hives schrieb:
Und was bleibt, wenn du Politik, Demokratie und Regierung entmachtest?
Irgendwie würde ich dir wünschen, einige Zeit unter derartigen Umständen zu leben: alles ist den Unternehmen überlassen, private Sicherheitskräfte, private Sozialsysteme... Demokratie und Politik sind überholt und vergessen...
Ich finde, daß Demokratie und Politik bei der Versorgung mit Konsum- und Investitionsgütern versagen. Wenn sie sich da raushalten, können sie meinetwegen Justiz, Polizei und Landesverteidigung in der Hand behalten. Private Sozialsysteme funktionieren übrigens auch besser als staatliche, das Allmendeproblem wird vermieden. Wenn man sich nicht traut, sie völlig zu privatisieren, kann man eine staatliche Armenfürsorge beibehalten, aber für staatlich organisierte Versicherungen gibt es keinen Grund.
Eigentlich dachte ich, du hättest den Artikel gut gefunden? Trotzdem nicht gelesen? Oder nur die ungenehmen Teile geflissentlich übergangen?
Da entschließe ich mich einmal, nicht jede Kleinigkeit zu kritisieren und mich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren, und dann ist es auch wieder nicht recht. Gewisse Punkte wie die Verschuldung sind für mich eben selbsterklärend, da reicht es mir, wenn sie so kurz angeschnitten werden wie hier, andere nicht. Bei dir ist es sicher umgekehrt...
Sozialstaatliche Elemente (Gesundheitsversorgung, Erziehungssystem, Sozialversicherungen) wurden in privatwirtschaftlich handelbare Waren umgewandelt, dadurch verstärkte sich die neoliberale Linie wesentlich. [...] Aber die Schattenseiten des neoliberalen Modells deuteten sich Mitte der neunziger Jahre bereits an. Durch die harte Rationalisierungspolitik des Staats und des ausländischen Kapitals sowie die mexikanische «Peso-Krise» stieg die Arbeitslosigkeit erstmals auf für argentinische Verhältnisse unglaubliche vierzehn Prozent.
Also Entlassungen als Grund der Krise? Aber in der DDR wurde niemand entlassen, und sie machte trotzdem (oder vielmehr deswegen) pleite. Weil ein Arbeitsplatz keinen Sinn hat, wenn er nicht mehr schafft, als er kostet.
Du kannst dir natürlich deine Gründe heraussuchen.
Du willst an den Wirtschaftsliberalismus glauben, also waren die Probleme eben auschließlich Dollarbindung und Verschuldung.
Ich will nicht dran glauben, ich bin davon überzeugt. Das ist, glaube ich, ein Unterschied. Dran glauben wollen hat so einen unseriösen, unwissenschaftlichen Beiklang. Wer überzeugt ist, kann sich irren, aber er ist nicht notwendigerweise verbohrt. Und natürlich sind das nicht die einzigen Gründe.
Dass Privatisierung und Rationalisierung wesentliche Bestandteile der Politik waren, kannst du nicht abstreiten, also waren sie zumindest nicht für negative Effekte verantwortlich
Die Privatisierung streite ich wohl kaum ab. Aber wenn so sehr rationalisiert wurde, wo ist dann das Geld geblieben?
attac schrieb:
Privatisierungen und Kapitalflucht haben Argentinien ruiniert!
[...]
Allein die Privatisierung der Altersversorgung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre hat 90% des Haushaltsdefizits verursacht. Zwischen 1994 und 2001 hatte das staatliche Rentensystem ein Defizit von 68,7 Mrd. US-Dollar. Diese Lücke muss aus dem Staatshaushalt geschlossen werden
Hm... Das Defizit war doch schon da. Durch die Privatisierung ist es doch nicht entstanden, sondern allenfalls sichtbar geworden.
Zu billigen Preisen konnten ausländische Investoren argentinische Staatsunternehmen erwerben oder sie bekamen für ihre Forderungen an den Staat Beteiligungen an Staatsunternehmen. Ein großer Teil des Geldes wurde aus dem Land geschafft und der Wirtschaft entzogen.
Also erstmal kam ja durch die Investoren Geld
ins Land.
Argentinien brauchte immer neue Kredite um die Schulden zu bedienen, die dennoch weiter wuchsen. Es gibt nichts mehr zu privatisieren, weil schon alles, was der Staat zu Geld machen konnte, verscherbelt ist. Zurückgeblieben sind Schulden, Zinsen und Zinseszinsen. 140 Mrd. US Dollar schuldet das Land heute seinen Gläubigern.
Alles für Beamte draufgegangen oder in nutzlosen Projekten versickert. Die Aufträge gingen an Verwandte der Beamten. Mein Rat: Einfach nicht bezahlen, Staatsbankrott. Dann bekommt man so bald keine neuen Kredite, aber das ist nur gesund. Aber erzähl das einer den... Beamten!
Die Militärs haben die Pleite vorbereitet.
Das ist ca. achtzehn mal soviel wie zu Beginn der Diktatur 1976 (7,9 Mrd. US-$), während der der Grundstein für die Misere gelegt wurde: Das Militär hatte in den reichen Ländern auf Pump Militärausrüstung für den Krieg und für die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung gekauft. In der Folge wuchsen die Schulden ebenso wie die Kapitalflucht und die Armut.
Nichts ist schlimmer als eine Militärregierung, außer einer islamistischen oder kommunsitischen. Oder einer nationalsozialistischen, nicht zu vergessen.
Die Regierungen privatisierten das Land unter Anleitung des IWF kaputt. Dabei gelang es, riesige Summen aus den öffentlichen Kassen in private Taschen zu leiten. Die Schulden wuchsen immer weiter.
Schulden sind doch irgendwie das Zauberwort. Aber wie durch den Verkauf defizitärer Staatsunternehmen die Schulden wachsen können, das würde ich doch lieber mal en detail präsentiert bekommen.
Aber allen könnte es mit ein wenig mehr Marktwirtschaft ein wenig besser gehen.
Es könnte vielleicht, bei den richtigen Startbedingungen, dem richtigen staatlichen Rahmen etc. - was jedoch
keineswegs zu erwarten ist.
Warum nicht? Marktwirtschaft ist die natürliche, dem Menschen gemäße Wirtschaftsform. Wo der Staat nicht aufpaßt, entstehen sofort Polenmärkte und Schwarzarbeit. Anbieter und Nachfrager sind beide überzeugt, zu profitieren. Wieso soll es uns nicht besser gehen, wenn Friseurinnen bei Nacht arbeiten dürfen, Handelsschranken fallen, Ungelernte Maler- oder Klempnerarbeiten ausführen dürfen?
Darf ich Dich übrigens so verstehen, daß Wirtschaftsliberalismus per definitionem fair, gerecht und ausgewogen ist?
Ha Ha.
Den gnadenlosen Wirtschaftsliberalismus halte ich eher für eine der größten Gefahren der Demokratie, da immer mehr der demokratischen Legitimation und Einflussnahme entrissen wird.
Was hat aber Demokratie mit Fairness, Gerechtigkeit und Ausgewogenheit zu tun? Demokratie definiert sich dadurch, daß gemacht wird, was die Mehrheit will, das kann ausgesprochen ungerecht sein. Im Wirtschaftsliberalismus werden auch die Wünsche von Minderheiten erfüllt. Es geschieht nur, worüber sich die Vertragspartner einig sind. Wird ein Dritter geschädigt, muß er das nicht hinnehmen, wie es in der Demokratie mit der größten Selbstverständlichkeit verlangt wird. Und natürlich kann ein Staat demokratisch und liberal, demokratisch und interventionistisch, despotisch und wirtschaftsliberal usw. in allen möglichen Kombinationen sein, wobei Demokratien sogar noch eher zum Liberalismus tendieren und der wirtschaftlichen Unfreiheit normalerweise die politische folgt. Ich verweise auf Hayeks "Straße zur Knechtschaft".
kaufkraft ist nicht alles: Was nicht produziert wird, kann nicht gekauft werden; wer überleben will, ist auf Verkauf angewiesen etc.
Aber was verlangt wird, wird produziert, wenn der Preis die Kosten deckt. Und natürlich ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft jedermann darauf angewiesen, verkaufen zu können. Schließlich können nicht alle von der Gesellschaft ausgehalten werden, zumindest eine Minderheitmuß leider arbeiten... Selbstversorger dagegen führen ein ziemlich hartes, entbehrungsreiches Leben.
und wirtschaftliche Stärke basiert nicht zuletzt auf einem parabiotischem Egoismus, der seine Kunden und Arbeiter nicht zerstört, aber sie in Abhängigkeit von der eigenen Produktion halten will.
Ja.
Auf diese Übereinstimmung sollten wir anstoßen.
Ich nehme im Gedenken an Adam Smith einen Port, Du kriegst einen "Bestarbeiter" (1 Teil Wodka auf 3 Teile Kwas, dazu ein Schuß Rotebeetesaft). Prost!
Und wenn es keine staatliche Hilfe mehr gibt, wird alles ganz von allein gut? Der Markt regelt sich selbst?
Es ist die Frage,
wie sich alles regelt, und wer dabei auf der Strecke bleibt...
Ja, es regelt sich von allein. Seit Walmart in Deutschland einmarschiert ist, sind die Lebensmittelpreise gesunken. Einige Discounter wollten angeblich sogar einzelne Waren unter ihren Kosten verkaufen, aber das hat die Regierung verhindert. Jetzt müssen sie eben versuchen, die Zulieferer im Preis zu drücken. Hätte man sie dazu nicht gezwungen, wären noch weniger auf der Strecke geblieben.
Wie wärs mit einem Kompromiß: Du bist ein Idealist, der unfreiwillig den Ausbeutern in die Hände spielt.
Wo ist da der Kompromiß? Depp bleibt Depp. Kann ich nicht ein grausamer Kapitalistenscherge sein, der sich höchst raffiniert als Menschenfreund tarnt und mit unsichtbarer Hand das Gift der freien Marktwirtschaft in unschuldige Herzen sät?