Sind Verschwörungstheoretiker dümmer als Ameisen?

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Der Ameisenstaat - eine Dystopie, in der der Mensch Mittel ist, Punkt. Der Sozialismus - eine Wirtschaftsordnung, in der Chaos durch zentrale Planung ersetzt worden ist, zum Wohle aller. Verschwörungstheorien - Welterklärungsmodelle, die scheinbar zusammenhanglose Ereignisse auf die raffinierten, zielgerichteten Machenschaften von Geheimgesellschaften zurückführen. Kreationismus - die Weigerung, zu akzeptieren, daß sich das Auge und der Flügel "von allein", durch Versuch und Irrtum entwickelt haben.

Vier Themen? Nein. Vier Äußerungsformen desselben Phänomens. Aber es ist nötig, weiter auszuholen.

Der Mensch ist ein Wesen, das seine Handlungen, ja in gewissen Grenzen sein ganzes Leben vorausplanen kann. Er schließt von sich auf andere und vermutet überall, wo er ein funktionierendes System sieht, einen Plan; und er nimmt an, daß ein Plan immer nützlich ist. Und zwar genau ein Plan für jedes Projekt, gleichgültig wie groß und umfassend, nicht eine Vielzahl von unabhängigen Teilplänen.

Bis heute können viele nicht akzeptieren, daß die staatenbildenden Insekten keinem Plan folgen, keinem Befehl gehorchen, nicht einmal ein Bewußtsein haben. Kann man Kindern noch naive Geschichten vom Freund der Biene Maja, dem Ameisensoldaten Paul erzählen, muß der erwachsene Esoteriker auf Ideen von einem Kollektivbewußtsein zurückgreifen, um sich die großartigen Leistungen von Ameisenvölkern zu erklären. Und doch ist selbst der grandioseste Ameisenbau spontan entstanden, aus einem selbstorganisierenden System heraus. Nach einfachen Regeln autonom handelnd haben Millionen von kleinen Insekten aus Chaos Ordnung erschaffen. Die Idee, daß so etwas ohne Plan und Organisation möglich ist, ist jung. Seit Jahrtausenden haben Planung und Organisation den Menschen auf der Hand liegende Vorteile gebracht. Die großen Denker haben sich um den Entwurf von Gesellschaftssystemen bemüht, in denen beides optimiert werden sollte, die Herrschenden haben Planung und Organisation praktisch zu vervollkommnen versucht, und wer etwas dagegen hatte, war offensichtlich ein Rebell, selbstsüchtig, asozial, später ein Konterrevolutionär. Die Vertreter einer wohltätigen Ordnung ordneten alles, bis hin zur Ehe, und gerne hätten sie auch die Auswahl der Ehegatten geordnet, wie im Sonnenstaat.

Im 18. Jahrhundert dann stellte Adam Smith seine bekannte "Untersuchung über Natur und Ursachen des Volkswohlstands" an und kam zu überraschenden Ergebnissen, die nach einer Erklärung verlangten. Chaotische Märkte funktionierten besser als die gelenkte merkantilistische Wirtschaft. Der ratlose Smith prägte den Begriff von der Unsichtbaren Hand. Der Schotte hat vielleicht als erster ein selbstorganisierendes System als solches erkannt und beschrieben, ohne es wirklich zu verstehen, nämlich den Markt, auf dem viele hunderttausend Menschen unabhängig voneinander nach einfachen Regeln ihre ganz persönlichen Ziele verfolgen und dabei ein hochkomplexes System erzeugen, das zum Wohle aller wirkt.

Bis heute ist Smith der Haßgegner einer unüberschaubaren Menge von Laienökonomen, die in der Freiheit Chaos (und mittlerweile notgedrungen im Wohlstand Verschwendung) sehen und den Ameisenstaat herbeisehnen, in dem der Einzelne für die Gemeinschaft da ist - den Ameisenstaat, den es so nur in der Fantasie der Menschen gibt.

Die Wissenschaft dagegen ist seit einem halben Jahrhundert auf den Geschmack gekommen und findet selbstorganisierende Systme, wo immer sie nach ihnen sucht. Die Märkte, menschliche Gesellschaften, staatenbildende Insekten, die Evolution, ja, die ganze Entstehung des Universums.

Und so bleiben zwei Gruppen, die mit dem Konzept nichts anfangen können, die Interessierten und die Dummen. Die Interessierten finden sich in erster Linie in der Politik, wo sie immer noch die geplante Gesellschaft zu errichten und einen Posten möglichst weit oben in der Pyramide zu ergattern versuchen. Die Dummen, und das können hochintelligente Menschen sein, die sich freilich verrannt haben, findet man überall in den Randbereichen, am Fringe. Da wird dann das Kollektivbewußtsein vom Ameisenvolk auf die ganze Erde übertragen - Gaia-Hypothese. Da wird Gott nach und nach notgedrungen seiner Macht beraubt, aber der Designer muß am Ende übrigbleiben. Während die Interessierten den Plan vielleicht nur für überlegen halten, halten die dummen den Plan für einzig wirksam und einzig vorstellbar. Wie vor tausend Jahren vermuten sie einen planende Intelligenz hinter allem, was funktioniert, und weil der menschliche Geist überall Muster sucht, erkennen sie zu allem Unglück auch noch funktionierende Systeme in Ereignissen, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben - und das ist der Boden, auf dem Verschwörungstheorien wachsen. Es ist etwas passiert, also muß es geplant gewesen sein. Es war geplant, also muß es einen Sinn haben.

Hinter dem Sozialismus, hinter dem Kreationismus, hinter den diversen Verschwörungstheorien steckt ein einziges Phänomen - die Unfähigkeit oder der Unwille, selbstorganisierende System als existent oder als effizient anzuerkennen. Wozu sie in Wirklichkeit fähig sind, zeigt ein Gang in den nächsten Supermarkt oder dieser Film.

Sind Verschwörungstheoretiker dümmer als Ameisen? Wenn dumm ist, wer dummes, und klug, wer kluges tut, ja, mit Sicherheit. Vielleicht liefert aber die Erkenntnis des gemeinsamen, grundlegenden Irrtums hinter diesen scheinbar unabhängigen Irrlehren den Schlüssel zu ihrer Bekämpfung, denn intelligenter als Ameisen sollten Menschen allemal sein.
 

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