermuten, daß die Anzahl der begangenen Einbrüche entsprechend der niedrigen Quote recht hoch ist.
Aber man muss eben neben dem erwarteten Gewinn und der Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden auch noch die nötige Arbeit berücksichtigen. Außerdem spielt es eine Rolle welche anderen Möglichkeiten es noch gibt an dieselbe Summe zu kommen, die vielleicht einfacher sind. Und ob der Einbrecher überhaupt so viel Geld haben will und wie hoch die zu erwartende Strafe im Falle des Erwischtwerdens sein wird.

]Zudem möchte ich behaupten, daß es ohne Strafen weitaus mehr Verbrechen aus rationalen Motiven geben würde,

dem würd ich sogar zustimmen. ich meinte aber vielmehr, dass die meisten menschen sich benehmen, nicht weil sie die strafen fürchten, sondern weil sie wissen, dass es sich nicht gehört. der eigene ehrenkodex, sozusagen. sieht man ja bei ellinaelea, der alten schwarzfahrerin. schwarzfahren gehörte nicht zum ehrenkodex, also hat sie's gemacht. einem blinden bettler die münzen aus dem becher zu klauen schon. deswegen hat sie das gelassen. stimmt's?

Also bei mir besteht eines der Hemmnisse am Schwarzfahren darin, daß es mir furchtbar peinlich wäre ohne Fahrkarte vor dem Kontrolleur zu stehen und mich mit blöden Ausflüchten wohlmöglich auch noch wegen der 2 Euro oder so zu erniedrigen. Ich würde mich schlicht schämen. Zudem wäre ich die ganze Zeit nervös, wenn ich kein Ticket hätte. Da ist mir mein gutes Gewissen und eine entspannte Fahrt die zwei Euro schon wert. Ist das jetzt eine rationale Entscheidung oder eine internalisierte Norm?

oder, etwas gehobener ausgedrückt: es sind internalisierte normen, die menschen von deviantem verhalten abhalten. ob diese normen vom staat so gesetzt wurden, ist da relativ unabhängig von.

Das stellt die Existenzberechtigung von Gesetzen erheblich in Frage. Wenn sich sowieso alle dran halten weil sie es internalisiert haben braucht man keine externen Sanktionen mehr. Bei den Menschen die nicht kriminell sind ist das auch so. Bei kriminellen offensichtlich nicht, sonst würden sie sich ja nicht deviant verhalten.

das verbot zu kiffen, ist bei den meisten (kiffern) nicht internalisiert. sich die unterhose über den kopf zu ziehen, ist nicht staatlich verboten, aber trotzdem eine internalisierte norm. und deswegen kiffen mehr als sich leute unterbuxen über den kopf ziehen.

Ich geh mal davon aus du meintest: sich die Unterhose nicht über den Kopf zu ziehen ist eine internalisierte Norm. Aus meiner rationalen Argumentationsweise heraus muss ich dich jetzt aber darauf hinweisen, daß es einem keinen Nutzen bringt sich die Unterhose über den Kopf zu ziehen eher Nachteile. Deswegen ziehen sich auch mehr Leute Joints rein als Hosen über den Kopf. Ich seh da keinen Widerspruch zu meiner Position. Ich stimme Dir aber zu, daß es neben rationalen Erwägungen auch andere Dinge gibt, die das Verhalten steuern. Und internalisierte Normen gehören da durchaus zu. Unter bestimmten Bedingungen wird man aber gezwungen diese zu überwinden, bzw. gegen sie zu verstossen. Wenn man zum Beispiel keine Perspektive im Leben hat, einem hier und da das Geld fehlt, man kurz vorm Rausschmiss aus der Wohnung steht, sprich: wenn es um existenzielle Bedrohungen (oder auch Nutzen) geht nimmt die Bedeutung solcher internalisierten Normen sehr schnell wesentlich ab. So zumindest meine These. Und da kann es durchaus auch mal rational sein sich abweichend zu verhalten.

und deswegen ist mord auch selten. mag aber sein, dass es einige wenige gibt, die tatsächlich nur die staatliche sanktion davon abhält, und es im falle eines wegfalls der staatlichen sanktionen einen dammbrucheffekt gibt.

Also ich glaub ja eher das Mord selten ist, weil der Mord an sich nicht viel Nutzen hat.

Aber im Grunde ergänzen sich unsere Sichtweisen ganz gut finde ich.

gruß

the midget

ach ja zu der Geschichte mit den blinden Bettlern und den Münzen (wobei ich da eigentlich noch anmerken wollte, dass die Münzen eines Bettlers auch eine sehr kleine Beute sind - nicht groß genug um mich zu so etwas gemeinem hinreissen zu lassen) hab ich noch ein schönes Songzitat:

Chris Cornell von Soundgarden schrieb:
The day I tried to live
I stole a thousand beggar's change
And gave it to the rich
 

antimagnet

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hach midget, wie ich so deinen post les, denk ich mir, dass wir uns eigentlich gar nicht wirklich widersprechen. und dann les ich das da:

Aber im Grunde ergänzen sich unsere Sichtweisen ganz gut finde ich.

:D


ich denke, unsre größten "reibereien" entzünden sich am gebrauch der wörter rational/irrational. ich habe mich an der rationalität von rational-choice-theorien orientiert: da geht das schwarzfahrproblem ganz einfach. sagen wir du weißt, bei jeder 80. fahrt wird man erwischt und das kostet auch 80€. das macht dann einen euro pro fahrt und das ist billiger als zwei euro für die fahrkarte.

dazu muss ich aber ökonomische nutzenmaximierung als superziel unterstellen - was durchaus im sinne des begriffs rational sein kann.

menschen haben aber auch gefühle und räumen diesen einen enorm hohen stellenwert ein. das gefühl, beruhigt in der straßenbahn zu sitzen, kann man gar nicht mit geld aufwiegen. da gefühle selten berechnet werden, kann das durchaus auch irrational genannt werden.

muss aber nicht so genannt werden, irrational hat eher was von unverständlich, planlos, chaotisch, beliebig. und es unterstellt, dass nur die ökonomische rationalität die wahre rationalität sei. was ich für fraglich halte.

vielleicht wären vernünftig und berechenbar die besseren begriffe gewesen. zwischen zweck- und wertrationalität zu unterscheiden, wär vielleicht auch nicht schlecht.

sonst stimm ich dir sehr zu. statt der unterhose ist mir was bessres eingefallen: schwarzarbeit, sagen wir in kleinem stil. bissel was dazuverdienen. ist absolut in ordnung und verboten.




Ich geh mal davon aus du meintest: sich die Unterhose nicht über den Kopf zu ziehen ist eine internalisierte Norm.


waaas, ihr habt etwa keine unterhose auf'm kopp???

waaaaaaaahhh... 8O


aber um wieder zum eigentlichen theam zurückzufinden:

Das stellt die Existenzberechtigung von Gesetzen erheblich in Frage. Wenn sich sowieso alle dran halten weil sie es internalisiert haben braucht man keine externen Sanktionen mehr.

eigentlich ja. anarchie ist machbar. bis die internalisierung erodiert - ich befürchte, dass das sehr schnell gehen kann (hab das mal dammbrucheffekt genannt).

Bei den Menschen die nicht kriminell sind ist das auch so. Bei kriminellen offensichtlich nicht, sonst würden sie sich ja nicht deviant verhalten.

gerade die tatsache, dass es kriminelle gibt, zeigt die ohnmacht von gesetzen. würde eine immens hohe strafe für ladendiebstahl den seltener machen?

würde es den leuten besser gehen, nur weil die mindeststrafen höher sind? kriminell wird man, wenn man ziele hat, die man auf legalem weg nicht erreichen kann - häufig, weil einem die gesellschaft den weg dazu versperrt. und an diesem "missverhältnis" von wollen und können ändert sich nix, wenn die strafen höher werden...


:wink:,
a.
 

Ismael

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Zora schrieb:
@Ismael:
Was meinst du mit "Änderung der Gesellschaft"?

eine änderung der ausrichtung was wichtig ist

da die gesellschaft auf geld , sex und macht ausgerichtet ist

gebären wir uns dort auch unsere eigenen monster

ändern wir diese ausrichtung wird uns das eher helfen als todesstrafe
 

agentP

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Sex wird immer wichtig bleiben, denn das ist Teil unserer Biologie und die werden wir wohl kaum los.
 

Ismael

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ja schon aber es scheint mir überladen so medial das meine ich

rede nicht vom zöllibat ;)
 

antimagnet

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zur zeit machen aber grad ein paar gesellschaften, die sehr empfindlich sind bei der medialen darstellung von sex, der welt ganz schön probleme.
 

Booth

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Sorry - mal wieder ein wenig OffTopic - aber wir sind ja im Philosophie-Bereich ;)

Ellinaelea schrieb:
Ich wage sogar die Behauptung, dass Kriminelle ein wesentlich ausgeprägteres Gefühl für Ehre und Ehrlichkeit haben. Schlicht darum, weil sie im Vergleich zum Normalbürger meist vertieft darüber nachgedacht haben.
Da möchte ich kurz einhaken, und etwas Paroli bieten

Zunächst - Ehre und Ehrlichkeit klingen ähnlich, haben aber meiner Meinung nach nicht so viel miteinander zu tun. Die Ehre verlangt es sogar gelegentlich von einzelnen Menschen sich selber oder anderen gegenüber unehrlich zu sein.

Zur Ehre ein schönes Zitat von Shopenhauer:
Schopenhauer schrieb:
Die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert und subjektiv unsere Furcht vor dieser Meinung

Ehre ist somit nach dieser Definition der Wert, den unsere Umwelt uns beimisst, bzw der Wert, von dem wir glauben, daß unsere Umwelt ihn uns beimisst. In einer relativ kleinen Gruppierung, in der man sehr stark abhängig voneinander ist (da z.B. durch Verrat an Behörden die Gruppe komplett in den Knast wandern könnte) ist es nur logisch, daß ein hohes Maß an ein Ehrgefühl etabliert wird, um die Stabilität der Gruppe zu fördern.

Ob diese Ehre aber letztlich Werte beinhaltet, die ein Dritter als sinnvoll oder richtig erachtet, ist eine völlig andere Frage. Ein Ehrsystem kann auch völlig unmenschliche und teilweise unsoziale Werte beinhalten. Den Begriff der "Ehre" als einen in sich positiven Begriff zu betrachten, halte ich somit für nicht sinnvoll. Dieser Umstand dient viel mehr dazu, bei den Gruppenmitgliedern ein weiteres Nachdenken über das Wertesystem nicht entstehen zu lassen. Nach dem Motto: "Wieso sollte ich über mein Handeln nachdenken... es ist doch ehrenhaft?"

gruß
Booth
 

Ellinaelea

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...

Da wirst keinen Widerspruch lesen von mir :) Du hast nur die Begriffe vertiefter eingegrenzt. Ich stimme dir in allem zu.
 

the_midget

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antimagnet schrieb:
menschen haben aber auch gefühle und räumen diesen einen enorm hohen stellenwert ein. das gefühl, beruhigt in der straßenbahn zu sitzen, kann man gar nicht mit geld aufwiegen. da gefühle selten berechnet werden, kann das durchaus auch irrational genannt werden.

Ich sag mal, daß man diese Gefühle nicht so quantisieren kann, daß man damit einen objektiven, interindividuellen Wert meßen kann. Trotzdem lassen sie sich in einem subjektiven Wert erfassen - der hängt dann natürlich vom Individuum ab. In meinem Beispiel ist mir die Vermeidung des Schamgefühls eben mindestens 2 Euro wert. Und dieser Wert kann auch Teil einer rationalen Kosten-Nutzen Erwägung sein.


muss aber nicht so genannt werden, irrational hat eher was von unverständlich, planlos, chaotisch, beliebig. und es unterstellt, dass nur die ökonomische rationalität die wahre rationalität sei. was ich für fraglich halte.

sehe ich auch so.

vielleicht wären vernünftig und berechenbar die besseren begriffe gewesen. zwischen zweck- und wertrationalität zu unterscheiden, wär vielleicht auch nicht schlecht.

vielleicht... man muss die Sache aber nicht verkomplizieren...

sonst stimm ich dir sehr zu. statt der unterhose ist mir was bessres eingefallen: schwarzarbeit, sagen wir in kleinem stil. bissel was dazuverdienen. ist absolut in ordnung und verboten.

Ja is aber auch ziemlich Kosten-Nutzen Effektiv.

waaas, ihr habt etwa keine unterhose auf'm kopp???

nur wenn ich bekifft Schwarzfahre ;-)


gerade die tatsache, dass es kriminelle gibt, zeigt die ohnmacht von gesetzen. würde eine immens hohe strafe für ladendiebstahl den seltener machen?

bei der Aufklärungsquote und dem geringen Aufwand eventuell nicht. Aber Ladendiebstähle sind wohl auch oft impulsiv...

würde es den leuten besser gehen, nur weil die mindeststrafen höher sind? kriminell wird man, wenn man ziele hat, die man auf legalem weg nicht erreichen kann - häufig, weil einem die gesellschaft den weg dazu versperrt. und an diesem "missverhältnis" von wollen und können ändert sich nix, wenn die strafen höher werden...

Richtig. Es kommt auf eine Balance von mehreren Faktoren an.

8)

gruß

the midgte
 

Ellinaelea

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...

Hast du meine Fragen nicht gesehen, Zora? Oder hast du noch keine Meinung zum Thema und deine Fragen hier dienen der Selbstfindung? Ich wär schon interessiert, was der Threadersteller selbst für ne Meinung zum Thema hat. Denn immerhin muss es dir wichtig sein, wenn du extra dafür einen Thread eröffnest.
 

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