Egoismus
Liebe Forumteilnehmer einer berauschenden Diskussion!
Ich fange gleich mit einer ganz einfachen, jedoch vorläufigen Definition von "Egoismus" an, der deLeval sicherlich zustimmen würde, damit ihr vielleicht alle zu verstehen beginnt, was deLaval hier schon fast seit einer Woche tapfer zu rechtfertigen versucht:
Egoismus sei Selbstliebe.
Dazu:
Jesus sagte: "Liebe den nächsten, wie dich selbst"
In diesem Satz ist
"Egoismus" (Selbstliebe) die Voraussetzung für "Altruismus"!
auch deLeval sagte schon ganz zu Beginn dieses Theads:
Übrigens: Sogar der Dalei Lama (wie immer man das schreibt) sagt, daß Egoismus notwendig ist um glücklich zu sein.
Natürlich ist es sehr egoistisch glücklich sein zu wollen.
Dass Selbstliebe also (nach der vorläufigen Definition "Egoismus") der Weg zum eigenen Glück, und zugleich zum Glück anderer ist, findet ihr in jeder Weisheit dieser Welt wieder.
Es ist so: wie kannst du jemanden gut behandeln, wenn du nicht so (selbst)bewusst lebst, dass du dich selbst gut behandelst? Ich hoffe, so weit kann mir jeder folgen. Es nützt nichts, sich an Details aufzuhängen, ich will euch hier das Gefühl für Richtigkeit vermitteln, also braucht ihr mich erst gar nicht zitieren und einzelne Sätze steinigen, wenn ihr nicht den ganzen Zusammenhang kapiert habt. Es mag sein, dass ich unverständlich formuliere, aber versucht bitte zu verstehen, was ich meine.
Ich möchte euch nun zeigen, warum ihr die ganze Zeit miteinander streitet wie kleine Kinder (über Begriffe), und im Grunde alle dasselbe meint (Glück, Liebe), euch dabei in höchste geistige Sphären katapultiert, aber nicht fähig seid eure Gefühle damit auszudrücken.
Ein Bibelzitat hierzu:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.
Bibel N.T., Kor 13
Würdet ihr euch jetzt an diesen Worten aufhängen und zitieren und kritisieren, hättet ihr gar nichts verstanden. Gemacht habt ihr das schon zu genüge. Ok ich übertreibe jetzt etwas, aber damit möchte ich nur eines deutlich machen: Wer
fragt, gewinnt.
Natürlich hat jeder, der hier mit Inbrunst seine Ansichten und Definitionen verteidigt, einen starken Antrieb, und ich bin mir sicher, dass dieser nicht egoistisch ist (in dem Sinne, den ich noch definieren werde) es sei denn, er wird als solcher wahrgenommen, aber dazu später. Jeder hier verteidigt seine Wertvorstellungen, und jeder hat verdammt gute Gründe dafür - und ich kann euch verraten, dass es sogar dieselben sind.
Dabei möchte ich mich an zwei Aussagen aufhängen:
Woppadaq schrieb:
deLaval schrieb:
Ich muß allerdings einräumen, daß ich selbst die Erkenntnis, welche mich zu dieser Meinung geführt hat, nicht durch denken, sondern durch Erfahrung (quasi am eigenen Leibe) bekam
Im Klartext: dich hat mal jemand "Egoist" genannt, du sahst in dich und erkanntest, ja, du bist ein Egoist. Da du dich aber nicht ändern wolltest, erklärtest du dir einfach, daß Egoismus was völlig normales ist.
Bei mir ist das eher andersrum. Ich war viel zu oft Opfer von Egoisten. Deswegen ist es für mich wichtig, festzustellen, daß ich kein Egoist bin. Wenn es manchmal Situationen gibt, wo es besser wäre einer zu sein, dann kann ich die überstehen, weil ich weiß, das ist nicht die Regel.
Kein Wunder, dass ihr so gut zueinander gefunden habt, denn ihr seid in punkto Egoismus völlige Gegensätze, wie Yin und Yang.
Deshalb möchte zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise übergehen:
1. deLaval hat für sich erkannt, dass es ihm gut tut, so zu sein, wie er sein will (egoistisch), weil er negative Erfahrungen damit gemacht hat, Rücksicht auf andere zu nehmen - wahrscheinlich hat ihn Rücksichtnahme so stark in seiner freien Persönlichkeitsentfaltung eingeschränkt, dass er anfing, es zu hinterfragen, und darauf herausfand, dass es besser sei, er selbst zu sein. Und wenn das auf dich, deLaval, nicht zutrifft, so erging es eben mir so - Ich hab deinen Satz nicht mehr gefunden, wo du sagtest, durch Egoismus befreie man sich von Zwängen. Genau das ist nämlich der Punkt. Du würdest dich selbst verletzen, wenn du dich einschränkst, da du diese Handlung als negativ für deine Entfaltung erfahren hast. Mit deiner "Ideologie", Egoismus tue dir gut, lebst du glücklicher, als dich für andere einzuschränken.
2. Woppadaq hat negative Erfahrungen mit Leuten gemacht, die egoistisch waren, und ihm damit vielleicht sogar Schaden zufügten. Er fühlte sich wohl rücksichtslos behandelt, und machte darauf zu seiner "Goldenen Regel": "Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu". Er befolgt diese eigene Regel so "selbstlos", dass er in Situationen der Versuchung, egoistisch zu handeln, seine Bedürfnisse willentlich zugunsten seiner "Ideologie" zurücknimmt - was durchaus löblich ist. Du verzichtest auf Dinge, Woppadaq, die andere (Egoisten) tun würden, aber du tust sie nicht, weil du diese Handlung als eine negative an dir selber erfahren hast (negativ für deine Entfaltung). Du hast festgestellt, Woppadaq, dass du glücklicher lebst, wenn du dich zurücknimmst, anstatt egoistisch zu sein
Ich möchte hier wirklich nicht über Begriffe streiten. Ich bin sicher, ihr seid intelligent genug, um zu verstehen, was ich meine, egal welche Begriffe ich dazu benutze. Wenn ihr etwas nicht versteht, dann fragt bitte nach.
Nun: wer von beiden ist nun der bessere?
Ich will euch beiden eins sagen:
In Anbetracht eurer Diskussion seid ihr in *meinen Augen* beide waschechte Egoisten. Wisst ihr nämlich, warum? Weil ihr gar nicht aufeinander eingeht, sondern aufeinander losgeht. Weil keiner von euch offen genug ist, den anderen verstehen zu
wollen, kommt ihr nicht auf die Idee, euch mal gegenseitig zu fragen,
warum ihr zu solchen Ansichten gekommen seid, welche Erfahrungen ihr gemacht habt, welche Beweggründe ihr habt, solche Lebenseinstellungen zu haben.
Nun zu meiner Definition von Egoismus und Altruismus:
Egoismus und Altruismus existieren gar nicht. Sie sind nur Begriffe bzw. Gegensatzpaare wie "Ich" und "die anderen", hell/dunkel, Tag/Nacht, warm/kalt, schön/hässlich. Rein wissenschaftlich betrachtet existieren all diese Dinge gar nicht, sondern nur in der Sprache, weil sie für den Menschen eine
Bedeutung haben.
Seit der Mensch ein Bewusstsein hat, kann er
unterscheiden. Diese Fähigkeit ist die Grundlage allen Denkens. Wenn wir unterscheiden, dann
bedeutet diese Unterscheidung etwas für uns, also werten wir - denn keine Bedeutung ohne Wert.
Wer diese Grundlagen vertiefen möchte, lese
Georg Simmel - "Philosophie des Geldes"
Unsere Wahrnehmung hängt maßgeblich von Unterscheidung (Kategorisierung), also Wertung ab. Wahrgenommenes wird also im Gehirn verbunden mit einer Bedeutung - einem Gefühl, das positiv oder negativ sein kann, eben je nach dem, ob die Erfahrung mit einer Sache positiv oder negativ ausfiel.
Das Wort Egoismus wurde im 18. Jahrhundert aus dem französischen "égoïsme" entlehnt und relatinisiert. Fragt sich, warum gerade zu jener Zeit, und fragt sich, in welcher Gesellschaftsschicht. Könnt ihr es erraten? Damit spreche ich insbesondere Woppadaq an, der ein versierter Etymologe zu sein scheint
Es gab da wohl Leute, die Handlungen anderer Leute als "egoistisch" wahrnahmen. Warum? Ich gehe jetzt mal davon aus, der Begriff Egoismus verbreitete sich damals im französischen Adel, in dem sich der "Anstand" als wichtiger Verhaltenskodex etablierte. Darin enthalten war sicherlich Rücksichtnahme auf andere, Höflichkeit, gute Umgangsformen. Ziel war es, spontane Affekte unter Kontrolle zu bringen, um vorausschauend und intelligent handeln, also auch verhandeln zu können, was zweifellos ein guter zivilisierter Vorsatz ist. Der offene Kampf sollte vermieden, oder sehr stilisiert, z.B. als Duell ausgetragen werden. Die Beleidigung war damals ein großes Vergehen gegen eine Person. Wenn man sich also nicht entschuldigte, war es legitim, herausgefordert zu werden.
Allerdings bekam die
Intrige dafür eine umso größere Bedeutung. "Hintenrum" wurde nun der Kampf ausgefochten. Meinen Erfahrungen nach gibt es heutzutage beides.
(Reflexive Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen über den Prozess der Zivilisation von Norbert Elias findet ihr
hier in zwei Bänden ausführlichst analysiert)
Doch erst unter den Bedingungen einer gegenseitigen Rücksichtnahme als gesellschaftliche Umgangsform konnte der Begriff Egoismus Bedeutung bekommen. Früher, im "wilden Mittelalter", war es ganz natürlich, "egoistisch" zu sein, bzw. der Begriff Egoismus könnte gar da keine Bedeutung annehmen.
Die
Bedeutung eines Begriffs setzt voraus, dass eine dazugehörige
Empfindung existiert. Fiel also damals in der Bourgeoise jemand besonders rücksichtslos auf - die Existenz von Rücksichtslosigkeit setzt ja Rücksicht voraus, was früher ja als Begriff nicht so existierte - bezeichnete man diesen als "Selbstsüchtig". Da Egoismus auch als
Eigenliebe übersetzt wird, so könnte man Egoismus als "
Liebesentzug" werten. Wenn Begriffe eine Bedeutung tragen, also mit Gefühlen verbunden sind, ist leicht zu erkennen, dass jene Person, die eine andere als egoistisch bezeichnet, ein negatives Gefühl gegen ihn hegt, weil sie eine
Ungerechtigkeit wahrgenommen hat:
Man selbst bemüht sich (liebevolle Handlung), Rücksicht zu nehmen, und der andere nutzt dieses aus, um sich einen Vorteil daraus zu verschaffen, den er sich nicht "
verdient" hat. Man selbst verdient sich ja etwas dadurch, dass man sich bemüht oder anstrengt, d.h.
sich einschränkt, obwohl man gerne anders würde - doch die gesellschaftliche Integration hängt von dieser Selbsteinschränkung ab, also macht man es. Und wenn sich genügend Leute ebenfalls darum bemühen, rücksichtsvoll zu sein, nimmt man an, es sei natürlich und gut, wie man handelt.
Es geht mir hier gar nicht darum, Anstand und Rücksichtnahme zu "entlarven".
Ich möchte nur zeigen, wie subjektiv die Richtigkeit des eigenen Verhaltens ist.
Subjektiv in dem Sinne, dass man das eigene Verhalten als positiv/negativ wahrnimmt, je nachdem, wie es durch die Autorität eigener Wertmaßstäbe, das eigene Urteilsvermögen, Anerkennung/Liebe anderer bzw. gesellschaftliche Akzeptanz bewertet wird
Auf deLaval und Woppadaq angewendet (muss nicht unbedingt der Realität entsprechen - nur exemplarisch):
> deLaval nimmt das eigene Verhalten (egoistisch) als positiv wahr, auch wenn er dabei andere "rücksichtslos" behandeln könnte - weil sein eigenes Urteilsvermögen es positiv bewertet.
> Woppadaq nimmt das eigene Verhalten (anti-egoistisch) als positiv wahr, weil sein eigenes Urteilsvermögen es positiv bewertet
Ihr seht, es existiert im Grunde kein Unterschied zwischen den beiden, auch wenn sie gegensätzlich handeln! Denn beide haben ein verschiedenes Wertesystem: es sei gut zu tun was man will bzw. es sei schlecht keine Rücksicht zu nehmen.
Dass beides (für sie) gut ist, kann ich nicht widerlegen, solange ich verstehe, welche Motivation ihrem Verhalten zugrunde liegt.
Dass beides an sich (d.h. "objektiv") gut ist kann ich nicht beweisen oder widerlegen, es sei denn ich setze individuelles Verhalten in Relation zum Wertesystem des Gegenübers, ODER ich stelle das Verhalten des einen oder beider einem anderen Wertesystem, z.B. dem Gesetz, der Moral, dem Knigge oder sonstigem Wertesystemen gegenüber. Erst dann kann ich
bewerten - durch Vergleich - ob etwas gut oder schlecht ist - aus einer bestimmten Perspektive betrachtet: einem Wertesystem
Nun können sich tausend Wertesysteme um das Ja oder Nein einer Handlung streiten und werden niemals zu einem Ergebnis kommen, solange sie sich nicht auf ein einziges Wertesystem einigen. Oder mühsam (z.B. im Streit) ihre Begriffe definieren. Weil aber doch keine gemeinsame Grundlage vorhanden ist, werden Begriffe zu Kompromissen, und damit nur halb befriedigend für jeden Beteiligten. (Auf diese Weise ist zum Beispiel die Einheitsübersetzung der Bibel entstanden

)
Genügt ein Wertesystem einzelnen (Diskussions-)Mitgliedern nicht mehr als Grundlage, anderen schon, z.B. dem Vorsitz (Verein), dem Herrscher (Diktatur), der Mehrheit (Demokratie), so bilden sich bei denen, die das Wertesystem nicht mehr unterstützen, Splittergruppen, Fraktionen, Intrigen, Geheimbünde, Verschwörungen, oder gar Revolutionen (z.B. 1789)
Gott sei Dank leben wir heute in einer pluralistischen Gesellschaft, und jeder akzeptiert den anderen so, wie er ist
Oder genügt euch diese "Ideologie" nicht mehr?
Mit herzlichem Dank an alle, die hier "gepostet" haben (Anglizismus!) hofft yogi auf Zustimmung und Beifall, alle sind glücklich und gehen nach Hause, ob Egoisten oder Altruisten, bei mir seid ihr alle willkommen!
PS: Ich hoffe auch, ihr verzeiht mir, dass ich nicht explizit auf den Altruismus eingehe, das dürft ihr jetzt noch selber in Gruppenarbeit durchkauen, bis euch die Ohren rauchen!
VIEL SPASS DABEI WÜNSCHT
yogi