Ask1 Redaktion
Geselle
- Registriert
- 11. März 2018
- Beiträge
- 83
Auch wenn die Suche nach irakischen Massenvernichtungswaffen längst eingestellt wurde und die angeblichen Verbindungen der irakischen Regierung zu islamistischen Terroristen schon fast wieder vergessen sind, scheint nun wenigstens die Durchführung der ersten Wahlen als nachträgliche Legitimation des jüngsten Golfkrieges zu taugen. Doch ist die Kritik vielfältig; nicht nur, was die Vorbereitung und Umsetzung der Wahl und die Organisation des Wiederaufbaus angeht, sondern auch in Bezug auf die weiteren militärischen Pläne der US-Administration. Mit einem schnellen Abzug der Truppen kann allem Anschein nach nicht gerechnet werden, obgleich die entsprechende Diskussion auch auf Seiten der Koalition durchaus kontrovers geführt wird. Die Situation der Bevölkerung hat sich unterdessen nur teilweise und in sehr bescheidenem Maße verbessert. Der täglich in Aktion tretende Terrorismus, die allgemeine Unsicherheit, eine ungenügend bekämpfte Kriminalität, aber auch Misshandlungen durch die neuen Sicherheitskräfte offenbaren sich zunehmend als Ersatz für Terror und Willkür der Saddam-Ära. Wirtschaftlich und finanziell scheint es auch auf irakischer Seite einige Gewinner zu geben, die nun etwas mehr verdienen können, allerdings leben diese, als Handlanger der Besatzungskräfte, meist in ständiger Lebensgefahr. Eine Bedrohung, die sie unter anderem mit irakischen Politikern, Sicherheitskräften, Journalisten und Frauenrechtlerinnen, letztendlich jedoch mit allen irakischen Passanten verbindet.
Irakisierung der Sicherheitslage
"Al-Qaida in Irak" nennt sich seit kurzem die Terrorgruppe um Zarqawi, die unter anderem für das Bombenattentat vom 28. Februar 2005 auf einem Marktplatz in Hilla verantwortlich zeichnet, bei dem mehr als 115 Menschen getötet wurden. Dieser Anschlag galt offenbar einer Warteschlange, die sich vor einer medizinischen Einrichtung eingefunden hatte. Rekruten für die irakischen Sicherheitskräfte warteten dort auf die Untersuchung ihrer Sehfähigkeit. Zwei Tage später folgte das nächste Attentat auf Rekruten, in dem sechs weitere Menschen ums Leben kamen. Kurz vor diesen beiden Bombenanschlägen hatte Ijad Allawi, der umstrittene Premierminister der Übergangsregierung, bekannt gegeben, dass die irakischen Sicherheitkräfte bei der Bekämpfung von Widerstandskämpfern noch immer auf die Hilfe US-amerikanischer Führung angewiesen wären. Dass die Terroristen offiziell den Abzug der Besatzer fordern, schützt sie offensichtlich nicht davor, als Grund für die andauernde Truppenstationierung zu dienen. Auch der kompromisslose Einsatz der US-Armee in Falluja wurde mit einem Verweis auf Zarqawi begründet (1). Im Gegenzug lässt sich fragen, ob der gewalttätige Widerstand in seiner Legitimation auf eine konstante Anwesenheit von US-Truppen angewiesen ist (2).
Dass es um die Sicherheit der irakischen Bevölkerung nach wie vor nicht gut bestellt ist, lässt sich nur schwer leugnen. Während die andauernden Terroranschläge regelmäßig das Leben von Zivilisten fordern und in weiten Teilen des Landes eine Atmosphäre der Gesetzlosigkeit herrscht, droht dem Irak die Gefahr, aus einer Phase der Instabilität in einen Zustand der inneren Zersplitterung zu geraten. Die Anzahl der Todesfälle innerhalb der Zivilbevölkerung ist nicht eindeutig zu benennen, allerdings können als Indikator für das Ausmaß der Gewalt die Zahlen der Opfer auf US-amerikanischer Seite herangezogen werden, denen zufolge im zweiten Halbjahr 2004 deutlich mehr Menschen als die Halbjahre zuvor ums Leben kamen (3).
Im US-finanzierten Fernsehsender Iraqija hat vor kurzem ein Sudanese gestanden, an Attentaten im Irak teilgenommen zu haben, und dafür vom syrischen Geheimdienst zusammen mit anderen Sudanesen und Ägyptern trainiert worden zu sein. Syrien war schon mehrmals seitens der USA und der irakischen Übergangsregierung der Unterstützung von Terroristen im Irak beschuldigt worden, doch konnten auch die Angaben dieses angeblichen Ex-Teroristen nicht verifiziert werden. Die syrische Regierung dementierte alle Vorwürfe und bekräftigte, sich nicht in die internen Angelegenheiten des Irak einzumischen (4). Mehrfach bestätigt wurde zumindest, dass zahlreiche Terroristen aus dem Ausland gekommen sind, über den Iran, Syrien und nicht zuletzt auch über Saudi-Arabien.
Mitte Februar 2005 äußerte der ehemalige Außenminister Colin Powell in einem Interview mit dem britischen Daily Telegraph, dass die Sicherheitskräfte im Irak mit der Situation überfordert seien. Zusätzlich merkte er an, Präsident Bush bereits im August 2002 auf die Probleme im Nachkriegsirak hingewiesen zu haben, die größeren Einsatz als die Machtübernahme erfordern würden. Allerdings geht es in diesem Zusammenhang in erster Linie um die Truppenstärke und weniger um eine Diskussion der Prioritätensetzung im konkreten Einsatz der verfügbaren Truppen. Die "Irakisierung der Sicherheitslage" scheint dessen ungeachtet langsam Fortschritte zu machen, während die Attentate auf irakische Sicherheitskräfte, aber auch die Misshandlungsvorwürfe gegenüber denselben zunehmen.
Was den Schutz der Bevölkerung vor rechtswidriger Behandlung durch die eigentlichen Sicherheitskräfte angeht, wurden inzwischen immerhin einzelne Täter der US-amerikanischen und britischen Truppen vor Gericht gestellt. In Anbetracht der genehmigten Verhörmethoden am Rande der Legalität (5), der Rechtfertigungsversuche einer Praxis der Folter im "Krieg gegen den Terror" durch prominente Regierungsvertreter sowie der gezielten Einrichtung von Ausnahmezonen wie Guantanamo Bay muss jedoch die Frage gestellt werden, inwiefern bei den zahlreichen Vorfällen noch von Ausnahmen gesprochen werden kann oder ob es sich nicht vielmehr um einen institutionalisierten Ausnahmezustand handelt (6).
Anthony D. Romero von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion (ACLU) äußerte sich vor einigen Monaten anlässlich der Veröffentlichung von Dokumenten, welche die US-Regierung belasteten, wie folgt (7):
„Diese Papiere erzählen eine Geschichte von Misshandlungen, die von der Regierung gefördert wurden - eine Geschichte, die die Regierung zu verbergen versuchte, und die unsere eigenen Truppen, die im Irak entführt werden, heimsuchen könnte.“
Was mit dem letzten Satzteil gemeint ist, lässt sich erahnen, wenn auf den Videomitschnitten von Hinrichtungen durch irakische Terroristen zu sehen ist, dass der Todgeweihte den orangefarbenen Anzug der Guantanamo-Häftlinge trägt.
Söldner und Milizen
Ein weiterer heikler Punkt im Irak-Konflikt ist der umfangreiche Einsatz von privaten Sicherheitskräften. Das zweitgrößte Kontingent an Truppen nach der US-Armee stellen private Unternehmen, deren Mitarbeiter offziell nicht an militärischen Einsätzen teilnehmen dürfen. Berichte, Interviews sowie Fotografien der Sicherheitskräfte im Einsatz zeichnen jedoch das Bild von Söldnern, die an Kampfhandlungen beteiligt sind und sowohl in den Heimatländern ihrer Firmen als auch in den Einsatzgebieten wie dem Irak in rechtlichen Grauzonen agieren. Hohe Bezahlungen garantieren den Nachschub.
"Der Irak bietet ein außergewöhnliches Umfeld für Geschäfte," wie Jonathan Garatt, der Direktor von "Erinys" feststellte, der mit seiner Firma die Sicherheit der Erdöl-Infrastruktur gewährleisten soll und zu diesem Zweck die Ausbildung einer Armee für das Ölministerium übernimmt. Über 15 000 Söldner aus Dutzenden von Privatunternehmen sind im Irak eingesetzt, darunter Firmen wie "Blackwater" (Eskorten und Leibwache), "Global Risk" (Leibwache), "Armor Group" (Minenräumung und Eskorten) oder "Custer Battles" (Flughafensicherheit). Die Vorteile für die US-Armee sind offensichtlich: der Soldatenmangel wird überwunden, die Gefallenenzahlen werden geschönt, Rechtslage und Verantwortlichkeit sind ungeklärt (8).
Auch die neu aufgebauten irakischen Sicherheitskräfte geraten vermehrt in die Kritik. Human Rights Watch veröffentlichte unlängst einen Bericht, der den Fortgang von Folter und Misshandlung unter den neuen Autoritäten beschreibt (9). In einer anderen Publikation machte Amnesty International bekannt, dass sich die Situation der Frauen im Irak seit dem Sturz Husseins insgesamt kaum verbessert hat. Misshandlungen, Entführungen, Vergewaltigungen und Todesfälle haben nicht erkennbar abgenommen. Politische Aktivistinnen, Vertreterinnen der Frauenrechtsbewegung und Journalistinnnen leben im Irak gefährlich (10). Unter den Tätern finden sich neben Terroristen, unpolitischen Kriminellen und religiösen Fundamentalisten auch US-amerikanische und verbündete Soldaten sowie Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte (11).
Als eine relativ unerwartete Entwicklung ist das Entstehen von irakischen Bürgerwehren zu beobachten, die sich hinter prominenten Führern wie Adnan Thavit, einem ehemaligen Geheimdienstoffizier, der sich gegen Hussein wandte, zusammen finden. Einerseits können sich diese Formationen an der Terrorismusbekämpfung beteiligen und werden dafür Berichten zufolge auch von der irakischen Administration unterstützt, andererseits agieren auch die Bürgerwehren in rechtlichen Grauzonen, sind schwer zu kontrollieren und wollen sich nicht in die staatlich organisierten Verbände einbinden lassen (12).
Eine radikale schiitische Miliz verfolgt unterdessen - weitgehend unbemerkt von den großen Medien - konsequent das Ziel, ehemalige Funktionäre des alten Regimes zu lynchen. Mitglieder der Badr-Brigaden, berichten jedoch von Einzeltätern, die auf eigene Rechnung agieren. Großayatollah Sistani hatte die Schiiten mehrfach aufgefordert, sich mit dem Gesetz und nicht mit der Waffe zu rächen, dennoch dauern die Aktionen gegen ehemalige Baath- Funktionäre an (13).
Wirtschaftliche Situation
Die Zivilbevölkerung im Irak hat es auch nach ihrer offiziellen Befreiung nicht leicht. Hohe Arbeitslosigkeit, eine stark eingeschränkte Elektrizitätsversorgung, die durch überteuerten Strom von privaten Generatorenbetreibern ergänzt werden muss, sowie Trinkwasser- und Nahrungsmittelmangel sind nur ein kleiner Ausschnitt der alltäglichen Problematik. Zumindest einige Menschen haben inzwischen wieder Arbeit gefunden, doch stehen diese Beschäftigten meist in direktem oder indirektem Verhältnis zu den US-amerikanischen Kräften, was sie wiederum zur Zielscheibe für Widerstandskämpfer macht, die sie als Handlanger der Besatzungsmacht verstehen.
"Es ist wirklich nicht mein Ziel, für die US-Armee zu arbeiten, aber was können wir tun, wenn jetzt alle Unternehmen im Irak direkt oder indirekt mit den Amerikanern arbeiten müssen?" äußerte eine beschäftigte irakische Sekretärin im Interview mit al-Jazeera (14).
Der Lohn ist zwar im Vergleich zur Situation vor Kriegsbeginn teilweise recht hoch, doch kommen viele zusätzliche Kosten hinzu, die auch den Werktätigen wenig finanziellen Freiraum lassen. Das Öl ist unverändert knapp für die Zivilbevölkerung und schwer zu erstehen. Kilometerlange Staus vor den Tankstellen gehören in Bagdad zum gewöhnlichen Straßenbild, stundenlanges Warten wird Normalität. Auch heißes Wasser ist in vielen Häusern Luxus, und schon die minimale Beheizung des Wohnraumes kann zum schwerwiegenden Problem werden. Zu den aktuellen Schwierigkeiten gesellen sich einige düstere Aussichten in Bezug auf die künftige wirtschaftliche und politische Organisation des Landes.
Das neue Patentrecht im Bereich der Landwirtschaft sieht etwa vor, dass in Zukunft gentechnisch verändertes Saatgut nicht - wie das bisher bei gewöhnlichem Saatgut üblich war - ohne Einschränkungen gezüchtet und unter den Bauern bei Bedarf weitergereicht werden kann, sondern strengen Lizenzbestimmungen unterliegt. Neben den unmittelbaren Schwierigkeiten, die sich direkt durch das Verbot einer weiteren Verwendung des Saatgutes ergeben, zeichnet sich eine weitere, langfristige Problematik ab. Denn sollte sich das eingeführte Saatgut auskreuzen, könnten sich Lizenzzahlungen und Abhängigkeiten sogar auf diejenigen Bauern ausweiten, die sich eigentlich auf das traditionelle Saatgut beschränken wollen. Kommt das genetisch veränderte Saatgut auch noch durch Hilfslieferungen in den Irak, ist die Ausbreitung kaum zu verhindern. Und wenn die patentierten Sequenzen erst einmal verbreitet sind, sind sie nicht einfach zu entfernen. Biotech-Unternehmen wie Monsanto, Syngenta, Bayer oder Dow Chemical könnten sich in dieser Weise, auf Kosten der irakischen Bauern, den irakischen Markt sichern (15).
Der Wiederaufbau von Infrastruktur und öffentlichen Institutionen wird weitgehend von US-amerikanischen und britischen Unternehmen erledigt. Eine diesbezügliche Top-Ten der Kriegsprofiteure 2004 wird angeführt von Aegis, einem britischen Konzern, der die zahlreichen privaten Sicherheitskräfte im Irak koordiniert und zu diesem Zweck einen 293 Millionen Dollar-Vertrag bekommen hat, gefolgt von BearingPoint und Bechtel, die beide der US-Regierung nahe stehen und sich um den Aufbau des privaten Sektors und die Infrastruktur kümmern. Die Firma Halliburton, die bis 2000 von Dick Cheney geleitet wurde, folgt in der Auflistung durch das "Center for Corporate Responsibility" erst an siebter Stelle. Sie geriet zumindest zeitweise in die öffentliche Kritik, als bekannt wurde, dass in einem Fall 61 Millionen Dollar zuviel für Benzin und weiterhin 6,3 Millionen Dollar für nicht gelieferte Essensrationen berechnet wurden. Die "engen Verbindungen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern", die auch "Public Integrity" beklagt, finden unterdessen selten den Weg in die Massenmedien. Und Halliburton bekam einen weiteren Vertrag über 1,2 Milliarden Dollar (16).
Schwarzes Gold
Was die künftige Organisation der irakischen Ölindustrie angeht, findet die Diskussion weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Hassan Juma'a Awad, der sowohl Präsident der Südlichen Gewerkschaft des Ölgewerbes als auch der Gewerkschaft der Ölarbeiter von Basra ist, scheint mit schweren Auseinandersetzungen zu rechnen (17):
"Wir sehen es als unsere Pflicht an, die Ressourcen des Landes zu verteidigen. Wir weisen alle Schritte zurück, unsere Ölindustrie zu privatisieren und werden uns dem entgegenstellen. Wir verstehen diese Privatisierung als eine Form des Neo-Kolonialismus, als einen Versuch, eine permanente wirtschaftliche Okkupation durchzuführen, die der militärischen Okkupation folgen soll."
Die von den Arbeitern ins Leben gerufenen Vereinigungen, denen Awad vorsteht, werden jedoch trotz hoher Mitgliederzahlen nicht offiziell anerkannt. Awad äußert sich in einem Beitrag im britischen "Guardian" sowohl gegenüber den Terroristen als auch gegenüber den Bestrebungen der Koalition ablehnend und spricht sich entschieden für eine irakische Selbstverwaltung ohne amerikanische Truppen und Stützpunkte aus. Die Notwendigkeit für ein Engagement der Arbeiter folgt Awad zufolge nicht zuletzt aus der Prioritätensetzung der Besatzungskräfte:
"Als sich die Besatzungstruppen zurücklehnten und zuließen, dass Basras Krankenhäuser, Universitäten und öffentliche Einrichtungen angezündet und geplündert wurden, während sie nur das Ölministerium und die Ölfelder verteidigten, wussten wir, dass wir es mit einer brutalen Macht zu tun hatten, die bereit ist, ihren Willen durchzusetzen ohne Rücksicht auf menschliches Leiden."
Weiterhin wirft er der neuen Administration vor, repressive Gesetze beizubehalten, die von Saddam erlassen wurden, darunter eine Anordnung von 1987, die den Gewerkschaften fundamentale Rechte entzog. Einige Erfolge können die Gewerkschaften schon vorweisen; so wurde etwa nach einem dreitägigen Streik die Mindestbesoldung der im öffentlichen Sektor beschäftigten Iraker verdoppelt, und sogar das Unternehmen Kellogg, Brown & Root (KBR), eine Tochterfirma von Halliburton, musste aufgrund der Aktivität der genannten Gewerkschaften schon Entscheidungen revidieren und in einem Fall 1 000 von 1 200 ausländischen Beschäftigten durch Iraker ersetzen (17).
Zum Eindruck, den das Vorgehen der Koalitionstruppen bei Awad hinterlassen hat, kommen diverse Anordnungen von höchster Stelle, die nicht gerade von besonderer Sorge um die irakische Bevölkerung berichten, etwa die "Executive Order" Nr. 13303 vom 22. Mai 2003 (18):
„Ich, G.W.B., Präsident der USA, sehe in etwaigen Beschlagnahmungen oder Urteilen im Zusammenhang mit ... Erdöl oder Erdöl-Produkten aus dem Irak ... eine außerordentliche Bedrohung nationaler Sicherheit der USA. Ich erkläre den Nationalen Notstand, um dieser Bedrohung zu begegnen. Hiermit ordne ich an, dass Urteile, Erlasse oder andere gerichtliche Prozesse untersagt sind und für null und nichtig erklärt werden.“
Auch die Anordnungen des ehemaligen Zivilverwalters Paul Bremer wurden vielfach kritisiert. Er gab unter anderem zahlreiche Staatsunternehmen zur Privatisierung frei und setzte das absolute Maximum für Gewerbe- und Einkommenssteuer auf 15 Prozent fest. Ausländischen Vetragspartnern, einschließlich der privaten Sicherheitsfirmen, wurde Immunität vor dem irakischen Gesetz zugesichert.
Die Vorstellungen Awads werden durch die Tatsache bekräftigt, dass der amerikanischen Regierung auch der Schmuggel von Öl während des Embargos bekannt war und sogar im "nationalen Interesse" stand, wie vor kurzem veröffentlichte Dokumente der Regierung belegen. Der dem Embargo zuwider laufende Schmuggel wurde aus wirtschaftlichen und geostrategischen Gründen geduldet, da die Lieferungen unter anderem an die Türkei und Jordanien gingen. Dass sich bei diesen Vorgängen Saddam Hussein unter Bruch des Embargos und auf Kosten der schlecht versorgten Bevölkerung bereicherte, wurde in Kauf genommen (19).
Und während im Rahmen des konträr diskutierten "Oil for Food"- Programms immerhin noch ein Inspektor kontrollierte, ob das Öl zu einem fairen Preis verkauft und das Geld korrekt überwiesen wurde, existierten im Bezug auf die Gelder des Iraks nach dem Krieg, die auf einem Sonderkonto für das irakische Volk verwahrt werden sollten, keine derartigen Überwachungsmechanismen. Hilfsorganisationen beklagten die fehlende Transparenz; und wiederholt kamen Vorwürfe bezüglich der Veruntreuung von Geldern. Seit einigen Wochen räumen auch US-amerikanische Untersuchungen Schwierigkeiten bei der Klärung des Verbleibes von Milliardenbeträgen ein (20). Fadhel Al Othman, der Seniorpräsident der irakischen Erdölgesellschaft, fasste die bisherigen Fortschritte beim Wiederaufbau nüchtern zusammen (21):
"Angesichts all der Arbeit, die angeblich von den amerikanischen Gesellschaften im Irak geleistet wurde, sind das Produktionsniveau und die mangelnde Sicherheit alles andere als ermutigend."
Doch zumindest die schnelle Privatisierung der irakischen Ölwirtschaft entspricht scheinbar nicht mehr der aktuellen Agenda. Berichten von Greg Palast und BBC zufolge favorisiert die US-amerikanische Erdölindustrie im Gegensatz zum Pentagon eine staatlich organisierte irakische Ölindustrie - selbstverständlich mit engen Kontakten zu den US-amerikanischen Ölkonzernen (22). Unter anderem wird in diesem Kontext auf die Gefahr des Terrorismus verwiesen, da etwa die Terroranschläge auf Pipelines infolge der angekündigten Privatisierungen zugenommen haben. Weitere wichtige Argumente für eine weitgehend staatlich organiserte Ölwirtschaft wären vielleicht in den Ölpreisen, dem Verhältnis zur Opec, aber auch in der Gefahr eines Hinausdrängens der US-amerikanischen Konzerne infolge einer wirklichen Marktöffnung zu suchen. Eine weniger problembelastete Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen scheint auf politischer Ebene möglich.
Wahlen im Ausnahmezustand
Obwohl bereits die Drohungen durch Terroristen, die schlechte Informationslage, die weitgehend unbekannten Kandidaten sowie die selektive Berichterstattung in den irakischen Medien ein ausreichend problematisches Bild einer demokratischen Wahl zeichnen, dürften viele Wähler noch weniger Gefallen an ihr gefunden haben, als die bereits im Vorfeld erwarteten Schwierigkeiten erahnen lassen. Bei der "Unabhängigen Wahlkommission des Irak" (IECI) gingen Beschwerden von Wahlmitarbeitern ein, die unter anderem beklagten, dass in einigen Bezirken die Wahlen durch das Fehlen adäquater Ausstattung behindert wurden. So wurden in Mosul - aber auch in Bagdad und einigen weiteren Städten - Wahlzettel zu spät oder in zu geringer Anzahl geliefert; andernorts waren keine Wahlurnen vorhanden. Diesbezügliche Beschwerden kamen auch von kurdischen und christlichen Gruppen sowie weiteren Minderheiten (23). Die assyrischen Christen aus der Gegend um Ninive, die schon seit längerem unter kurdischen Milizen zu leiden haben, werfen letzteren vor, auch das Eintreffen von Wahlurnen verhindert zu haben. (24) Die großen kurdischen Parteien im Norden des Landes beschuldigten sich unterdessen gegenseitig des Wahlbetruges (25).
Einigen Meldungen zufolge sollte die Wahlbeteiligung der irakischen Bevölkerung durch den Einsatz von Druckmitteln erhöht werden. Diesbezüglich wurde in der Washington Post berichtet, dass im Vorfeld der Wahl Gerüchte gestreut wurden, denen zufolge die Lebensmittelrationen gestrichen werden sollten, falls die Iraker nicht in den Wahllokalen auftauchten (26). Weiterhin gab es ernstzunehmende Veröffentlichungen irakischer Reporter, nach denen sich Menschen beklagten, von Soldaten mit Drohungen zur Wahl gedrängt worden zu sein (27).
Muhammad al-Kubaysi äußerte als Sprecher der "Vereinigung muslimischer Gelehrter" (AMS) grundlegende Kritik, da den Wählern kaum Informationen über ihre Wahlmöglichkeiten zugänglich waren und die Wahlen in einem problematischen Ausnahmezustand vor sich gingen (28):
"Wir haben beständig die Auffassung vertreten, dass Wahlen nur in einer Demokratie stattfinden können, die Souveränität genießt. Unsere Souveränität ist unvollständig. Unsere Souveränität ist von fremden Kräften usurpiert, die das Land besetzt und unsere Würde verletzt haben."
Die Berichterstattung vieler irakischer Medien kümmerte sich vor allem um die Kandidaten, die dem aktuellen Regime genehm erschienen - allen voran die Liste Allawis, die es dennoch zu gerade einmal 13,6 Prozent brachte. Allawi selbst, der zu Beginn seiner Karriere dem irakischen Geheimdienst angehörte und als Hardliner gilt, verbrachte 32 Jahre im Exil, nachdem er sich mit Saddam Hussein zerstritten hatte. Im Exil nutzte er seine Zeit unter anderem als Mitarbeiter der abendländischen Geheimdienste MI6 und CIA, doch über einige Zeitabschnitte seines Lebens ist noch immer sehr wenig bekannt. Allawi war auch zumindest mitverantwortlich für die Verbreitung der Fehlinformation, der Irak würde Massenvernichtungswaffen besitzen und könnte innerhalb von 45 Minuten angriffsbereit sein. Dieses Gerücht, das letztendlich der Falschaussage eines einzigen Menschen angelastet wurde, leitete der durch Allawi gegründete "Irakische Nationalkongress" (INA), an den britischen Geheimdienst weiter - "in gutem Glauben", wie es später hieß (29). Trotz des niedrigen Wahlergebnisses gab Allawi bald bekannt, zusammen mit anderen kleinen Gruppen eine Koalition bilden zu wollen, um gegen Ibrahim Jaafari anzutreten, der von der schiitischen "Vereinten Irakischen Allianz" (UIA) für das Amt des Ministerpräsidenten vorgeschlagen wurde. Jaafari selbst gilt ähnlich wie Allawi als moderat-religiös, eher distanziert gegenüber der Führung des Irans und scheint insgesamt eine recht pragmatische, säkulare Politik zu versprechen. In der Scharia sieht er nur "eine von mehreren Quellen der Rechtsprechung", und verspricht, die Rechte der zahlreichen Minderheiten zu wahren. Als eine der wichtigsten prominenten Persönlichkeiten nach Sistani und Sadr erhält Jaafari auch eine relativ breite Zustimmung in der irakischen Bevölkerung und wurde schon bald nach der Wahl durch Sistani unterstützt.
Zwischen den einzelnen Parteien und Interessengruppen werden zahlreiche Streitpunkte erkennbar, von politischen, organisatorischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen über die Verwaltung von ölreichen Gebieten wie Kirkuk bis hin zum Umgang mit den Milizen, die wiederum unterschiedlichen Parteien nahe stehen. Die finanzielle Handlungsfähigkeit der künftigen Regierung wird dessen ungeachtet stark eingeschränkt sein, da bereits große Summen durch die Befreier und die Übergangsregierung ausgegeben und gebunden wurden(30). Ein weiteres grundlegendes Problem ergibt sich aus der Situation der Sunniten, die aufgrund ihrer niedrigen Wahlbeteiligung in einem neuen Parlament stark unterrepräsentiert sein werden. Eine künftige irakische Politik wird umsichtig und gewissermaßen behutsam agieren müssen, was in Anbetracht zahlreicher Schwierigkeiten sicherheitstechnischer, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art sicher keine einfache Aufgabe wird.
Vor etwa zwei Jahren, als Senator Robert Byrd in einem relativ leeren US-Senat beklagte, dass eigentlich gar keine Debatte stattfände und man "eine Stecknadel fallen hören" könnte, gab es auf der ganzen Welt Demonstrationen, an denen insgesamt über 10 Millionen Menschen teilnahmen. Wenn sich nun anlässlich der zweiten Jährung des Kriegsbeginns immerhin Zehntausende von Menschen zu Demonstrationen versammeln, geschieht das in einer Situation, in der das öffentliche Interesse an der Enwicklung des Irak wieder deutlich zurückgegangen ist. Doch gerade heute würden die Menschen im Zweistromland internationale Unterstützung benötigen, um eine Ordnung aufzubauen, die nicht an den Bedürfnissen von multinationalen Konzernen ausgerichtet ist, sondern die lange unterdrückte Bevölkerung des Irak an den reichen Ressourcen ihres Landes teilhaben lässt.
Weiterführende Artikel der Redaktion:
Irak - Nachkriegsordnung: Schwerpunkt Polizeiapparat
Uranmunition - oder wie man seinen Atommüll auch entsorgen kann
Irak - 20.03.2003 Der Krieg hat begonnen
Warhistory
Vorderer / Mittlerer Orient
Weiterführende Links:
http://iraqelect.com/index.php/
http://english.aljazeera.net/
http://news.bbc.co.uk/1/hi/in_depth/middle_east/2002/conflict_with_iraq/default.stm
http://www.heise.de/tp/r4/inhalt/irak.html
Fußnoten
http://en.wikipedia.org/wiki/Fallujah
Siehe hierzu auch einen Appell der Bürger von Fallujah an Kofi Annan:
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak/falludscha-appell.html
http://www.thenation.com/blogs/outrage?bid=13&pid=2132
http://www.iraqbodycount.net/database/
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/50B29D97-D4AD-4212-BBFF-F40C2C9FA651.htm
http://hrw.org/english/docs/2004/11/10/usdom9659.htm
http://www.stern.de/politik/ausland/index.html?id=533637&nv=hp_st
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19149/1.html
http://www.newyorker.com/fact/content/?040517fa_fact2
http://www.sueddeutsche.de/,tt1m2/ausland/artikel/643/46597/
http://www.nyclu.org/dia_documents_120704.html
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak05/privatkrieg.html
http://www.jungewelt.de/2005/02-17/008.php
http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2004/nr08/International/5113.html
http://hrw.org/english/docs/2005/01/26/iraq10053.htm
http://www.hrw.org/reports/2005/iraq0105/
http://seattlepi.nwsource.com/national/apmideast_story.asp?category=1107&slug=Human%20Rights
http://www.zeit.de/2005/07/Entf_9fhrungen
http://www.zeit.de/politik/sgrena/index
Reporter, die nicht in die Truppen eingebunden sind, leben im Irak sehr gefährlich - seit Kriegsbeginn 2003 sind im Irak 48 Journalisten und Medienassistenten getötet worden:
http://www.rsf.org/special_iraq_en.php3
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/41D1C47C-7ED2-439A-9CBD-373667F72F5F.htm
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/7027105C-17C3-433D-B9EA-3F47F967562B.htm
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19484/1.html
http://www.realcities.com/mld/krwashington/10994419.htm
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/51858309-F36C-4F11-8210-84B8A57A1887.htm
http://www.grain.org/articles/?id=6
http://www.grain.org/articles_files/atg-3-en.pdf
http://www.guerrillanews.com/articles/article.php?id=1029
http://www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,1417372,00.html
http://reclaimdemocracy.org/articles_2003/executive_order_13303.html
Ein Artikel zum Thema:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15395/1.html
http://www.cnn.com/2005/WORLD/meast/02/02/iraq.oil.smuggle/
http://www.iraqrevenuewatch.org/reports/120604.shtml
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/59686409-F4B3-4D6E-A520-A4A76FE49F1D.htm
http://www.iraqrevenuewatch.org/
http://news.bbc.co.uk/2/hi/programmes/newsnight/4354269.stm
http://www.gregpalast.com/detail.cfm?artid=418&row=1
http:// www.iwpr.net/index.pl?archive/irq/irq_109_4_eng.txt
http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/middle_east/4227253.stm
http://www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,1423282,00.html
http://www.iwpr.net/index.pl?archive/irq/irq_107_6_eng.txt
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A19160-2005Jan18_3.html
http://www.iwpr.net/index.pl?archive/irq/irq_109_3_eng.txt
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/F1149ACC-43EE-4BA6-AD8A-AC9D62290514.htm
http://news.independent.co.uk/world/middle_east/story.jsp?story=526008
http://www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=602&sid=115
Irakisierung der Sicherheitslage
"Al-Qaida in Irak" nennt sich seit kurzem die Terrorgruppe um Zarqawi, die unter anderem für das Bombenattentat vom 28. Februar 2005 auf einem Marktplatz in Hilla verantwortlich zeichnet, bei dem mehr als 115 Menschen getötet wurden. Dieser Anschlag galt offenbar einer Warteschlange, die sich vor einer medizinischen Einrichtung eingefunden hatte. Rekruten für die irakischen Sicherheitskräfte warteten dort auf die Untersuchung ihrer Sehfähigkeit. Zwei Tage später folgte das nächste Attentat auf Rekruten, in dem sechs weitere Menschen ums Leben kamen. Kurz vor diesen beiden Bombenanschlägen hatte Ijad Allawi, der umstrittene Premierminister der Übergangsregierung, bekannt gegeben, dass die irakischen Sicherheitkräfte bei der Bekämpfung von Widerstandskämpfern noch immer auf die Hilfe US-amerikanischer Führung angewiesen wären. Dass die Terroristen offiziell den Abzug der Besatzer fordern, schützt sie offensichtlich nicht davor, als Grund für die andauernde Truppenstationierung zu dienen. Auch der kompromisslose Einsatz der US-Armee in Falluja wurde mit einem Verweis auf Zarqawi begründet (1). Im Gegenzug lässt sich fragen, ob der gewalttätige Widerstand in seiner Legitimation auf eine konstante Anwesenheit von US-Truppen angewiesen ist (2).
Dass es um die Sicherheit der irakischen Bevölkerung nach wie vor nicht gut bestellt ist, lässt sich nur schwer leugnen. Während die andauernden Terroranschläge regelmäßig das Leben von Zivilisten fordern und in weiten Teilen des Landes eine Atmosphäre der Gesetzlosigkeit herrscht, droht dem Irak die Gefahr, aus einer Phase der Instabilität in einen Zustand der inneren Zersplitterung zu geraten. Die Anzahl der Todesfälle innerhalb der Zivilbevölkerung ist nicht eindeutig zu benennen, allerdings können als Indikator für das Ausmaß der Gewalt die Zahlen der Opfer auf US-amerikanischer Seite herangezogen werden, denen zufolge im zweiten Halbjahr 2004 deutlich mehr Menschen als die Halbjahre zuvor ums Leben kamen (3).
Im US-finanzierten Fernsehsender Iraqija hat vor kurzem ein Sudanese gestanden, an Attentaten im Irak teilgenommen zu haben, und dafür vom syrischen Geheimdienst zusammen mit anderen Sudanesen und Ägyptern trainiert worden zu sein. Syrien war schon mehrmals seitens der USA und der irakischen Übergangsregierung der Unterstützung von Terroristen im Irak beschuldigt worden, doch konnten auch die Angaben dieses angeblichen Ex-Teroristen nicht verifiziert werden. Die syrische Regierung dementierte alle Vorwürfe und bekräftigte, sich nicht in die internen Angelegenheiten des Irak einzumischen (4). Mehrfach bestätigt wurde zumindest, dass zahlreiche Terroristen aus dem Ausland gekommen sind, über den Iran, Syrien und nicht zuletzt auch über Saudi-Arabien.
Mitte Februar 2005 äußerte der ehemalige Außenminister Colin Powell in einem Interview mit dem britischen Daily Telegraph, dass die Sicherheitskräfte im Irak mit der Situation überfordert seien. Zusätzlich merkte er an, Präsident Bush bereits im August 2002 auf die Probleme im Nachkriegsirak hingewiesen zu haben, die größeren Einsatz als die Machtübernahme erfordern würden. Allerdings geht es in diesem Zusammenhang in erster Linie um die Truppenstärke und weniger um eine Diskussion der Prioritätensetzung im konkreten Einsatz der verfügbaren Truppen. Die "Irakisierung der Sicherheitslage" scheint dessen ungeachtet langsam Fortschritte zu machen, während die Attentate auf irakische Sicherheitskräfte, aber auch die Misshandlungsvorwürfe gegenüber denselben zunehmen.
Was den Schutz der Bevölkerung vor rechtswidriger Behandlung durch die eigentlichen Sicherheitskräfte angeht, wurden inzwischen immerhin einzelne Täter der US-amerikanischen und britischen Truppen vor Gericht gestellt. In Anbetracht der genehmigten Verhörmethoden am Rande der Legalität (5), der Rechtfertigungsversuche einer Praxis der Folter im "Krieg gegen den Terror" durch prominente Regierungsvertreter sowie der gezielten Einrichtung von Ausnahmezonen wie Guantanamo Bay muss jedoch die Frage gestellt werden, inwiefern bei den zahlreichen Vorfällen noch von Ausnahmen gesprochen werden kann oder ob es sich nicht vielmehr um einen institutionalisierten Ausnahmezustand handelt (6).
Anthony D. Romero von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion (ACLU) äußerte sich vor einigen Monaten anlässlich der Veröffentlichung von Dokumenten, welche die US-Regierung belasteten, wie folgt (7):
„Diese Papiere erzählen eine Geschichte von Misshandlungen, die von der Regierung gefördert wurden - eine Geschichte, die die Regierung zu verbergen versuchte, und die unsere eigenen Truppen, die im Irak entführt werden, heimsuchen könnte.“
Was mit dem letzten Satzteil gemeint ist, lässt sich erahnen, wenn auf den Videomitschnitten von Hinrichtungen durch irakische Terroristen zu sehen ist, dass der Todgeweihte den orangefarbenen Anzug der Guantanamo-Häftlinge trägt.
Söldner und Milizen
"Der Irak bietet ein außergewöhnliches Umfeld für Geschäfte," wie Jonathan Garatt, der Direktor von "Erinys" feststellte, der mit seiner Firma die Sicherheit der Erdöl-Infrastruktur gewährleisten soll und zu diesem Zweck die Ausbildung einer Armee für das Ölministerium übernimmt. Über 15 000 Söldner aus Dutzenden von Privatunternehmen sind im Irak eingesetzt, darunter Firmen wie "Blackwater" (Eskorten und Leibwache), "Global Risk" (Leibwache), "Armor Group" (Minenräumung und Eskorten) oder "Custer Battles" (Flughafensicherheit). Die Vorteile für die US-Armee sind offensichtlich: der Soldatenmangel wird überwunden, die Gefallenenzahlen werden geschönt, Rechtslage und Verantwortlichkeit sind ungeklärt (8).
Auch die neu aufgebauten irakischen Sicherheitskräfte geraten vermehrt in die Kritik. Human Rights Watch veröffentlichte unlängst einen Bericht, der den Fortgang von Folter und Misshandlung unter den neuen Autoritäten beschreibt (9). In einer anderen Publikation machte Amnesty International bekannt, dass sich die Situation der Frauen im Irak seit dem Sturz Husseins insgesamt kaum verbessert hat. Misshandlungen, Entführungen, Vergewaltigungen und Todesfälle haben nicht erkennbar abgenommen. Politische Aktivistinnen, Vertreterinnen der Frauenrechtsbewegung und Journalistinnnen leben im Irak gefährlich (10). Unter den Tätern finden sich neben Terroristen, unpolitischen Kriminellen und religiösen Fundamentalisten auch US-amerikanische und verbündete Soldaten sowie Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte (11).
Als eine relativ unerwartete Entwicklung ist das Entstehen von irakischen Bürgerwehren zu beobachten, die sich hinter prominenten Führern wie Adnan Thavit, einem ehemaligen Geheimdienstoffizier, der sich gegen Hussein wandte, zusammen finden. Einerseits können sich diese Formationen an der Terrorismusbekämpfung beteiligen und werden dafür Berichten zufolge auch von der irakischen Administration unterstützt, andererseits agieren auch die Bürgerwehren in rechtlichen Grauzonen, sind schwer zu kontrollieren und wollen sich nicht in die staatlich organisierten Verbände einbinden lassen (12).
Eine radikale schiitische Miliz verfolgt unterdessen - weitgehend unbemerkt von den großen Medien - konsequent das Ziel, ehemalige Funktionäre des alten Regimes zu lynchen. Mitglieder der Badr-Brigaden, berichten jedoch von Einzeltätern, die auf eigene Rechnung agieren. Großayatollah Sistani hatte die Schiiten mehrfach aufgefordert, sich mit dem Gesetz und nicht mit der Waffe zu rächen, dennoch dauern die Aktionen gegen ehemalige Baath- Funktionäre an (13).
Wirtschaftliche Situation
Die Zivilbevölkerung im Irak hat es auch nach ihrer offiziellen Befreiung nicht leicht. Hohe Arbeitslosigkeit, eine stark eingeschränkte Elektrizitätsversorgung, die durch überteuerten Strom von privaten Generatorenbetreibern ergänzt werden muss, sowie Trinkwasser- und Nahrungsmittelmangel sind nur ein kleiner Ausschnitt der alltäglichen Problematik. Zumindest einige Menschen haben inzwischen wieder Arbeit gefunden, doch stehen diese Beschäftigten meist in direktem oder indirektem Verhältnis zu den US-amerikanischen Kräften, was sie wiederum zur Zielscheibe für Widerstandskämpfer macht, die sie als Handlanger der Besatzungsmacht verstehen.
"Es ist wirklich nicht mein Ziel, für die US-Armee zu arbeiten, aber was können wir tun, wenn jetzt alle Unternehmen im Irak direkt oder indirekt mit den Amerikanern arbeiten müssen?" äußerte eine beschäftigte irakische Sekretärin im Interview mit al-Jazeera (14).
Der Lohn ist zwar im Vergleich zur Situation vor Kriegsbeginn teilweise recht hoch, doch kommen viele zusätzliche Kosten hinzu, die auch den Werktätigen wenig finanziellen Freiraum lassen. Das Öl ist unverändert knapp für die Zivilbevölkerung und schwer zu erstehen. Kilometerlange Staus vor den Tankstellen gehören in Bagdad zum gewöhnlichen Straßenbild, stundenlanges Warten wird Normalität. Auch heißes Wasser ist in vielen Häusern Luxus, und schon die minimale Beheizung des Wohnraumes kann zum schwerwiegenden Problem werden. Zu den aktuellen Schwierigkeiten gesellen sich einige düstere Aussichten in Bezug auf die künftige wirtschaftliche und politische Organisation des Landes.
Das neue Patentrecht im Bereich der Landwirtschaft sieht etwa vor, dass in Zukunft gentechnisch verändertes Saatgut nicht - wie das bisher bei gewöhnlichem Saatgut üblich war - ohne Einschränkungen gezüchtet und unter den Bauern bei Bedarf weitergereicht werden kann, sondern strengen Lizenzbestimmungen unterliegt. Neben den unmittelbaren Schwierigkeiten, die sich direkt durch das Verbot einer weiteren Verwendung des Saatgutes ergeben, zeichnet sich eine weitere, langfristige Problematik ab. Denn sollte sich das eingeführte Saatgut auskreuzen, könnten sich Lizenzzahlungen und Abhängigkeiten sogar auf diejenigen Bauern ausweiten, die sich eigentlich auf das traditionelle Saatgut beschränken wollen. Kommt das genetisch veränderte Saatgut auch noch durch Hilfslieferungen in den Irak, ist die Ausbreitung kaum zu verhindern. Und wenn die patentierten Sequenzen erst einmal verbreitet sind, sind sie nicht einfach zu entfernen. Biotech-Unternehmen wie Monsanto, Syngenta, Bayer oder Dow Chemical könnten sich in dieser Weise, auf Kosten der irakischen Bauern, den irakischen Markt sichern (15).
Der Wiederaufbau von Infrastruktur und öffentlichen Institutionen wird weitgehend von US-amerikanischen und britischen Unternehmen erledigt. Eine diesbezügliche Top-Ten der Kriegsprofiteure 2004 wird angeführt von Aegis, einem britischen Konzern, der die zahlreichen privaten Sicherheitskräfte im Irak koordiniert und zu diesem Zweck einen 293 Millionen Dollar-Vertrag bekommen hat, gefolgt von BearingPoint und Bechtel, die beide der US-Regierung nahe stehen und sich um den Aufbau des privaten Sektors und die Infrastruktur kümmern. Die Firma Halliburton, die bis 2000 von Dick Cheney geleitet wurde, folgt in der Auflistung durch das "Center for Corporate Responsibility" erst an siebter Stelle. Sie geriet zumindest zeitweise in die öffentliche Kritik, als bekannt wurde, dass in einem Fall 61 Millionen Dollar zuviel für Benzin und weiterhin 6,3 Millionen Dollar für nicht gelieferte Essensrationen berechnet wurden. Die "engen Verbindungen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern", die auch "Public Integrity" beklagt, finden unterdessen selten den Weg in die Massenmedien. Und Halliburton bekam einen weiteren Vertrag über 1,2 Milliarden Dollar (16).
Schwarzes Gold
Was die künftige Organisation der irakischen Ölindustrie angeht, findet die Diskussion weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Hassan Juma'a Awad, der sowohl Präsident der Südlichen Gewerkschaft des Ölgewerbes als auch der Gewerkschaft der Ölarbeiter von Basra ist, scheint mit schweren Auseinandersetzungen zu rechnen (17):
"Wir sehen es als unsere Pflicht an, die Ressourcen des Landes zu verteidigen. Wir weisen alle Schritte zurück, unsere Ölindustrie zu privatisieren und werden uns dem entgegenstellen. Wir verstehen diese Privatisierung als eine Form des Neo-Kolonialismus, als einen Versuch, eine permanente wirtschaftliche Okkupation durchzuführen, die der militärischen Okkupation folgen soll."
Die von den Arbeitern ins Leben gerufenen Vereinigungen, denen Awad vorsteht, werden jedoch trotz hoher Mitgliederzahlen nicht offiziell anerkannt. Awad äußert sich in einem Beitrag im britischen "Guardian" sowohl gegenüber den Terroristen als auch gegenüber den Bestrebungen der Koalition ablehnend und spricht sich entschieden für eine irakische Selbstverwaltung ohne amerikanische Truppen und Stützpunkte aus. Die Notwendigkeit für ein Engagement der Arbeiter folgt Awad zufolge nicht zuletzt aus der Prioritätensetzung der Besatzungskräfte:
"Als sich die Besatzungstruppen zurücklehnten und zuließen, dass Basras Krankenhäuser, Universitäten und öffentliche Einrichtungen angezündet und geplündert wurden, während sie nur das Ölministerium und die Ölfelder verteidigten, wussten wir, dass wir es mit einer brutalen Macht zu tun hatten, die bereit ist, ihren Willen durchzusetzen ohne Rücksicht auf menschliches Leiden."
Weiterhin wirft er der neuen Administration vor, repressive Gesetze beizubehalten, die von Saddam erlassen wurden, darunter eine Anordnung von 1987, die den Gewerkschaften fundamentale Rechte entzog. Einige Erfolge können die Gewerkschaften schon vorweisen; so wurde etwa nach einem dreitägigen Streik die Mindestbesoldung der im öffentlichen Sektor beschäftigten Iraker verdoppelt, und sogar das Unternehmen Kellogg, Brown & Root (KBR), eine Tochterfirma von Halliburton, musste aufgrund der Aktivität der genannten Gewerkschaften schon Entscheidungen revidieren und in einem Fall 1 000 von 1 200 ausländischen Beschäftigten durch Iraker ersetzen (17).
Zum Eindruck, den das Vorgehen der Koalitionstruppen bei Awad hinterlassen hat, kommen diverse Anordnungen von höchster Stelle, die nicht gerade von besonderer Sorge um die irakische Bevölkerung berichten, etwa die "Executive Order" Nr. 13303 vom 22. Mai 2003 (18):
„Ich, G.W.B., Präsident der USA, sehe in etwaigen Beschlagnahmungen oder Urteilen im Zusammenhang mit ... Erdöl oder Erdöl-Produkten aus dem Irak ... eine außerordentliche Bedrohung nationaler Sicherheit der USA. Ich erkläre den Nationalen Notstand, um dieser Bedrohung zu begegnen. Hiermit ordne ich an, dass Urteile, Erlasse oder andere gerichtliche Prozesse untersagt sind und für null und nichtig erklärt werden.“
Auch die Anordnungen des ehemaligen Zivilverwalters Paul Bremer wurden vielfach kritisiert. Er gab unter anderem zahlreiche Staatsunternehmen zur Privatisierung frei und setzte das absolute Maximum für Gewerbe- und Einkommenssteuer auf 15 Prozent fest. Ausländischen Vetragspartnern, einschließlich der privaten Sicherheitsfirmen, wurde Immunität vor dem irakischen Gesetz zugesichert.
Die Vorstellungen Awads werden durch die Tatsache bekräftigt, dass der amerikanischen Regierung auch der Schmuggel von Öl während des Embargos bekannt war und sogar im "nationalen Interesse" stand, wie vor kurzem veröffentlichte Dokumente der Regierung belegen. Der dem Embargo zuwider laufende Schmuggel wurde aus wirtschaftlichen und geostrategischen Gründen geduldet, da die Lieferungen unter anderem an die Türkei und Jordanien gingen. Dass sich bei diesen Vorgängen Saddam Hussein unter Bruch des Embargos und auf Kosten der schlecht versorgten Bevölkerung bereicherte, wurde in Kauf genommen (19).
Und während im Rahmen des konträr diskutierten "Oil for Food"- Programms immerhin noch ein Inspektor kontrollierte, ob das Öl zu einem fairen Preis verkauft und das Geld korrekt überwiesen wurde, existierten im Bezug auf die Gelder des Iraks nach dem Krieg, die auf einem Sonderkonto für das irakische Volk verwahrt werden sollten, keine derartigen Überwachungsmechanismen. Hilfsorganisationen beklagten die fehlende Transparenz; und wiederholt kamen Vorwürfe bezüglich der Veruntreuung von Geldern. Seit einigen Wochen räumen auch US-amerikanische Untersuchungen Schwierigkeiten bei der Klärung des Verbleibes von Milliardenbeträgen ein (20). Fadhel Al Othman, der Seniorpräsident der irakischen Erdölgesellschaft, fasste die bisherigen Fortschritte beim Wiederaufbau nüchtern zusammen (21):
"Angesichts all der Arbeit, die angeblich von den amerikanischen Gesellschaften im Irak geleistet wurde, sind das Produktionsniveau und die mangelnde Sicherheit alles andere als ermutigend."
Doch zumindest die schnelle Privatisierung der irakischen Ölwirtschaft entspricht scheinbar nicht mehr der aktuellen Agenda. Berichten von Greg Palast und BBC zufolge favorisiert die US-amerikanische Erdölindustrie im Gegensatz zum Pentagon eine staatlich organisierte irakische Ölindustrie - selbstverständlich mit engen Kontakten zu den US-amerikanischen Ölkonzernen (22). Unter anderem wird in diesem Kontext auf die Gefahr des Terrorismus verwiesen, da etwa die Terroranschläge auf Pipelines infolge der angekündigten Privatisierungen zugenommen haben. Weitere wichtige Argumente für eine weitgehend staatlich organiserte Ölwirtschaft wären vielleicht in den Ölpreisen, dem Verhältnis zur Opec, aber auch in der Gefahr eines Hinausdrängens der US-amerikanischen Konzerne infolge einer wirklichen Marktöffnung zu suchen. Eine weniger problembelastete Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen scheint auf politischer Ebene möglich.
Wahlen im Ausnahmezustand
Obwohl bereits die Drohungen durch Terroristen, die schlechte Informationslage, die weitgehend unbekannten Kandidaten sowie die selektive Berichterstattung in den irakischen Medien ein ausreichend problematisches Bild einer demokratischen Wahl zeichnen, dürften viele Wähler noch weniger Gefallen an ihr gefunden haben, als die bereits im Vorfeld erwarteten Schwierigkeiten erahnen lassen. Bei der "Unabhängigen Wahlkommission des Irak" (IECI) gingen Beschwerden von Wahlmitarbeitern ein, die unter anderem beklagten, dass in einigen Bezirken die Wahlen durch das Fehlen adäquater Ausstattung behindert wurden. So wurden in Mosul - aber auch in Bagdad und einigen weiteren Städten - Wahlzettel zu spät oder in zu geringer Anzahl geliefert; andernorts waren keine Wahlurnen vorhanden. Diesbezügliche Beschwerden kamen auch von kurdischen und christlichen Gruppen sowie weiteren Minderheiten (23). Die assyrischen Christen aus der Gegend um Ninive, die schon seit längerem unter kurdischen Milizen zu leiden haben, werfen letzteren vor, auch das Eintreffen von Wahlurnen verhindert zu haben. (24) Die großen kurdischen Parteien im Norden des Landes beschuldigten sich unterdessen gegenseitig des Wahlbetruges (25).
Einigen Meldungen zufolge sollte die Wahlbeteiligung der irakischen Bevölkerung durch den Einsatz von Druckmitteln erhöht werden. Diesbezüglich wurde in der Washington Post berichtet, dass im Vorfeld der Wahl Gerüchte gestreut wurden, denen zufolge die Lebensmittelrationen gestrichen werden sollten, falls die Iraker nicht in den Wahllokalen auftauchten (26). Weiterhin gab es ernstzunehmende Veröffentlichungen irakischer Reporter, nach denen sich Menschen beklagten, von Soldaten mit Drohungen zur Wahl gedrängt worden zu sein (27).
Muhammad al-Kubaysi äußerte als Sprecher der "Vereinigung muslimischer Gelehrter" (AMS) grundlegende Kritik, da den Wählern kaum Informationen über ihre Wahlmöglichkeiten zugänglich waren und die Wahlen in einem problematischen Ausnahmezustand vor sich gingen (28):
"Wir haben beständig die Auffassung vertreten, dass Wahlen nur in einer Demokratie stattfinden können, die Souveränität genießt. Unsere Souveränität ist unvollständig. Unsere Souveränität ist von fremden Kräften usurpiert, die das Land besetzt und unsere Würde verletzt haben."
Die Berichterstattung vieler irakischer Medien kümmerte sich vor allem um die Kandidaten, die dem aktuellen Regime genehm erschienen - allen voran die Liste Allawis, die es dennoch zu gerade einmal 13,6 Prozent brachte. Allawi selbst, der zu Beginn seiner Karriere dem irakischen Geheimdienst angehörte und als Hardliner gilt, verbrachte 32 Jahre im Exil, nachdem er sich mit Saddam Hussein zerstritten hatte. Im Exil nutzte er seine Zeit unter anderem als Mitarbeiter der abendländischen Geheimdienste MI6 und CIA, doch über einige Zeitabschnitte seines Lebens ist noch immer sehr wenig bekannt. Allawi war auch zumindest mitverantwortlich für die Verbreitung der Fehlinformation, der Irak würde Massenvernichtungswaffen besitzen und könnte innerhalb von 45 Minuten angriffsbereit sein. Dieses Gerücht, das letztendlich der Falschaussage eines einzigen Menschen angelastet wurde, leitete der durch Allawi gegründete "Irakische Nationalkongress" (INA), an den britischen Geheimdienst weiter - "in gutem Glauben", wie es später hieß (29). Trotz des niedrigen Wahlergebnisses gab Allawi bald bekannt, zusammen mit anderen kleinen Gruppen eine Koalition bilden zu wollen, um gegen Ibrahim Jaafari anzutreten, der von der schiitischen "Vereinten Irakischen Allianz" (UIA) für das Amt des Ministerpräsidenten vorgeschlagen wurde. Jaafari selbst gilt ähnlich wie Allawi als moderat-religiös, eher distanziert gegenüber der Führung des Irans und scheint insgesamt eine recht pragmatische, säkulare Politik zu versprechen. In der Scharia sieht er nur "eine von mehreren Quellen der Rechtsprechung", und verspricht, die Rechte der zahlreichen Minderheiten zu wahren. Als eine der wichtigsten prominenten Persönlichkeiten nach Sistani und Sadr erhält Jaafari auch eine relativ breite Zustimmung in der irakischen Bevölkerung und wurde schon bald nach der Wahl durch Sistani unterstützt.
Zwischen den einzelnen Parteien und Interessengruppen werden zahlreiche Streitpunkte erkennbar, von politischen, organisatorischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen über die Verwaltung von ölreichen Gebieten wie Kirkuk bis hin zum Umgang mit den Milizen, die wiederum unterschiedlichen Parteien nahe stehen. Die finanzielle Handlungsfähigkeit der künftigen Regierung wird dessen ungeachtet stark eingeschränkt sein, da bereits große Summen durch die Befreier und die Übergangsregierung ausgegeben und gebunden wurden(30). Ein weiteres grundlegendes Problem ergibt sich aus der Situation der Sunniten, die aufgrund ihrer niedrigen Wahlbeteiligung in einem neuen Parlament stark unterrepräsentiert sein werden. Eine künftige irakische Politik wird umsichtig und gewissermaßen behutsam agieren müssen, was in Anbetracht zahlreicher Schwierigkeiten sicherheitstechnischer, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art sicher keine einfache Aufgabe wird.
Vor etwa zwei Jahren, als Senator Robert Byrd in einem relativ leeren US-Senat beklagte, dass eigentlich gar keine Debatte stattfände und man "eine Stecknadel fallen hören" könnte, gab es auf der ganzen Welt Demonstrationen, an denen insgesamt über 10 Millionen Menschen teilnahmen. Wenn sich nun anlässlich der zweiten Jährung des Kriegsbeginns immerhin Zehntausende von Menschen zu Demonstrationen versammeln, geschieht das in einer Situation, in der das öffentliche Interesse an der Enwicklung des Irak wieder deutlich zurückgegangen ist. Doch gerade heute würden die Menschen im Zweistromland internationale Unterstützung benötigen, um eine Ordnung aufzubauen, die nicht an den Bedürfnissen von multinationalen Konzernen ausgerichtet ist, sondern die lange unterdrückte Bevölkerung des Irak an den reichen Ressourcen ihres Landes teilhaben lässt.
Weiterführende Artikel der Redaktion:
Irak - Nachkriegsordnung: Schwerpunkt Polizeiapparat
Uranmunition - oder wie man seinen Atommüll auch entsorgen kann
Irak - 20.03.2003 Der Krieg hat begonnen
Warhistory
Vorderer / Mittlerer Orient
Weiterführende Links:
http://iraqelect.com/index.php/
http://english.aljazeera.net/
http://news.bbc.co.uk/1/hi/in_depth/middle_east/2002/conflict_with_iraq/default.stm
http://www.heise.de/tp/r4/inhalt/irak.html
Fußnoten
http://en.wikipedia.org/wiki/Fallujah
Siehe hierzu auch einen Appell der Bürger von Fallujah an Kofi Annan:
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak/falludscha-appell.html
http://www.thenation.com/blogs/outrage?bid=13&pid=2132
http://www.iraqbodycount.net/database/
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/50B29D97-D4AD-4212-BBFF-F40C2C9FA651.htm
http://hrw.org/english/docs/2004/11/10/usdom9659.htm
http://www.stern.de/politik/ausland/index.html?id=533637&nv=hp_st
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19149/1.html
http://www.newyorker.com/fact/content/?040517fa_fact2
http://www.sueddeutsche.de/,tt1m2/ausland/artikel/643/46597/
http://www.nyclu.org/dia_documents_120704.html
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak05/privatkrieg.html
http://www.jungewelt.de/2005/02-17/008.php
http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2004/nr08/International/5113.html
http://hrw.org/english/docs/2005/01/26/iraq10053.htm
http://www.hrw.org/reports/2005/iraq0105/
http://seattlepi.nwsource.com/national/apmideast_story.asp?category=1107&slug=Human%20Rights
http://www.zeit.de/2005/07/Entf_9fhrungen
http://www.zeit.de/politik/sgrena/index
Reporter, die nicht in die Truppen eingebunden sind, leben im Irak sehr gefährlich - seit Kriegsbeginn 2003 sind im Irak 48 Journalisten und Medienassistenten getötet worden:
http://www.rsf.org/special_iraq_en.php3
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/41D1C47C-7ED2-439A-9CBD-373667F72F5F.htm
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/7027105C-17C3-433D-B9EA-3F47F967562B.htm
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19484/1.html
http://www.realcities.com/mld/krwashington/10994419.htm
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/51858309-F36C-4F11-8210-84B8A57A1887.htm
http://www.grain.org/articles/?id=6
http://www.grain.org/articles_files/atg-3-en.pdf
http://www.guerrillanews.com/articles/article.php?id=1029
http://www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,1417372,00.html
http://reclaimdemocracy.org/articles_2003/executive_order_13303.html
Ein Artikel zum Thema:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15395/1.html
http://www.cnn.com/2005/WORLD/meast/02/02/iraq.oil.smuggle/
http://www.iraqrevenuewatch.org/reports/120604.shtml
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/59686409-F4B3-4D6E-A520-A4A76FE49F1D.htm
http://www.iraqrevenuewatch.org/
http://news.bbc.co.uk/2/hi/programmes/newsnight/4354269.stm
http://www.gregpalast.com/detail.cfm?artid=418&row=1
http:// www.iwpr.net/index.pl?archive/irq/irq_109_4_eng.txt
http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/middle_east/4227253.stm
http://www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,1423282,00.html
http://www.iwpr.net/index.pl?archive/irq/irq_107_6_eng.txt
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A19160-2005Jan18_3.html
http://www.iwpr.net/index.pl?archive/irq/irq_109_3_eng.txt
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/F1149ACC-43EE-4BA6-AD8A-AC9D62290514.htm
http://news.independent.co.uk/world/middle_east/story.jsp?story=526008
http://www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=602&sid=115