Diskret-dynamische Quantenlogik/Klassenlogik -ein Versuch...

Trestone

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Hallo,

nach dem Ausflug in die Physik (http://www.ask1.org/fortopic18221-30.html) nun wieder zurück zur Logik.

In der Physik hat sich ja der Glaube an permanente Eigenschaften (wie Ort und Impuls) als nicht haltbar erwiesen.
Dort traten so merkwürdige Effekte auf, wie dass ein Teilchen zwar am Zielort ankommt (genauer dort gemessen werden kann),
dazwischen aber keine definierte Bahn durchläuft, ja zugleich auf allen möglichen Bahnen unterwegs zu sein scheint.

Dies Beobachtung will ich nun auf die Logik übertragen.

Als Objekte dienen mir hier Aussagen statt Teilchen.
Als Eigenschaften messe ich die Wahrheitswerte "wahr" und "nicht wahr".
Als Messung nehme ich logische Beweise.
Nur für die Eigenschaftsveränderung springt zunächst kein Analogon ins Auge.
Aber hier gibt es ja die logischen Paradoxa ("dieser Satz ist nicht wahr"),
die ja meine ursprüngliche Suche nach Alternativen in der Logik ausgelöst haben.

Also stürzen wir uns gleich auf diese klassische Antinomie:
L:= "Diese Aussage L ist nicht wahr"

In unserer neuen Betrachtungsweise ist nun L nicht einfach entweder wahr oder nicht wahr,
sondern L ist am Ende eines Beweises entweder als "wahr" bewiesen oder als "nicht wahr".
(Dies ist der diskrete Teil)

Während des Beweises kann L aber zugleich "wahr" und "nicht wahr" sein
(hier bewegt es sich sozusagen in einer uns nicht unmittelbar zugänglichen virtuellen Quantenwelt).
(Dies ist der dynamische Teil)

Betrachten wir nun den Wahrheitswert von L nach diskret-dynamischer Quantenlogik (ddL):

Angenommen, mit Beweis B1 lässt sich zeigen, dass L "wahr" ist:
W(L,B1)="wahr".
Dann folgt aus der Definition von L, dass L "nicht wahr" ist.
Diese Argumentation ist selbst ein Beweis B2, mit W(L,B2)="nicht wahr".
B2 ist aber notwendig ein anderer Beweis als B1 und beinhaltet sogar B1 als Teilbeweis und einen Zusatz
(ist also eine zweite Messung).

L muss also nicht widersprüchlich sein, sondern hat nur bei verschiedenen Messungen (den Beweisen B1, B2)
verschiedene Wahrheitswerte.
Das ist zwar ungewohnt, aber handhabbar:
Solche Aussagen bezeichne ich als "dynamisch".
Während ich klassische Aussagen mit bei allen Beweisen gleichem Wahrheitswert statisch "nenne".

Vermutlich lassen sich so alle Paradoxa und Widerspruchsbeweise umgehen,
die während eines Widerspruchsbeweises von Eindeutigkeit des Wahrheitswertes einer Aussage ausgehen
(z.B. Russellmenge, Cantordiagonalverfahren, Halteproblem der Informatik, Gödelscher Unvollständigkeitssatz)

Noch ist das Ganze nur eine Idee und ziemlich roh,
aber ich bin zuversichtlich, dass sich bei genauerer formaler Fassung
spannende Konsequenzen nicht nur für Logik und Mathematik ergeben ...

Gruß
Trestone
 

Trestone

Großmeister
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Hallo,

heute hatte ich in der Sauna eine interessante Idee:

Bei Widerspruchsbeweisen wird ja typischerweise mit Hilfe einer Annahme oder eines angenommenen Beweises B1 ein Beweis B2 konstruiert,
der auf den entgegengesetzten Wahrheitswert führt (und somit klassisch zum Widerspruch).

B1 und B2 haben aber eine merkwürdige Beziehung:
Zur Konstruktion von B2 benötige ich B1 und noch mindestens einen Zusatzschritt,
bei B1 ist es umgekehrt ähnlich mit B2 oder einem analogen B2´.

Läßt man nun immer nur eine Beweisklasse <B1> oder <B2> zu,
so bleibt die Aussage eindeutig wahr oder nicht wahr.

Begrenzt man die "Beweistiefe" auf eine "Stufe", so sieht man,
dass je Stufe nur entweder B1 oder B2 aber nie beide zugleich angewandt werden können.

Jetzt ist die Analogie zur Unschärferelation der Quantentheorie offensichtlich.

Genaueres demnächst.

Gruß
Trestone
 

Trestone

Großmeister
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Hallo,

weiteres zur "Unschärfelogik" oder "Klassenlogik":

Genaugenommen sind ja nicht Aussagen unscharf, sondern Aussagen in Verbindung mit Beweisen.

Zwar weiß ich noch nicht, wie Beweise klassifiziert werden können,
aber nehmen wir zur Einfachheit an, es gäbe zwei disjunkte (getrennte) Beweisklassen B1 und B2
(und Beweise ließen sich eindeutig in beide aufteilen, ohne Unschärfe ...),
und diese Klassen seien inkompatibel, d.h. nie simultan anwendbar
(z.B. weil jeweils ein Beweis aus der anderen Klassen darin steckt).

Nennen wir B1-Beweise ungerade und B2-Beweise gerade.

Dann gäbe es bzgl. Wahrheitswerten und Beweisen für eine Aussage A folgende Möglichkeiten (Typen):

1. A ist bei geradem Beweis wahr (A gB w) und
A ist bei ungeradem B wahr (A uB w)

2. A ist bei geradem Beweis nicht wahr (A gB -w) und
A ist bei ungeradem B nicht wahr (A uB -w)

3a. A ist bei geradem Beweis wahr (A gB w) "und"
A ist bei ungeradem B nicht wahr (A uB -w) (aber nur je eines bekannt)

3b. A ist bei geradem Beweis nicht wahr (A gB -w) "und"
A ist bei ungeradem B wahr (A uB w) (aber nur je eines bekannt)


4a. A ist bei geraden Beweisen sowohl wahr als auch nicht wahr (A gB2 w /\ A gB4 -w)

4b. A ist bei ungeraden Beweisen sowohl wahr als auch nicht wahr (A uB1 w /\ A uB3 -w)

Klassisch kennen wir Fall 4 als logisch widersprüchliche, inkonsistente Aussage
und Fall 1 als wahre Aussage, Fall 2 als nicht-wahre Aussage.

Spannend ist also Fall 3.
Sie "unscharf" zu nennen wäre irreführend,
da sie je nach Messung (Beweis) ja eindeutig wahr oder falsch sind,
aber eben zwei verschiedene Messungen mit verschiedenem Ergebniss möglich sind.

Nennen wir Aussagen vom Typ 3a "nur Klasse2-wahr" oder "nur gerad-wahr"
Aussagen vom Typ 3b "nur Klasse1-wahr" oder "nur ungerad-wahr".

Aussagen von Typ 3a oder 3b "nur ein-Klassen-wahr".


Die berühmte Aussage L, L:="Diese Aussage ist nicht wahr"
ist so eine "nur ein-Klassen-wahre" Aussage (wenn klassisch betrachtet.)

Kann man aber einen verallgemeinerten Lügnersatz konstruieren?
Z.B. wenn man L gemäß der neuen Logik interpretiert:

Statt "nicht wahr" oder genauer "nicht (Typ 1)" setzen wir auch die anderen Typen ein:

L w :<-> (L gB -w /\ L uB -w) v (L gB w /\ L uB -w) v ( L gB -w /\ L uB w)

Für Widerspruchsbeweise können wir nach Klasseninkompatibilitätsvorraussetzung
nicht mit der Annahme der Gegebenheit einer Klammer
(also bekannte Werte sowohl für uB als auch gB) starten.
Beim Beweisen muss man eine der beiden Klassenbrillen aufsetzen - beide zugleich geht nicht!
(Wie in der Physik das Ortsauge oder das Impulsauge).

Enthält diese Logiktheorie nun einen Selbstwiderspruch,
da ich ja schon in ihren (noch nicht ganz ausformulierten Axiomen)
zugleich von beiden Beweisklassen rede?

Das muss nicht sein, denn das reden über Beweisklassen (Metaebene)
ist etwas anderes als die Beweise selbst und es könnte ja sowohl einen Klasse1-Beweis geben,
dass ein übergreifender Satz wahr ist, als auch einen Klasse2-Beweis.

Viel hängt also von der Art der Beweisklassendefinition ab,
die steht natürlich noch aus...

Aber intuitiv vermute ich, dass dieser Ansatz weiter trägt als sowohl parakonsistente Logiken
(kenne ich zugegebenermaßen kaum) oder mehrwertige Logiken.

Gruß
Trestone
 

Shishachilla

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lol, danke @ dkr! Ich les zwar brav mit, aber irgendwann schlägt mein Hirn Saltos... :?
 

Trestone

Großmeister
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Ich versuche die Grundidee noch einmal anschaulicher darzustellen:

Nehmen wir an, dass es zwei Arten von Beweisen gibt, um die Wahrheit von Aussagen zu überprüfen.
Und unser Bewußtsein/Gedächtnis sei so begrenzt beschaffen, dass wir immer nur eine Art davon präsent haben können.
Wenn also der zweite Typ Beweis kommt, vergessen wir, was sich beim ersten ergab und umgekehrt.

In so einer Situation könnte eine Aussage widersprüchlich sein und
wir könnten es doch nie beweisen/merken,
ja aus unserer Sicht käme es bei ihr nie zu einem bewiesenen Widerspruch.

Nun vergessen wir zwar in der Realität nicht die Beweisinhalte,
aber wir können die Gültigkeit von Beweisen zwischen Beweisklassen wie oben beschrieben einschränken.

Dann gibt es neben solchen Aussagen, zu denen wir beweisen können,
dass sie bei einigen Beweisen wahr und anderen Beweisen falsch sind
(und daher als inkonsistent bzw. widersprüchlich gelten)
und neben bei allen Beweisen wahren und neben bei allen Beweisen falschen Aussagen
(das sind die beiden in der klassischen Aussagenlogik benutzten)
auch noch bei einem Beweistyp wahre und beim anderen Beweistyp falsche Aussagen,
die doch nicht widersprüchlich sind, da die Beweistypen nie zugleich auftreten können.

Die Lügneraussage "Diese Aussage ist nicht wahr" ist eine solche Aussage.

Die nächste berühmte Anwendung wäre der Gödelsche Unvollständigkeitssatz:
"Jedes axiomatische System das die natürlichen Zahlen samt Arithmetik enthält
ist widersprüchlich oder enthält unbeweisbare wahre Sätze."

Aus Sicht meiner Logik klingt das so, als müsste zur Aufstellung eines Axiomensystems zur Arithmetik
man sich z.B. auf einen der beiden Beweistypen festlegen - und könnte daher nicht alles beweisen.

Noch spannender als in der Logik sind die Anwendungen in Mathematik und Informatik:

Die Russel-Menge R mit x e R :<-> x -e x ist nicht mehr widersprüchlich:
Angenommen., es gilt R e R (nach B1) , dann gilt nach Definition R -e R (dies ist B2).
Beides aber kein Widerspruch, da B1 und B2 nicht simultan anwendbar.
R e R wäre nicht wahr, nicht falsch, sondern klassen-wahr (oder kontext-wahr).
Analog gäbe es auch die Menge aller Mengen und man bekommt eine sehr einfache Mengenlehre a la Cantor.
Auch der Überabzählbarkeitsbeweis klappt nicht, dort gibt es dann nur eine Unendlichkeit.

In der Informatik verändert sich die Halteproblemuntersuchung:

Hier ist der Beweiskern für die Unlösbarkeit, dass man ein Programm konstruiert, das stoppt, wenn es nicht stoppt.
Haben wir hier zwei Klassen von Beweisen, ob ein Programm stoppt,
so ist denkbar, das ein Programm in einer Klasse stoppt und in der anderen nicht,
aber wir nie beide Klassen zugleich anwenden können.

Ob das zu gänzlich neuen Programmen führen kann (oder nur ein anschaulicheres Bild für die bestehenden Theorien ist)
kann ich noch nicht beurteilen.

Gruß
Trestone
 

Aphorismus

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Für mich ist einfach nicht klar, was neu ist und an welcher Stelle Widersprüche aufgelöst werden könnten.

Im Grunde löst du doch auch gar keine Widersprüche auf, sondern versuchst ein Modell der Welt zu skizzieren, bei dem Widersprüche dadurch "gelöst" werden, dass ihre Teilaussagen in jeweils unterschiedlichenen Weltebenen untergebracht werden. Das Problem dabei ist für mich, dass Sätze wie "Der folgende Satz ist wahr. Der vorherige Satz ist falsch." nun einmal auf einer Ebene liegen, nicht auf zweien.

Es geht schließlich um die Ebene der Sprache. Jetzt daran zu gehen und unterschiedliche Ebenen zu erschaffen, um dann so das Paradoxon aufzulösen, würde nur dann tatsächlich etwas leisten, wenn die dazu nötige neue, dritte Ebene komplett transparent wäre und direkten Bezug zur Sprache des Alltags und damit den anderen beiden Ebenen hätte.

Und diesen entscheidenden Schritt scheinst du mir nicht zu machen. Es bleibt leider bei einer schemenhaften Umschreibung der Verlagerung der Problematik in einen nicht näher definierten Raum, der mit der Sprachlichkeit des Problems nichts zu tun zu haben scheint.
 

SentByGod

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Gut das die Wahrheit relativ ist und jeder sich seine eigenen Aussagen zur Wahrheit erheben kann.

Die Texte klingen für mich stark nach dem, was z.Z. in der Uni unter dem Deckmäntelchen der "Statistik II" doziert werden.

IMHO alles irrelevantes, realitätsfernes und leeres Gerede.

:roll:
 

Trestone

Großmeister
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Aphorismus schrieb:
Für mich ist einfach nicht klar, was neu ist und an welcher Stelle Widersprüche aufgelöst werden könnten.

Im Grunde löst du doch auch gar keine Widersprüche auf, sondern versuchst ein Modell der Welt zu skizzieren, bei dem Widersprüche dadurch "gelöst" werden, dass ihre Teilaussagen in jeweils unterschiedlichenen Weltebenen untergebracht werden. Das Problem dabei ist für mich, dass Sätze wie "Der folgende Satz ist wahr. Der vorherige Satz ist falsch." nun einmal auf einer Ebene liegen, nicht auf zweien.
...

Hallo Aphorismus,

analysieren wir Dein Beispiel (leicht verändert):
S1:= Der folgende Satz S2 ist wahr.
S2:= Der vorherige Satz S1 ist nicht wahr.

Klassisch gilt:
Angenommen, S1 ist wahr; dann ist nach Definition von S1 auch S2 wahr
und nach Definition von S2 schließlich S1 nicht wahr, was einen Widerspruch darstellt.
Angenommen, S1 ist nicht wahr; dann ist nach Definition von S1 der Satz S2 nicht wahr,
also S1 doch wahr - ebenfalls ein Widerspruch.

Daher werden S1 und S2 klassisch nicht gemeinsam als Aussagen zugelassen.

Nun nochmals eine Analyse mit dem Grundgedanken, dass Beweise evtl. nicht koexistieren und wahr stets bedeutet, dass ein (konkret/konstruktiver) Beweis existiert:

Angenommen, wir haben einen Beweis B1, bei dem S1 wahr ist.
Dann behauptet S1, dass ein Beweis B2 existiert, bei dem S2 wahr ist.
Dies wiederum bedeutet, dass ein Beweis B3 existiert, bei dem S1 nicht wahr ist.

Sofern B1 und B3 koexistieren können, wäre dies ein Widerspruch.
Wenn sie aber nie gemeinsam auftreten können,
müssten wir S1 und S2 nicht als widersprüchlich/paradox auffassen:
Wir könnten zwar wohl nicht den Wahrheitswert entscheiden,
aber mehr würde nicht passieren ...

Das ist nicht neu, denn im Prinzip behauptet der Gödelsche Unvollständigkeitssatz auch,
dass es in einem axiomatischen System der Arithmetik stets unentscheidbare Sätze (oder Widersprüche) gibt.

Nur hier wäre schon die Aussagenlogik unvollständig.

Andererseits hat man so aber viel mehr Aussagen als klassisch zur Verfügung
und kann damit (wie ich hoffe) klassische Widersprüch umgehen/vermeiden:

Mengenlehre kann man wieder a la Cantor mit nur einer Unendlichkeit betreiben
(Überabzählbarkeitsbeweis klappt nicht mehr)
Die Russellmenge und Allmenge sind nicht widersprüchlich (nur unentscheidbar)
und auch das Halteproblem der Informatik wird neu beleuchtet.

Den Beweis dazu bin ich noch schuldig, vielleicht ist er ja unentscheidbar ...

Gruß
Trestone
 

Trestone

Großmeister
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Noch ein Nachsatz:

Zwar habe ich keine Ideen zu Sprachebenen aber ein Bild zur Verknüpfung von Logik und Bewußtsein gefunden:

Angenommen, Aussagen sind nur in Verbindung mit Beweisen wahr
und Beweise nehmen jeweils einen bestimmten Raum (Speicherplatz) in unserem Bewußtsein ein.

Dann könnte es so große Beweise geben, dass immer nur einer in unser Bewußtsein passt,
wir könnten also nie zwei solche Beweise simultan kombinieren.

Ob dann allerdings A v -A somit als unentscheidbar gelten muss,
ist mir noch nicht ganz klar.

Wahrscheinlich aber für dynamische/unentscheidbare Aussagen.

Ob überhaupt eine sinnvolle Logik übrigbleibt, mit der man Schlüsse ziehen kann, muss vorerst offen bleiben...

Gruß
Trestone[/i]
 

Aphorismus

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Trestone schrieb:
analysieren wir Dein Beispiel (leicht verändert):
S1:= Der folgende Satz S2 ist wahr.
S2:= Der vorherige Satz S1 ist nicht wahr.

Klassisch gilt:
Angenommen, S1 ist wahr; dann ist nach Definition von S1 auch S2 wahr
und nach Definition von S2 schließlich S1 nicht wahr, was einen Widerspruch darstellt.
Angenommen, S1 ist nicht wahr; dann ist nach Definition von S1 der Satz S2 nicht wahr,
also S1 doch wahr - ebenfalls ein Widerspruch.

Daher werden S1 und S2 klassisch nicht gemeinsam als Aussagen zugelassen.

"Werden nicht zugelassen"? Wieso das denn nicht? Und von wem? Ich sehe das anders. Die beiden Aussagen stehen im Widerspruch zueinander. Das ist eine Aussage über eine Konstellation. Innerhalb der Aussagenlogik widersprechen sich diese Sätze. Ich sehe kein Problem.

Trestone schrieb:
Angenommen, wir haben einen Beweis B1, bei dem S1 wahr ist.
Dann behauptet S1, dass ein Beweis B2 existiert, bei dem S2 wahr ist.
Dies wiederum bedeutet, dass ein Beweis B3 existiert, bei dem S1 nicht wahr ist.

Sofern B1 und B3 koexistieren können, wäre dies ein Widerspruch.
Wenn sie aber nie gemeinsam auftreten können,
müssten wir S1 und S2 nicht als widersprüchlich/paradox auffassen:
Wir könnten zwar wohl nicht den Wahrheitswert entscheiden,
aber mehr würde nicht passieren ...

Ehm, das Phänomen ist längst beschrieben worden, kommt ebenfalls aus der Quantenphysik, stammt von Niels Bohr und heißt Komplementarität.

Nur verstehe ich nicht wie Beweise und Aussagen zusammenhängen sollen. Und ich verstehe nicht, was das mit Aussagenlogik zu tun haben soll.

Ich vermute, dass du den Fehler machst, Aussagen als zeitlich kodiert aufzufassen, die nicht zeitlich kodiert sind. S1 ist als Aussage zeitlich nicht kodiert. Der Beweis für die Richtigkeit von S1, B1, wird es genau so wenig sein. Und der Beweis dafür, dass S1 falsch ist, B3, auch nicht. Die Aussagen sind unabhängig von Zeit wahr oder falsch. Oder anders ausgedrückt, sie sind immer gleichzeitig wahr oder falsch.

Das ist ja sowohl die große Gemeinsamkeit als auch der große Unterschied zwischen Quantenphysik und Logik: zwar ist bei beiden Zeit kaum von Bedeutung, in Bezug auf Quanten können wir sie aber wenigstens anwenden und damit arbeiten - in Bezug auf Logik nicht.

Wenn man Fälle konstruiert, die Zeitlichkeit miteinbeziehen, löst man zwar die Widersprüchlichkeit auf, verfehlt damit aber auch den Kern des Problems.

Beispiel:

S1 = Der folgende Satz ist morgen früh um halb sieben wahr.
S2 = Der vorhergehende Satz ist alle vier Jahre falsch.

Dann hat man zwar keinen Widerspruch, aber auch gleich etwas völlig anderes, als die ursprüngliche Konstellation von Sätzen. Der Clou von Logik ist doch gerade dieser Hauch des Transzendenten, der Aussagen, die jenseits der Zeitlichkeit Gültigkeit haben, umgibt!

Komplementarität bezeichnet die Unmöglichkeit des gleichzeitigen Messens zweier Werte in Bezug auf Quanten. Man kann nicht gleichzeitig Geschwindigkeit und Ort genau bestimmen. Je genauer man den einen Wert bestimmt, umso weniger weiß man über den anderen. Das kann man bis hin zu dem Punkt treiben, wo man einen Wert sehr genau kennt und der andere zufällig wird. Dies geschieht auf Grund der Natur von Quanten, die im Grunde am besten als "Bits" beschrieben werden können - die kleinstmöglichen Informationsträger.

Ein Quant kann genau eine beliebige Information darstellen. Ruft man diese ab, sind die Möglichkeiten des Quants ausgeschöpft und alles andere, was man danach misst, wird zufällig. Aus dieser Beschaffenheit rührt die Komplementarität.

Aber: Man misst diese beiden Werte ja auch immer zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten, da es gleichzeitig nicht geht.

In der Aussagenlogik gibt es aber diesen zeitlichen Aspekt nicht, woraus resultiert, dass es dort auch keine Komplementarität geben kann. Aus diesem Grund können Aussagen in Kostellationen geraten, die dazu führen, dass die Aussagen im Widerspruch zueinander stehen. Diese Möglichkeit ist systemimmanent und dem Unterschied zwischen Quanten und Aussagen geschuldet.

Das kann natürlich zu Problemen führen, was man ja auch zu Beginn der Quantenphysik deutlich gesehen hat. Dinge wurden falsch formuliert, weil man Quanten falsch behandelt hat und als Ergebnis sind Aussagen über Quanten in kaum auflösbare Widersprüche geraten. Erst als man sich ein ausreichendes Vokabular erarbeitet hatte, um Quanten zu beschreiben, lösten sich viele der Widersprüche auf.

Daran kann man erkennen, dass die Möglichkeit von Widersprüchen in der Aussagenlogik nicht rein negativ zu beurteilen ist. Man muss sich bei jedem Widersprüch fragen: Ist er Resultat der systemimmanenten Unzeitlichkeit der Aussagenlogik oder haben wir irgendwo einen Fehler gemacht? Diese Frage öffnet dem gedanklichen Fortschritt die Tore, ich würde sich gar nicht wegerklären wollen.
 

Trestone

Großmeister
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Aphorismus schrieb:
Ich vermute, dass du den Fehler machst, Aussagen als zeitlich kodiert aufzufassen, die nicht zeitlich kodiert sind. S1 ist als Aussage zeitlich nicht kodiert. Der Beweis für die Richtigkeit von S1, B1, wird es genau so wenig sein. Und der Beweis dafür, dass S1 falsch ist, B3, auch nicht. Die Aussagen sind unabhängig von Zeit wahr oder falsch. Oder anders ausgedrückt, sie sind immer gleichzeitig wahr oder falsch.

Das ist ja sowohl die große Gemeinsamkeit als auch der große Unterschied zwischen Quantenphysik und Logik: zwar ist bei beiden Zeit kaum von Bedeutung, in Bezug auf Quanten können wir sie aber wenigstens anwenden und damit arbeiten - in Bezug auf Logik nicht.

Wenn man Fälle konstruiert, die Zeitlichkeit miteinbeziehen, löst man zwar die Widersprüchlichkeit auf, verfehlt damit aber auch den Kern des Problems.

Beispiel:

S1 = Der folgende Satz ist morgen früh um halb sieben wahr.
S2 = Der vorhergehende Satz ist alle vier Jahre falsch.

Dann hat man zwar keinen Widerspruch, aber auch gleich etwas völlig anderes, als die ursprüngliche Konstellation von Sätzen. Der Clou von Logik ist doch gerade dieser Hauch des Transzendenten, der Aussagen, die jenseits der Zeitlichkeit Gültigkeit haben, umgibt!
...
In der Aussagenlogik gibt es aber diesen zeitlichen Aspekt nicht, woraus resultiert, dass es dort auch keine Komplementarität geben kann. Aus diesem Grund können Aussagen in Kostellationen geraten, die dazu führen, dass die Aussagen im Widerspruch zueinander stehen. Diese Möglichkeit ist systemimmanent und dem Unterschied zwischen Quanten und Aussagen geschuldet.
...

Hallo Aphorismus,

das mit der Zeitlichkeit meiner Argumentation habe ich noch nicht verstanden.

Denn auch bei mir ist eine Ausage S1 bei Beweis B1 zeitlos wahr
(und evtl. bei B2 zeitlos, d.h. stets, nicht wahr).

Nicht die Aussagen sind ggf. komplementär sondern ihre Beweise.
Und diese sind (Denk-)Handlungen von uns,
ganz analog zum Messen in der Physik (und damit auch zeitlich).

Immerhin scheint mir der Hinweis wichtig,
dass eine Art Zeitlichkeit/Gleichzeitigkeit benötigt wird,
um Komplementarität formulieren zu können.

Die Ähnlichkeit zur Komplementarität in der Quantenphysik ist ja nicht zufällig,
da die Analogie zur Physik mein Ausgangsansatz war.

Gruß
Trestone
 

Gammel

Großmeister
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Trestone schrieb:
analysieren wir Dein Beispiel (leicht verändert):
S1:= Der folgende Satz S2 ist wahr.
S2:= Der vorherige Satz S1 ist nicht wahr.

Klassisch gilt:
Angenommen, S1 ist wahr; dann ist nach Definition von S1 auch S2 wahr
und nach Definition von S2 schließlich S1 nicht wahr, was einen Widerspruch darstellt.
Angenommen, S1 ist nicht wahr; dann ist nach Definition von S1 der Satz S2 nicht wahr,
also S1 doch wahr - ebenfalls ein Widerspruch.

Daher werden S1 und S2 klassisch nicht gemeinsam als Aussagen zugelassen.

Nun nochmals eine Analyse mit dem Grundgedanken, dass Beweise evtl. nicht koexistieren und wahr stets bedeutet, dass ein (konkret/konstruktiver) Beweis existiert:

Angenommen, wir haben einen Beweis B1, bei dem S1 wahr ist.
Dann behauptet S1, dass ein Beweis B2 existiert, bei dem S2 wahr ist.
Dies wiederum bedeutet, dass ein Beweis B3 existiert, bei dem S1 nicht wahr ist.

Sofern B1 und B3 koexistieren können, wäre dies ein Widerspruch.
Wenn sie aber nie gemeinsam auftreten können,
müssten wir S1 und S2 nicht als widersprüchlich/paradox auffassen:
Wir könnten zwar wohl nicht den Wahrheitswert entscheiden,
aber mehr würde nicht passieren ...

Was verstehst du dann unter einem Beweis? Wenn du mit B1 bewiesen hast, das S1 wahr ist und mit B3 das es flasch ist, dann hast du eben einen Widerspruch.

Was heisst nun "wenn sie aber nie gemeinsam auftreten können"?

Was ist wenn ich mit B1 S1 bewiesen habe? Was kann ich daraus folgern. Nichts, weil es könnte ja noch einen 'Beweis' B3 geben, der das Gegenteil beweisst, der mir aber gar nicht zugänglich ist, da er ja nicht gemeinsam mit B1 auftreten kann. Oder wie soll ich alle Möglichen Gegenbeweise ausschliessen, ohne einen Widerspuchsbeweis?

Damit ist jede Aussage "Ich habe S1 Mittels B1 bewiesen" äquivalent zu deiner Aussage "Dieser Satz ist falsch.". Es ist eine inhaltleere Aussage, die mir nichts nützt. Worin liegt aber nun der Nutzen einer Logik die nur Inhaltsleere Aussage produziert ? Ok, wenn ich nichts aussage, kann ich auch keine Widersprüche erzeugen, aber das wars schon...
 

Trestone

Großmeister
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Hallo,

ich versuche, noch etwas konkreter und (vielleicht) verständlicher zu werden:

Stellen wir uns alle (ggf. abzählbar vielen) logischen Beweise auf Blätter aufgeschrieben vor.
Die einen stehen auf Blattvorderseiten (Bv), die anderen auf Rückseiten (Br).
Ohne Kameras, Spiegel oder Mitmenschen können wir Vorder- und Rückseitenbeweise
nicht zugleich lesen/benutzen.
Die Menge aller Beweise zerfällt also in zwei disjunkte und komplementäre Klassen Bv und Br.

In klassischer Aussagenlogik gilt:
Findet man einen Beweis B1, dass eine Aussage A wahr ist,
so wird man keinen Beweis B2 mehr finden können, der zeigt,
dass A nicht wahr ist.
Ansonsten ist B1 kein Beweis bzw. A keine Ausage.

In meiner Logikvariante gilt nun folgende Erweiterung:

Ich lasse für "Beweise" aus Bv zu, dass Beweise aus Br andere Ergebnisse bringen und umgekehrt.
Beweise aus einer Klasse dürfen sich aber weiter nicht widersprechen.

Natürlich gibt es auch "Aussagen", zu denen Beweise aus beiden Klassen die gleichen Ergebnisse liefern, d.h. die sich klassisch verhalten.

Wie in der klassischen Aussagenlogik gilt:

Zu einer gegebenen Aussage A kann ich sämtliche theoretisch möglichen Beweise (nacheinander) betrachten.
Die weitaus meisten liefern zu A kein Ergebnis, bleiben also unanwendbar/unentschieden.
Einige zeigen evtl. dass A wahr ist, einige evtl dass A nicht wahr ist.
Treten klassisch beide Fälle auf, wird A als Aussage verworfen.

Ich benutze nun folgende Sprechweise:

1) A ist eine klassische Aussage, wenn es entweder einen Beweis B1 gibt, dass A wahr ist oder einen Beweis B2, dass A nicht wahr ist
und keine einander widersprechenden Beweise existieren (egal auf welcher Blattseite/Klasse)
(Widerspruchsfrei klassenunabhängig)
Ggf. gilt A als "klassisch wahr"

2) A ist eine komplementäre Aussage, wenn es einen Beweis B1 aus Bv gibt,
dass A wahr ist und einen Beweis B2 aus Br, dass A nicht wahr ist.
(Widersprüche nur in verschiedenen Klassen)
Ggf. gilt A als "komplementär wahr"

3) A ist widersprüchlich bzw. keine Aussage, wenn es zwei Beweise B1, B1´ aus Bv (oder aus Br) gibt,
die zeigen dass A wahr und nicht wahr ist.
(Widersprüche innerhalb einer Klasse)
Ggf. gilt A als "widersprüchlich"

Nun bleibt v.a. noch, eine sinnvolle Klassenaufteilung aller Beweise zu finden.

Eingeschränkt auf klassische Aussagen (1) + ggf. (3) bleibt die klassische Aussagenlogik erhalten.

Lässt man zusätzlich Aussagen nach (2) zu, muss man die Schlussregeln überarbeiten.

Beispiel:
Ist A=A "klassisch wahr"; wenn A "komplementär wahr" ist?

Setze ich für die linke Seite einen Beweis B1 ein, der A wahr macht und rechts B2, der A nicht wahr zeigt,
so wird "A=A" nicht wahr.
Mit zweimal B1 wird "A=A" wahr.
Jetzt müsste noch die Klassenzugehörigkeit dieser (und aller anderer) Beweise geklärt werden.
Vermutlich ist "A=A" also nur "ggf. komplementär wahr".

Der Vorteil dieser erweiterten Logik ist,
dass manche komplizierten Verhältnisse dadurch einfacher zu beschreiben sind und weniger Widersprüche auftreten.
Die Begriffe werden dadurch vielseitiger/umfassender/mächtiger.

Beispiel Mengenlehre:
Wir betrachten die Russellmenge R:= {x : x -e x} "x enthält sich nicht selbst als Element"
Diese bleibt eine Menge, den R e R ist (wohl) "komplementär wahr" und nicht widersprüchlich.
Auch die Menge aller Mengen ist nicht länger widersprüchlich.
Und Potenzmengen sind nicht überabzählbar,
da im Widerspruchsbeweis von Cantor komplementäre Beweise benutzt werden.
(Die Menge aller Mengen steht z.B via Identität in Bijektion zu ihrer Potenzmenge).
Es besteht also Hoffnung, so eine einfachere Mathematik betreiben zu können.

Allerdings habe ich noch wenig Anhaltspunkte,
wie die Komplementäre Aufteilung aller Beweise sinnvoll durchgeführt/beschrieben werden kann.
Hier liefern die aufgeführten berühmten Widerspruchsbeweise und Antinomien nur Hinweise,
denn sie sollen sich möglichst als komplementär erweisen ...

Gruß
Trestone
 

SentByGod

Ehrenmitglied
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Mal eine These meinerseits:

Je konkreter und verständlicher die Aussage werden soll, umso mehr nimmt sie an Ausmaß zu und an Klarheit ab.
 

SentByGod

Ehrenmitglied
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Endlich sind wir mal einer Meinung. :badtread:

Wäre dieses Zeug nicht besser in einem Mathematik- bzw. Logik-Unterforum aufgehoben? :lol:
 

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