Die Schattenseiten der Globalisierung: Eine Bestandsaufnahme und ein Blick in die Zukunft

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Während Politiker, Ökonomen und die Wirtschaft nicht müde werden, die Vorzüge der Globalisierung zu beschwören, blenden sie gleichzeitig ihre Schattenseiten aus. Diese sind aber unübersehbar und haben für den Großteil der Menschheit eher negative Folgen.

Globalisierung ist nicht per se schlecht. Seit dem Jahr 2000 hat das in Geld ausgedrückte Welthandelsvolumen die Marke von 6 000 Milliarden Dollar pro Jahr überschritten. Die Weltwirtschaftsleistung, also die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen in der Welt, hat sich seit 1991 mehr als verdoppelt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte genießt die Menschheit einen Überfluss an Gütern. Unglaublicher Reichtum ist entstanden - allerdings in den Händen ganz weniger.

Genau das ist auch der Kritikpunkt der mittlerweile weltweit vernetzten Antiglobalisierungsbewegung und der Nichtregierungsorganisationen. Sie bilden ein Gegengewicht zur einseitig auf die Interessen der Wirtschaft und ihrer Konzerne ausgerichteten Globalisierung und fordern u.a. die globale Durchsetzung der Menschenrechte, das Recht auf Bildung, gleichberechtigten Handel und faire Bezahlung. So könnte Globalisierung in ihrem positivsten Sinn aussehen; allein der Blick auf die aktuelle Entwicklung lässt anderes erkennen.

Nach Ansicht der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) ist die neoliberale Globalisierung gescheitert. Zugleich warnt die Organisation vor einem neuen Liberalisierungsschritt in den Beziehungen zwischen Nord und Süd.

1999 erreichte der Kapitalstrom in den Süden mit über 200 Milliarden US-Dollar seinen Höhepunkt. Im letzten Jahr wurden es kaum mehr als 50 Milliarden Dollar.
Dem gegenüber stehen Zahlen von 700 Milliarden Dollar, die in den Jahren 1997 und 2002 in Form von Kapital, Zinsen und Gewinnen aus den Entwicklungs- und Transformationsländern abgeflossen sind, was zur Folge hat, dass der Anteil der Entwicklungsländer am internationalen Handel abnimmt.

Während die Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas bei der Handelsöffnung schwere Bürden auf sich nahmen, haben die Industrieländer gemauert und den Marktzutritt vor allem von landwirtschaftlichen Produkten weitgehend blockiert. Trotz der bestehenden Ungleichgewichte üben die USA und die Europäische Union weiter Druck auf die Kleinen aus, auch noch die letzten Handelshemmnisse fallen zu lassen. So wird die Liberalisierung des Welthandels zum Selbstzweck, anstatt Mittel zum Zweck zu sein, um eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in allen Teilen der Welt zu erreichen.

Der "World Trade and Development Report 2003" ist im Internet nachzulesen unter: www.unctad.org


Die großen Industriestaaten nutzen ihre Macht, um die Weltwirtschaft zu ihren Gunsten und vor allem zu Gunsten ihrer Konzerne zu lenken. Sie nutzen das Recht des Stärkeren. Vor allem in der Welthandelsorganisation WTO. 2002 haben die Industriestaaten zum Beispiel ihre Landwirte mit 335 Milliarden Dollar unterstützt. Das macht für die Armen Märkte kaputt. Beispielsweise kann man in der Hauptstadt von Senegal EU-subventionierte Äpfel oder Tomaten kaufen; die Milchwirtschaft auf Jamaika liegt am Boden, weil der heimische Markt mit billigem, ausländischen Milchpulver überschwemmt wird - zu unschlagbar günstigen Preisen. Da können die lokalen Anbieter nicht mithalten.

aus:
The Rich-Poor Gap and Globalisation
www.ontario.indymedia.org:


Bemerkenswert auch der Fall Indiens, eines Landes, das kurz nach dem WW II unabhängig wurde. Die Rohstoffreserven Indiens waren beträchtlich, sein Ölvorkommen eher vernachlässigenswert. Da das Hauptinteresse der USA dem Erdöl gilt, wurde Indien diesbezüglich in Ruhe gelassen, nicht aber seine Wirtschaft. Als Waffe dienten diesmal Zwang und die Entwicklungsideologie. Bereits 1947 war eine Landreform in Gang gekommen; es gab keine Hungersnot mehr. Das hielt die Ford-Stiftung allerdings nicht davon ab, die Umstellung der Landwirtschaft zu erzwingen. Die traditionelle indische Landwirtschaft wurde ersetzt durch die amerikanische Monokultur, abhängig von Kunstdünger und Pestiziden. Da diese auch finanziert werden mussten, hielt so die westliche Finanzhilfe Einzug in Indien. Das Land geriet in Abhängigkeit, nicht nur wegen der Kredite für Pestizide, Düngemittel und Saatgut; auch zwecks Bewässerung mussten Tausende von großen Staudämmen gebaut werden. Finanziert wurden sie mit Hilfe von Krediten der Weltbank, zu durchaus akzeptablen Konditionen. Doch musste das Land als Gegengabe westliches Know-how und Maschinen für die Dämme kaufen. Am Ende bezahlte Indien weit mehr als es erhalten hatte. Heute muss man in diesen Dämmen die größte selbst verursachte Katastrophe des Landes sehen. Hinzu kam die Bestrebung, die ökonomischen und sozialen Grundlagen schleunigst zu reformieren, was enormen Finanzbedarf mit sich brachte. Kein armes Land kann all das finanzieren, ohne in die Schuldenfalle zu geraten. Indien musste 1990 seine unabhängige Politik aufgeben und seine ökonomische Souveränität an die Weltbank (WB) und den internationalen Währungsfond (IMF) abtreten. Darüber hinaus musste der indische Staat 47 Tonnen Gold zur "sicheren Aufbewahrung" bei der Bank of England hinterlegen. Heute muss das Land sein Jahresbudget de facto unter Aufsicht von WB und IMF planen.

Das Schicksal anderer Entwicklungsländer war dem Indiens nicht unähnlich. Trotzdem wuchs ihre Wirtschaft bis in die 70er jährlich um 5-6%. Weitere Probleme entstanden, als sich diese Länder bei den internationalen Banken weitere Kredite beschafften. Während der Ölkrise stieg das Zinsniveau von anfänglich 6,6% im Jahre 1976 bis auf 17,5% im Jahre 1981. Um die immensen Zinsen zu bezahlen, mussten sie die Tilgung des Grundkapitals aussetzen und gerieten in die Schuldenfalle. Laut WB zahlte die Dritte Welt 1999 für jeden Dollar Schulden 13 mal soviel zurück. Ist ein armes Land in die Schuldenfalle geraten, muss es sich dem Diktat von IMF und WB beugen. Von nun an kann es weitere Kredite nur noch vom IMF erhalten, sofern es sich dem Strukturanpassungsprogramm (SAP) des IMF unterwirft. Das SAP verweigert dem Schuldner das Recht, eigene fiskalische und monetäre Maßnahmen zu ergreifen. Der IMF hat seit den 80er Jahren 150 Ländern der Dritten Welt das SAP aufgezwungen. Die Ideologie des "freien Marktes" ist in Wahrheit eine Handelsschranke. Während Güter aus reichen Ländern die Märkte der Dritten Welt überschwemmen, werden jene aus den armen Ländern im Westen hoch versteuert. Das Ende vom Lied ist, dass die Armen um 100 Mrd. Dollar pro Jahr verprellt werden.

Weitere Methoden der Unterdrückung bestehen darin, einen demokratisch gewählten Staatschef durch das unterdrückerische Regime eines US-freundlichen Potentaten zu ersetzen. Dies geschah im Iran, in Guatemala, im Kongo, in Südvietnam, der Dominikanischen Republik, Chile, Nicaragua, Grenada und Panama. In Chile wechselte ein vom CIA angezettelter Putsch den in 1973 demokratisch gewählten Präsidenten Allende durch General Pinochet aus. Kaum an der Macht, verfügte dieser eine Preisanhebung für Brot von 11 auf 34 Escudos, während die Löhne eingefroren wurden. Binnen eines Jahres stieg der Brotpreis um das 36-fache, und 85% der Chilenen gerieten unter die Armutsgrenze. Zwei Jahre später diente Chile als Vorlage für eine weitere "marktliberale Reform", diesmal in Argentinien. Derartige ökonomische Manipulationen sind Vorläufer des SAP, das inzwischen fester Bestandteil der Politik von IMF und WB ist.

Durch den makro-ökonomische Ansatz von IMF, WB und WTO wird den armen Nationen das Recht genommen, ihre Wirtschaft selbst zu gestalten. Aus ihren Ökonomien wird ein Reservoir billiger Arbeitskräfte und Rohmaterialien. Er höhlt alle Staatsaufgaben aus, zerstört die Produktion für den Binnenmarkt und zwingt die inländischen Unternehmen in den Konkurs. Das SAP schafft die Mindestlohnabsprachen ab und fördert den Abbau des Sozialstaates; es erzwingt die Deregulierung der Währung und führt zu Zinsanstieg. Die Deregulierung des Handels und die von der WTO verbürgten Urheberrechte erleichtern den transnationalen Konzernen (TNCs) den Zugang zu den lokalen Märkten und erlauben ihnen, die Landwirtschaft, sowie die privaten und staatlichen Dienstleistungen zu beherrschen.

Ein Siebzigstel des US- Lohnes beträgt der reale Lohn in der Dritten Welt und die Armut ist allgegenwärtig. Um dem reichen Einzelhändler die günstigste Ware zu bieten, werden die Armen gezwungen, Waren für den Export in die reichen Länder zu produzieren, zugleich aber mit anderen Armen zu konkurrieren. Jene Einzelhändler verkaufen diese Ware zu weit höheren Preisen und streichen die riesigen Gewinnspannen ein. Beispielsweise wird Kaffee im Westen zu Preisen verkauft, die zwanzig mal höher sind als das, was die Erzeuger erhalten; Chinesische Frauen, die Turnschuhe produzieren, verdienen 16 Dollar für eine 70-Stunden-Arbeitswoche; die Textilexporteure der Dritten Welt erhalten nur 2.7% des westlichen Marktpreises. Die Handelsbedingungen begünstigen die Reichen: Die Armen müssen ihre Märkte öffnen, die Reichen betreiben Protektionismus.

Importe aus den armen Ländern werden viermal so hoch versteuert wie die aus den reichen Ländern; die Reichen subventionieren ihre Bauern, um mit ihren Erzeugnissen die Märkte der Armen zu überschwemmen und so zwangsläufig diese Armut zu zementieren. Der Zugriff der TNCs auf die Dienstleistungen und gemeinsam genutztes Gemeindegut macht das Leben der Armen unerträglich, viele müssen selbst für das Trinkwasser für sie unerschwingliche Preise bezahlen. Die EU plant, als Preis dafür, dass sie die eigenen Subventionen der Landwirtschaft abbaut, die vollständige Privatisierung der Staatsmonopole der Handelspartner. In den armen Ländern haben die Preise der Grundnahrungsmittel fast das westliche Niveau erreicht; das führt dazu, dass in Nationen, die Hungersnöte hinter sich gelassen hatten, diese wieder Einzug halten: Die Menschen hungern - nicht weil Lebensmittel fehlen, sondern weil sie nicht mehr bezahlt werden können. Millionen verlassen ihre Dörfer und finden sich in den Slums der Großstädte wieder.


Mittlerweile sind die ersten Anzeichen dieser Entwicklung auch in der westlichen Hemisphäre angekommen.
In einem globalen Würgegriff werden ganze Staaten und deren bisherige gesellschaftliche Ordnung von der unerbittlichen Kapitalsfront in den Schwitzkasten genommen. Da wird mal hier, mal dort mit Kapitalflucht gedroht und so drastische Steuerabschläge sowie milliardenschwere Subventionen oder kostenlose Infrastruktur erzwungen. Sind die Subventionen abgeschöpft, setzt man sich gerne in Länder ab, in denen der Steuersatz deutlich niedriger ist. Weltweit tragen immer weniger Kapitaleigner und Vermögensbesitzer zur Finanzierung staatlicher Aufgaben bei. Gleichzeitig drücken die Lenker der globalen Kapitalströme das Lohnniveau ihrer steuerzahlenden Beschäftigten kontinuierlich nach unten.

Nach Aussagen des US-Ökonomen Rüdiger Dombusch werde "das Modell Deutschland" im transnationalen Wettbewerb nun ,,regelrecht abgekocht". Börsenkurse und Konzerngewinne steigen mit zweistelligen Raten, während Löhne und Gehälter sinken. Gleichzeitig wächst die Arbeitslosigkeit parallel mit den Defiziten der öffentlichen Haushalte.

Schon triumphieren die Gewinner wie beispielsweise Heinrich von Pierer, der Chef des Weltkonzerns Siemens: "Der Wettbewerbswind ist zum Sturm geworden; und der richtige Orkan steht uns noch bevor."

Die Vorkämpfer und Günstlinge des globalen Wettstreits um die besten und billigsten Pfründe wollen mit einer solchen Wortwahl suggerieren, bei alledem handele es sich um einen gleichsam naturgegebenen Prozess, um ein geradezu zwingendes Ergebnis eines unaufhaltsamen technischen und wirtschaftlichen Fortschritts.
Die weltweite wirtschaftliche Verflechtung ist allerdings keineswegs ein Naturereignis, sondern wurde durch zielstrebige Politik bewusst herbeigeführt. Es waren immer Regierungen und Parlamente, die durch Verträge und Gesetze die Barrieren für den grenzüberschreitenden Verkehr von Kapital und Waren beseitigt haben. Von der Freigabe des Devisenhandels über den europäischen Binnenmarkt bis zur fortwährenden Ausdehnung des Welthandelsabkommens GATT haben Regierungspolitiker der westlichen Industrieländer systematisch jenen Zustand selbst heraufbeschworen, der ihnen nun über den Kopf wächst.

Dieser vollends von seinen Fesseln befreite Kapitalismus trägt quasi seine Zerstörung in sich, er gleicht einer Zeitbombe, er zerstört die Grundlagen seiner Existenz, die auf einem funktionierenden Staat und einer demokratischen Stabilität beruht.

Schneller als sich das Neue entwickeln kann, bleiben die alten sozialen Zusammenhänge auf der Strecke, denn sie können beim rasanten Tempo der Veränderung nicht mithalten.
Die bisherigen Wohlstandsländer verzehren die soziale Substanz ihres Zusammenhalts.
In den USA, die bei neoliberalen Ökonomen und Politikern gerne als nachahmenswertes kapitalistisches Paradebeispiel genannt werden, wird der gesellschaftliche Verfall mehr als deutlich: Die Kriminalität ist schon jetzt nicht mehr in den Griff zu kriegen, die Ausgaben für Gefängnisse übersteigen die für den gesamten Bildungsetat bei weitem.
Wer es sich leisten kann, verschanzt sich in bewachten Hochhäusern, für dessen bewaffnete Security Guards die US-Bürger doppelt soviel Geld ausgeben wie ihr Staat für die Polizei.
Die Entwicklung ist unübersehbar: Weltweit schafft sich eine Minderheit von Gewinnlern ihre geschützten Refugien, während sich die Mehrheit der Verlierer der zunehmenden Verrohung und Gewalt ausgesetzt sieht.
Für viele hundert Millionen Menschen gilt: Der globalisierte Fortschritt ist gar keiner.

Mit den Folgen dieser Entwicklung ist der einzelne Nationalstaat schlicht überfordert, auch internationale Bestrebungen scheitern stetig, weil der Gestaltungsspielraum der Politik kontinuierlich abnimmt. Sie wird zu einem Schauspiel der Ohnmacht, die in allen existentiellen Zukunftsfragen nur noch auf die übermächtigen Sachzwänge der transnationalen Ökonomie verweist. Dadurch verliert der demokratische Staat seine Legitimation und die Globalisierung wird zum Fallbeil für die Demokratie. Nur naive Theoretiker oder kurzsichtige Politiker glauben, man könne, wie derzeit in Europa, Jahr für Jahr Millionen Menschen um Jobs und soziale Sicherheit bringen, ohne dafür irgendwann den politischen Preis zu bezahlen.

Gelingt es der Politik nicht, die global entfesselten Wirtschaftsmächte zu reglementieren, wird das aufgrund unerträglicher sozialer Konflikte unweigerlich zu einem Kurzschluss der Systeme führen.





Links zum Thema:

Sozialpolitiktheorie unter Globalisierungsdruck?
Rezeptionen des Globalisierungsparadigmas in Theorien nationaler und internationaler Sozialpolitik
http://www.st-georgen.uni-frankfurt.de/nbi/pdf/nbi_fa28.pdf

Was, wann, wo - Theorien der Globalisierung
http://www.sbg.ac.at/ges/people/wagnleitner/se0304/steinlechner.pdf

Was ist Globalisierung und wie erklärt sie sich?
http://www.globalisierung-online.de/info/text2.php

Informationen zur politischen Bildung - Globalisierung; Das vollständige Heft im Internet
http://www.bpb.de/themen/YDEVZC,,0,Globalisierung.html

Globalisierung - ein Mythos?
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1176/1.html

Globalisierung und Gerechtigkeit
http://www.fes.de/focus/indexglobalisierung.htm

Der Abgrund zwischen Reich und Arm und die Globalisierung / The Rich-Poor Gap and Globalisation
http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Globalisierung/chatterjee.html

WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung
http://www.weed-online.org/

erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung
http://www.erlassjahr.de/

Lexikon der Nachhaltigkeit
http://www.nachhaltigkeit.aachener-stiftung.de/2000/Definitionen.htm

Dritte Welt leidet unter EU-Handelsschranken
http://www.innovations-report.de/html/berichte/wirtschaft_finanzen/bericht-21255.html
 
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