Widerspricht das Grundgesetz sich selbst?

Hawkeye

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Hallo zusammen,

ich habe gestern - im Zusammenhang mit einem anderen Thema - mal wieder ein wenig im Grundgesetz gelesen. Und dabei ist mir etwas aufgefallen, das mir ein wenig wie ein Widerspruch klingt. Konkret meine ich die Artikel 3 (klick) und 6 Absatz 4 (klick) des Grundgesetzes.

Artikel 3 Absatz 1 besagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Absatz 2 besagt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind.

Artikel 6 Absatz 4 besagt nun aber das jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gesellschaft hat. Männer werden hier explizit nicht erwähnt.

Steht das nicht im Widerspruch zueinander? Was ist mit Vätern? Gilt für die dieser Schutz nicht? Ist es nicht nötig zu erwähnen, das für sie auch dieser Schutz und die Fürsorge gilt?

Oder ist es unerheblich ob Mutter oder Vater und man hat einfach nur den Absatz (noch) nicht entfernt? Können Väter sich im Bedarfsfall darauf berufen? Oder eben nicht, weil von ihnen dort nicht die Rede ist?

Würde mich schon mal interessieren, wie Ihr das so seht.
 

haruc

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Hallo Schwarwel,

nein, imho ist das kein Widerspruch. Frauen können schwanger werden, Männer nicht. Mütter sind in der Regel die primäre Bezugsperson der Kinder. Schwangerschaft und Kindererziehung stellen hohe psychische und körperliche Anforderungen, denen Väter einfach nicht ausgesetzt sind (zb. die Schwangerschaft an sich, postnatale Depression usw).

Zudem muss man das ganze in seinem historischen Kontext sehen. Die von Dir genannten Artikel stehen genau so bereits in der Urfassung des GG von 1949. Damals waren die Verbrechen des Nationalsozialismus, auch und gerade gegen Familien und Mütter, gerade einmal vier Jahre vorüber, also quasi noch ganz frisch. Zudem gab es damals ziemlich viele Kriegerwitwen und Frauen, deren Männer noch in Kriegsgefangenschaft waren oder aufgrund einer Kriegsverletzung nicht für den Familienunterhalt sorgen konnten. Vor diesem Hintergrund ist die verfassungsmäßige Verankerung des Mutterschutzes keineswegs eine rechtliche Bevorzugung von Frauen, sondern dient vielmehr der Herstellung von Gleichheit.
 
G

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Im Gegenteil.
Der ganze Mutterkult kommt direkt aus dem Dritten Reich, und wurde wie vieles andere, nahtlos übernommen (und wirkt heute noch deutlich nach).

Mutterkreuz, Einführung des Muttertages, 1934 als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ mit der Einführung des Reichsmütterdienstes. Die Mutter als „Quelle der Nation“, „Hüterin der Kraft und der ewigen Größe der Nation“ usw.

Nebenbei erscheinen auch andere Gesetze die im Dritten Reich eingeführt wurden erstaunlich aktuell:

Wohlfahrtsstaatliche Stabilisierung kinderreicher Familien
Steuern für Kinderlose wurden erhöht
Staatliche Kinderbeihilfe
Die Kampagne "Frauenleben und -wirken in Familie und Beruf"
 

haruc

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Shechinah schrieb:
Im Gegenteil.
Der ganze Mutterkult kommt direkt aus dem Dritten Reich, und wurde wie vieles andere, nahtlos übernommen (und wirkt heute noch deutlich nach).

Der Mutterschutz hat mit dem Mutterkult nicht viel zu tun.

Erste Ansätze zum Mutterschutz gab es bereits 1878, in Form eines Beschäftigungsverbotes für Frauen nach der Entbindung.
Die Entwicklung des Mutterschutzes als Bestandteil der Sozialgesetzgebung verlief in etwa parallel zur Weiterentwicklung der sonstigen Sozialgesetzgebung. So wurde zb 1927 das Mutterschutzgesetz (16.07.1927, Reichsgesetzblatt S. 184) eingebracht, das wesentliche Verbesserungen beim Mutterschutz brachte, allerdings immer noch defizitär war. Die letzte Novelle vor 1952 (dem Vorläufer des aktuellen MuschG) wurde 1942 (17.05.1942, Reichsgesetzblatt S. 321) erlassen, wodurch einige der Mängel des MuSchG von 1927 weitgehend behoben wurden. Allerdings wurde das Gesetz aufgrund der Kriegslage recht oft missachtet.

Dass das aktuelle Mutterschutzgesetz (2002) sich durchaus ähnlich wie das Mutterschutzgesetz von 1942 liest, liegt daran, dass wir in der BRD Rechtskontinuität haben, d.h. das Jahr 1945 markiert mitnichten eine Zäsur. Hätte es 1942 keine Erneuerung des Mutterschutzgesetzes gegeben, dann hätten wir nach 1945 eben die Fassung von 1927 weiter benutzt. Mit dem Mutterkult des 3. Reiches hat das nichts zu tun.

Btw: Zum Mutterkult gehörten auch solche Dinge wie das Beschäftigungsverbot für verheiratete Frauen (Frauen sollten im N.S. nur Ehefrau und Mutter sein, sonst nichts). Es wäre mir neu, dass solche Bestimmungen nach 1949 noch gegolten hätten. Ebenso neu wäre es mir, dass die Praxis, das Mutterkreuz zu verleihen nach 1945 noch praktiziert worden wäre. So viel zur "nahtlosen Übernahme" des Mutterkultes ;)
 

Hawkeye

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haruc schrieb:
Hallo Schwarwel,

nein, imho ist das kein Widerspruch. Frauen können schwanger werden, Männer nicht. Mütter sind in der Regel die primäre Bezugsperson der Kinder. Schwangerschaft und Kindererziehung stellen hohe psychische und körperliche Anforderungen, denen Väter einfach nicht ausgesetzt sind (zb. die Schwangerschaft an sich, postnatale Depression usw).

Zudem muss man das ganze in seinem historischen Kontext sehen. Die von Dir genannten Artikel stehen genau so bereits in der Urfassung des GG von 1949. Damals waren die Verbrechen des Nationalsozialismus, auch und gerade gegen Familien und Mütter, gerade einmal vier Jahre vorüber, also quasi noch ganz frisch. Zudem gab es damals ziemlich viele Kriegerwitwen und Frauen, deren Männer noch in Kriegsgefangenschaft waren oder aufgrund einer Kriegsverletzung nicht für den Familienunterhalt sorgen konnten. Vor diesem Hintergrund ist die verfassungsmäßige Verankerung des Mutterschutzes keineswegs eine rechtliche Bevorzugung von Frauen, sondern dient vielmehr der Herstellung von Gleichheit.

Hm, schön und gut. Aber dennoch ist es ja nicht zu leugnen, dass es mittlerweile auch viele Familien gibt in denen die Mutter nicht existiert (hat die Familie verlassen, sitzt im Knast, ist verstorben, homosexuelles Paar, etc.). Was ist mit denen?

Und historischer Kontext schön und gut. Aber die Gegebenheiten haben sich seit damals gewandelt. Wäre es dann nicht nötig auch die Gesetze (in diesem Falle konkret Artikel 6 Absatz 4 GG) anzupassen?
 

haruc

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Schwarwel schrieb:
Hm, schön und gut. Aber dennoch ist es ja nicht zu leugnen, dass es mittlerweile auch viele Familien gibt in denen die Mutter nicht existiert (hat die Familie verlassen, sitzt im Knast, ist verstorben, homosexuelles Paar, etc.). Was ist mit denen?

Und historischer Kontext schön und gut. Aber die Gegebenheiten haben sich seit damals gewandelt. Wäre es dann nicht nötig auch die Gesetze (in diesem Falle konkret Artikel 6 Absatz 4 GG) anzupassen?

Wieso soll der Mutterschutz auf Leute ausgedehnt werden, die des Mutterschutzes gar nicht bedürfen?
 

Hawkeye

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haruc schrieb:
Schwarwel schrieb:
Hm, schön und gut. Aber dennoch ist es ja nicht zu leugnen, dass es mittlerweile auch viele Familien gibt in denen die Mutter nicht existiert (hat die Familie verlassen, sitzt im Knast, ist verstorben, homosexuelles Paar, etc.). Was ist mit denen?

Und historischer Kontext schön und gut. Aber die Gegebenheiten haben sich seit damals gewandelt. Wäre es dann nicht nötig auch die Gesetze (in diesem Falle konkret Artikel 6 Absatz 4 GG) anzupassen?

Wieso soll der Mutterschutz auf Leute ausgedehnt werden, die des Mutterschutzes gar nicht bedürfen?

Warum sollten diese Leute des Schutzes nicht bedürfen? Weil sie nicht Frau sind?
 

haruc

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Schwarwel schrieb:
Warum sollten diese Leute des Schutzes nicht bedürfen? Weil sie nicht Frau sind?

Exakt. Der Mutterschutz bezieht sich direkt auf die Schwangerschaft, die Geburt und die gesundheitlichen Risiken sowie die Beeinträchtigungen, die in dem Zusammenhang für Mutter, Kind und auch Dritte entstehen können, wenn eine hochschwangere Frau arbeiten würde.

Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum das auf Nicht-Frauen ausgeweitet werden sollte... aber vielleicht kannst Du mir ja einen nennen :)
 

Hawkeye

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haruc schrieb:
Exakt. Der Mutterschutz bezieht sich direkt auf die Schwangerschaft, die Geburt und die gesundheitlichen Risiken sowie die Beeinträchtigungen, die in dem Zusammenhang für Mutter, Kind und auch Dritte entstehen können, wenn eine hochschwangere Frau arbeiten würde.

Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum das auf Nicht-Frauen ausgeweitet werden sollte... aber vielleicht kannst Du mir ja einen nennen :)

Hm, ich verstehe deinen Gedanken. Aber das steht da nicht. Worauf du dich beziehst ist der Mutterschutz gemäß Mutterschutzgesetz. Artikel 6 Absatz 4 GG spricht aber eben ausdrücklich von jeder Mutter und eben nicht nur von jenen, die es gerade werden oder geworden sind.
 

Carsten1

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Artikel 6

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.


Das ist der vollständige Artikel 6, hier sieht man auch das Eltern ebenfalls dem schutz durch das Gesetzt anheim fallen. Die Anspruche die eine Mutter stellen darf werden in weiteren Gesetzen geregelt. Hier geht es dann Konkret um die Fürsorge die unsere Gemeinschaft anbietet. Also beispielsweise Freistellungszeiten in der Schwangerschaft etc. In diesem Artikel geht es nicht um Männer oder Frauen, sondern um das Verhältnis Staat zu Eltern.
 

Hawkeye

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Carsten1 schrieb:
Artikel 6

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.


Das ist der vollständige Artikel 6, hier sieht man auch das Eltern ebenfalls dem schutz durch das Gesetzt anheim fallen. Die Anspruche die eine Mutter stellen darf werden in weiteren Gesetzen geregelt. Hier geht es dann Konkret um die Fürsorge die unsere Gemeinschaft anbietet. Also beispielsweise Freistellungszeiten in der Schwangerschaft etc. In diesem Artikel geht es nicht um Männer oder Frauen, sondern um das Verhältnis Staat zu Eltern.

Meine Frage bezog sich aber ganz konkret auf Artikel 6 Absatz 4. Und hier ist nunmal nur von der Mutter die Rede.
 

Carsten1

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Ja und das ist doch auch richtig so, unterschiedliche bedürfnisse, Ultraschalluntersuchungen zum Beispiel müssen auch Differenziert Gesetzlich betrachtet werden. Darum ist der Anspruch auch kein eigenständiger Artikel sonder als Absatz eines Artikels im Gesamtkontext verabschiedet worden.

Ein Absatz hat eine Andere Gesetzliche bedeutung als ein Artikel.
 

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