Spiegelleser wissen mehr

Graf-Unzahl

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In letzter Zeit fiel mir vermehrt auf, wie oft bei ernsthaften politischen, gesellschaftlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Diskussionen, auf diversen Internetforen, "Der Spiegel" als Informationsquelle herangezogen bzw. zitiert wird, sei es das Magazin selbst oder die Internetseite.

Dies ist memetisch betrachtet eigentlich ein erstaunliches Phänomen. Die Quantität der Quotationen und Linkverweise suggeriert gewissermaßen, dass dieses Magazin von einer nicht unbeträchtlichen Menge des "denkenden Volkes" ein nicht unbeträchtliches Maß an Vertrauen genießt. Man könnte auch sagen, dass das Mem "Der Spiegel ist eine seriöse Informationsquelle, auf die man sich uneingeschränkt verlassen kann", auf nicht unbeträchtliche Weise in den Köpfen des intellektuellen Pagus verankert ist.

Wenngleich ich selbst bisher keine wirkliche Affinität zu diesem Blatt verspürte, bewog mich doch die Auffälligkeit dieser enormen Quantität dazu, zumindest der Internetseite einmal einen Besuch abzustatten. Und was ist das erste, das meine Augen entdecken mussten? Dort werden Artikel zum Kauf angeboten.

Obschon der Einzelpreis der Artikel bei mengenmäßig geringfügigen 50 Cent liegt, konnte in mir der Eindruck, es mit einem ähnlichen Etablissement zu tun zu haben wie mit jenem, welches sich im Allgemeinen durch eine rote Beleuchtung auszeichnet, nicht so recht entweichen.

Das Prinzip ist das selbe, hier wird geteast, und wer mehr will, muss zahlen. Der Gehörnte in mir würde jetzt ad hoc sagen, das ist minderwertigster Informationskapitalismus, aber zum Glück habe ich dem Gehörnten in mir schon vor Jahren die Zunge amputiert :mrgreen:

Nun frage ich mich natürkisch, was mag den intellektuellen Pagus dazu bewogen haben, das oben beschriebene Mem so lange aufrecht zu erhalten? Ist es schlichtweg nur die Macht der Gewohnheit oder doch vielleicht das bisher selten erforschte Phänomen des "Somnus Profundus", welches den intellektuellen Pagus letztlich als bloße Karikatur des nicht intellektuellen Pagus outet? Oder verläuft diese Macht mit diesem Phänomen gar unison? Oder sind da einige Lakeien einfach nur einer geschickten Werbestrategie zum Opfer gefallen, die die Kunst des Simplizismus mithilfe der Lockspeise "Spiegelleser wissen mehr" zur Perfektion brachte?

Oder oder oder. Fragen über Fragen.

Noch eine: Wissen Spiegelleser tatsächlich mehr?

Aus einer tatsächlich metaphysischen Positur heraus müsste die Antwort lauten: Sie tun es, allerdings mit absoluter Sicherheit nicht die Leser jenes Blattes, welches eines der Zentrallexeme der holistischen Weltbetrachtung hinterrücks usurpiert hat, gar zum Titel erkoren, des reinen materiellen Gewinnes wegen...

:mrgreen: :mrgreen: :mrgreen:

Sorry, bin heut gut drauf...
 

Kasimir

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Am besten ist wenn man Spiegel, Stern, Ficus eh... ich meine Focus liest und sich nicht nur auf eine Infoquelle sitzen bleibt. Es könnte ja vorkommen das dir eine Ente vorgesetzt wird.
 

deffel

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Also wenn ich mir anschaue was für Seiten hier manchmal als
"Informationsquelle" veröffentlicht werden...

...jaaaaa ...doch...Spiegel find ich gut.

Gruß der Deffel
 

Kasimir

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Ich bin mehr für Stern oder Ficus D'oh Focus meine ich. Oder bpb hat auch sehr viele gute Quellen.
 

Elbee

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Graf-Unzahl schrieb:
In letzter Zeit fiel mir vermehrt auf


Immer mehr Menschen ..., so fangen auch gerne an den Haaren herbeigezogene TV-Meldungen in Boulevard-Magazinen auf Privatsendern an. Zunächst mal finde ich Deinen Artikel in der Form einer Kolumne so gut, dass mehr davon diesem Forum ganz gut tun könnte.

Was den Spiegel-Claim betrifft, ist der ja schon ein Klassiker und hat durchaus die Qualitätsstufe "Wenn´s um Geld geht Sparkasse" oder "Just do it". Nur: Werber wissen, dass eine Nase nur so gut ist, wie der Inhalt darin. Und wenn es hier speziell um die Online-Ausgabe des Spiegel geht, dann gelten eh andere Regeln. Die Texte sind knapp, man liest schon mal diagonal. Die Kaufartikel sind teuer und die Zahl der Abnehmer garantiert gering. Ist mehr eine Imagesache und bestimmt auch auf Drängelei der Buchhaltung passiert, aber die Erfahrungen mit Pay-per-Article sind nicht so dolle und das branchenweit. Das ganze Textgerümpel soll eigentlich nicht mehr machen, als Kundenbindung erzeugen und die Printausgabe verkaufen, am besten noch im Abo. Womit wir beim Thema Gewohnheit wären (klasse Überleitung, nicht wahr?).

Denn der Arbeiter holt sich lt. Klischee morgens die BILD, liest sie im Zug und lässt die dann bestenfalls auf dem Sitz liegen, wenn er aussteigt. Der Zahnarzt lässt von der Sprechstundenhilfe montags den Spiegel holen, und legt ihn nach der Lektüre ins Wartezimmer, damit er was zum Steuerabschreiben hat. Die Internetjunkies klicken morgens noch vor der ersten Tasse Kaffee die Bookmarks durch, eins davon ist Spiegel-Online. Zumindest wenn sich der Monitorgucker für halbwegs intellektuell hält. Und so landen die neu erworbenen Weisheiten dann schnell in einschlägigen Foren, felsenfest wahrheitszementiert als Quellen-Links hurra.

Das alles sagt über die Qualität der Publikation Spiegel erstmal gar nichts aus, denn wenn man sich ernsthaft informieren will, dann recherchiert man sowieso quer. Da wird das Thema gleich bei mehreren Verlagen und Informationsdiensten (deutsch: News Channel) abgefragt und auf Fakten abgeglichen. Auf den Betrachter warten da auch schöne Erlebnisse wie völlig unterschiedliche Daten und Darstellungen. Von Gewichtung und Platzierung gar nicht erst zu reden. Wer es total ernst meint, der greift zum Buch. Das ist zwar etwas aus der Mode gekommen, aber eben auch nachttischschubladenkompatibel. So kommt es, dass Meinungen entweder vorschnell, gar nicht oder auch konträr entstehen. Manchmal werden sie auch revidiert, wofür allerdings eine Portion Selbstbewusstsein nötig ist, falls man keine Sozialphobie hat, auch auf Kommunikation steht und sich mitteilt. Was sich manchmal als böser Fehler herausstellen kann.

Wo ich gerade bei böser Fehler bin: Der Spiegel ist das doch auch, oder?

Na, jedenfalls kann es so passieren, dass am Ende plötzlich mehr Fragen als Antworten da sind. Mmmh. Ob dann der Spiegel-Leser wirklich immer noch mehr weiß? Und vor allem: Mehr als wer eigentlich?
 
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Nun ich denke in der Tat, dass Spiegel Leser mehr wissen, ich denke aber sie wissen nur deshalb mehr, weil uns dieses Magazin in einer ihm üblichen Art und Weise viele Fakten und Informationen präsentiert, die man bei vergleichbaren Themengebieten (ich gehe bspw. von der Berichterstattung über den Irak Krieg (+Folgen), oder vor kurzem die Tragödie in Russland, aus) in den anderen Magazinen nur sehr spärlich vorfand.

Natürlich recherchieren Focus und Stern genauso und natürlich sollte man auch sie zur breiteren Information heranziehen, nur ist nach meiner persönlichen Erfahrung der Spiegel sehr viel informativer, faktenreicher, und im großen und ganzen auch angenehmer zu lesen, da er die Dinge kritisch betrachtet und hinterfragt und dabei gewisser Stilmittel wie Ironie, Sarkasmus, etc. nicht entbehrt......

Ist natürlich eine Ansichtssache, aber seien wir doch mal ehrlich der Spiegel hätte niemals die sog. "Hitler-Tagebücher" gekauft wie die Kollegen vom Boulevardblatt "Stern" :lol:
 
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Weinberg, Oliver

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Ist natürlich eine Ansichtssache, aber seien wir doch mal ehrlich der Spiegel hätte niemals die sog. "Hitler-Tagebücher" gekauft wie die Kollegen vom Boulevardblatt "Stern"

...oh, doch, sie hätten (und sei es, um das an den Stern mit Gewinn weiter zu verkaufen...)

Der Spiegel erweist sich dann als Rohrkrepierer, wenn man, was ja auch mal vor kommt, mehr über ein Thema weiß, dass dort behandelt wird. Erst dann erschließt sich, wie lückenhaft, oberflächlich und auch partei nehmend der Spiegel eigentlich berichtet.

Von daher. Besser ist es, wenn Spiegelleser nicht mehr wissen...
 

Kasimir

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Weinberg schrieb:
Ist natürlich eine Ansichtssache, aber seien wir doch mal ehrlich der Spiegel hätte niemals die sog. "Hitler-Tagebücher" gekauft wie die Kollegen vom Boulevardblatt "Stern"

...oh, doch, sie hätten (und sei es, um das an den Stern mit Gewinn weiter zu verkaufen...)

Der Spiegel erweist sich dann als Rohrkrepierer, wenn man, was ja auch mal vor kommt, mehr über ein Thema weiß, dass dort behandelt wird. Erst dann erschließt sich, wie lückenhaft, oberflächlich und auch partei nehmend der Spiegel eigentlich berichtet.

Von daher. Besser ist es, wenn Spiegelleser nicht mehr wissen...

Ganz deiner Meinung. Der Spiegel kommt mir manchmal vor als ob jemand ihn beeinflussen würde. Oder das er je nach Stimmung andere oft Paradoxe Meinungen zu Aktuellen Themen Schreibt.
 

Onkel_Hotte

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Weinberg schrieb:
Der Spiegel erweist sich dann als Rohrkrepierer, wenn man, was ja auch mal vor kommt, mehr über ein Thema weiß, dass dort behandelt wird. Erst dann erschließt sich, wie lückenhaft, oberflächlich und auch partei nehmend der Spiegel eigentlich berichtet.

Von daher. Besser ist es, wenn Spiegelleser nicht mehr wissen...

Genau so ist es. Mir fällt diese oberflächliche und auch bewusst manipulierende Berichterstattung des Spiegels immer dann auf, wenn von Themen berichtet wird, von denen ich selbst Ahnung hab, also im wesentlichen Metal und Computerspiele :D. Und Frauen! :wink:

Z.B. wurde in der Berichterstattung zum erfurter Amoklauf System of a Down als Satan verehrende, zum Massenmord aufrufende Death!!!-Metalband bezeichnet. Hallo??? Gehts noch? Die Beschreibung passt vielleicht auf die Kastelruther Spatzen aber ganz sicher nicht auf die guten Jungs von S.O.A.D.
Des weiteren wurde Half-Life als das brutalste aller Computerspiele bezeichnet. Ziel des Spiels: möglichst viele Menschen töten :roll: :lol:.Einfach herrlich. Seitdem lese ich den Spiegel nur noch aufgrund der unfreiwilligen Komik. Der Spiegel ist quasi ein einziger Hohlspiegel.

Aber eins muss man dem Spiegel lassen:
Er hat es dank genialem Marketing geschafft, trotzdem als quasi unfehlbare Informationsquelle in der Öffentlichkeit zu gelten. Im Gegensatz zu Focus und Co., von denen ich übrigens genau so wenig halte.
 

agentP

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Oder das er je nach Stimmung andere oft Paradoxe Meinungen zu Aktuellen Themen Schreibt.
Genau so ist es auch, denn immerhin gibt es keinen Herrn Spiegel, der den Spiegel schreibt, sondern eine Menge Redakteure, die -man höre und staune - Individuen sind. Wer Informationen sucht, der wird genau das am Spiegel mögen, wer Wahrheit sucht, der sollte dies nicht in den Medien tun, sonern in der Kirche, Synagoge oder Moschee. Auf das verkünden von unfehlbaren Wahrheiten haben die nämlich das Monopol nicht der Spiegel.
Der Spiegel ist und bleibt das "kleinste Übel". Nicht mehr und nicht weniger.
 
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Weinberg, Oliver

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Spiegel ist und bleibt das "kleinste Übel". Nicht mehr und nicht weniger
:roll: hör ich da das leise Eingestehen zwanghaften Lesen müssens?
Das geht eigentlich so: "Hallo, ich bin Agent P und ich bin süchtiger Leser."(und dann kommt der nächste dran...)

... nur mal so.
 

the_midget

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Hallo ich bin the midget und süchtiger Leser...

und der Spiegel ist das einzige Magazin, daß ich regelmäßig lese. Ich finde es gibt auch keine vernünftige Alternative. Focus ist mir zu plakativ und im Stern sind mir die Bildchen zu groß.

Der Spiegel hat folgende Vorzüge:
- Man hat eine nahezu komplette Übersicht vpn allem was so in letzter Zeit politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich los ist
- Zu bestimmten Themen gibt es wirklich interessante Hintergrundberichte und -informationen. Meinem Eindruck nach sind die meisten Stories herrvoragend recherchiert, und z.b. die Reportagen von Matthias Matussek auch noch gut geschrieben

Tatsächlich sind die Artikel oft nicht objektiv - ich denke aber das ist durchaus beabsichtigt. Ein Artikel, der einen Standpunkt hat, ist auch weitaus interessanter als eine blosse Auflistung von Fakten. Manche Artikel sollen auch provozieren, denke ich. Die Cannabis-Story zum Beispiel. Die war bei Leibe nicht objektiv und etwas reißerisch - allerdings war es auch mal ganz erfrischend was anderes zu lesen als "Legalize It! is ja alle sos harmlos blah blah". Und es waren immer noch Fakten drin - die waren bloss ein bisschen einseitig "komponiert". Das merkt man dann auch an den Leserbriefen. Ich bin manchmal ganz erstaunt was die Leser so alles in einen Artikel reinlesen, obwohl das da eigentlich gar nicht drin stand.

Okay, es gibt ein paar Schnitzer, wie zum Beispiel die Sache mit System of a Down oder Half-Life... Da kann ich mich auch nur wundern und bestenfalls drüber lachen. Ich schätze mal in solchen Fällen hat der Redakteur es sich einfach etwas leicht gemacht, bzw. die hielten das dann wohl nicht für so wichtig, daß es nochmal nachgeprüft werden müsste.

Manchmal find ich es allerdings auch beängstigend, wenn ich merke, daß ich in einer Unterhaltung ungefähr 5mal sage: das stand letztens im Spiegel... und wenn ich sehe wie oft der Spiegel auch in anderen Medien zitiert wird, bzw. sich die Themen da überschneiden. Manchmal hab ich den Eindruck die gehen in der Redaktionskonferenz einfach nur den Spiegel durch und gucken welche Themen sie auch behandeln wollen...

wieauchimmer

gruss

the_midget
 

Artaxerxes

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@ all,

auch im Spiegel gibt es Murphy's Gesetz. Da muss man dann hin und wieder ein Auge auf die Gegendarstellungen und analoge Themen in anderen Medien haben.

Aber qualitativ steht er m. E. ganz weit oben, was die Blind *uups* Bildleser natürlich vehement bestreiten werden.

Aber maßgeblich - wie bei allen anderen Medien ist:

Zwei Quellen - zwei Meinungen = Eigene Meinung bilden

So long Artaxerxes
 

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