- wer ist dieser Europäer eigentlich?
Ein Bürger eines europäischen Staates. Für weitergehende Fragen müsste man klären, was "europäisch" ist.
genau darauf zielte meine Frage eigentlich ab
- liegt dies eventuell daran, dass die Mehrheit der Europäer noch gar nicht verstanden hat, dass Europa mittlerweile = der EU ist und dass es wöchentlich etwa 300 neue EU-Richtlinien gibt, denen das deutsche Grundgesetz nichts entgegenhält?
Ich denke du vergleichst hier Äpfel mit Birnen, in diesem Fall stinknormale Gesetze mit Verfassungsartikeln.
Seh ich anders, denn es ist - wie ich im öffentlichen Recht gelernt habe - eine Tatsache, dass sich die deutsche Verfassung vorbehaltlos den EU-Erlassen öffnet, siehe entsprechender Paragraph, habs grad nicht zur Hand. Und das macht mich ehrlich gesagt ein bisschen fassungslos.
Auch ich traue nicht allen Bürgern zu, etwaige komplexe politische Fragen mit immenser Reichweite tatsächlich kompetent zu entscheiden - dennoch ist das wirklich ein Grund, Volksabstimmungen auf Bundesebene gar nicht erst vorzusehen?
Ich denke, wenn die Mehrheit der Menschen noch lange genug andere über das eigene Leben entscheiden lässt, wird der Unmut noch um einiges größer werden. Und dann gibt es ein großes Gemaule, anstatt sich dafür zu entscheiden, das Leben in die eigene Hand zu nehmen und die Macht nicht so leichtfertig an jemand abzugeben, der vermeintlich etwas für mich tut - im Gegenteil: Führungskräfte lassen in aller Regel grundsätzlich andere für sich arbeiten und geben dabei meist keinen Deut ihrer Macht ab. Doch wenn die Umstände erst noch hektischer werden, dann ist es vermutlich schon zu spät, denn wie zu beobachten ist, konzentriert sich die politische Macht immer mehr beim Kapital bzw. bei Politikern, die ihre ganz eigenen Interessen verfolgen. Und das ist denke ich eine Entwicklung, die in Europa genauso abläuft wie in den USA - mit dem Unterschied, dass wir im letzten Fall mitten drin stecken und uns genauso reichlich verärgert, ängstlich und uninformiert zeigen wie die von uns so kritisch und oft spöttisch beäugten Amis.
Gab es denn bei uns in letzter Zeit Entscheidungen, die für den Bürger getroffen wurden? Ich hab von keiner gehört im Gegenteil: ich bezahle z.B. gesetzlich verordnet an immer mehr Orten immer mehr Geld - siehe Praxisgebühr. Und so sehr viele Deutsche die EU-Erweiterung im Grunde ihres Herzens begrüßen, so sehr zeigen Umfragen, dass die Leute ganz realistisch sehen, dass zum Beispiel der Druck auf die eh immer weniger werdenden "Arbeitsplatzinhaber" steigen wird.
Und da stellt sich mir die Frage, wie das gehen soll - wir sollen zwar für polnische Löhne arbeiten, gleichzeitig allerdings den Preis für ein Brot beim deutschen Bäcker bezahlen. Wie kann das das langfristig funktionieren?
Mit der Androhung, Arbeitsplätze in den Osten zu verlagern, erpresst man die wenigen Errungenschaften, die die Gewerkschaften in den vergangenen Jahren erreichen konnten. Diejenigen, die Arbeit haben, sollen dafür auch noch länger arbeiten. Was ist das denn für eine Logik?
Entweder wir haben Arbeit, dann sollten meiner Meinung nach mehr Leute eingestellt werden, oder wir haben keine und dann steigt die Laune sicher nicht, wenn sich einer statt 7,5 Stunden 8 und mehr Stunden, fragt, wofür er seine Zeit an seinem Arbeitsplatz absitzt. Da fasse ich mir an den Kopf, zumal außerdem ganz klar bewiesen ist, dass zwei Halbtagskräfte, in vier Stunden mehr Output bringen, als eine Person, die den ganzen Tag lang an diesen Aufgaben sitzen soll. Sicher, nicht jede Tätigkeit lässt sich aufteilen, aber die meisten Arbeiten erlauben das ganz gut. Und seit Adam Smith in seinem Stecknadelkopfbeispiel rausgefunden hat, dass Arbeitsteilung effektiver sein soll, forderte der lang gepriesene Taylorismus diese Vorgehensweise sogar eine Zeitlang ganz ausdrücklich. Bis ersichtlich wurde, dass Arbeitsteilung in der Produktion z.B. zu psychischen Schäden der Arbeiter geführt hat.
Für mich hat Günther Grass mehr als Recht wenn er sagt: Wir leben in einer Prä-Demokratischen Gesellschaft, da die Wirtschaft im Grunde den Weg für die Gesellschaft vorgibt.
Für mich heißt das: ich lebe und arbeite in einem knallharten kapitalistischen System, das nach und nach alle sozialen Leistungen abbaut. Reformen setzen sich zäh durch - die meisten Mütter, die gerne eine Halbtagsstelle haben möchten, haben einfach keine einflussreiche Lobby und auch nicht immer die Energie, für ihr eigentliches Recht auf Arbeit zu kämpfen. Müssen die Leute erst noch kränker werden, damit sich was ändert?
Ich glaube wirklich, was sich nach der Maueröffnung vollzogen hat, wird sich in ähnlicher Weise in den neuen EU-Ländern entwickeln. Und an diesen Überlegungen ändern auch die feudalsten Feuerwerke und Arien erstmal nichts...
naja, jetzt hab ich genug rumgeunkt - auch ich finds natürlich klasse, dass sich Grenzen abbauen, und möglicherweise lassen sich eventuelle Kulturschocks mit einer positiven Grundeinstellung tatsächlich besser bewältigen
Ich habe nichts gegen ein europäisches Bewusstsein, allein: es ist bislang kein tragendes Gemeinschaftsgefühl vorhanden oder? Der "Europäer" an sich ist eher ein Phantom und entwickelt sich eventuell erst mit der Bewältigung der immensen Probleme, die sich im Moment auftun.