@agentP: wie schön, dass Du so ein gerechter und Dich um die Betroffenen sorgender Mensch bist. Aber weißt Du, auch Betroffene können sich irren. Und da macht es keinen Unterschied, dass sich viele Betroffene in ihren Wahrnehmungen bestätigen. Ebenso sind Fehlbehandlungen möglich. Und warum sollten Fehlbehandlungen lediglich auf ein paar Fälle beschränkt bleiben? Warum sollte die herrschende Lehrmeinung automatisch die richtige sein? Und das ausgerechnet auf einem Gebiet, deren Gegenstand nur schwer objektiv behandelbar und messbar ist.
Dazu:
Philosophisch betrachtet findet man also, dass die psychiatrische Wissenschaft ihre Erkenntnisse auf der Grundlage von Ideen erlangt, die auf psychische Sachverhalte projiziert werden. Im Gegensatz dazu erlangt die medizinische Wissenschaft, in dem Bereich wo sie objektives Wissen erlangt, ihr Wissen auf der Grundlage von physischen Fakten, die in der Natur der physischen Objekte vorgefunden werden.
und
Gegenwärtig wird in der psychiatrischen Wissenschaft diese Tatsache nicht beachtet. Man verfährt in der psychiatrischen Wissenschaft so, wie in der medizinischen Wissenschaft, wo diese von objektiven Befunden ausgeht. Es werden in der psychiatrischen Wissenschaft die psychischen Befunde genau so gezählt und statistisch verrechnet, und die Ergebnisse letztlich genau so präsentiert, wie dies in der körperlichen Medizin gemacht wird. Dabei wird – wenn so verfahren wird – auf den Unterschied in der Erkenntnisbasis kein Bedacht genommen.
Im Vergleich zu solchen Worten ist die Erwiderung des Verbandes ADHS-Deutschland auf den Artikel in der FAZ eine rein emotionale Reaktion und von Einseitigkeit geprägt.
Aus einer
Pressemitteilung des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen zum Amoklauf in Ansbach 2009:
Durch die Psychopharmaka, die eine Dämpfung psychischen Leidens bewirken können, können krisenhaften Reaktionen oder Planungen von Rache- und Gewalttaten aber nicht vorgebeugt werden.
Pota: "Psychotherapie funktioniert genau umgekehrt: Ich baue eine Beziehung zum Patienten auf und begleite ihn bei seinem Entwicklungsprozess." Die Neurologie hat mittlerweile nachweisen können, dass sich solche Veränderungen auch in der Veränderung neuronaler Strukturen im Gehirn nachvollziehen lassen. "Es ist aber ein viel zu einfaches Bild vom Gehirn und von menschlichen Prozessen, wenn man annimmt, durch die recht primitive Art der Medikamentengabe so komplexe Strukturen wie die im Gehirn zu verändern, vor allem Strukturen, die sich während mehrerer Jahrzehnte durch Erfahrungen entwickelt haben."
Jetzt kann man argumentieren, dass sich im Gehirn von kleinen Kindern keine Strukturen jahrzehntelang entwickelt haben und dass man genau an der Stelle mittels eines Psychopharmakas eingreifen kann, um die Strukturen im Hirn auf eine Weise zu beeinflussen, die keine Fehlentwicklungen zulassen.
Um einer Fehlentwicklung vorbeugen zu können, muß man eine Idee davon haben, was "nicht fehlentwickelt" bedeutet. Bereits hier liegt doch schon die Gefahr einen ideellen Einheitsmenschen zu kreieren. Dieser würde rein auf einem Jetzt-Stand der Dinge basieren. Aber wer will denn z.B. wissen, ob die Abweichungen und dadurch entstehenden Leiden nicht vielleicht sogar evolutionär bedingt sind? Wer würde die Verantwortung übernehmen wollen, über längere Zeiträume Medikamente testweise an große Populationen zu vergeben?
Kann es sein, dass wir Modernen eine zu oberflächliche Position zum Leiden entwickelt haben? Anstatt die hinter dem Leid liegende Aussage des Leides zu ergründen und wenn möglich zu beseitigen, gehen wir Modernen vielleicht allzu schnell lieber den leichten, schnellen und bequemen Weg? Ein Weg, der am gegenwärtigen Status Quo nicht rüttelt.
Der Status Quo der heutigen Welt scheint schon lange nicht mehr sonderlich am Wohl des einzelnen Menschen interessiert zu sein. (Trotz aller öffentlichen Bekundungen.) Diese Sicht spiegelt sich in den heute geführten politischen und wirtschaftlichen Debatten. Diese Sicht spiegelt sich in der heutigen Schul- und Arbeitswelt und da diese Bereiche auf ganz natürliche Weise besonders im Vordergrund jedes Menschen stehen, wirken sich diese automatisch auf das Privatleben jedes einzelnen Menschen aus.
Der leichte, schnelle und bequeme Weg ist, dem Status Quo genügen zu wollen und die eigene Leistung für Werte wie "ewiges wirtschaftliches Wachstum" mittels chemischer Präparate zu steigern. Ist auch ganz logisch, denn der eigene soziale Status wird durch die eigene Leistung bestimmt. Niemand möchte das "würdelose" Leben eines Hartz IV-Empfängers führen. Jeder möchte reich und berühmt sein, weil dies die ideellen Hochpunkte unserer eher materialistischen Kultur sind. (Ich weiß, dass ich übertreibe und damit all diejenigen mit in diese Schublade stecke, die tatsächlich mehr im Menschen sehen als nur eine für Nachwuchs sorgende Arbeitskraft.)
Die Bewertung des Menschen wird spätestens in der Schule sichtbar, wenn Noten verteilt werden, die die Näherung des einzelnen Schülers an ein vorbestimmtes schulisches Ziel abbilden. Das ist einseitig, zumal die spezifischen Talente des Einzelnen dabei leicht untergehen können. Glücklich sind die, die dem vorherrschenden Ideal entsprechen.
Es wird heutzutage immer wieder davon gesprochen, dass Unternehmen keine Azubis finden könnten, weil die Bewerber den Anforderungen nicht entsprechen. Dann wird auch gerne mal davon gesprochen, dass die "heutige Jugend" dümmer sei als früher. Was ist, wenn das nicht wahr ist, sondern das Problem hauptsächlich darin liegt, dass die Anforderungen mittlerweile so hoch sind, dass (ich sage jetzt mal) der Durchschnitt den Anforderungen gar nicht mehr genügen kann? Da hätten wir einen weiteren Erzeuger von Leid. Sollte dieser nun mit chemischen Mitteln unterdrückt werden?
Auf der Seite des
Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener findet sich nach Klicken auf 'Alles über den BPE' und dann 'Über den BPE' was die Mitglieder dieses Verbandes erwarten: eine andere Psychiatrie.
HUMANERE LEBENSBEDINGUNGEN
Unsere Lebensbedingungen müssen humaner und die Hilfen für uns wirksamer werden. Wir fordern weniger Psychopharmaka und mehr Psychotherapien und ihre Bezahlung durch die Krankenkassen! Depressionen und Psychosen sind nicht medikamentös zu unterdrücken, sondern in ihrer Bedeutung wahrzunehmen und vermehrt in Gesprächen u.a. aufzuarbeiten. Wir fordern ein Ende der psychiatrischen Lehrmeinung von der körperlich verursachten Erbkrankheit, die auch in der Gen-Forschung immer noch vorausgesetzt wird. Jeder von uns soll am gesellschaftlichen Leben und insbesondere am Erwerbsleben teilnehmen können.
Auf diese Forderung kann der erste Absatz meines Beitrages entsprechend angewandt werden. Was in der Natur des Menschen liegt. Menschen sind unterschiedlich von Geburt an. Dieser Umstand zeigt sich auch in der Gesprächsdynamik, die sich zwischen uns (agentP und Telepathetic) entfaltet hat. Sie zeigt, dass es zumindest die eine Seite und die andere Seite gibt. Welche hat nun recht? Das ist so leicht nicht zu beantworten.
Die angeborene Unterschiedlichkeit ist ebenso eine klare Absage an jegliche Versuche, Menschen aneinander anzugleichen. Das hat noch nie funktioniert. Es hat im Gegenteil immer nur zu unnötigem, unnützen Leid und zu Ärger geführt.