Aus den Leidenschaften wachsen die Meinungen, die Trägheit des Geistes lässt diese zu Überzeugungen erstarren.
Überzeugung ist der Glaube, in irgendeinem Punkte der Erkenntnis im Besitz der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt voraus, das es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene.
Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist; er steht im Alter der theorethischen Unschuld vor uns und ist ein Kind, wie erwachsen er auch sein mag.
Ganze Jahrtausende aber haben in jenen kindlichen Voraussetzungen gelebt, und aus ihnen sind die mächtigsten Kraftquellen der Menschheit hervorgeströmt.
Jene zahllosen Menschen, welche sich für Überzeugungen opferten, meinten es für die unbedingte Wahrheit zu tun. Sie Alle hatten unrecht darin: wahrscheinlich hat noch nie ein Mensch sich für die Wahrheit geopfert; mindestens wird der dogmatische Ausdruck seines Glaubens unwissenschaftlich oder halbwissenschaftlich gewesen sein.
Aber eigentlich wollte man recht behalten, weil man meinte recht haben zu müssen.
Seinen Glauben sich entreißen lassen, das bedeutete vielleicht seine ewige Seligkeit in Frage stellen.
Bei einer Angelegenheit von dieser äußersten Wichtigkeit war der >Wille< gar zu hörbar der Souffleur des Intellekts.
Es ist nicht der Kampf der Meinungen, welcher die Geschichte so gewalttätig gemacht hat, sondern der Kampf des Glaubens an die Meinungen, das heißt der Überzeugungen. Wenn doch alle Die, welche so gross von ihrer Überzeugung dachten, Opfer aller Art ihr brachten und Ehre, Leib und Leben in ihrem Dienste nicht schonten, nur die Hälfte ihrer Kraft der Untersuchung gewidmet hätten, mit welchem Rechte sie an dieser oder jener Überzeugung hingen, auf welchem Wege sie zu ihr gekommen seien: wie friedfertig sähe die Geschichte der Menscheit aus!
Wer nicht durch verschiedene Überzeugungen hindurchgegangen ist, sondern in dem Glauben hängenbleibt, in dessen Netz er sich zuerst verfing, ist unter allen Umständen, eben wegen dieser Unwandelbarkeit ein Vertreter zurückgebliebener Kulturen.