Die gedopte Gesellschaft

Giacomo_S

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Servus Tino,

Tino schrieb:
Vielleicht könntest du ja noch dem Begriff „konkrete Gefährdung“ etwas ausführen. Wie stellst du dir das praktisch vor?

Wenn jemand nackt auf der Brüstung im 5. Stock steht und das halbe Viertel zusammenbrüllt, dann ist, denke ich die Situation eindeutig.
Treibt sich aber jemand nur exaltiert umher, dann nicht.

Tino schrieb:
Aber Einzelbeispiele sind immer nett, vor allem da sich für jede Meinung eines finden läßt.

Sicherlich richtig - nur was sagen Statisitiken denn noch aus bei der Komplexität des Themas ?

Generell scheint Bayern eine rigidere Handhabung als andere Bundesländer zu verfolgen.
Bösartigerweise möchte ich einmal behaupten, die Bayern haben möglicherweise eine neue Art der Krankenhausfinanzierung gefunden. Jedenfalls konnte der Redner auf einer Wahlkampfveranstaltung der CSU zur Kommunalwahl, in die ich einmal zufällig geriet (Utting am Ammersee !!!), stolz von der Erfolgen der neu eingerichteten Psychiatrie in Landsberg berichten. Und daß man sie - aufgrund des großen Erfolgs - weiter auszubauen gedenke. (Applaus des Publikums, diesmal eine Spur lauter als sonst). Der Redner spricht von Humanität, der Zuhörer denkt:"Genau ! Sperrt's die ein, die Renitenten. Die Zuagroßten. Die Preißn.")
 

Tino

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Hallo Giacomo,

Wenn jemand nackt auf der Brüstung im 5. Stock steht und das halbe Viertel zusammenbrüllt, dann ist, denke ich die Situation eindeutig.
Treibt sich aber jemand nur exaltiert umher, dann nicht.

In der Regel ist aber die Situation nicht so eindeutig. Da unterscheidet sich die Realität von der Theorie. Du würdest also, bei allen nicht so eindeutigen Situationen der Eigen- und der Fremdgefährdung auf eine Zwangseinweisung verzichten und auf Risiko spielen, bzw. erst mal weiter zusehen?

Nicht jeder Mensch hat einen entsprechenden Freundes- oder Familienkreis. Manche wenn nicht viele sind ziemlich alleine, oder der entsprechende Freundes- oder Familienkreis ist mit der Situation total überfordert.

Was ist mit einem Menschen, der vor dir sitzt und Selbstmordgedanken äußert, aber nicht auf der Brüstung steht?
… nur was sagen Statisitiken denn noch aus bei der Komplexität des Themas ?

Es geht nicht nur um Statistiken oder irgendwelche Gesetze. Die Realität ist eben oft nicht eindeutig und du kannst dich ja auch nicht neben jeden setzen, bei dem eine Eigen- oder Fremdgefährdung befürchtet wird. Du kannst auch nicht deren persönliches Umfeld gestallten. Es geht hier in erster Linie um die Frage, in wie weit wir auch für unsere Mitmenschen (auch fremde) verantwortlich sind und wie wir diese Verantwortlichkeit umsetzen.

Die einfachste Antwort wäre: Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.

Da du aber auch schon zum Mittel einer Zwangseinweisung gegriffen hast, bist du ebenfalls der Meinung, daß man für seine Mitmenschen Verantwortung zeigen muß. Bei dir waren Freunde betroffen, was ist aber mit dir fremden Menschen?

Generell scheint Bayern eine rigidere Handhabung als andere Bundesländer zu verfolgen.

Das was du so beschreibst, glaube ich das auch. Trotzdem geht es ja nicht um die rigide oder nicht-regide Umsetzung in dem ein oder anderen Bundesland, sondern um das Prinzip der Zwangseinweisung.

Bösartigerweise möchte ich einmal behaupten, die Bayern haben möglicherweise eine neue Art der Krankenhausfinanzierung gefunden.

Es sind zu wenige Zwangseinweisungen, als wenn man damit ein Krankenhaus finanzieren könnte. Bleib doch mal auf dem Teppich.

Jedenfalls konnte der Redner auf einer Wahlkampfveranstaltung der CSU zur Kommunalwahl, in die ich einmal zufällig geriet (Utting am Ammersee !!!), stolz von der Erfolgen der neu eingerichteten Psychiatrie in Landsberg berichten. Und daß man sie - aufgrund des großen Erfolgs - weiter auszubauen gedenke. (Applaus des Publikums, diesmal eine Spur lauter als sonst). Der Redner spricht von Humanität, der Zuhörer denkt:"Genau ! Sperrt's die ein, die Renitenten. Die Zuagroßten. Die Preißn.")

Bevor du nun deine freischwebenden Gedanken los läßt und alles durch die Brille der Zwangseinweisung liest, schau doch mal nach, wie sich eine Psychiatrie finanziert. Wieviel Prozent freiwillige Einweinungen und Zwangseinweisungen ausmachen. Nur weil du es in einen sprachlichen Sinnzusammenhang stellen kannst, bedeutet das nicht, daß diesem Argument irgendeinen logik oder gar Wahrheitsgehalt innewohnt.

Gruß Tino
 

Giacomo_S

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Tino schrieb:
In der Regel ist aber die Situation nicht so eindeutig. Da unterscheidet sich die Realität von der Theorie. Du würdest also, bei allen nicht so eindeutigen Situationen der Eigen- und der Fremdgefährdung auf eine Zwangseinweisung verzichten und auf Risiko spielen, bzw. erst mal weiter zusehen?

Ehrlich gesagt weiß ich es nicht so genau. Und natürlich: Nachher ist man immer schlauer.
Generell sehe ich jedoch einen Trend zu mehr "Sicherheit" seitens der Autoritäten. Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein, kürzlich konnte man in der ZEIT einen Artikel dazu lesen. Der Autor beschrieb eine Entwicklung, in der Straftaten insgesamt rückläufig sind, insbesondere schwere Straftaten und auch z.B. Sexualdelikte (teilweise deutliche 40% rückläufig). In der Öffentlichkeit herrscht aber das falsche (emotional geprägte) Bild vor, schwere Straftaten würden zunehmen. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß Medien immer auch ihre zeitbezogenen Themen haben. In den 70ern - wo Quoten über schwere Straftaten deutlich höher lagen - hat dieses Thema niemand interessiert, denn es gab andere Themen: RAF, kalter Krieg, Freidensbewegung usw. Darüber hinaus machen quoteninteressierte Medien die Forensic gern zu ihrem Thema, weil sich das spektakulär ausschlachten lässt.
Gleichzeitig hat sich aber die Praxis der Strafverfolgung verschärft, Gerichte gehen vermehrt zu härteren Strafen und auch zu anschließender "Sicherheitsverwahrung" über. Denn Politiker, aber auch Staatsanwälte und Richter stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wird ein Delinquent als therapiert oder abgebüßt entlassen und lebt eineinwandfreies Leben, so interessiert das natürlich keine Sau. Tritt aber der seltene Fall auf daß wieder etwas passiert, dann heißt es schnell "warum hat man den nicht drin behalten, man hat ja schon vorher gewußt, daß der auffällig ist". Und die Praxis zeigt, daß ein Staatsanwalt, Richter, Politiker schnell über einen einzigen Vorfall dieser Art stolpern kann, da eine marktschreierische Öffentlichkeit sich echauffiert. Es wundert mich daher nicht, daß die Tendenz dazu übergeht, einen "Auffälligen" lieber einmal mehr als einmal zuwenig aus dem Verkehr zu ziehen.

Tino schrieb:
Es geht nicht nur um Statistiken oder irgendwelche Gesetze. Die Realität ist eben oft nicht eindeutig und du kannst dich ja auch nicht neben jeden setzen, bei dem eine Eigen- oder Fremdgefährdung befürchtet wird. Du kannst auch nicht deren persönliches Umfeld gestallten. Es geht hier in erster Linie um die Frage, in wie weit wir auch für unsere Mitmenschen (auch fremde) verantwortlich sind und wie wir diese Verantwortlichkeit umsetzen.
Natürlich kann das niemand, das kann ja im privaten Umfeld schon keiner konsequent. Nur: Es gibt im Leben keine Gewissheiten.
Oder um es einmal deutlicher zu sagen: Man kann auch die eine Hälfte der Bevölkerung einsperren um sie von der anderen Hälfte bewachen zu lassen. Das senkt dann Selbstmorde und Straftaten fast auf Null.

Nebenbei: Ich kann mich noch gut an ein Jahr 1984 erinnern, wo wir alle über das Thema "Die überwachte Gesellschaft" diskutiert haben und das wir das nicht zulassen dürfen.
20 Jahre später klebt in jedem Bus eine Kamera und nicht nur das es niemanden stört, die Leute wollen es sogar. Oder sie stellen sie gleich selbst auf und posten die Filme im Netz.
Gleichzeitg kann in einer "kamera-überwachten" Automatenbank-Filiale über Wochen ein stinkender Penner liegen, ohne das es in der Zentrale jemand bemerkt: Offenbar schaut sich die Filme niemand an.
Grundsätzlich wird doch hier die Frage berührt: Wollen wir eine Gesellschaft, in der alle immer sicher sind - aber leider bleibt die Freiheit dabei auf der Strecke ?

Tino schrieb:
Bevor du nun deine freischwebenden Gedanken los läßt und alles durch die Brille der Zwangseinweisung liest, schau doch mal nach, wie sich eine Psychiatrie finanziert. Wieviel Prozent freiwillige Einweinungen und Zwangseinweisungen ausmachen. Nur weil du es in einen sprachlichen Sinnzusammenhang stellen kannst, bedeutet das nicht, daß diesem Argument irgendeinen logik oder gar Wahrheitsgehalt innewohnt.

Zugegebenerweise war mein Beitrag ironisch gemeint. Ein wahrer Kern steckt aber darin.
Eines der Grundprobleme der Krankenhausfinanzierung ist, daß Krankenhäuser nicht die am Patienten erbrachten Leistungen, sondern lediglich einen für alle Patienten einheitlichen Tagessatz abrechnen können.
Aus diesem Grund gibt es "teure" und "billige" Krankenhauspatienten. So mancher Krebspatient ist so ein "teurer" Patient: Die an ihm erbrachten Leistungen kosten mehr als sein Tagessatz: Das Krankenhaus "zahlt drauf". Rechnerisch müssen die "billigen" Patienten die "teuren" mittragen.
Tendenziell ist aber ein psychiatrischer Patient ein "billiger" Patient, den an ihm werden selten teure Leistungen erbracht (Ein wenig Pillchen, ein wenig Bastelstunde ...) :twisted:
Setzt also - wie z.B. in Landsberg - der Träger eines normalen Krankenhauses eine Psychiatrie als Add-on obendrauf, dann schlägt dies sehr wohl positiv zur Krankenhausfinanzierung zu Buche.
 

Tino

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Hallo Giacomo,

Ehrlich gesagt weiß ich es nicht so genau. Und natürlich: Nachher ist man immer schlauer.
Generell sehe ich jedoch einen Trend zu mehr "Sicherheit" seitens der Autoritäten.

Nicht nur der Autorität, sondern der gesamten Gesellschaft.

Darüber hinaus machen quoteninteressierte Medien die Forensic gern zu ihrem Thema, weil sich das spektakulär ausschlachten lässt.

Wenn die Massenmedien an dem Sicherheitsbedürfnis Schuld sind, sind wir es nicht mehr, oder? Ist immer ein praktisches Argument von „denen“ und „uns“ zu reden. Eigentlich dient es nur dazu sich zu dem „uns“ dazuzudefinieren und die „anderen“ zu separieren.

Massenmedien, Politiker, die Wirtschaft, etc. alles sind Schuld, bloß „wir“ nicht. Ist das nicht schön?

Und die Praxis zeigt, daß ein Staatsanwalt, Richter, Politiker schnell über einen einzigen Vorfall dieser Art stolpern kann, da eine marktschreierische Öffentlichkeit sich echauffiert. Es wundert mich daher nicht, daß die Tendenz dazu übergeht, einen "Auffälligen" lieber einmal mehr als einmal zuwenig aus dem Verkehr zu ziehen.

Und zu dieser „marktschreierische Öffentlichkeit“ gehören auch wir zwei; leider.

… Nur: Es gibt im Leben keine Gewissheiten.
Oder um es einmal deutlicher zu sagen: Man kann auch die eine Hälfte der Bevölkerung einsperren um sie von der anderen Hälfte bewachen zu lassen. Das senkt dann Selbstmorde und Straftaten fast auf Null.

Aber wo ist den jetzt die Schuld der Pharmafirmen, die du am Anfang postuliert hast?


Grundsätzlich wird doch hier die Frage berührt: Wollen wir eine Gesellschaft, in der alle immer sicher sind - aber leider bleibt die Freiheit dabei auf der Strecke ?

Du bringst ja schon wieder ein neues Thema an. Was hat den nun daß mit der Macht der Pharmafirmen auf das Handeln der Ärzte bei Zwangseinweisungen zu tun?

Prinzipiell ein spannendes Thema, aber irgendwie habe ich daß Gefühl, daß du gerne von Argument zu Argument hüpfst. Was den nun, sind die Ärzte, die Pharmafirmen, die Politiker, die Bayern, die Massenmedien, die Richter, die Öffentlichkeit an sich oder wer oder was oder alle und warum an der Zunahme der Zwangseinweisungen schuld?

Zugegebenerweise war mein Beitrag ironisch gemeint. Ein wahrer Kern steckt aber darin.
Eines der Grundprobleme der Krankenhausfinanzierung ist, daß Krankenhäuser nicht die am Patienten erbrachten Leistungen, sondern lediglich einen für alle Patienten einheitlichen Tagessatz abrechnen können.

Ei der Daus, du bist nicht auf dem aktuellen Stand der Krankenhausfinanzierung. Deine Beschreibung betrifft die alte Krankenhausfinanzierung. Seit Einführung der DRG und OPS gibt es die sogenannte Fallpauschale. D.h. ein Krankenhaus bekommt einen bestimmten Betrag für eine Erkrankung, egal ob der Patient nun 5 oder 10 tage im Krankenhaus liegt.

Aus diesem Grund gibt es "teure" und "billige" Krankenhauspatienten.

Richtig, der billigste Krankenhauspatient, bzw. der der am meisten profit bringt, geht so schnell wie möglich wieder. Jeder tag den der Patient länger bleibt kostet nur.

So mancher Krebspatient ist so ein "teurer" Patient: Die an ihm erbrachten Leistungen kosten mehr als sein Tagessatz: Das Krankenhaus "zahlt drauf". Rechnerisch müssen die "billigen" Patienten die "teuren" mittragen.

Diese Praxis hat sich allerdings gehalten. Zusätzlich ist es so, daß absurde Situationen entstehen. Damit am an Geld kommt, sind „Kurzlieger“ besonders interessant. Da wird schon mal schnell jemand für 3-4 Tage aufgenommen, obwohl daß ganze auch Ambulant behandelt hätte werden können. Dadurch steigen die kosten des Gesundheitssystems. Eine der Folgen, daß Krankenhäuser nun marktwirtschaftlich agieren müssen.

Tendenziell ist aber ein psychiatrischer Patient ein "billiger" Patient, den an ihm werden selten teure Leistungen erbracht (Ein wenig Pillchen, ein wenig Bastelstunde ...)

Im Gegenteil, es sind sehr teure Patienten.

Gruß Tino
 

racingrudi

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sollte es nicht thema der gesundheitsreform sein, das gesundheitswesen so zu gestalten, dass nicht mehr von "teuren" oder "billigen" patienten zu reden ist? ist es nicht ein versagen des gesundheitswesens, wenn nachweislich wirksame medikamente nicht auf den markt kommen, weil sie sich nicht rentieren? wie bekommt man die nicht-monetäre komponente in die formel, um ein medikament trotzdem rentabel zu machen? ist es denn nicht mindestens genau so "rentabel", kranke wieder zu heilen? ist es nicht pervers zu sagen, es rentiere sich nicht, weil das an sich wirksame produkt auf zu wenig nachfrage stoße, obwohl es sich genau für diese klientel sehr wohl "rentieren" würde?

was könnte helfen? eine lösung steht meiner ansicht nach konträr zum allmächtigen wirtschaftlichen glauben. es kann im grunde nicht sein, dass mit krank- resp. gesundheit geschäfte gemacht werden. sprich: die lösung kann nur jenseits der marktwirtschaft liegen. wie das gehen soll? keine ahnung ... :oops: habt ihr eine idee?
 

Ein_Liberaler

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Wenn wir dafür einen anderen Thread aufmachen würden, kann ich gerne ab Montag gegen die herrschende Planwirtschaft und für die Marktwirtschaft argumentieren, von der nicht einzusehen ist, wieso sie nicht auch auf dem Gesundheitssektor die besseren Ergebnisse liefern sollte.
 

agentP

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sollte es nicht thema der gesundheitsreform sein, das gesundheitswesen so zu gestalten, dass nicht mehr von "teuren" oder "billigen" patienten zu reden ist?
Wie soll das denn gehen? Unterschiedliche Therapien erfordern nunmal unterschiedliche Aufwände. Medikamente sind unterschiedlich teuer in der Herstellung und Entwicklung und manche Operationen dauern eine halbe Stunde und andere eine ganze Nacht. wie willst du das gerade ziehen?
 

Tino

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Hallo racingrudi,

ist es denn nicht mindestens genau so "rentabel", kranke wieder zu heilen? ist es nicht pervers zu sagen, es rentiere sich nicht, weil das an sich wirksame produkt auf zu wenig nachfrage stoße, obwohl es sich genau für diese klientel sehr wohl "rentieren" würde?

Die Frage ist, was uns "Gesundheit" selber ist, was es uns (als Gesellschaft) wert ist und was es jedem einzelnen persönlich Wert ist.

Der Begriff des "sozialverträglichen Ablebens" ist leider ebenso zynisch wie wahr.

Egal ob Marktwirtschaft oder nicht, wir müssen uns bei diesen Fragen eben auch unangenehmen Konsequenzen stellen. Die Entwicklung eines Medikamentes, daß vielleicht nur ein paar hundert Menschen brauchen (und damit "Kunden" wären), muß man sich die Frage stellen wieviel das kostet; egal ob der Staat die Forschung oder ein privates Unternehmen diese bezahlt.

Umgekehrt macht eine Firma kein Gewinn, wenn sie ein medikament entwickelt, daß Millionen menschen brauchen, die aber kein Gled haben um dieForschungsausgaben zu bezahlen.

In Gesundheitsfragen hören sich solchen Rechnungen immer unmenschlich an. Sind aber eben auch Teil der Realität.

Um mal ein darstisches (und provokatives) Beispiel zu nehmen: Ein Penner, der einen Herzinfarkt hat wird auch nach der Behandlung kein produktives Mitglied der Gemeinschaft. Wieviel sollen wir dafür zahlen? Oder, nicht minder drastisch: die größten Ausgaben gehen für Herz- und Kreislauferkrankungen drauf. Die meisten davon sind ergebnis unseres Lebensstils. Wieviel Lebensstil darf der einzelene für sich einfordern und wieviel soll die Gemeinschaft diesem einzelnen zahlen.

Genau daß sind die Fragen, um die es eigentlich bei der Gesundheitsreform geht (das erste Beispiel ist ein typisches Stimmunsmachebeispiel, das zweite will niemand in den Mund nehmen).

Gruß Tino

P.S. Liberaler, bin gespannt auf deine Erklärung ;-)
 

Giacomo_S

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Tino schrieb:
Prinzipiell ein spannendes Thema, aber irgendwie habe ich daß Gefühl, daß du gerne von Argument zu Argument hüpfst. Was den nun, sind die Ärzte, die Pharmafirmen, die Politiker, die Bayern, die Massenmedien, die Richter, die Öffentlichkeit an sich oder wer oder was oder alle und warum an der Zunahme der Zwangseinweisungen schuld?

Na, alle natürlich. :p
Der Thread ist etwas aus dem Ruder gelaufen.
Es geht und ging mir nicht darum, Schuldzuweisungen auszusprechen. Auch ist das Thema Zwangseinweisungen nur ein Aspekt einer Entwicklung, in dem ich die genannten gesellschaftlichen Gruppen als Motoren sehe. Am Ende kommt ein Prozess dabei heraus, der, wenn man ihn als Ganzes betrachtet, den Anschein einer "verschwörerische" Dynamik trägt. (Die Dinge sind mit einander verbunden. Eines beeinflußt das andere). In meinen Augen handelt es sich um eine Entwicklung, in der die Beteiligten vor allem deshalb an einem Strang ziehen, weil jeder für sich davon profitiert und es nur zu Lasten eine Klientel geht, die entweder keine Lobby hat, sich nicht wehren kann oder in der Wahrnehmung nicht existiert.

Weil dies hier vielleicht nicht ganz klar geworden ist, werde ich mich hier jetzt etwas ausführlicher darüber ausbreiten. Meiner Meinung laufen auch andere themen nach genau diesem Schema ab; deshalb werden weiter Beispiele folgen.

Meine Thesen (provokant formuliert):

Beispiel 1: Geistige Gesundheit
- Gewaltstraftaten allgemein, aber auch Sexualdelikte sind statistisch im Vergleich mit den 70ern deutlich gesunken.
- Populäre Massenmedien zeichnen durch Überbetonung ein gegenteiliges Bild; gleichzeitig werden o.g. Straftaten mehr Relevanz in der Berichterstattung eingeräumt als früher.
- Die Öffentlichkeit, durch die Medien künstlich verängstigt, fordert von den Autoritäten ein härteres Durchgreifen.
- Gesetzgeber und Verfolgungsorgane führen eine strengere Praxis durch, auch wenn das den einen oder anderen "Kollateralschaden" mit sich bringt.
- Der Betroffene wird zunehmend mittels Freiheitsentzug festgesetzt, um dem Sicherheitsbedürfnis des Bürgers Rechnung zu tragen. Die psychiatrischen Kliniken - oft genug nicht mehr als bessere Verwahranstalten - folgenden dem allgemeinen medizinischen Trend und medikamentieren ("einstellen") die Leute. Sie hätten auch gar nicht genug qualifiziertes Personal als denn die Patienten ruhig zu stellen.
- Die Pharmaunternehmen erklären psychische Krankheit zu einem privaten Problem, indem sie eine (unbewiesene) physiologische Ursache (Transmiitertheorie) postulieren. Es ist durchaus im Interesse der Firmen, daß das Ausmaß genommender Psychopharmaka nicht bekannt wird, denn sie möchten einen öffentlichen Skandal vermeiden.

Wie profitieren nun die Beteiligten ?
- Die Massenmedien, da sie dadurch spektakuläre Themen zum Verbraten haben. Und für das Fernsehen (man denke an RTL und Konsorten) auch noch billig produziert. Ich darf hier an dieser Stelle anmerken, was der Fall Kampusch für Wellen schlägt.
- Der brave Bürger, weil seiner Lebensangst und Spießigkeit Rechnung getragen wird. Ginge es nach ihm - es würden noch viel mehr "Spinner" aus dem Verkehr gezogen.
- Politiker, aber auch öffentliche Personen der Strafverfolgung können sich populistisch darstellen. Damit festigen sie ihre Position und gelten als "Mann des Volks".
- Beteiligte Pharmaunternehmen, weil sie mit den Umsatzsteigerungen ihre Aktionäre zum Jubeln bringen. Nebenbei erschließen sie neue Märkte, indem sie Gesunde als krank erklären oder gar die Option, "harmlose" Medikamente zu nehmen zur Angelegenheit persönlicher Freiheit deklarieren. "Diskretion" der Beteiligten ist in ihrem Interesse, und darum wird psychische Krankheit als privates Problem definiert.

Beispiel 2: Vogelgrippe, BSE und Jacob-Creutzfeldt
Ein vom Prinzip her ähnlicher Prozess ist mit der Vogelgrippe in Gang gekommen. Ich zweifle nicht daran, daß es diese Krankheit gibt und daß sie gefährlich ist - ich zweifle aber an dem Hype, der darum gemacht wird. Und wieder profitieren verschiedene Gruppen an diesem Hype:

- Die beteiligten Wissenschaftler, weil sie ohne "Werbung" keine Etats für ihre Projekte bekommen.
- Die Massenmedien, weil sie ein medienwirksames Thema gewinnen, daß sie ausschlachten können.
- Politiker verschiedenster Couleur können populistisch auf den Plan treten und von anderen Problemen ablenken.
- Und die Industrie, weil es ihre Produktion ankurbelt:Roche verzehnfacht (!) Tamiflu-Produktion.

Aber jetzt einmal ehrlich: Was ist denn wirklich dran an der Vogelgrippe ?
Ist es zur großen, weltweiten Epidemie gekommen ? Es sind ein paar dutzend Menschen gestorben, in China, einem Land mit 1,3 Mrd. Menschen, ja, aber wo sind den die 100tausenden Seuchenopfer ? Wo denn ? (Nebenbei: es gab auch Tote trotz Tamiflu. Es ist nicht einmal so ganz klar, ob uns Tamiflu bei einer Seuche wirklich in dem Maße nützen würde).
Nicht mal neim Geflügel ist es zur heraufbeschworenen Epidemie gekommen. Gut: Man kann sagen: Gott-sei-Dank nicht, Self-Destroying-Phrophesy, die Autoritäten haben eben gescheit gehandelt. Vielleicht war es so. Mir persönlich aber kommt dieser ganze Hype um solche medizinischen oder anderen Desaster reichlich übertrieben vor. Denn außer von ein paar umgefallenen Piepmätzen hier und da (und es kann mir keiner erzählen, es hätte nicht früher schon mal solche Tode in einer Population gegeben) blieb die Katastrophe aus.

Die Medien wissen aber, daß das Gedächtnis der Leute kurz ist, denn sonst würden solche Mechanismen so auch gar nicht funktionieren.
Denken wir doch an den BSE-Skandal von vor gut 10 Jahren und den Zusammenhang von Jacob-Creutzfeldt-Toten, BSE und Prionen.
Der Rindfleischmarkt in Deutschland brach praktisch zusammen. Es traten einzelne Fälle von BSE auf und es kam zu medienwirksamen vorsorglichen Massenkeulungen.
Und ich kann mich noch gut daran erinnern, daß damals selbst seriöse Medien wie SPIEGEL und ZEIT von "10.000enden von Creutzfeldt-Toten in England in den nächsten Jahren, allein aufgrund des bisher verzehrten BSE-Fleisches, das in den Handel kam" sprach.
Aber wo sind sie denn, die "10.000enden" (wenn nicht gar mehr) von Jacob-Creutzfeld-Opfern in Großbritannien ? Wo denn ?

Erschreckend finde ich noch einen anderen Aspekt: Die Medikamentenbelastung unserer Gewässer. An beständiger Menge führt die Substanz Carbamazepin, eigentlich zur Epilepsiebehandlung. Ab er so viel Epileptiker gibt es überhaupt nicht. Vielmehr wird es auch sehr viel zur Behandlung bei bipolarer Störung oder Depression eingesetzt.

Bericht des Landes NRW schrieb:
Von einigen Wirksubstanzen, wie z. B Carbamazepin und Ofloxacin, konnten etwa 15 bis 25 % der verkauften Mengen im Rhein wieder gefunden werden. Diese stammen aus der Anwendung und nicht aus der Produktion. Da sich die Stoffe nur sehr schlecht im menschlichen Körper umwandeln, in den Kläranlagen biologisch kaum abgebaut werden und sich auch nicht an Schlamm anlagern, gelangen derartige Mengen in die Gewässer.
Quelle: Arzneimittelrückstände im Abwasser: Was gelangt in die Gewässer ?

Anfällig auf solche Verschmutzungen sind vor allem Fische, weil sie ununterbrochen im Wasser sind, aber auch weil ihre Vermehrung Serotonin-gesteuert ist. In den USA - wo man anzunehmenderweise die Medikamentierung mit Psychostimulanzien höher ist als bei uns - treten bereits vermehrt Mißbildungen auf:

Spiegel online schrieb:
Bis zu 80 Prozent der im Potomac gefangenen und untersuchten männlichen Schwarzbarsche sind davon betroffen, sagte Vicki Blazer, Biologin der staatlichen Behörde US Geological Survey. An vier der sieben Überwachungsstellen habe man die Missbildungen sogar bei ausnahmslos allen Fischen gefunden.
Quelle: Spiegel online
 

Tino

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Hallo G.,

ich muß leider unsere Diskussion unterbrechen, ich habe die nächste Woche einen Arsch voll Arbeit ;-)

Ich melde mich wieder gegen Ende der Woche, ich hoffe du bist dann noch mit am Ball.

Gruß Tino
 

Giacomo_S

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Tino schrieb:
Hallo G.,

ich muß leider unsere Diskussion unterbrechen, ich habe die nächste Woche einen Arsch voll Arbeit ;-)

Ich melde mich wieder gegen Ende der Woche, ich hoffe du bist dann noch mit am Ball.

Gruß Tino

Hallo Tino,

hau rein !
Bin immer dabei.
 

Tino

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Hallo Giacomo,


Am Ende kommt ein Prozess dabei heraus, der, wenn man ihn als Ganzes betrachtet, den Anschein einer "verschwörerische" Dynamik trägt. (Die Dinge sind mit einander verbunden. Eines beeinflußt das andere).

Alles hat – im richtigen, bzw. falsch Winkel betrachtet - den Anschein einer Verschwörung.

In meinen Augen handelt es sich um eine Entwicklung, in der die Beteiligten vor allem deshalb an einem Strang ziehen, weil jeder für sich davon profitiert und es nur zu Lasten eine Klientel geht, die entweder keine Lobby hat, sich nicht wehren kann oder in der Wahrnehmung nicht existiert.

Es machen aber alle mit. Also auch du und ich, neben „den Politikern“, „den Pharmafirmen“, „den Ärzten“ und all den anderen „dens“. Sippenhaft ist etwas wunderbares, ohne das keine Verschwörungstherorie auskommt.

Beispiel 1: Geistige Gesundheit

Bislang hast du den Rahmen des Gesunden noch gar nicht abgesteckt ;-). Die Frage ist, reden wir von der gleichen Gruppe Menschen?
Der Zusammenhang „Gewaltstraftaten – Massenmedien – falsche Wirklichkeitseinschätzung“, den Teile ich mit dir. Allerdings machst du dann gleich weiter und stellst die Pharmafirmen so dar, als ob sie psychische Erkrankungen zu einem privaten Problem erklären. Und damit an der Schraube weiterdrehen würden.

Der Zusammenhang zwischen Gewaltstraftaten und dem Absatz von Psychopharmaka mußt du mir mal erklären. Immerhin fängt deine Argumentationskette damit an, daß diese Straftaten sinken. Welchen Sinn macht es, in einen sinkenden Markt hinein zu produzieren. Außerdem vergißt du immer wieder, daß zwischen dem Endkunden Patient und dem Produzent Pharmafirma noch der Arzt sitzt, der erst mal überzeugt werden muß.

Einen Teil der Tricks der Pharmafirmen kenne ich und habe ich schon selber erlebt, Aber die Macht die du ihnen da zusprichst, die haben sie nicht. Pharmafirmen punkten ganz anders. Der Anstieg von Psychopharmaka hat mit vielem zu tun, unter anderem auch mit dem Wort Mode (auch daß gibt es in der Medizin und ist ähnlich unlogischen Gesetzen unterworfen wie die anderen Moden). Man kann darauf einwirken, es wird darauf eingewirkt, aber wenn du diese Prozesse so stark vereinfachst, dann wirst du ihnen nicht gerecht. Warum ist der iPod so ein Trendsetter gewesen? Was hat Apple gemacht? So in etwa stellst du dir doch die Pharmafirmen vor, oder?
Daß was die anderen Industriezweige nur zufällig - oder durch harte Arbeit – schaffen, daß kann die Pharmaindustrie bewußt steuern … tut mir leid, das ist mir zu einfach.

Beispiel 2: Vogelgrippe, BSE und Jacob-Creutzfeldt

Na endlich. Die Aufzählung der klassischen Verschwörungstheoretikerthemen ;-)

Ein vom Prinzip her ähnlicher Prozess ist mit der Vogelgrippe in Gang gekommen. Ich zweifle nicht daran, daß es diese Krankheit gibt und daß sie gefährlich ist - ich zweifle aber an dem Hype, der darum gemacht wird. Und wieder profitieren verschiedene Gruppen an diesem Hype:

OK, dann mal eine Gegenfrage: Was hättest du denn gesagt, wenn es anderes herum gegangen wäre? Die Vogelgrippe wird bekannt, alle (in diesem Fall Wissenschaftler und Politiker) sagen: „uhhh, könnte gefährlich sein, daß weiß alles niemand so genau, aber wir wollen ja auch keinen nervös machen, Geld ist im Moment auch nicht da, wir werden es aber ausgeben, wenn sich eine echte Gefahr abzeichnet.“

Es kommt wie es in einem Gegenbeispiel kommen muß, die Gefahr war doch echt und man weiß daß Medikament wirkt (leider muß man es so früh wie möglich, bzw, vor Ansteckung (es wirkt indem es daß Eindringen der Viren in Zellen verhindert) schon einnehmen). Leider hat man versäumt genug Medikamente zu produzieren, schnell geht daß auch nicht (die fertige Tablette braucht mehrere Produktiosnschritte die zum Teil Wochen benötigen), so daß nun zunehmend mehr Menschen erkranken und auch sterben. Die Tabletten sind für die Polizisten, Ärzte, aber auch Politiker (öffentliche Ordunung, nachzulesen in den Katastrophenplänen)und die die genug Geld haben, die müssen nun nicht sterben. Und was nun? Wieder eine Verschwörung? Gibt es eine Möglkichkeit, wie sich die beteiligten Verhalten können, damit man keine Verschwörung draus machen kann?

Der Hype ist zwar schrecklich, aber wir haben nun schon seit 90 Jahren keine Epidemie mehr gehabt (zumindest keine große). Irgendwann wird wieder eine kommen. Das wird keiner berechnen können, wir können nur sicher sagen daß eine Pandemie entsteht. Da sind die Ärzte und Wissenschaftler zur Abwechselung mal weniger arrogant als die Laien. Wir wissen mittlerweile, daß wir im Falle einer erneuten spanischen Grippe (1918/19) nicht viel besser dastehen würden, als die Menschen früher.


Aber jetzt einmal ehrlich: Was ist denn wirklich dran an der Vogelgrippe ? Ist es zur großen, weltweiten Epidemie gekommen ? Es sind ein paar dutzend Menschen gestorben, in China, einem Land mit 1,3 Mrd. Menschen, ja, aber wo sind den die 100tausenden Seuchenopfer ? Wo denn ? (Nebenbei: es gab auch Tote trotz Tamiflu. Es ist nicht einmal so ganz klar, ob uns Tamiflu bei einer Seuche wirklich in dem Maße nützen würde).

Und das hast du gewußt? Mensch, du hättest die Entscheidung treffen sollen, die Verantwortung tragen sollen. Stell dir nur ganz kurz vor, du mußt diese Entscheidung treffen.

Mir persönlich aber kommt dieser ganze Hype um solche medizinischen oder anderen Desaster reichlich übertrieben vor. Denn außer von ein paar umgefallenen Piepmätzen hier und da (und es kann mir keiner erzählen, es hätte nicht früher schon mal solche Tode in einer Population gegeben) blieb die Katastrophe aus.

Genau, die Katastrophe blieb aus. Daß ist der Punkt. Und es ist auch die Ausgangsbasis deiner Argumentation. Es ist schon schick, hinterher anderen Menschen (bzw. „den Medien“, „den Politikern“, und den anderen „dens“) versagen vorzuwerfen. Übrigens, es ist die Hauptargumentation von Verschwörungstheoretikern. Hinterher dem Geschehen und den Handelnden irgendwelche Motive zu unterstellen, und das ursprüngliche Problem so darstellen, als wenn das Ende von Anfang an klar gewesen wäre.


[qupte]Erschreckend finde ich noch einen anderen Aspekt: Die Medikamentenbelastung unserer Gewässer. An beständiger Menge führt die Substanz Carbamazepin, eigentlich zur Epilepsiebehandlung. Ab er so viel Epileptiker gibt es überhaupt nicht. Vielmehr wird es auch sehr viel zur Behandlung bei bipolarer Störung oder Depression eingesetzt. [/quote]

Das ist doch jetzt ein Scherz, oder? Bitte recherchier mal ordentlich. Zum einen, ja es ist erschreckend, daß die Medikamente unsere Gewässer belasten. Daß ist aber ein alter Hut, es ist gefährlich und wir müssen überlegen, was wir tun. Übrigens, vor allem Rückstände der Antibabypille werden häufig in den Gewässern gefunden … und nun? Willst du die Antibabypille verbieten? Wäre mal was für eine Meinungsumfrage hier im Forum ;-).

Zum anderen, Carbamazepin wird sowohl bei Epileptikern wie auch bei bipolaren Störungen eingesetzt (nicht hauptsächlich hier und ein bißchen dort). Viele Medikamente haben mehrere Indikationsgebiete. Tu also bitte nicht so, als ob ein sehr wirkungsvolles Medikament bei der falschen Patientengruppe angewendet wird.

Du sprichst hier ein sehr ernstes Problem an. Das hat aber mit einem Beweis für deine Grundthese nichts zu tun.

Also, ich weiß ja auch, daß mehr Tabletten konsumiert werden. Es ist logisch, daß die irgendwann wieder ausgeschieden werden und ein Umweltproblem werden, ist aber ein anderes Thema. Ich weiß auch, daß Pharmafirmen ihre Medikamente verkaufen müssen, sonst machen sie pleite. Pharmafirmen gehorchen denselben Marktzwängen wie andere Industriezweige, sprich sie brauchen einen Markt für ihre Produkte. Und wie andere Industriezweige wird dieser Markt zum Teil auch künstlich geschaffen. So weit weg voneinander sind wir gar nicht.

Die Pharmafirmen bestimmen durch ihre Kompagien auch medizinische Moden mit (die beste Kampagie ist übrigens die der Naturheilprodukte). Krankheitsbilder wandeln sich ständig, immerhin wird ja auch ständig geforscht (man kann jeder medizinische Lehrbuch nach spätestens 5 Jahren in die Tonne kloppen, zumindest wenn man mit den Infos einen Patienten behandeln will). Pharmafirmen haben darauf Einfluß und nehmen diesen auch. Allerdings läuft diese Grenze sehr unscharf ab, manchmal kommen sogar ziemlich gute Sachen aus der Pharmaindustrie.

Manchmal laufen auch die Interessen der Ärzte (bessere Versorgung der Patienten) und die Interessen der Pharmaindustrie (Absatz) mit den Interessen der Patienen (keine oder nur wenig Einschränkungen) auch parallel.

Also um mal beim Thema zu bleiben. Ich habe immer noch nicht begriffen, wie genau die Pharmafirmen auf die Ärzte, Juristen, Politiker und Medien Einfluß nehmen, um mehr Zwangseinweisungen zu erreichen, womit sie mehr Kunden für ihre Medikamente haben.

Gruß Tino
 

Giacomo_S

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Servus Tino,

Tino schrieb:
Hallo Giacomo,


Am Ende kommt ein Prozess dabei heraus, der, wenn man ihn als Ganzes betrachtet, den Anschein einer "verschwörerische" Dynamik trägt. (Die Dinge sind mit einander verbunden. Eines beeinflußt das andere).

Alles hat – im richtigen, bzw. falsch Winkel betrachtet - den Anschein einer Verschwörung.

Richtig. Und da ich von Verschwörungstheorien im Allgemeinen wenig halte, habe ich den Begriff ja auch in "" gesetzt.

Tino schrieb:
Beispiel 1: Geistige Gesundheit

Bislang hast du den Rahmen des Gesunden noch gar nicht abgesteckt ;-). Die Frage ist, reden wir von der gleichen Gruppe Menschen?
Der Zusammenhang „Gewaltstraftaten – Massenmedien – falsche Wirklichkeitseinschätzung“, den Teile ich mit dir. Allerdings machst du dann gleich weiter und stellst die Pharmafirmen so dar, als ob sie psychische Erkrankungen zu einem privaten Problem erklären. Und damit an der Schraube weiterdrehen würden.

Nein, aber sie erklären große Teile der Bevölkerung für "krank".
Und mit dieser Argumentationskette werden in den USA ca. 15-20% aller Schulkinder mit Ritalin behandelt.

Tino schrieb:
Der Zusammenhang zwischen Gewaltstraftaten und dem Absatz von Psychopharmaka mußt du mir mal erklären. Immerhin fängt deine Argumentationskette damit an, daß diese Straftaten sinken. Welchen Sinn macht es, in einen sinkenden Markt hinein zu produzieren.

Tut es nicht, solange man nicht auf die Idee kommt, an sich "normale" Erscheinungen als Krankheit zu definieren. Und die - sicherlich vorauszusehenden - negativen Effekte z.B. von Schichtarbeit dann als neu entdeckte "Krankheit" zu bezeichnen ... nun, das finde ich dann schon ein starkes Stück.
Im Rahmen aber einer Gesellschaft, in der ein jeder mehr oder weniger "krank" ist, sind die Eingesperrten eben nur die extreme Ausprägung.

Tino schrieb:
Einen Teil der Tricks der Pharmafirmen kenne ich und habe ich schon selber erlebt, Aber die Macht die du ihnen da zusprichst, die haben sie nicht.

In den USA waren sie aber immerhin stark genug, um ein offizielles Regierungsprogramm in Gang zu setzen, nach welchem alle Schüler und Mitarbeiter öffentlicher Schulen sich einem, von der Universität Texas erstelltem Screening auf psychische Krankheit unterziehen sollte, immerhin 52 Millionen Schulkinder und 6 Millionen Erwachsene.
Das Programm sah vor, daß jemand der durch diesen "Test" auffällig geworden ist, sich entweder einer Behandlung mit dem atypischen Neuroleptikum Zyprexa des Herstellers Eli Lilly unterzieht oder aber seinen Schul- oder Arbeitsplatz verliert. Dies alles gilt nicht für Schüler privater Schulen und folgerichtig wurde argumentiert, wenn solche Maßnahmen den Eltern nicht zusagen würden, bitte, sie hätten ja die Freiheit, ihre Kinder in private Schulen zu schicken.

Heise.de schrieb:
Schulen im Fokus

Die New Freedom Commission on Mental Health empfiehlt eine möglichst breite Erhebung über den psychischen Gesundheitszustand der Bevölkerung unter Berücksichtigung aller Altersgruppen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen als erstes die Schulen, weil dort viele Störungen des Verhaltens frühzeitig sichtbar werden und sie deshalb eine Schlüsselposition einnehmen. Die Kommission empfiehlt, die 52 Millionen Schüler und sechs Millionen Erwachsene, die dort arbeiten, zu untersuchen. Das soll anhand des von der Columbia University erarbeiteten TeenScreenProgram geschehen.

Doch es soll nicht nur bei einer Diagnose und einer Beratung bleiben, sondern, wenn nötig, unverzüglich mit einer Behandlung begonnen werden. Genau da setzen die Kritiker an, die sich nun zu Wort melden, denn die Kommission empfiehlt, nach den Ergebnissen des Texas Medication Algorithm Projects (TMAP) vorzugehen, einem auf klinischen Tests beruhenden Behandlungsmodell mit Psychopharmaka (vgl. Texas Implementation of Medication Algorithms). Das Programm setzt vor allem auf neueste und besonders teure Antidepressiva oder antipsychotische Arzneimittel. Das Projekt lief ab 1996 an der University Texas, unterstützt von der Pharmaindustrie und dem texanischen Staat, damals regiert von Gouverneur George W. Bush.

Politisch-pharmazeutische Allianz

Möglicherweise haben hier Pharmafirmen mit Geschenken und Geld direkt Einfluss genommen. Das jedenfalls behauptet Allen Jones vom Pennsylvania Office of the Inspector General (OIG), der kürzlich entlassen wurde, nachdem er sich mit seinen Vorwürfen an die Presse gewandt hatte.

Allen Jones vertritt die Meinung, dass die gleiche "politisch-pharmazeutische Allianz", die das Texas Projekt - von ihm als "trojanisches Pferd" bezeichnet - gestaltete, nun auch hinter den Empfehlungen der Kommissionen des Präsidenten steht (vgl. ausführliche Stellungnahme Smoke and Mirrors). Er ist der Ansicht, dass diese Allianz nun "die Bemühungen des Texas Medication Algorithm Projects in eine umfassende nationale Politik konsolidiert, damit psychische Krankheiten mit teuren, patentierten Medikamenten behandelt werden, deren Nutzen fraglich ist und die tödliche Nebenwirkungen haben."
Quelle: Heise.de

Bush saß übrigens mal im Aufsichtsrat von Eli Lilly ... aber ja, das ist ja alles blanke Verschwörungstheorie: Eli Lilly, Zyprexa and the Bush Family

Tino schrieb:
Pharmafirmen punkten ganz anders. Der Anstieg von Psychopharmaka hat mit vielem zu tun, unter anderem auch mit dem Wort Mode (auch daß gibt es in der Medizin und ist ähnlich unlogischen Gesetzen unterworfen wie die anderen Moden). Man kann darauf einwirken, es wird darauf eingewirkt, aber wenn du diese Prozesse so stark vereinfachst, dann wirst du ihnen nicht gerecht. Warum ist der iPod so ein Trendsetter gewesen? Was hat Apple gemacht? So in etwa stellst du dir doch die Pharmafirmen vor, oder?
Daß was die anderen Industriezweige nur zufällig - oder durch harte Arbeit – schaffen, daß kann die Pharmaindustrie bewußt steuern … tut mir leid, das ist mir zu einfach.

"Bewußt steuern" ist sicher zuviel gesagt, aber "deutlich beeinflussen" trifft es eher.

Manchmal ruft mich die Redaktion eines der bunten Friseurheftl ("Die goldene Frau", "Frau von Gestern", "Freizeit-Heftl" und wie 70 weitere Massenauflagen-Hefte auch immer heißen mögen) an: die Gestaltung unserer Anzeigen liegt zu nah an den redaktionellen Inhalten; das gefällt den Redaktionen nicht.
Allerdings finde ich, die Redaktionen sollten sich nicht wie die Nonnen der Presse aufspielen. Denn sie selbst sind eher die Huren. Denn über unseren Anzeigen steht wenigstens noch "ANZEIGE", während ihre "redaktionellen" Inhalte zu mindestens 80% die Abschriften irgendwelcher Industrietexte sind.
Oder meint ihr, die denken sich für den oft üppigen Gesundheitsteil der Yellow Press noch etwas selber aus ? Da müßten sie ja journalistisch arbeiten und das kostet.
Oft genug sind diese "redaktionellen" Inhalte kaum verhohlene Werbung für ein Industrieprodukt und haarscharf an der rechtlich einzuhaltenen Grenze - wenn nicht darüber. Die Pharmakonzerne haben große Etats für Öffentlichkeitsarbeit - wahrscheinlich die größten überhaupt - und sie nutzen sie zur Manipulation der öffentlichen Meinung.

Tino schrieb:
Beispiel 2: Vogelgrippe, BSE und Jacob-Creutzfeldt

Der Hype ist zwar schrecklich, aber wir haben nun schon seit 90 Jahren keine Epidemie mehr gehabt (zumindest keine große). Irgendwann wird wieder eine kommen. Das wird keiner berechnen können, wir können nur sicher sagen daß eine Pandemie entsteht. Da sind die Ärzte und Wissenschaftler zur Abwechselung mal weniger arrogant als die Laien. Wir wissen mittlerweile, daß wir im Falle einer erneuten spanischen Grippe (1918/19) nicht viel besser dastehen würden, als die Menschen früher.

Und was sind die Gründe für die fehlenden Epidemien (in der westlichen Welt) in den letzten 90 Jahren ? Bessere Medikamente ? Bessere Medizin ?
Tino, Du wirst leider nicht umhin können zuzugeben, daß zumindest bei einem großen Teil epidemischer Krankheiten nicht die Ärzte die Schlachten gewonnen haben, sondern die Ingenieure. Kanalisation und der Zugang zu sauberem Trinkwasser haben eine ganze Reihe vormals epidemischer Krankheiten zum Verschwinden gebracht (Cholera, Typhus). Andere vormals epidemische Krankheiten verschwanden durch bessere Lebensbedingungen oder Lebensmittelhygiene (Tuberkulose).

Man schätzt, daß an der spanischen Grippe sind (1918/19) weltweit 20 Millionen Menschen gestorben sind. Ein Killer-Virus, ohne Frage, das nach zweimaliger Umrundung der Erde wieder verschwand, keiner weiß warum.
Was man aber zumindest für das Europa dieser Zeit sagen kann: Die Menschen waren grottenschlecht einseitig ernährt, und das über Jahre.
Ich habe einmal ein wissenschaftliches Buch der "Sammlung Gösschen" mit dem Titel "Nahrungsmittel und Ernährung" aus dem Jahr 1927 gelesen. Der Autor beschreibt sachlich, aber erschreckend, wie durch die politischen Bedingungen des 1. Weltkriegs erst die Landwirtschaft, dann die Ernährung und schließlich die Gesundheit einer ganzen Nation komplett zusammenbricht.
Man kann davon ausgehen, daß z.B. Deutschland, sicher aber auch andere Länder Europas in den Jahren 1918/19 am Scheitelpunkt eines Gesundheitszustandes von Fehl- und Mangelernährung waren und das bereits seit Jahren.
Ich bin fest davon überzeugt, daß man zumindest das Ausmaß der Toten der spanischen Grippe in diesem Zusammenhang sehen muß: Der einer völlig geschwächten Population. (Geschehen Epidemien nicht oft nach Kriegen - oder bilde ich mir das ein ?)

Um auf die Vogelgrippe zurück zu kommen:
Als Arzt weißt Du, wie unsicher Erfolg oder Mißerfolg der Therapie von Viruserkrankungen mit Neuraminidase-Hemmern ist; außerdem gibt es Zweifel inwieweit bei sich schnell verändernden Viren wie dem Grippe-Virus durch solche Behandlungen nicht erst resistente Stämme "gezüchtet" werden.

Tino schrieb:
Und das hast du gewußt? Mensch, du hättest die Entscheidung treffen sollen, die Verantwortung tragen sollen. Stell dir nur ganz kurz vor, du mußt diese Entscheidung treffen.

Och, ich hätte einfach halb Deutschland unter Quarantäne gesetzt.


Tino schrieb:
Das ist doch jetzt ein Scherz, oder? Bitte recherchier mal ordentlich. Zum einen, ja es ist erschreckend, daß die Medikamente unsere Gewässer belasten. Daß ist aber ein alter Hut, es ist gefährlich und wir müssen überlegen, was wir tun. Übrigens, vor allem Rückstände der Antibabypille werden häufig in den Gewässern gefunden … und nun? Willst du die Antibabypille verbieten? Wäre mal was für eine Meinungsumfrage hier im Forum ;-).

Diesmal ist das leider kein Scherz, und ich habe ordentlich recherchiert.
Es sei denn, das Landesumweltamt des Landes NRW wird von Dir nicht als seriöse Quelle angesehen. Arzneimittelrückstände im Abwasser: Was gelangt in die Gewässer?
Aber Du brauchst nicht den ganzen Link (den ich auch schon in meinem letzten Beitrag verlinkt hatte) lesen, denn ich habe eine Grafik extrahiert:

carba1.jpg


Eindeutiger geht's wohl nicht mehr, oder ?

Tino schrieb:
Zum anderen, Carbamazepin wird sowohl bei Epileptikern wie auch bei bipolaren Störungen eingesetzt (nicht hauptsächlich hier und ein bißchen dort). Viele Medikamente haben mehrere Indikationsgebiete. Tu also bitte nicht so, als ob ein sehr wirkungsvolles Medikament bei der falschen Patientengruppe angewendet wird.

Du sprichst hier ein sehr ernstes Problem an. Das hat aber mit einem Beweis für deine Grundthese nichts zu tun.

Ich wollte damit nicht aussagen, daß man Carbamazepin bei einer falschen Patientengruppe einsetzt.
(Manchmal habe ich den Eindruck, Du willst mir hier partout Aussagen in den Mund legen, die ich gar nicht gemacht habe).
Vielmehr wollte ich damit illustrieren, welches Ausmaß der Medikamentation hier bereits errecht wurde, wenn Carbamazepin in den Gewässern schon die Hitliste anführt.
Ehrlicherweise muß ich hier jedoch hinzufügen, daß dies auch daran liegt, daß Carbamazepin biologisch schlecht abbaubar ist und auch vom Körper wohl nicht wirklich verstoffwechselt wird (?).
Das Argument mit der Antibabypille ist gut, aber die ist schon seit Jahren rückläufig.

Tino schrieb:
Die Pharmafirmen bestimmen durch ihre Kompagien auch medizinische Moden mit (die beste Kampagie ist übrigens die der Naturheilprodukte).

Sag' bloß nichts gegen Naturheilprodukte, dafür mache ich nämlich Werbung.:twisted:
Da gibt es übrigens einen großen Bruch durch die Generationen: Bei den Jungen ist das der Trend, aber bei der älteren Generation (im wesentlichen meine Zielgruppe) gilt das als unwirksamer Kokolores.

Tino schrieb:
Allerdings läuft diese Grenze sehr unscharf ab, manchmal kommen sogar ziemlich gute Sachen aus der Pharmaindustrie.

Sag' ich ja gar nicht. Mein Kunde hat z.B. (auf der Basis von Naturstoffen
:-%: ) eine Creme gegen Neurodermitis entwickelt, die ziemlich gut sein muß. Jedenfalls verkauft sie sich gut. Neulich habe ich mich selbst wegen irgendeiner Hautirritation damit eingeschmiert (sieh mal, ich mache so gute Werbung, daß ich an meine eigene Kampagnen glaube !). Die roch zwar ein wenig merkwürdig - hat aber gut geholfen.
Als Produkt hat es alle Eigenschaften, ein zukunftsträchtiges Produkt zu werden: Neurodermitis steigt an und die Käufer sind alles junge Mütter, die ihre Kinder möglichst nicht mit Kortison behandeln wollen. Und dann da noch die bunten Blumen darauf...
Andererseits, wenn es funktioniert, ist das ja auch okay.

Tino schrieb:
Also um mal beim Thema zu bleiben. Ich habe immer noch nicht begriffen, wie genau die Pharmafirmen auf die Ärzte, Juristen, Politiker und Medien Einfluß nehmen, um mehr Zwangseinweisungen zu erreichen, womit sie mehr Kunden für ihre Medikamente haben.

Gruß Tino

Das habe ich so in der Form auch nie behauptet. Aber dazu später wieder mehr.
Bis bald

Giacomo
 

Tino

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Hallo Giacomo,

Richtig. Und da ich von Verschwörungstheorien im Allgemeinen wenig halte, habe ich den Begriff ja auch in "" gesetzt.

OK, ist angekommen ;-)

Nein, aber sie erklären große Teile der Bevölkerung für "krank".
Und mit dieser Argumentationskette werden in den USA ca. 15-20% aller Schulkinder mit Ritalin behandelt.

Die Frage bleibt, wie und woran definieren wir „normel“. Und als nächstes müßten wir die Frage erörtern, was wir tun, wenn Menschen nicht mehr „normal“ sind.

Pharmafirmen wollen wie jede andere Firma den Markt für ihre Produkte erweitern. Neben der Möglichkeit für bestehende Erkrankungen bessere Medikamente zu entwickeln, haben sie noch zwei –sagen wir mal fragwürdige- Optionen:
erstens, sie entwickeln Scheininovationen (Medikamente, die nicht besser sind als die alten, aber denen eine bessere Wirksamkeit nachgesagt wird); oder, zweites, sie versuchen Einfluß auf die Definition der „Normalität“ zu gewinnen.

Die Frage nach psychischen Erkrankungen ist eine ziemlich schwierige Diskussion, weil hier (anders als in der Chirurgie oder inneren Medizin) keine „objektiven“ Meßwerte (Röntgenbilder, Blutentnahmen, etc.) herangezogen werden können. Ich habe objektiv deshalb in Klammern gesetzt, weil diese natürlich nicht einen absoluten Wahrheitscharater haben, sondern ebenfalls sehr individuell interpretiert werden müssen.

Ein großes Problem ist, daß psychische Erkrankungen auch heute noch als „Schwäche“ und nicht als „Krankheit“ interpretiert werden. Es ist mir ein großes Rätsel, warum auf der einen Seite der Herzinfarkt nicht als „Schwäche“ interpretiert wird (die meisten Patienten haben in ihrem Leben viel dafür getan einen zu bekommen (Ernährung, Bewegung, Rauchen, etc.)), aber psychische Erkrankungen gerne verneint oder ignoriert werden.
Natürlich ist die Akzeptanz mittlerweile gestiegen und die Behandlungsmöglichkeiten haben sich verbessert. Allerdings nehmen vor allem die Angststörungen und Depressionen deutlich zu (die aber beides nichts mit den Zwangseinweisungen zu tun haben).

Die Frage ob nun 15-20% der Kinder tatsächlich eine behandlungswürdige Störung haben ist interessant. Auch die Frage, woher diese Zunahme der Störungen kommt. Kommt die Zunahme psychischer Störungen durch eine höhere Sensibilität, durch unsere zunehmende Belastung (gesellschaftlich, beruflich und privat) oder durch veränderte Definitionen? Wahrscheinlich aus einem Mix aller drei Punkte. Und egal nun woher die Störung kommt, was machen wir nun damit? Gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwänge kann der Arzt, bzw. die Ärzteschaft nicht ändern, das ist eine politische Fragestellung; womit ich die Verantwortung, wann und was der Arzt verschreibt nicht vom Arzt wegdefinieren möchte. Immerhin gibt es auch unter Ärzten eine nicht kleine Gruppe, die sich gegen den massenhaften Einsatz von Medikamenten bei „wäßrigen“ Diagnosen ausspricht.

…, solange man nicht auf die Idee kommt, an sich "normale" Erscheinungen als Krankheit zu definieren. Und die - sicherlich vorauszusehenden - negativen Effekte z.B. von Schichtarbeit dann als neu entdeckte "Krankheit" zu bezeichnen ... nun, das finde ich dann schon ein starkes Stück.

Und wieder die Frage: „was ist Normal?“ Und Schichtarbeit ist mit Sicherheit keine neue „Erkrankung“. Doch wenn die Menschen damit Probleme haben, kann man sich fragen, was man den Menschen anbieten, um diese Probleme zu „lösen“, bzw. abzumildern. Das ist aber wieder keine medizinische Fragestellung. Wie willst du z.B. Schichtarbeit im Krankenhaus oder in einem Atomkraftwerk abschaffen?

Im Rahmen aber einer Gesellschaft, in der ein jeder mehr oder weniger "krank" ist, sind die Eingesperrten eben nur die extreme Ausprägung.

Man geht davon aus, daß jeder dritte Mensch in Laufe seine Lebens eine psychische Erkrankung durchmacht. Medikamente können lindern und können Mißbraucht werden. Mit Psychiopharmaka kann ich alten Menschen ihre Depression (oft, weil sie aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängt werden) abmildern, aber ich kann sie natürlich auch „ruhig stellen“, damit sie mir nicht auf den Kecks gehen. Der Mißbrauch ist hier also nicht die Frage des „ob“, sondern des „wie“ der Behandlung.

In den USA waren sie aber immerhin stark genug, um ein offizielles Regierungsprogramm in Gang zu setzen, nach welchem alle Schüler und Mitarbeiter öffentlicher Schulen sich einem, von der Universität Texas erstelltem Screening auf psychische Krankheit unterziehen sollte, immerhin 52 Millionen Schulkinder und 6 Millionen Erwachsene.

Alleine haben sie das nicht in Gang gesetzt, aber sie waren daran beteiligt. Um die Frage wirklich zu klären, müßten wir uns jetzt überlegen, ob im Falle einer behandlungswürdigen Diagnose Zyprexa das beste Mittel ist. Oft gehen nämlich klinisch Studien auch einen anderen Weg. Ärzte, die sich mit einer Erkrankung beschäftigen und meinen, daß die momentane Datenlage dafür spricht daß Medikament xyz besonders gut gegen die untersuchte Erkrankung hilft, sprechen dann die Firma, die xyz produziert direkt an und fragen, ob die Firma sich an der weiteren Forschung beteiligt.

Ich will nicht sagen, daß es in diesem Fall so war, ich will nur aufzeigen, daß eine Beteiligung einer Firma an Forschungen nicht unbedingt heißen muß, daß diese von Anfang an manipuliert sind.

… Dies alles gilt nicht für Schüler privater Schulen und folgerichtig wurde argumentiert, wenn solche Maßnahmen den Eltern nicht zusagen würden, bitte, sie hätten ja die Freiheit, ihre Kinder in private Schulen zu schicken.

Das wiederum hat finde ich nun echt lustig. Ich arbeite an eine Uniklinik (innere Medizin) und wir machen natürlich auch Medikamentenstudien. Dort werden auch Privatpatienten gefragt, ob sie an einer Studie teilnehmen wollen, diese sind allerdings deutlich seltener bereit dazu, als Kassenpatienten.
Und die Kinder reicher Menschen können doch einfach nicht „gestört“ sein, oder? Ich meine die Creme unserer Gesellschaft soll tatsächlich psychisch Kranke Kinder haben? Unvorstellbar. In Amerika ist diese Ausgrenzung vor allem eine juristische und snobistische Ausgrenzung. Mal abgesehen davon, daß die Amis zur Zeit dazu neigen ihre Bürgerrechte einzeln zu verkaufen.


Manchmal ruft mich die Redaktion eines der bunten Friseurheftl ("Die goldene Frau", "Frau von Gestern", "Freizeit-Heftl" und wie 70 weitere Massenauflagen-Hefte auch immer heißen mögen) an: die Gestaltung unserer Anzeigen liegt zu nah an den redaktionellen Inhalten; das gefällt den Redaktionen nicht.

Ganz ehrlich? Was soll man von solchen Blättern erwarten? Die stechen nun mal nicht durch kritische Recherchen hervor, sondern vor allem durch die Propagandierung einer angeblich „heilen Welt“, oder der Welterkenntnis daß auch Stars Menschen sind, oder die Schüren Vorurteile.

Oft genug sind diese "redaktionellen" Inhalte kaum verhohlene Werbung für ein Industrieprodukt und haarscharf an der rechtlich einzuhaltenen Grenze - wenn nicht darüber. Die Pharmakonzerne haben große Etats für Öffentlichkeitsarbeit - wahrscheinlich die größten überhaupt - und sie nutzen sie zur Manipulation der öffentlichen Meinung.

Ich würde zwar nicht von Manipulation reden, aber ansonsten hast du recht. Vor allem werden Nebenwirkungen entweder heruntergespielt, bzw. Wirkungen unverhältnismäßig positiv beschrieben (häufige Patientenanfrage: „es gibt doch da diese neue Medikament, daß ganz toll helfen soll und ganz toll vertragen wird, welches die Kassen aber nicht bezahlen), oder es werden Nebenwirkungen überbewertet (andere beliebte Patientenfrage: ich habe gelesen, daß Medikament daß ich nehme hat ganz schlimme Nebenwirkungen und heute fühle ich mich irgendwie gar nicht so gut, kann ich nicht ein besseres haben?)

Glaub mir, diese Pressetexte gehen mir echt auf den Sack ;-); obwohl ich sonst einen aufgeklärten Patienten bevorzuge, weil ich daß Gespräch für sehr viel interessanter halte, als mit unaufgeklärten Patienten.

Und was sind die Gründe für die fehlenden Epidemien (in der westlichen Welt) in den letzten 90 Jahren ? Bessere Medikamente ? Bessere Medizin ?

Vielfältig. Der wichtigste Punkt ist die von dir beschriebene bessere Hygiene (Kanalisation, sauberes Trinkwasser, bessere Ernährung).

Tino, Du wirst leider nicht umhin können zuzugeben, daß zumindest bei einem großen Teil epidemischer Krankheiten nicht die Ärzte die Schlachten gewonnen haben, sondern die Ingenieure.

Allerdings haben die Ärzte des 19 Jhd. den Ingenieuren gesagt, warum sie was bauen sollen; einigen wir uns auf ein synergistischen Effekt ;-)

Kanalisation und der Zugang zu sauberem Trinkwasser haben eine ganze Reihe vormals epidemischer Krankheiten zum Verschwinden gebracht (Cholera, Typhus). Andere vormals epidemische Krankheiten verschwanden durch bessere Lebensbedingungen oder Lebensmittelhygiene (Tuberkulose).
Stimmt.


Man schätzt, daß an der spanischen Grippe sind (1918/19) weltweit 20 Millionen Menschen gestorben sind. Ein Killer-Virus, ohne Frage, das nach zweimaliger Umrundung der Erde wieder verschwand, keiner weiß warum.

Richtig, und wir wissen auch nicht wann so etwas wieder passiert. Wir wissen nur das es passieren wird, bzw. das es ständig passiert.

Was man aber zumindest für das Europa dieser Zeit sagen kann: Die Menschen waren grottenschlecht einseitig ernährt, und das über Jahre.

Das Virus trat aber weltweit auf, nicht nur in Europa, und schlug in gut ernährten Gesellschaftskreisen genau so rücksichtslos zu, iwe in schlecht ernährten. Keine Frage, schlecht ernährte Menschen fallen solchen Erregern schneller zum Opfer. Wir können heute z.B. die gefürchtete Komplikation der bakteriellen Superinfektion mit Antibiotika behandeln, wodurch bei einer neuen spanischen grippeweniger Menschen sterben müßten. Daß Problem ist, das wir es einfach nicht wissen; auch die, die behaupten heute würde dieses Grippevirus gar nicht so schlimm zuschlagen wissen es nicht.

Wir können uns auf das Schlimmste vorbereiten und froh sein wenn es nicht eintritt, oder wir können einfach das beste hoffen und nichts tun. Das sind die beiden Pole. Ich persönlich neige zu ersterem, was aber vielleicht mein Beruf mit sich bringt ;-).


Ich habe einmal ein wissenschaftliches Buch der "Sammlung Gösschen" mit dem Titel "Nahrungsmittel und Ernährung" aus dem Jahr 1927 gelesen. Der Autor beschreibt sachlich, aber erschreckend, wie durch die politischen Bedingungen des 1. Weltkriegs erst die Landwirtschaft, dann die Ernährung und schließlich die Gesundheit einer ganzen Nation komplett zusammenbricht.
Man kann davon ausgehen, daß z.B. Deutschland, sicher aber auch andere Länder Europas in den Jahren 1918/19 am Scheitelpunkt eines Gesundheitszustandes von Fehl- und Mangelernährung waren und das bereits seit Jahren.

Wie war den die Ernährung in Amerika? In den Militärlagern, wo die Erkrankung nach Spanien als nächstes ausbrach? Die hatten eine ausgezeichnete Ernährung und Hygiene. Die Ernährungstheorie als einen Hauptgrund für die vielen Toten anzumerken ist leider falsch. zumindest was die bisherigen Daten zulassen war es zwar eine Komponente, aber eine ziemlich kleine.

Ich bin fest davon überzeugt, daß man zumindest das Ausmaß der Toten der spanischen Grippe in diesem Zusammenhang sehen muß: Der einer völlig geschwächten Population. (Geschehen Epidemien nicht oft nach Kriegen - oder bilde ich mir das ein ?)

Ich empfehle dir mal das Buch Influenza von G. Kolata. Sie beschreibt die Auswirkung und den Verlauf der Seuche ziemlich ausführlich.

Und was Epidemien nach Kriegen betrifft, die sind häufig ein Ergebnis der schlechten Hygiene (das hatten wir aber schon).

Als Arzt weißt Du, wie unsicher Erfolg oder Mißerfolg der Therapie von Viruserkrankungen mit Neuraminidase-Hemmern ist; außerdem gibt es Zweifel inwieweit bei sich schnell verändernden Viren wie dem Grippe-Virus durch solche Behandlungen nicht erst resistente Stämme "gezüchtet" werden.

Natürlich weiß ich daß. Und die vorsorgliche Einnahme von Tamiflu wurde von niemandem, auch nicht der Firma, empfohlen. In diesem Fall haben die Menschen sich das Zeug selber organisiert und ohne Rücksprache mit Ärzten eingenommen. Die Firma hat damit ein ziemlich guten Gewinn gemacht, keine Frage. Allerdings war es eben auch das einzige Medikament, das wenn auch 100% Schutz, so doch eine verbesserten Schutz vor Ansteckung bietet.

Und das hast du gewußt? Mensch, du hättest die Entscheidung treffen sollen, die Verantwortung tragen sollen. Stell dir nur ganz kurz vor, du mußt diese Entscheidung treffen.
Och, ich hätte einfach halb Deutschland unter Quarantäne gesetzt.

Nein, ehrlich, was würdest du machen, wenn du die Verantwortung hast und die Entscheidung treffen mußt.

Diesmal ist das leider kein Scherz, und ich habe ordentlich recherchiert.

Ich habe nicht die Existenz von Arzneimitteln im Abwasser gemeint, als viel mehr das dieses durchaus ernste Thema nicht mit unserer Grunddiskussion zu tun hat. Wir diskutieren irgendwie über alles möglich von Zwangseinweisungen über Ritalin bis Vogelgrippe. Trotzdem danke für den Link.

Ich wollte damit nicht aussagen, daß man Carbamazepin bei einer falschen Patientengruppe einsetzt.

So hatte ich dich allerdings verstanden, wenn du es anderes gemeint hast, entschuldige ich mich für die Unterstellung.

Vielmehr wollte ich damit illustrieren, welches Ausmaß der Medikamentation hier bereits errecht wurde, wenn Carbamazepin in den Gewässern schon die Hitliste anführt.
Ehrlicherweise muß ich hier jedoch hinzufügen, daß dies auch daran liegt, daß Carbamazepin biologisch schlecht abbaubar ist und auch vom Körper wohl nicht wirklich verstoffwechselt wird (?).

Ic habe mal nachgeschaut, aber in meinem Pharmabuch stand nichts zur Pharmakokinetik von Carbamazepin, außer, daß es über die Leber ausgeschieden wird.

Sag' bloß nichts gegen Naturheilprodukte, dafür mache ich nämlich Werbung.
Da gibt es übrigens einen großen Bruch durch die Generationen: Bei den Jungen ist das der Trend, aber bei der älteren Generation (im wesentlichen meine Zielgruppe) gilt das als unwirksamer Kokolores.

Erstaunlich. Wenn du dir mal die Methoden der Naturheilmittelvertreter anschaust, dann wirst du dort all daß entdecken, was man den Pharmafirmen vorwirft. Naturheilmittelhersteller und –anbieter müssen keinerlei Wirknachweis bringen, dürfen fast alles behaupten was sie wollen, brauchen kein Studium oder eine andere qualifizierte Ausbildung (ein ziemlich einfacher Test genügt), übernehmen juristisch keine Verantwortung (was sie den Patienten aber nicht sagen) für die Behandlung.
Entweder sind die Naturheilverfahren richtige Medizin, dann sollten auch die gleichen Bedingungen heerschen (Wirknachweis z.B.), oder viel schöner, wir lassen die Pharmafirmen nach den gleichen Vorzügen ihre Medikamente auf den Markt bringen; das würde ne hübsche Schreierei ergeben ;-).

Andererseits, wenn es funktioniert, ist das ja auch okay.

Das Problem, wenn es bei dir gewirkt hat, wirkt es auch bei anderen? Was kann man aus einem Einzelfall für die Gruppe der Erkrankten sagen? Tut mir Leid, Einzelfälle sind zwar wichtig, aber weder eine Stütze für, noch gegen eine Therapie.

Gruß Tino
 

Giacomo_S

Ehrenmitglied
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Tino schrieb:
Die Frage ob nun 15-20% der Kinder tatsächlich eine behandlungswürdige Störung haben ist interessant. Auch die Frage, woher diese Zunahme der Störungen kommt. Kommt die Zunahme psychischer Störungen durch eine höhere Sensibilität, durch unsere zunehmende Belastung (gesellschaftlich, beruflich und privat) oder durch veränderte Definitionen? Wahrscheinlich aus einem Mix aller drei Punkte. Und egal nun woher die Störung kommt, was machen wir nun damit? Gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwänge kann der Arzt, bzw. die Ärzteschaft nicht ändern, das ist eine politische Fragestellung; womit ich die Verantwortung, wann und was der Arzt verschreibt nicht vom Arzt wegdefinieren möchte. Immerhin gibt es auch unter Ärzten eine nicht kleine Gruppe, die sich gegen den massenhaften Einsatz von Medikamenten bei „wäßrigen“ Diagnosen ausspricht.

Eben darauf wollte ich die ganze Zeit hinaus: In dem Moment, wo man 15-20% der Bevölkerung als "psychisch krank" definiert, ist es kein medizinisches Problem mehr, sondern eine politische Fragestellung.
Mir persönlich graut es davor, denn wenn man den Begriff der "Psychischen Krankheit" in einem so hohen Maße aufweicht, dann ist die Hemmschwelle gering, für jedes nicht konformes Verhalten eine psychische Krankheit zu konstatieren.
In meinen Augen ist das der Beginn einer massiven Einschränkung bürgerlicher Freiheiten.

Tino schrieb:
Und wieder die Frage: „was ist Normal?“ Und Schichtarbeit ist mit Sicherheit keine neue „Erkrankung“. Doch wenn die Menschen damit Probleme haben, kann man sich fragen, was man den Menschen anbieten, um diese Probleme zu „lösen“, bzw. abzumildern. Das ist aber wieder keine medizinische Fragestellung. Wie willst du z.B. Schichtarbeit im Krankenhaus oder in einem Atomkraftwerk abschaffen?

Das kann natürlich niemand und genauso wenig wird ein vernünftiger Mensch bezweifeln, daß es Bereiche gibt, in denen Schichtarbeit nicht vermieden werden kann.
Allerdings gewinnt eben auch "normale" Arbeit ein enormes Potential zur Schichtarbeit. In Zeiten, in denen z.B. die Laufzeiten von Maschinen immer kürzer werden, wird auch die Schichtarbeit immer mehr zu einer angestrebten maximalen Ausnutzung der Technologie. Und wie immer wird man Gründe dafür finden, warum sie unumgänglich ist: Internationale Konkurrenz, Technische Innovationen usw.

Tino schrieb:
Erstaunlich. Wenn du dir mal die Methoden der Naturheilmittelvertreter anschaust, dann wirst du dort all daß entdecken, was man den Pharmafirmen vorwirft. Naturheilmittelhersteller und –anbieter müssen keinerlei Wirknachweis bringen, dürfen fast alles behaupten was sie wollen, brauchen kein Studium oder eine andere qualifizierte Ausbildung (ein ziemlich einfacher Test genügt), übernehmen juristisch keine Verantwortung (was sie den Patienten aber nicht sagen) für die Behandlung.
Entweder sind die Naturheilverfahren richtige Medizin, dann sollten auch die gleichen Bedingungen heerschen (Wirknachweis z.B.), oder viel schöner, wir lassen die Pharmafirmen nach den gleichen Vorzügen ihre Medikamente auf den Markt bringen; das würde ne hübsche Schreierei ergeben ;-).

Nun, das stimmt auch nicht ganz, was Du da sagst.
Seriöse Hersteller machen durchaus Studien zur Wirksamkeit ihrer Produkte. Ich weiß jetzt nicht so genau, wie die Rechtslage ist, wir aber haben aus rechtlichen Gründen bereits oft die Texte ändern müssen (wegen Abmahnung). Im Zweifelsfall bemüht sich auch der Konkurrent, darauf zu schauen, was man sgen darf und was nicht. Der Hersteller, für den ich arbeite, ist Deutschlands größter und hat dann auch einen Ruf zu verlieren. Immerhin steht deren Zugpferd - ein Klassiker aus dem 19.Jh. in blau-weißer Schachtel und mit respektablen 80% Alkohol (mehr sag ich jetzt hier dazu nicht) - geschätzterweise im Arzneischrank jeden 3. deutschen Haushalts.

Tino schrieb:
Das Problem, wenn es bei dir gewirkt hat, wirkt es auch bei anderen? Was kann man aus einem Einzelfall für die Gruppe der Erkrankten sagen? Tut mir Leid, Einzelfälle sind zwar wichtig, aber weder eine Stütze für, noch gegen eine Therapie.

Meine Kollegin (eine promovierte Molekularbiologin) ist der Meinung, die Naturmedikamente des genannten Herstellers seien "Soft-Wirkstoffe" - aber eben auch keine Placebos. Im Wesentlichen sind es auch Medikamente gegen kleine Malaisen: Neurodermitis, Verstopfung, aber auch gegen leichte Depressionen. Warum hier gleich aus vollen Rohren schießen - wenn der Betroffene keine Besserung feststellt, kann er immer noch härterem greifen.
Alle diese Naturwirkstoffe wurden durch Studien getestet, allein schon aus Eigeninteresse. Denn unwirksame Produkte mögen Anfangserfolge haben, setzen sich aber auf Dauer am Markt nicht durch. Ab einer gewissen Größenordnung ist eine Produkteinführung aber immer ein Risiko. Erreicht ein Produkt trotz massiver Werbung nicht den Break-Even, waren alle Investitionen umsonst.
 

agentP

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Eben darauf wollte ich die ganze Zeit hinaus: In dem Moment, wo man 15-20% der Bevölkerung als "psychisch krank" definiert, ist es kein medizinisches Problem mehr, sondern eine politische Fragestellung.
Ich würde sagen in erster Linie ist es eine gesellschaftliche Fragestellung. Das schliesst die Politik mit ein, aber reduziert sie nicht auf sie.
 

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