Jüdische Geschichte - Teil I: Die Zeit der Erzväter

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Die Geschichte des jüdischen Volkes und des jüdischen Glaubens wird einem erst richtig verständlich, wenn man sich mit den historischen Gegebenheiten befasst. Aus diesem Grund möchten wir hier, in einige Teilbereiche zerlegt, eine kleine Zusammenfassung der älteren jüdischen Geschichte bis zu Jesus Auftreten zusammenstellen. Die folgenden Erklärungen beruhen allesamt auf den neuesten Ergebnissen aus der Forschung und der allgemeine Meinungspol ist dabei zwischen den Extremen ("Keine Posaunen vor Jericho" = absolut gegen Bibel) ("Und die Bibel hat doch Recht" = alles in der Bibel ist wahr) angesiedelt und verspricht dabei eine objektive Betrachtung. Dabei handelt es sich lediglich um wissenschaftlich fundierte Daten, niemand sollte sich aus den Erkenntnissen heraus in seinem Glauben angegriffen oder verunsichert fühlen. Glauben sollte viel mehr als die Gewissheit einer Wissenschaftlichen Untersuchung sein.
Betrachten wir die Rolle der Erzväter und versuchen zu begreifen, warum die Väterreligion für das Präisraelitische Volk so wichtig war.

Gründerväter:

Abraham - Isaak/Jitzak - Jakob/Ja'akov - Joseph

Die Geschichtsschreibung ist in dieser frühen Zeit immer gleichbedeutend mit der ganz persönlichen Familiengeschichte der Nomaden, welche mit Kleinvieh (Schafe, Ziegen) durch Mesopotamien und Kanaan wanderten.

Skepsis an Bibel:

Die Skepsis an der Bibel gründet vor allem auf die immer wieder auftretenden Anachronismen.

Hier die Anachronismen:

1.) generelles Datierungsproblem (wann spielten die Geschichten?), oft wird dies nicht klar, da entweder keine Zahlen genannt werden, oder diese Jahreszahlen sich durch auftretende Anachronismen nicht decken
2.) Kamel Problem (das Kamel war zu dieser Zeit noch nicht domestiziert)
3.) Handelsgüter - Balsam/Myrre/Harz (diese arabischen Güter wurden erst später importiert)
4.) Erwähnung der Philister (diese wurden 1200 in dem geographischen Raum ansässig)
5.) Aramäer (Ebenfalls ab 1200 ansäßig)
6.) Die beschriebenen Länder entsprechen der Grenzziehung von 800 v. Chr.

Die skeptische Behauptung meint also, dass die Bibel Zustände um 800-700 v. Chr. Widerspiegelt und somit die Geschichten in ihr (die Geschichten über die Landnahme/Eroberung Kanaans) ein Nationalepos sei, welches im Nachhinein geschaffen wurde. Damit wäre ausgesagt, dass sich die Geschichte anders abgespielt hat und im Nachhinein ein quasi Geschichtsbuch mit heroischen Taten geschrieben wurde.

Nicht so Skeptische Forscher:

Im Vergleich dazu die Meinungen einiger Forscher, welche das alles nicht so skeptisch sehen, allerdings auch nicht auf der Position beharren, alles sei absolut wahr. Die folgenden Behauptungen sind also genau in der Mitte der beiden konkurrierenden Positionen zu sehen.

Diese Meinung fragt danach, welchen Grund man denn gehabt hätte sich im Nachhinein eine Vergangenheit zu erdichten. In der Tat gibt es dafür keinen Grund. Man sollte ferner folgendes beachten:

Die Ägyptische und Mesopotamische Geschichte der Gründerzeit ist gleichzusetzen mit einem Mythos. Sprich, die Ansicht, dass die Länder und Herrschaftsformen seit Anbeginn der Zeit nicht verändert worden. Im Kontrast dazu steht die Geschichte Israels, welche in ihren Anfängen von Hirten etc. berichtet.

Geschichte:

Die Vorfahren Israels lebten in Familienverbänden in den Steppen der Randgebiete Assyriens. Sie besaßen Vieh (Ziegen, Schafe) und Tragtiere (Esel) und wanderten über bekannte und immer gleich bleibende Routen. Diese Routen waren existenziell wichtig für das Überleben der Gruppe und lediglich der Rudelführer besaß das Wissen über die Routen, welches er an seinen Sohn weitervererbt.
Die Wanderung wurde von den Jahreszeiten bestimmt (Transhumanz). In der Regenzeit zogen die Nomaden in Richtung Steppe, während sie in der Trockenheit in Richtung der Kulturlandschaft zogen. Dort fraßen die Tiere das Gras der Bauern, welche wiederum von dem anfallenden Dünger profitierten. Da beide Seiten gleichermaßen stolz auf ihre Lebensweisen waren kam es nicht zu Landraub.
Die These ist nun die, dass diese Nomaden nach einer Sesshaftigkeit in Kanaan das Volk Israel gebildet haben könnten (mehr dazu in einem anderen Teil). Für die Präisraelitischen Nomaden spricht, dass sie semitischer Herkunft waren und in der Bibel als 'ivri' bezeichnet wurden.

Sozialstruktur:

Stamm -> Familienverband -> Kernfamilie (durchschnittlich 5-6 Kinder)

Die Familien (Kernfamilie) waren patriarchisch strukturiert, wobei der Vater das Herrschaftswissen inne hatte (Routen, Wasserquellen, etc.) und dieses Wissen auf seinen erstgeborenen Sohn übertrug. Allerdings herrschte eine Gleichheit unter den Männern.
Jeder Mann besaß mehrere Frauen. (bestimmt durch den Faktor wie viele Frauen er ernähren konnte = Polygynie) Unter diesen Frauen gab es immer eine Hauptfrau, welche den Erben (Erben des Herrscherwissens) zeugte. Innerhalb des Familienverbandes waren alle Verwandt (vergleichbar mit heutigen Verwandten). Das wissen von den Verwandtschaften war dabei absolut wichtig (Patriarch besaß es), denn es half beim Streit mit anderen Verbänden (man musste eben wissen, wer zur Familie gehört und damit zur Hilfe genötigt war) und zur Vermeidung von Inzest.
Besonders hervorzuheben sei, dass der Name des Av (Vater) für den Familienverband stand (Eponym).
Wichtig ist dies vor allem bei der Bearbeitung biblischer Texte, so ist mit dem Namen Abraham nicht immer zwangsläufig DER Abraham gemeint, sonders es kann sich auch um den Verband Abraham und seine Erlebnisse handeln.

Lineage:
Bei der Lineage handelt es sich um einen wissenschaftlichen Ausdruck, welcher die Patrilineare Linie, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe konstituiert, welche sich im biblischen Fall auf einen Av zurückführen lässt. Wer in sich in einer Lineage befindet, erinnert sich an seine Verwandten und mit wem er verwandt ist, auch wenn sich Familienmitglieder beispielsweise aufgrund wirtschaftlicher Zwecke abspalten (Segmentierung).

Die Familie trat somit an die Stelle des Staates.

- jeder musste mithelfen
- jeder hatte freien Zugriff auf die Ressourcen
- Subsistenzwirtschaft (von der Hand in den Mund wirtschaften)
- Die Av's waren Autark (nur begrenzter Tauschhandel mit der Stadt)
- Es musste einen Austausch der Heiratsfähigen Frauen geben (Exogamie) um Inzest zu vermeiden

Religionsform:

Jede Religion und deren Kult hat sich unter der Bedingung der Staatlichkeit und Sesshaftigkeit entwickelt. Israel besaß dies jedoch nicht, da es sich um Nomaden handelte. Dies hatte einige interessante Auswirkungen.

Die Religionsebenen:

Staatliche Religion: (legitimiert Herrschaftsform durch einen Staatskult; Institutionen werden geschaffen; Rituale werden ausgeprägt um Staat zu stärken; je nach Staat eine dynamische Form)
Ortsreligion: (Öffentlichkeitsarbeit wird wahrgenommen; lokale Besonderheiten des Staatskultes, vgl. Bayern)
Familienreligion: (persönliche Frömmigkeit; stabilisieren angelegt; soll Familie zusammenhalten, vgl. persönliche Gebete/Tischgebet)

Wenn man die Erzväterzeit betrachtet ergibt sich folgendes. Da die Betrachtungsweise einer staatlichen Religion völlig ausscheidet geht man auf die Ebene der Familienreligion ein, welche im folgenden spezialisierten Fall als Väterreligion bezeichnet wird.

Kurzer Exkurs:
An welchen Gott glaubten die Nomaden? Wie hieß er?
Wissenschaftler gehen von 3 Möglichkeiten aus (welche auch alle gleichzeitig existiert haben könnten)
1.) "Gott meines Vaters"
2.) Bezeichnung El gefolgt von einem Wort (Bsp: Elschaddaj); (El war damals eine allgemeine Gottesbezeichnung)
3.) Gott + "Name des Vaters" (Bsp: Gottjakobs)

Die Personalbindungen waren eben wichtiger als Ortsbindungen, da es sich um Nomaden handelte.
Daraus folgt, dass der Vater bei der Auslebung des Kultes immer etwas der Ehrung abbekam, welche für den Gott bestimmt war (Familien-Gott-Bindung). Zudem wurde durch diese Bindung die Ahnen verehrt. Wobei es wichtig ist anzumerken, dass immer nur ein Gott verehrt wurde, die Existenz anderer wurde allerdings nicht ausgeschlossen. (Monolatrie)

Was hatte Gott zutun?
Was hatte nun dieser persönliche Familiengott zu tun? Nun, einmal sollte er die Sohnesverheißung erfüllen, damit das Wissen weitergegeben werden konnte. Gott zog immer mit auf dem Weg um die Familie zu Schützen (wichtig besonders die Kindsrettung). Er half bei der Findung von Brunnen und beim Abschließen bei Verträgen (Vertragsgötter) zwischen verschiedenen Lineages ("Mein Gott verspricht deinem Gott?").
Daraus folgte, dass Gott das Alltagsleben stets begleitete und Dinge ohne Bedingungen tat und verlangte ("Ich mache das, wenn du?"). Dieses spricht übrigens gegen das Vorurteil des Bösen Gottes der hebräischen Bibel, in der Familienreligion war der Gott immer nah und persönlich greifbar.

Die Gründerreligion lässt sich dadurch als vorkultische, vorstaatliche und vormoralische Religion bezeichnen.

Fazit:

Mit diesem Grundlegenden Wissen über die Anfänge der jüdischen Religion lässt sich das Folgende in einem erklärbaren und weitaus verständlicheren Kontext fassen und begreifen. Und dieser Teil aus der Reihe der "Jüdischen Geschichte" mag somit als Einstieg in folgende Teile (es werden ca. 7 erscheinen um die Materie abzudecken) dienen, aber auch das Lesen der ersten Abschnitte der Genesis vereinfachen.


Weitere Artikel zum Thema:
Jüdische Geschichte - Teil II: Der Exodus
Jüdische Geschichte - Teil III: Die Landnahme
Jüdische Geschichte - Teil IV: Die frühe Königszeit
 

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