Kommentar
Muntermacher aus dem Irak
Maritta Tkalec
Ob Saddam Hussein Atomwaffen, Bakterienbomben und Giftgasgranaten gebunkert hat, weiß man nicht ganz genau. Gewiss aber besitzt der Irak die größten Erdölvorkommen der Welt außerhalb Saudi-Arabiens. Nirgendwo lässt sich das Öl so kostengünstig fördern wie in dieser Region. Die USA verbrauchen ein Viertel des weltweit geförderten Öls. US-Präsident George W. Bush und sein Stellvertreter Dick Cheney haben lange im Erdölgeschäft gearbeitet und gute Beziehungen zu einschlägigen Konzernen.
Sollten diese Tatsachen etwas mit den Vorbereitungen auf einen Irak-Krieg zu tun haben? Die US-Regierung bestreitet jeden aktuellen Zusammenhang. "Erwähnt bloß das O-Wort nicht", charakterisiert der britische Economist die Informationspolitik der US-Regierung zum Thema "O wie Oil". Eine Neuordnung des Ölmarktes nach dem Sturz Saddams stünde nicht einmal auf der Aufgabenliste der vom Außenministerium eingesetzten Arbeitsgruppe, die den neuen Irak entwerfen soll.
Die Erdölfirmen jedenfalls halten sich an die Tatsachen und stecken daher längst in den Vorbereitungen für die Zeit danach. Wer wollte abseits stehen, wenn mit einem neuen Regime in Bagdad das Embargo fällt, seit zehn Jahren brachliegende Fördertürme, Raffinerien, Pipelines wieder in Betrieb zu setzen sind, wenn Lizenzen neu vergeben werden? Man spürt schon jetzt das Petroleum in der Nase und die Freude der Ölgroßverbraucher, sich aus der unangenehmen Abhängigkeit Saudi-Arabiens lösen zu können. Mangels ernsthafter Konkurrenz beherrschen die Saudis seit zehn Jahren die Opec und machen die Preise. Und die sind hoch, billiges Öl - 15 oder zehn Dollar pro Barrel - das wäre der Muntermacher für die Konjunktur weltweit, in Sonderheit für die amerikanische. Vorausgesetzt, die Technik wäre rasch repariert, könnte der Irak die Märkte mit Öl überschwemmen, auch an der Opec vorbei. Der Finanzbedarf für einen Wiederaufbau ist gewaltig.
Doch einer soll nicht vom Powerdrink schlürfen dürfen: Saddam. Ginge es nur um die Waffeninspektionen - man könnte den Diktator gezügelt und kontrolliert noch einige Zeit ertragen, so wie man seinen Kollegen in Nordkorea erträgt. Ein Krieg wäre nicht so drängend. Saddams Regime wieder reich zu machen, ist allerdings nicht nur in den USA unvorstellbar. Neue - bislang unbekannte - Machthaber hätten hingegen ihren Aufstieg allein den USA zu danken. Der Dank dafür müsste zu lang anhaltender Geschäftspartnerschaft verpflichten.
Eine solche Marktneuordnung muss auf alle anderen Öl-Verdiener und Energieproduzenten höchst irritierend wirken. Werden nicht-amerikanische Firmen im Irak noch eine Chance haben - zum Beispiel die stark interessierte russische Lukoil, die französische Elf Aquitaine oder chinesische Firmen? Werden sich Investitionen in teuer zu erschließende Ölfelder - etwa in Sibirien, Mexiko, Norwegen oder Angola noch lohnen? Wäre es noch wichtig, Kaspi-Öl durch das unbefriedbare Afghanistan zu transportieren?
Nicht zuletzt würde ein Ölpreis-Sturz das Schicksal des weltweiten Klimaschutzes auf Jahre besiegeln. Wer wollte schon fossilen Brennstoff sparen, wenn er als Schnäppchenangebot zur Verfügung steht? Auch um die Wettbewerbschancen erneuerbarer Energien stünde es mit einem Schlag denkbar schlecht. Alle Anstrengungen Deutschlands, sich mit Hilfe diversifizierter Energieimporte und -quellen vergleichsweise unanfällig für Hochpreiskrisen zu machen, wären zumindest auf absehbare Zeit vergebens gewesen - noch ein Grund, einen überstürzten, mit Gewalt herbeigeführten Regimewechsel im Irak abzulehnen.
Vermeidbar erscheint er nicht mehr. Die USA haben das irakische Angebot, wieder Waffeninspekteure zuzulassen, umgehend als Täuschungsmanöver abgelehnt. Saddams Entmachtung bleibt das Ziel. Die Härte, mit der die ölbetriebene US-Regierung an dieser Aufgabe arbeitet, lässt sich mit der Furcht vor Massenvernichtungswaffen, die schließlich auch andernorts produziert werden, nicht zureichend erklären. Die würden auch eher Europa als die USA bedrohen.
"America first" lautet der Kernsatz der Politik Bushs. Das gilt zuallererst für die sichere und billige Versorgung des eigenen Landes mit dem wichtigsten Rohstoff für den Erhalt der Größe der Supermacht wie der alltäglichen Lebensart. "Kein Blut für Öl" sagten 1990 die Gegner des ersten Golfkrieges. Der Satz hat seinen Sinn nicht verloren.