Aphorismus schrieb:
Toll, jetzt habe ich ja keine Wahl, als auch so in Einzelzitate zerstückelt zu antworten. Können wir das bald mal zum Abschluss bringen?
Habe ich versucht *g* - und zunächst konzentriere ich mich auf den vermutlichen Kernsatz, der wohl Deine Einstellung von meiner unterscheidet - anschließend folgen leider noch ein paar Antworten und zusätzliche Reaktionen:
Aber der "Scheiß-Nachbar" ist immer noch "ein Asi", der "Penner vorm ALDI" "stinkt" immernoch und die Rechten sind alles "Fascho-Wichser".
Mir ist das zu selektiv. Das wirkt auf mich geheuchelt.
Ich versuche mir ständig bewusst zu machen, daß diese ganzen Platitüden an Feindbildern totaler Murks sind. Ich will diese Schubladen NICHT anwenden, auch wenn ich oft merke, daß es viel einfacher wäre, wenn ich das tue.
In meiner Umgebung und insbesondere bei mir selber versuche ich diesen Scheiss oft zu kritisieren - versuche nicht in wirklich einfachste Weltbilder abzurutschen und ne simple Schublade aufzumachen nur um da irgendwen reinzustopfen, damit ich es schön einfach habe.
Ne - dagegen wehre ich mich. Und insbesondere wenn ich (hoch-)intelligente Menschen sehe, die das ebenso machen, weise ich darauf hin. Es trifft die Realität einfach in den seltensten Fällen. Menschen sind keine eindimensionalen Comic-Figuren. Sind nicht einfach nur Arschlöcher, Faschos, Asis, Kapitalistenschweine, oder was weiss ich - auch wenn ich selber immer wieder in diese Falle reintappe. Gerade wenn man hochkonzentriert an einer bestimmten Sache hängt (auf der Arbeit merke ich das gelegentlich), neigt man dazu. Aber auch auf der Arbeit bemühe ich mich meine Feindbilder klein zu halten, und mich selber zu kritisieren - oft genug im selben Satz. Der eine oder andere Bekannte macht sich durchaus den Spass mich darauf hinzuweisen, wenn ich mal so eine Platitüde raushaue - mit einem zwinkernden Blick. Das sind letztlich Momente, in denen ich das Gefühl habe, daß es tatsächlich etwas bewirkt, immer wieder darauf hinzuweisen...
Und hier noch ein paar Antworten:
Was ist denn an so einem Amokläufer jetzt so furchtbar wichtig?
Dasselbe, wie an all den "Scheiß-Nachbarn", "Asis", "Pennern vorm ALDI", "Fascho-Wichsern", etc etc:
Es sind Menschen.
Ich nehme das so hin. Was ist denn dein Ansatz? Nach dem zu suchen, was ihn zum Täter gemacht haben könnte - und dann?
Erkenntnis ist der erste Weg zu Besserung...
Hast du schon eine vernünftige Erklärung für Columbine irgendwo gefunden? Seit Jahren wird jetzt darüber geredet. Hat das irgendetwas gebracht?
Für unvernnftige Taten wird es selten vernünftige Gründe geben. Aber wenn Menschen in ihrem Umkreis mit labilen Menschen nur ein Funken aufmerksamer umgehen... hätte es was gebracht. Wird aber wohl im großen und ganzen noch viele Generationen dauern, alle davon zu überzeugen.
Und hier noch leider längere Reaktionen auf einige Bemerkungen, da sie noch ein/zwei weitere Differenzen in unserem Denken offenbart:
finde es aber bedenklich, dass du Neugier, Spaß am Gruseln oder den Wunsch, die Tat in einen sinnvolleren Kontext "wegzuerklären" komplett ausschließt. Das wirkt auf mich so, als ob einer einer hübnschen Frau hinterher guckt und dann verträumt sagt: "Ich glaube, die hat einen tollen Charakter!"
Zunächst mal schließe ich ganz sicher NICHT Neugier aus - davon rede ich doch die ganze Zeit... ich bin neugierig, lernwillig ob der Ursachen. Und wenn ich einer tollen Frau hinterherschaue, sage ich es ein klein wenig anders: "Süsser Arsch, aber weiss der Geier, was die fürn Charakter hat". Wovon ich rede ist Ehrlichkeit auch sich selber gegenüber.
Gruselfaktor gibts bei mir keinen - eher gelegentlich melancholische Momente, wenn ich an meine paar Bekannten denke, wenn ich mich intensiv mit einem total verkorksten Menschen beschäftige.
Und zum wiederholten male - das finde ich ebenfalls ziemlich zentral:
Wieso Du eine "Erklärung" als "wegerklären" abwerten willst - DAS finde ich gruselig. Wenn Du sagst, daß es leider viele Leute gibt, die diesem dämlichen Absolutions-Gedanken in unserer Gesellschaft nachhängen - akzeptiert. Wenn Du sagst, daß Du es gefährlich findest, da viele das mißverstehen könnten - akzeptiert. Aber deswegen rede ich da ja permanent drüber, daß dem meiner Meinung nach NICHT so ist.
Und da Frage ich mich dann, ob Du selber wohl auch in dem Gedankengebäude drin hängst, daß jede Erklärung, also Überlegung ob der Ursachen (quasi die Kausalitätskette aufdröseln) eine Rechtfertigung, also quasi eine Absolution ist. Wie ich schon mehrfach schrieb - von diesem Ansatz halte ich nicht das geringste. Eine Recht-fertigung verlangt rechtes Handeln.
Un"recht"es Handeln kann meines Erachtens nie ge"recht"fertigt werden - nur erklärt.
Daher heiligt bei mir der Zweck NIEMALS die Mittel. Wenn ein Mittel unrecht bzw illegitim, unmenschlich, wie auch immer ist - wird die Tat durch den Zweck niemals recht, legitim oder menschlich werden.
Du stellst es einfach so dermaßen uneigennützig dar, dein Interesse an dem Fall
Wie bitte?! Es ist kein Eigeninteresse, wenn es mir darum geht für MICH und MEINE Umgebung daraus zu lernen?! Nene... das ist meines Erachtens PURES Eigentinteresse. Manchmal denke ich echt, Egoismus wird nur dann als Egoismus gewertet, wenn er für die Umstehenden was negatives bedeutet.
Wieso kannst du die Meinung, dass es sinnlos ist, etwas sinnloses verstehen zu wollen, nicht akzeptieren?
Weil es Kausalketten gibt, die mir Ansatzpunkte geben, daraus zu lernen. Ein Erdbeben ist auch total sinnlos. Aber wenn ich verstehe, wie es funktioniert, kann ich vielleicht eine Frühwarnung installieren, die dabei hilft Menschen zu retten.
Und zu guter Letzt:
Also brauchst du Amokläufer, damit du nicht Amok läufst?
Hehe - interessanter Standpunkt. So habe ich das noch nicht gesehen... wer weiss, wer weiss
edit:
agentP schrieb:
Da sind irgendwelche Typen, die ermorden ein paar Dutzend Menschen [...]
Typen sind auch Menschen. Sie sind welche von uns - sie sind wie wir.
gruß
Booth