Sprachliche Verwirrungen

Goatboy

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Es gibt da einige Dinge, die allseits mit unserer Sprache angestellt werden und mir schon seit einiger Zeit auf den Magen schlagen. Ich will hier nicht auf Anglizismen hinaus oder diese unsäglichen Apostrophen, von denen am besten gleich zwei vor jedes gedruckte S kommen, sondern einige Ausdrucksweisen, von denen ich bis jetzt nicht mitbekommen habe, dass sie jemand gezielt angesprochen hätte, die ich jedoch irgendwo zwischen einer merkwürdigen Nutzung und einer schlichten Vergewaltigung des Deutschen verorte.

1. Die Gleichsetzung von Namen mit Dingen. Ein Beispiel aus Cicero Online (wo man doch eigentlich eine gewählte Ausdrucksweise erwarten sollte): "Vielmehr scheint, dass auch ein Josef Ackermann noch immer unterschätzt, wie viel Wut sich über das Treiben der Banken aufgestaut hat [...]." Aha. Und die anderen Josef Ackermänner also nicht? Wieso ein Josef Ackermann? Gibt es überhaupt mehrere? Nun ja, sicher gibt es namensgleiche Personen, aber gibt es denn mehrere Menschen mit demselben Namen und denselben Eigenschaften, die an dieser Stelle gemeint sein können? Warum also ein Josef Ackermann? Mir fällt das seit einigen Jahren auf; ich glaube, dass diese Gleichsetzung von Namen mit Dingen ihren Ursprung in der Sportberichterstattung hat, möglicherweise auch in Interviews mit Fußballern, die zu viele Kopfbälle geleistet haben, aber sicher bin ich mir da nicht. Es gab Zeiten, da machte man sich noch darüber lustig, was "ein Loddar Maddäus" so gesagt oder gemacht hat, irgendwann ist es dann anscheinend zu einer legitimen Formulierung geworden.

2. Das Auslassen des Wortes "sein" in jeglicher Konjugation. Dies findet man selten schriftlich, aber gesprochen ist es inzwischen selbst in Nachrichtensendungen üblich, etwas zu hören wie "Die SPD hat in Umfragen weiter verloren, die Stimmung in der Partei schlecht." Auch das hört man im Sport häufig "Die Abwehr schwach aufgestellt." "Sebastian Vettel in Imola schnell unterwegs." Wo bitte liegt hier der Sinn? Es heißt "Die Stimmung in der Partei ist schlecht." "Die Abwehr ist schwach aufgestellt." "Sebastian Vettel ist in Imola schnell unterwegs".

3. Glück wünschen für die Vergangenheit. Eine Selbstverständlichkeit, die mir heute wieder aufgefallen ist: eine Bekannte hat ein Examen bestanden und bekam prompt von allen Seiten Glückwünsche. Sicher, das ist schließlich normal. Aber wieso? Warum sollte man jemandem für eine Prüfung Glück wünschen, wenn diese schon vorbei ist? Wäre es nicht sinnvoller zu gratulieren?

Was haltet ihr von alledem? Ist euch das auch aufgefallen? Fällt es euch jetzt auf, da ich es ausgeführt habe? Oder bin ich zu kleinlich? Ergibt das alles gar einen Sinn, den zu erfassen ich bloß nicht in der Lage bin?
 

haruc

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Hallo Goatboy,

die Klagen die du vorbringst, findet man in ähnlicher Form seit Jahrhunderten in jeder Schriftsprache. Das Phänomen heißt "Sprachwandel" und es findet unabänderlich statt.
Die Ursachen dafür liegen nicht in einer angenommenen "Böswilligkeit" oder "Nachlässigkeit" der Sprecher mit der Sprache, sondern einfach darin, dass Sprache für sich ein abstraktes Konstrukt ist, von dem sich jeder Sprecher eine eigene "Kopie" im Laufe seines Lebens anfertigt. Und dabei können sich Fehler einschleichen. Andererseits ändert sich auch die Sprache eines einzelnen Sprechers im Laufe seines Lebens: Bestimmte Vokabeln und syntaktische Konstruktionen werden "ausprobiert". Werden sie für gut befunden, (also tauglich in dem Sinne, dass sie den Zweck der Informationsübertragung genau so gut oder vielleicht besser als herkömmliche Vokabeln oder syntaktische Konstruktionen erfüllen) bleiben sie, haben sie keinen "Vorteil" werden sie nach einer Weile wieder verworfen.

Sprache ist demnach auf individueller Ebene einem ständigen Wandel unterworfen. Gleiches gilt für den Sprachgebrauch ganzer Gruppen. So konnte man zum Beispiel seit einigen Jahren insbesondere in den Nachrichten die Konstruktion "in" + Jahreszahl (anstatt zb. "Im Jahre 2009" oder - kürzer: "2009") hören/lesen, die vermutlich aus dem englischen geborgt ist. Zwar geht nach meinem subjektiven Empfinden der Gebrauch dieser Konstruktion wieder zurück, aber sie hält sich noch. Ob sie sich durchsetzen wird, wird die Zukunft zeigen.

Grundsätzlich tauchen immer wieder Veränderungen in der Sprache auf. Manche bleiben nur für eine Weile, bis die Mehrzahl der Sprecher wieder zur ursprünglichen Form zurückkehrt, andere bleiben für immer.

Nimm als Beispiel mal den Bedeutungswandel, den das Wort "geil" in den letzten 40-50 Jahren mitgemacht hat. Die ursprüngliche Bedeutung hat sich heute in der Regel nur im sexuellen Kontext gehalten, während in anderen Kontexten das Wort so viel wie "sehr gut" oder "großartig" oder "faszinierend" bedeuten kann.

Ich sehe den Sprachwandel im Allgemeinen gelassen - denn er ist erstens natürlich und zweitens kann man eh nichts dagegen machen.

Die ganzen präskriptiven (möchtegern-)Linguisten haben die Entwicklung der Sprachwissenschaft seit dem 19. Jahrhundert nicht mitbekommen. Sie sind der Meinung, dass nur die Form der Sprache, mit der sie selber vertraut sind, die "richtige" ist, und Abweichungen davon "falsch" oder "entartet" sind.
Sprache ist das, was die Sprecher sprechen - nicht das, was eine Komission für richtig hält.

Zu Denen Beispielen:

1. "Ein Josef Ackermann". Denkbar wäre auch, dass hiermit nicht Josef Ackermann gemeint ist, sondern alle Menschen, die im Kontext der Finanzwirtschaft gleiche oder ähnliche Eigenschaften wie Josef Ackermann aufweisen. Herr Ackermann wird dadurch zu einer Art Typus für eine ganze Reihe von Leuten.

2. Abgesehen davon, dass das Auslassen des Wortes "sein" ungewohnt wirken kann: Wird dadurch der Sinn der Phrase oder des Satzes entstellt? Man muss bedenken, dass isolierte Beispiele in der Regel untauglich sind und selbst manche Sätze nur dann einen eindeutigen Sinn ergeben, wenn man sie im Gesamtkontext betrachtet.
Ich persönlich finde nicht, dass in den von Dir gewählten Beispielen durch das Weglassen des Verbs "sein" der Sinn entstellt oder verloren geht.

Es heißt "Die Stimmung in der Partei ist schlecht." "Die Abwehr ist schwach aufgestellt." "Sebastian Vettel ist in Imola schnell unterwegs".

Das würde jemand, der 100 bis 200 Jahre vor Dir geboren wurde vielleicht schon wieder anders sehen. Eben weil sich Sprache ständig wandelt.

3. Glückwunsch für die Vergangenheit.

Richtig, wenn man der Redewendung auf den Zahn fühlt, erkennt man, dass das eigentlich kaum einen Sinn zu ergeben scheint. Aber nur dann, wenn man den Glückwunsch in seiner zeitlichen Ausrichtung mit "ich wünsche Glück" (für etwas Bevorstehendes) gleichsetzt (also auf die Zukunft ausgerichtet)

Allerdings: Diese Wendung hat sich nunmal so eingebürgert. Warum? Weil diese Wendung in diesem Kontext synonym zur Gratulation verwendbar ist.

Beispiel:

A: "Ich hab meine Prüfung bestanden"
B: "Herzlichen Glückwunsch!"

Das wird so verwendet und wird allgemein als korrekt anerkannt.

Aber:

A: "Ich hab meine Prüfung bestanden"
B: *"Ich wünsche Dir viel Glück"

Das geht so nicht, weil der Satz, den "B" sagt, eindeutig auf die Zukunft ausgerichtet ist.

Es eröffnet sich aber noch eine andere Möglichkeit: Wer sagt denn, dass Glückwünsche immer auf die Zukunft ausgerichtet sein müssen? Ich meine, die Wendungen "Ich wünsche Dir Glück" und "Herzlichen Glückwunsch" sind deutschen Ursprungs und können zukunftsgerichtet bzw. auf die Vergangenheit gerichtet verwendet werden.
Die "Gratulation" stammt aber aus dem Lateinisch-Romanischen Sprachast und wurde im Deutschen als Lehnwort übernommen. Diese kann allerdings nur auf die Vergangenheit angewendet werden.
Du kannst niemandem für eine zu bestehende Prüfung im Voraus gratulieren.
Ich denke, dass dies auch eine Denkfalle in sich birgt: Man sieht die Verwendung von "ich wünsch dir Glück" und "ich gratuliere Dir" und schließt daraus, dass der "herzliche Glückwunsch" eine abnormale Form sein müsse. Tatsächlich aber scheint der "herzliche Glückwunsch" die deutsche Entsprechung der Gratulation zu sein.

Ich hoffe dass ich in dieser doch eher knappen Ausführung meinen Standpunkt deutlich machen konnte.

Gruß
Haruc
 

antimagnet

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es geht auch noch knapper:
1 & 2 sind rhetorische stilmittel (eponomasie & ellipse) und ein glückwunsch ist kein glückswunsch.


-------------------------------------

nachtrag @glückwunsch: zugegeben, der duden hält einen glückwunsch u.a.(!) auch für einen wunsch für glück. aber stimmt das denn? bei welchem beispiel kann man denn statt "herzlichen glückwunsch" "ich wünsch dir viel glück" sagen?
 

erik

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Da verschlägt es einem doch die Sprache.

(wirklich nur einem?)

Das mit den Namen könnte auch ein regionales Phänomen sein, im Süden sagt man eigentlich zum Namen auch immer einen Artikel dazu, alles andere klingt falsch.... z.B. "der Huber Sepp hat gsagt".... "der goatboy meint aber"... "schau mal nach ob der haruc schon was geantwortet hat"

Da ist der Weg zur "Versachlichung" nicht mehr weit.
Auch in der Redensart "Was juckt es eine (deutsche) Eiche, wenn sich ein Wildschwein an ihr reibt" oder auch an der jeweiligen Übersetzung von "quod licet jovi non licet bovi" wird das deutlich. Das ist imho keine Sprachvergewaltigung, sondern immer schon so gewesen. Da hätte sich selbst ein Goethe nicht dran gestoßen.

Zur Auslassen von "sein" kann ich nur sagen, dass mir das so noch nie aufgefallen ist, auch nicht im gesprochenen Wort. Lediglich vielleicht als Schlagzeilen oder Überschriften von Online Artikeln.
 

Mr. Anderson

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Das Weglassen von "sein" halte ich übrigens nicht immer für eine lupenreine Ellipse, sondern manchmal für einen gefühlten Doppelpunkt. So auch in diesem Beispiel:
"Die SPD hat in Umfragen weiter verloren; die Stimmung in der Partei: schlecht."
Also ebenfalls als rhetorisches Mittel, um die Aussage wie eine kurze, prägnante Analyse aussehen zu lassen.

Wobei ich mich allerdings beim Tippen im Forum immer ertappe, ist die Benutzung dieser Dinger hier: " " als Anführungszeichen.
Das sind in Wirklichkeit gar keine Anführungszeichen, nicht einmal im Englischen. Diese Gänsefüßchen dienen eigentlich als eine Art Wiederholungszeichen.

Die englischen Anführungszeichen wären diese Dinger hier: “ ” und die Deutschen selbstverständlich diese hier: „ “
Aber da schon alle möglichen Online-Magazine und Online-Schreiber nur noch die falschen Gänsefüßchen verwenden, habe ich mir das auch angewöhnt. Vielleicht sollte ich das ja mal demonstrativ seinlassen.
 

Semiramis

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Ich versteh das Problem gar nicht. Die drei genanten Dinge sind doch völlig verschiedene Sachen, und nichts davon hat etwas mit "Sprachverschlechterung" zu tun :O_O:
zu 1) Im Beispiel "ein J. Ackermann" drückt das "ein" einen anderen Sinn aus, als wenn man es weglässt: "J. Ackermann hält sich nicht an Moral" (genau diese eine Person) i.G.z. "ein J. Ackermann hält sich nicht an Moral" (Bedeutung: so jemand wie = alle, die so sind wie er in bestimmten Punkten, z.B. die gleiche Position innehaben). Wie haruc schon richtig meinte: Das wird zu einer Typenbezeichnung, das "ein" generalisiert. Was anderes ist das mit dem direkten Artikel: "Der J. Ackermmann..." ist immer noch genau diese eine Person, ich finde allerdings, dass der Artikel (zumindest in der Hochsprache, dialekte sind da noch mal was Eigenes) eine gewisse Distanz ausdrückt, vergleichbar mit "Dieser J. Ackermann da...".
zu 2) gerade diese Konstruktionen sind in Überschriften auch nicht so selten.
zu 3) "Herzlichen Glückwunsch" ist wieder nur die Verkürzung von so etwas wie "ich spreche dir meinen herzlichen Glückwunsch aus". Bei bestandenen Prüfungen mag das in erster Linie Gratulation sein, bei Geburtstagen verstehe ich das schon auch als Glückwunsch für die Zukunft. - Das Wort auseinandernehmen bringt aber nichts; da käme man bei vielen Zusammensetzungen auf ganz andere Bedeutungen als die, die sie (momentan ;-) ) gerade tatsächlich haben ... so what.

Was ich vielmehr auffällig in der Sprachentwicklung fände, sind Konstruktionen wie "ich bin am Arbeiten" - was ich (ohne genügende Quellen- und Indizienbasis) erst mal als Parallelbildung zum englischen "I am working" verstehen würde.
Oder der schleichende Verlust der Bedeutungsunterschiede zwischen Perfekt und Imperfekt - darüber könnte man sich auslassen ;-)

(NB: Zu Andersons "Gänsefüßchen": das ist aber auch oft - wie auch jetzt gerade ein Tastatur- und Formatierungsproblem ;-) da bestimmt auch die Technik die Art, wie wir schreiben ;-) )
 

antimagnet

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Semiramis schrieb:
bei Geburtstagen verstehe ich das schon auch als Glückwunsch für die Zukunft.

das dache ich zuerst auch, aber wünscht man wirklich glück zum geburtstag? "viel glück zum/am geburtstag!" - das sagt doch keiner, oder?
 

Semiramis

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@anti
naja...:
"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich wünsche Dir ganz viel Glück, Segen, Gesundheit und alles Gute und Liebe".
^ ^
 

haruc

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antimagnet schrieb:
das dache ich zuerst auch, aber wünscht man wirklich glück zum geburtstag? "viel glück zum/am geburtstag!" - das sagt doch keiner, oder?

Sehr richtig. Man kann eben "herzlichen Glückwunsch" und "ich wünsch Dir Glück" nicht synonym verwenden. Mir fällt jetzt auf die Schnelle auch kein Beispiel ein, in dem das möglich wäre - obwohl es sicherlich ein paar gibt.
Aber ich bin sowieso eher kein Freund von Introspektion. Mag evidenzbasierte Linguistik viel mehr.

edit:
naja...:
"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich wünsche Dir ganz viel Glück, Segen, Gesundheit und alles Gute und Liebe".
^ ^

Sicher kann man im ein und selben Kontext beide Formen verwenden, aber der Unterschied liegt halt imum darin, dass sich das Eine (herzlichen glückwunsch = gratulation zum vollenden des zurückliegenden Lebensjahres) auf die Vergangenheit, das andere (ich wünsche glück -> in dem Fall fürs kommende Lebensjahr) sich auf die Zukunft bezieht.

/edit

Zur Sache mit dem Auslassen von "sein".
Ich bin mir relativ sicher, dass das keine sonderlich neue "Erfindung" ist, sondern in manchen Sprachbereichen schon recht weit verbreitet war, bevor es dann in die Zeitungssprache eingesickert ist. Könnte mir durchaus vorstellen, dass das in Bereichen, in denen es auf platzsparende und schnelle Kommunikation ankommt (Telegramm, Meldung im Feld usw) bereits seit einigen Jahrhunderten Praxis war. Dass in Überschriften generell Nomen gegenüber Verben bevorzugt werden liegt wohl auch an der Knappheit des zur Verfügung stehenden Raumes.

Generell: Endlich mal wieder ein schönes Thema :)
 

Semiramis

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Vielleicht liegt das Problem beim "Glückwunsch" in der Auffassung des Wortes "Glück". Ich verstehe den Glückwunsch im Geburtstagsbeispiel schon auch auf die Vergangenheit bezogen. Jemandem Glück wünschen für die Vergangenheit, das funktioniert nur, wenn man unter Glück etwas anderes (allgemeineres) versteht als "gutes Gelingen in der Zukunft / ein gutes Ereignis in der Zukunft"...
Naja, heutzutage ist "Herzlichen Glückwunsch" zumindest weitgehend auf Vergangenes festgelegt, in meinem Empfinden. Alle anderen Formen von Glückwünschen dagegen doch eher noch näher dran an "jemandem Glück wünschen". In der Verwendung "Glückwünsche zum Geburtstag" oder "Segensglückwünsche" bezieht sich das imho deutlich auf den Wunsch künftiger glücklicher Ereignisse.

Hier nebenbei eine etwas unterhaltsame, aber gar nicht so verkehrte Zusammenfassung zu Glückwunsch: http://www.sprache-werner.info/Gesamtfassung.30097.html

Naja, Sprache entwickelt sich halt. Und dass bestimmte Wendungen Spezialbedeutungen bekommen, ist ja auch nichts Ungewöhnliches ;-)
 

Simple Man

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Mr. Anderson schrieb:
Wobei ich mich allerdings beim Tippen im Forum immer ertappe, ist die Benutzung dieser Dinger hier: " " als Anführungszeichen.
Ich bevorzuge die Variante " " ganz stumpf aus ästhetischen Gründen. Diese schräggestellten Tüddelchens, von denen eines möglicherweise sogar unten zu finden ist, wirken so ... asymmetrisch, ungerade und gewollt abhebend, dass ich es nicht ertrage.

Aber ich bin da eventuell ein wenig eigen.

Antimagnet schrieb:
aber wünscht man wirklich glück zum geburtstag? "viel glück zum/am geburtstag!" - das sagt doch keiner, oder?
Ähm, ich schon. Meistens wünsche ich den Leuten zum Geburtstag Gesundheit, Glück und viele Geschenke. Die drei "G"s halt.
 

Hans_Maulwurf

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Früher habe ich immer aufregen können wenn die Anglizismen "realisieren" und "massiv" ins Deutsche einsickerten. Nicht weil es Anglizismen sind sondern weil ihre ursprüngliche Bedeutung in eine andere gewandelt wird.
(In meiner Jugend wurden meistens massive Betonwände realisiert)

Aber seit einigen Jahren wird man des öfteren von Klugscheissern darauf hingewiesen dass man keinen Sinn "machen" kann.
Persönlich finde ich das sowas von spießig und verkneife in Folge dessen Kommentare über anderer Leute Sprachgebrauch und verdrehe die Augen über diesen superklugen Einwurf der imho auch keinen Sinn macht. :uuups:
 

haruc

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Achgott ja, früher hat etwas einen Sinn ergeben, jetzt kann es auch Sinn machen. Grammatikalisch "richtig" ist es jedenfalls, weil jeder deutsche Muttersprachler sofort versteht, was gemeint ist. Dass es vielleicht "falsch" im Sinne einer präskriptiven Grammatik ist: mag sein, stört aber nur die Leute, die sich über sowas aufregen möchten.


Hans_Maulwurf schrieb:
Früher habe ich immer aufregen können wenn die Anglizismen "realisieren" und "massiv" ins Deutsche einsickerten. Nicht weil es Anglizismen sind sondern weil ihre ursprüngliche Bedeutung in eine andere gewandelt wird.

Hmm eigentlich sind diese beiden Wörter doch seit mindestens mal 200 Jahren im deutschen Wortschatz vorhanden, oder? Ich mein da kann man kaum noch davon reden, dass sie "eingesickert" sind. (Zumal "massiv" aus dem Französischen kommt, ebenso wie realisieren) Vielleicht haben sie in den letzten 20-30 Jahren ihre Bedeutung erweitert oder gewandelt. Es kann ja auch sein, dass diese Erweiterung durch den zunehmenden Kontakt mit der Englischen Sprache ausgelöst wurde. Wobei ich mich letztens nochmal gewundert habe, weil ich in einem Text aus den 1860er-1870er Jahren den Gebrauch des Wortes "realisieren" in seiner (angenommenen) modernen Bedeutung gelesen habe. (Also "Herr XYZ konnte nicht realisieren, was geschah" oder so ähnlich). Leider hab ich mir die Fundstelle nicht notiert, aber ich glaube es war bei Fontane.

Aber abgesehen davon sind das eigentlich ganz normale Vorgänge. Vor 30-40 Jahren hatte "geil" eine recht eindeutig definierte Bedeutung. Das ist heute nicht mehr so.

Oder nehmen wir "handy". Das ist zwar oberflächlich betrachtet ein Anglizismus, aber genau genommen auch wieder nicht. Ja, das Wort existiert im Englischen, aber nicht in dieser Bedeutung. Daher geht man davon aus, dass "Handy" eine deutsche Wortneuschöpfung ist, die sich an den Prinzipien der Englischen Sprache orientiert hat.

Denn: Ein Wort auszuborgen macht ja nur dann Sinn (!), wenn man gleichzeitig auch ein Konzept mit ausborgt bzw wenn es für das Konzept in der eigenen Sprache kein Wort gibt. Oder umgekehrt: Warum sollte man aus einer Fremdsprache ein Wort ausborgen, das in der Ursprungssprache eine vollkommen andere Bedeutung hat, als es in der "Gastsprache" haben soll? Auf diese Idee kommt doch niemand.

Aber sobald man ein Konzept erkannt hat, sucht man auch nach Worten dafür. Deswegen hieß das "Handy" ja zuerst auch "Mobiltelefon". Aber letztere Bedeutung ist im allgemeinen Sprachgebrauch, insbesondere in der Umgangssprache, ja zugunsten der ersten Variante zurückgetreten.

Ich finde am Handy-Beispiel erkennt man sehr schön, dass hier eigentlich kein Wort im tieferen Sinne geborgt wurde, sondern, wenn überhaupt, nur eine Lautabfolge, mit der man ein Konzept bezeichnet, für das es bereits ein (vielleicht wenig komfortables) Wort gibt.

Denkbar ist auch, dass das Wort in einem Sprecherkreis ohne sonderlich viel Kontakt zum Englischen entstanden ist und zunächst nur die Eigenschaft des Mobiltelefones beschrieb, dass man es in der Hand herumtragen kann.
Und weil man die 1990er schrieb, und man modern und "hip" sein wollte, hat man das ganze dann "englisch" klingen lassen. Und ist dabei zufälligerweise bei einer Lautabfolge gelandet, die auch im englischen Existiert. Dort ist sie allerdings kein Nomen.

Aprospos Telefon. Das hieß früher Fernsprecher. Klang aber anscheinend so doof, dass sich die Mehrzahl der Sprecher darauf geeinigt hat, stattdessen "Telephon" zu benutzen.

Und ganz ohne den Sprachwandel, über den sich seit es Sprachen gibt, Menschen aufregen, weil er in ihren Augen ein Verfall zu sein scheint, und den Einfluss von Fremdsprachen, der auch immer wieder die "Reiheit der deutschen Sprache" zu bedrohen schein, würden wir heute immernoch seltsame westgermanische oder keltische Dialekte reden, "diutisc" und nicht das moderne Neuhochdeutsch, wie wir es seit etwa 300-400 Jahren kennen.
 

erik

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Zum Geburtstag viel Glück
zum Geburtstag viel Glück
zum Gebuuurtstag, zum Gebuurtstag, zu Gebuuurtstag viiiiel Glück!

(auf dieselbe Melodie wie "Happy Birthday to you" zu singen)
 

Semiramis

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Lustig, dass ihr auf "Sinn machen" kommt... das ist ein echter Anglizismus.
- Im Gegensatz zu der Übernahme englisher Wörter (und Wörter vieler anderer Sprachen), um Bezeichnungen zu kreieren für etwas, was man so vorher nicht ausdrücken konnte.
"Sinn machen" dagegen ist eine Übernahme englisher Wortverwendung (und daher viel eher das, was ich als Anglizismus verstehen würde) - eine Direktübertragung von "it makes sense", was im Deutschen eigentlich "es hat Sinn" gewesen wäre. Und ja, auch hier entwickelt sich Sprache, jetzt sagen eben alle "es macht Sinn" :egal: so what ;-)

Und zum Handy: Ich denke, es könnte auch mit "it's handy" begonnen haben, aus dem man dann hier "das ist ein Handy" gemacht hat. In der gleichen Richtung sehe ich auch die Entwicklung der englishen Bezeichnungen dafür: Aus "mobile phone" ist "mobile" geworden, zur Bezeichnung des Gegenstandes (obwohl man hier einwenden könnte, dass das ja im Grunde auch nur ein Adjektiv gewesen war). - Der Brite denkt hier an "tragbar", was von unserem "handlich" gar nicht so weit weg ist. Im Amerikanischen habe ich dafür eine ganz andere Entwicklung gehört: ein cell phone, wobei man bei der Bezeichnung nicht an tragbar, sondern an den Akku gedacht hat? - und ... tata... es schleift sich auf cell zusammen (was für sich der reinen Wortbedeutung nach auch nichts mit dem Gerät zu tun hätte, was wir als Handy bezeichnen)... sowas findet sich in allen Sprachen gleichermaßen ;-)
 

Goatboy

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Das Argument "Sprache ändert sich" als alleinige und völlige Rechtfertigung für jeglichen verbalen oder schriftlichen Unfug ist natürlich insofern schwierig, als es wirklich allem Tür und Tor öffnet. Dann kann ich meinen Chef auch mit "Ey Alda, kommaher!" begrüßen und anschließend erklären, es sei lediglich eine moderne Ausdrucksweise für "Guten Morgen Herr Sowieso, dürfte ich bitte einen Augenblick Ihrer Aufmerksamkeit beanspruchen?" Sprache ändere sich eben.
 

hives

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Semiramis schrieb:
Im Amerikanischen habe ich dafür eine ganz andere Entwicklung gehört: ein cell phone, wobei man bei der Bezeichnung nicht an tragbar, sondern an den Akku gedacht hat? - und ... tata... es schleift sich auf cell zusammen (was für sich der reinen Wortbedeutung nach auch nichts mit dem Gerät zu tun hätte, was wir als Handy bezeichnen)... sowas findet sich in allen Sprachen gleichermaßen ;-)

Der Ausdruck kommt m.W. nicht von Batteriezellen, sondern von der Bezeichnung "cellular phone network" für "Mobilfunk" - aber es passt natürlich trotzdem, da die Leute ja nicht eine ganze "Funkzelle" mit sich herumtragen ;)

@goatboy: Die Sprache würde sich m.E. ein wenig ändern, wenn dein Chef die von dir beschriebene Begrüßung ok finden und zur neuen Standardbegrüßung im Betrieb machen würde.
 

haruc

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Das Argument "Sprache ändert sich" als alleinige und völlige Rechtfertigung für jeglichen verbalen oder schriftlichen Unfug ist natürlich insofern schwierig, als es wirklich allem Tür und Tor öffnet. Dann kann ich meinen Chef auch mit "Ey Alda, kommaher!" begrüßen und anschließend erklären, es sei lediglich eine moderne Ausdrucksweise für "Guten Morgen Herr Sowieso, dürfte ich bitte einen Augenblick Ihrer Aufmerksamkeit beanspruchen?" Sprache ändere sich eben.

Das Beispiel greift insofern nicht, weil so ziemlich jeder durchschnittlich kompetente Sprecher der deutschen Sprache diese Wendung als Grußformel gegenüber einem Vorgesetzten als unmöglich erachten würde. Zudem handelt es sich bei solchem "Unfug" in der Regel um die verbalen Produkte einzelner Sprecher, nicht ganzer Sprechergruppen. Das ist auch mit "Sprachwandel" nicht gemeint oder gedeckt. Sprachwandel würde nur dann stattgefunden haben, wenn die überwiegende Mehrzahl der Leute darin keinen Verstoß gegen die Regeln der Sprache sehen würde, diese Wendung also in diesem Kontext allgemein gebräuchlich werden würde.

Sprachwandel ist kein Rechtfertigungsversuch für einen "laxen" oder übermäßig "liberalen" Umgang mit der Sprache, sondern einfach nur ein tatsächlich stattfindender Prozess, den man mit empirischen Mitteln beschreiben, qualifizieren und sogar quantifizieren kann.

Man geht davon aus (d.h. man weiß) dass in einer Sprache zu jedem Zeitpunkt Variation in den Formen besteht. So kann man zum Beispiel "China" mit einem "ch" oder einem "k"-Laut am Anfang aussprechen. Beide Formen existieren parallel, wenn auch mit regional, sozial, ... unterschiedlicher Gewichtung. Mag sein, dass in irgend einem Regelwerk steht, dass "China" nicht "Kina" ausgesprochen werden darf. Das gilt vielleicht für die formale Hochsprache/Literatursprache, aber sicherlich nicht für die Sprache, die lebendig ist und gesprochen wird. Insofern interessierts nicht. Was zählt ist nur, was die Sprecher sprechen. Und wenn eine nicht geringe Anzahl von Sprechern "Kina" statt "China" spricht, dann hat diese Abweichung ihre Berechtigung.

Wir haben also eine Form, die zeitgleich mit einer anderen Form existiert. Aus allem, was man bisher so an Sprachwandel beobachten konnte, geht hervor, dass früher oder später eine der beiden Formen aussterben wird und die andere wird dominant werden. Solche Änderungen schleichen zunächst nur in einigen wenigen Worten ein, die dafür besonders anfällig sind. In der Regel sind das häufig benutzte Wörter. Dann folgt eine Phase der raschen verbreitung, in der ein relativ großer Teil der Worte, die für diesen Wandel anfällig sind, diesen Wandel auch unterziehen, und ganz zum Schluss des Wandels werden dann auch die allerunüblichsten Worte davon ergriffen werden.

"Sprachwandel" meint also mitnichten kurzfristige Trends oder den von der Norm abweichenden Sprachgebrauch einzelner Sprecher, sondern vielmehr die langfristigen Änderungen, die sich (meistens ungewollt und unbewusst) in der Gemeinschaft der Sprecher einer Sprache vollzogen werden.

Viele Änderungen laufen verdeckt über Jahrhunderte hin. Andere brauchen keine 20 Jahre.
 

Mr. Anderson

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haruc schrieb:
Zudem handelt es sich bei solchem "Unfug" in der Regel um die verbalen Produkte einzelner Sprecher, nicht ganzer Sprechergruppen. Das ist auch mit "Sprachwandel" nicht gemeint oder gedeckt. Sprachwandel würde nur dann stattgefunden haben, wenn die überwiegende Mehrzahl der Leute darin keinen Verstoß gegen die Regeln der Sprache sehen würde, diese Wendung also in diesem Kontext allgemein gebräuchlich werden würde.
Allerdings wird wohl kaum ein Sprecher, bevor er irgendeine (zur Zeit) grammatikalisch falsche Form benutzt, eine empirische Analyse darüber durchführen, wie gebräuchlich diese Form zur Zeit ist, und ebenso wenig würde das ein Kenner der offiziellen Grammatik tun, bevor er den Sprecher auf die falsche Form hinweist.
Somit bleibt als Grundlage in den meisten Fällen eigentlich nur der offizielle Sprachgebrauch und evtl. das Sprachempfinden, und letzteres schlägt bei mir auch schon Alarm, wenn ich einige der hier genannten (sog. unsinnigen) Formen sehe. Insofern kann ich auch nicht Deiner Bemerkung zustimmen, die Benutzung solcher Formen störe nur diejenigen Leute, die sich darüber aufregen möchten. Tatsächlich ist es doch eher so, dass wir einfach ein gewisses Sprachempfinden haben und einen gewissen Sinn für die Richtigkeit von Übersetzungen, denen solche Formulierungen negativ auffallen. Es ist ja nicht so, dass ich irgendwann mal aufgestanden bin und mir gesagt habe: Hey, heute rege ich mich mal über irgendwas auf, und zwar ... hm... mal überlegen... ja, genau, ich entscheide jetzt einfach mal, dass die Formulierung Sinn machen mich stört.

Wobei Sinn machen ja unglücklicherweise bereits in den Duden Einzug gehalten hat, wenn auch wiederum glücklicherweise nur als umgangssprachliche Form:
etwas macht [k]einen Sinn (umgangssprachlich; etwas ergibt [k]einen Sinn, ist [nicht] verständlich, sinnvoll; nach englisch something makes sense)
Ich habe diese Formulierung allerdings auch schon unverhohlen in einer Dissertation in Gebrauch gesehen.
 

Telepathetic

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haruc schrieb:
Viele Änderungen laufen verdeckt über Jahrhunderte hin. Andere brauchen keine 20 Jahre.
... z.B. aufgrund der technischen Veränderungen in den letzten 50 Jahren, darunter der sogar in Echtzeit mögliche massenhafte und weltweite Austausch von Informationen. Neues lässt sich heutzutage sehr schnell überall verbreiten.


Goatboy schrieb:
2. Das Auslassen des Wortes "sein" in jeglicher Konjugation. Dies findet man selten schriftlich, aber gesprochen ist es inzwischen selbst in Nachrichtensendungen üblich, etwas zu hören wie "Die SPD hat in Umfragen weiter verloren, die Stimmung in der Partei schlecht." Auch das hört man im Sport häufig "Die Abwehr schwach aufgestellt." "Sebastian Vettel in Imola schnell unterwegs." Wo bitte liegt hier der Sinn? Es heißt "Die Stimmung in der Partei ist schlecht." "Die Abwehr ist schwach aufgestellt." "Sebastian Vettel ist in Imola schnell unterwegs".
Hat, denke ich mal, auch was mit dem Klang der Sprache zu tun und damit, dass Texte ähnlich wie Musik komponiert werden können, um bestimmte Effekte zu erzeugen. Z.B. kann ein Text inhaltlich wie formal rund klingen, in sich abgeschlossen sein. In der Dichtung wird Sprache traditionell an Versmaße angepasst, sofern der Dichter überhaupt eine Form auswählt. Nachrichtensprecher und Journalisten haben da noch das Problem der Zeit, bzw. der erlaubten Menge an Worten. Alles, was als wichtig erscheint, muß in einen vorgegeben Rahmen passen. Sicherlich beeinflußt der Rahmen Wortwahl und Satzbau. In Printmedien lässt sich durch Weglassen von Buchstaben auch noch Tinte sparen. Wobei ich denke, dass eher mit billigerer Tinte gedruckt wird, als dass Worte weggelassen werden. Aber was weiß ich über Verlagspraktiken.
 
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