@Gosling
Ich halte es nicht nur für wünschenswert, Europa wird gar nichts anderes übrigbleiben.
Die Zahl der Handlungsalternativen ist recht begrenzt: entweder, wir schaffen es, den Nahen Osten nachhaltig zu stabilisieren (wenn's nach mir ginge, würde das mit einer Demokratisierung einhergehen) oder die nächsten Bomben detonieren etwas weiter westlich. Es kann nicht Sinn der Übung sein, so lang zu warten, bis es in Berlin oder Rom oder sonstwo kracht...
Da hast du meine 100%ige Zustimmung!
Die Fronten sind mitlerweile nicht zuletzt dank Scharons und Arafats Sturheit dermassen verhärtet, daß ohne Hilfe von außen wohl kaum eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung absehbar ist.
Und Sprüche wie z.B. "Palästina vom Fluß bis zum Meer" zeigen wohl auch, daß es Kreise gibt, die Israel generell ein Existenzrecht absprechen.
Ähnlich Radikales gibt es auch auf der Gegenseite zu hören.
Kurzum: Die Situation ist so verwurschtelt, daß ich durchaus die Pläne zur Entsendung einer UNO Truppe in den nahen Osten befürworte, um die Streithähne zu trennen und beide Parteien wieder an den Verhandlungstisch zu bringen.
Dies wird den militanten Islamismus zwar nicht kurzfristig stoppen, aber mittel und langfristig wohl Linderung verschaffen und wenigstens einen Teil der Gefahr eindämmen.
Allerdings muss man auch zugeben, daß diese Aktion wohl kaum AlQuaeda und Ihre angegliederten Gruppierungen von weiteren Attentaten - wo auch immer sie stattfinden werden- abhalten wird.
Der Gedanke ist nicht verkehrt, die Art der Bedrohung ist aber so perfide, daß man mit herkömmlichen Mitteln nicht weiterkommt.
Die betriebene Art der Kriegsführung mit Nadelstichen, so, wie es Israel schon lange erlebt, ist so übel, daß die entsprechenden Instrumente fehlen, um darauf zu reagieren: die USA verfügen über eine technisch unglaublich hochgerüstete Arme... gegen einen Selbstmordattentäter hat man aber schlicht keine Chance, auch dann nicht, wenn man nochsoviele Stealth-Bomber kauft.
Es gibt kein Früherkennungssystem und es gibt keine wirksame Waffe... so ist das eben, in der asymmetrischen Kriegsführung. Ich glaube auch nicht an die Macht der Geheimdienste: Emails abzufangen und Telephonate abzuhören und alles (meinetwegen auch im internationalen Rahmen) abzugleichen, ist technisch ohne Frage möglich... wenn sich der Gegner mit Brieftauben verständigt, kann man noch so großartige Technik einsetzen, man schaut dann schlicht in die Röhre.
Israel lebt seit Jahren mit exakt dieser Bedrohung und hat es bis heute nicht geschafft, das Problem in den Griff zu kriegen - und dort gibt man sich ja nun die allergrößte Mühe (ohne jede Wertung...).
Ich glaube, der erste Schritt müßte sein, daß sich im Westen eine einigermaßen einheitliche Bedrohungsperzeption durchsetzt... erst DANN kann man zielführend über Maßnahmen diskutieren. Wahrscheinlich muß Europa dazu erst seinen eigenen 11.9. erleben.
Ich weiss ja nicht, ob Du gestern "Berlin Mitte" gesehen hast, aber der ExChef der BfV, aber auch die anderen Gäste haben die Lage und Problematik dieses Konfliktes ziemlich gut auf den Punkt gebracht:
Der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes, Peter Frisch, sagte, der Angriff der Terroristen haben den "Ungläubigen" gegolten. Bei den Tätern handele es sich um Vertreter eines militanten Islamismus, deren Ziel es sei "die Welt zu islamisieren". Frisch geht davon aus, dass der Terrorismus stärker anwachsen könne. Dagegen könne nur ein "echter Dialog" zwischen den unterschiedlichen Religionen helfen. Hier seien auch die Muslime aufgefordert, gegen den Islamismus anzugehen. "Wir müssen uns vor dem Islamismus als solchem hüten. Es ist nicht nur eine geringe Minderheit, das ist die große Gefahr vor der wir stehen, hierauf müssen wir achten", so Frisch.
Sir Peter Torry, Britischer Botschafter in Deutschland, verurteilte die Anschläge in Istanbul. Mit dem britischen Konsul Roger Short habe er einen "guten, engen Freund" verloren, so Torry. Die Anschläge hätten sich "gezielt auch gegen die eigene Bevölkerung" gerichtet: "Das sind die normalen Bürger, die auf der Straße waren. Das wirkliche Opfer ist die muslimischen Bevölkerung in Istanbul." Nach Ansicht Torry haben die Anschläge dem "Modell Türkei" gegolten: "Es war die Türkei, weil die Türkei für alles steht, was El Kaida hasst. Das Modell Türkei ist für El Kaida hässlich und das können sie nicht erlauben, dass so ein Modell funktioniert und Erfolg hat", so Torry.
Torry betonte mit Blick auf die Terroranschläge, die Alliierten stünden "alle im gleichen Kampf", dabei müssten all "Farbe bekennen". Im Kampf gegen Terrorismus habe Großbritannien aus den Erfahrungen mit Nordirland gelernt: "Man braucht Geduld. Man muss eine Kombination von Stärke und von der Lösung der politischen Ursachen dieses Phänomens zusammenbringen", sagte Torry.
Wir können diesen Krieg meiner Meinung nach nur dann gewinnen, wenn wir folgendes schaffen:
- auf militärisch-geheimdienstlicher Ebene weltweit zusammenarbeiten, Erkenntnisse über Terrorzellen und die Führungskader des Jihad zentral registrieren, verwalten und für alle einsehbar machen. Dazu gehört auch verstärkt der Einsatz von "Human Intelligence", denn wie Du schon richtig gesagt hast, ist das Abhören von Mails und Telefonaten zwar hier und da hilfreich, aber letztendlich auch leicht zu umgehen.
Stichwort: Attas Mail an Ramzi Binalshibb einige Wochen vor dem 11.9.
- die liberalen muslimischen Kräfte (Mullahs, Intellektuelle, Regierungen etc. ) dazu bringen, mäßigend auf Ihre Leute einzuwirken und den oben beschriebenen kulturellen Dialog zu verstärken, damit die Muslime die heute noch dem Terror relativ ambivalent gegenüberstehen, nicht in einigen Monaten/Jahren mit Sprengstoffgürteln in unseren Fußgängerzonen auftauchen.
- Muslimische Regierungen dazu bringen, diese radikalen Religionsschulen zu schliessen oder zumindest ihre fanatischen Redner mundtot zu machen, denn dort werden vor allem die Kinder ohne Bildung immer mehr radikalisiert und gegen den großen Satan aufgehetzt. Diese Gehirnwäsche muss sobald wie möglich gestoppt werden, denn dort werden die Attentäter von morgen herangezüchtet.
- Die Lebensbedingungen in den armen Teilen der muslimischen Welt verbessern. Eine gute (Aus)bildung, Lebensperspektive und Friede lassen einen Menschen erst ein paar mal überlegen, ob er den Weg des Jihad einschlägt oder nicht.
OBL und seine Emissäre nutzen die Armut in weiten Teilen der muslimischen Welt auf perfide Weise für ihre Propaganda, frei nach dem Motto:" Seht sie euch an die dekadente westliche Welt, sie hat Friede und Wohlstand während wir hier im Dreck leben und unsere Kinder sterben...also zahlen wir es ihr Heim".
Wenn wir es schaffen, diesen Nährboden für den radikalislamistischen Terror "wegzuentwickeln" ist ebenfalls schon viel erreicht. Dazu müssen wir aber auch den diplomatischen Druck auf die Regierungen erhöhen, damit man sich in Ländern wie z.B Pakistan und SA viel mehr um Bildung und die Einrichtung von Schulsystemen kümmert, damit radikale Prediger keinen Ansatzpunkt mehr haben, ihre "Argumente" unterzubringen.
In jedem Fall muss verhindert werden, daß es AQ und die anderen Radikalen Gruppen es schaffen, einen Keil zwischen Christen und Muslime zu treiben, denn dann haben sie eins ihrer Hauptziele erreicht.
Diese Taktik lässt sich zur Zeit sehr gut im Irak beobachten und die Amerikaner kommen dieser Taktik mit Ihrem "unsensiblen Händchen" für die muslimische Kultur sowie Gepflogenheiten leiderleider sehr entgegen.
In folgender Analyse wurde bereits im November 2001 davor gewarnt, in die "Falle Irak" zu tappen, anscheinend kam das aber bei den Neocons nicht an.
http://www.metatempo.com/alqaida-game.pdf
Die von dir angesprochene "einheitliche Bedrohungsperzeption" hat sich denke ich mitlerweile durchaus in der EU durchgesetzt. Zumindest lässt Joschkas Rede in Princeton
http://www.auswaertigesamt.de/www/de/ausgabe_archiv?archiv_id=5088
erkennen, daß man die Bedrohung und Ihre Folgen erkannt hat.
Europa ist halt immer noch auf der Suche nach der nötigen Einheit und Eigenständigkeit, aber ich denke der Zug kommt langsam in Fahrt.