Charter Cities - Neokolonialismus oder Entwicklungshilfe?

Charter Cities sind ...

  • ... eine geniale neue, hilfreiche Idee.

    Stimmen: 0 0,0%
  • ... schlechter alter Wein in neuen Schläuchen: Kolonialismus ging schon früher schief.

    Stimmen: 0 0,0%
  • ... mir vollkommen egal, erst mal sind unsere Probleme wichtig.

    Stimmen: 0 0,0%

  • Umfrageteilnehmer
    0

Simple Man

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Der US-Ökonom Paul Romer will in Entwicklungs- und Schwellenländern ganze Städte neu gründen, und zwar unter der Ägide und Verwaltung westlicher Demokratien. Er erhofft sich dadurch Wirtschaftsaufschwünge und Sicherheit für die betreffenden Länder - Vorbild ist hier Hongkong.

Artikel dazu:
Spiegel Online: "US-Ökonom empfiehlt Deutschland als Kolonialmacht"

Financial Times Deutschland: "Der irre Vorschlag eines genialen Wissenschaftlers"


Was haltet ihr von der Idee? Tatsächlich irre? Oder ein neuer Weg, um Entwicklungshilfe zu betreiben? Wo seht ihr Gefahren, wo Vor- und wo Nachteile?
 
G

Guest

Guest
Die Industrieländer stellen die Verwaltung der Sonderzone: die Polizei, die Gerichte und die Grenzkontrollen.....Auch Deutschland könnte die Garantiemacht einer Charter City werden.....unverblümte paternalistische Bevormundung....keine demokratischen Wahlen....
aus Spon

Hmmmm....

Klingt irgendwie nach neuen Kolonien, was nicht das schlechteste sein muss.
 

haruc

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Die Idee find ich prinzipiell garnicht mal so schlecht. Ich meine so wie es bis jetzt läuft (oder auch eben nicht) kanns imho nicht weitergehen. Also warum auch nicht mal was Neues probieren?

Ein Problem vieler Entwicklungsländer ist ja gerade eine gnadenlos ineffiziente und veraltete Verwaltung. Natürlich spielt da auch die Tatsache mit rein, dass die allermeisten Industrieländer garkein Interesse daran haben, dass zb. Länder wie Ghana wirtschaftlich irgendwie auf die Beine kommen.
Durch die Übernahme einer solchen Patenschaft über eine Sonderwirtschaftszone könnte ja durchaus ein Interesse entstehen, diesen Ländern ernsthaft zu helfen. Schließlich wäre es ja beschämend wenn zb. Frankreich erfolgreicher wäre als Wir ;)

Aber dazu wird es nicht wahrscheinlich nicht kommen. Ich freu mich schon auf die ersten unsachlichen, polemischen, unlogischen und ideologisierten Beiträge in der Taz. Ist zwar nichts für meinen Blutdruck aber egal...
 

DrJones

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Zugegebenermaßen finde ich die Idee nicht schlecht.
Die Entwicklungshilfen scheinen ja oft wirkungslos zu verpuffen
bzw falschen Zwecken zuzufließen.

Andererseits habe ich doch ein wenig das Gefühl,
das man die Bevölkerung zu Menschen 2. Klasse degradiert,
wenn der moderne weiße Mann kommt
und zeigen muss wies geht
 

Gammel

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Ich bezweifle das sich ein Konzept was in China (vermutlich) funktioniert hat sich einfach z.b. in Afrika erfolgreich umsetzen laesst. Die Vorraussetzungen und Probleme sind doch ganz andere.

Aber warum probieren wir das nicht erstmal hier bei uns aus. Wie stampfen in MeckPomm ein zweites Muenchen aus dem Boden, mit Oktoberfest, Weisswurst, Fetternwirtschaft und allem was Bayern eben so ausmacht.
 

Goatboy

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Es überrascht mich ein wenig, dass die bisherigen Reaktionen auf die Idee hier überwiegend positiv ausfielen. Nun sind in den beiden genannten Artikeln genauere Informationen leider nicht zu finden und die Machbarkeit und Finanzierung des Ganzen deswegen unklar (wobei sich Romer auch dazu den ein oder anderen Gedanken gemacht haben wird), prinzipiell bin ich aber mit Händen und Füßen dafür. Bürger eines Entwicklungslandes bekommen Arbeit und eine solide Infrastruktur, die beteiligten Industrienationen im besten Falle auch noch Profite. Klingt in meinen Ohren gut.
 

agentP

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Aber warum probieren wir das nicht erstmal hier bei uns aus. Wie stampfen in MeckPomm ein zweites Muenchen aus dem Boden, mit Oktoberfest, Weisswurst, Fetternwirtschaft und allem was Bayern eben so ausmacht.

Was glaubst du warum die mich aus dem Inntal nach Berlin geschickt haben? :rofl:
 

Benkei

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Es gewinnen immer dieselben; es verlieren immer die Gleichen

Namaste!

Ich halte wenig bis nichts von der Idee.

Die Probleme der Entwicklungsländer sind zahlreich (beispielhafte Aufzählung):

- teilweise von den alten Kolonialmächten übernommen (willkürliche Grenzziehung und Zusammenwürfelung von verschiedenen, teilweise verfeindeten Nationen zu einem Staatsvolk),
- teilweise selbstverschuldet (korrupte Regierungen, die die landeseigenen Rohstoffe nur zum eigenen Wohl oder zum Wohl ausländischer Konzern ausbeuten lassen),
- teilweise auferlegt (hohe Importzölle im Fall von Exporten in wichtige Abnehmerstaaten, wie die USA und die EU; durch Entwicklungshilfevereinbarungen auferlegte niedrige Einfuhrzölle auf ausländische Waren die heimische Produkte verdrängen)
- und teilweise natürlich (Viele Entwicklungsländer werden regelmäßig von Naturkatastrophen wie Dürren, Stürmen oder Hochwasser heimgesucht).

Charter Cities würden die Probleme nicht lösen, sondern lediglich denjenigen Perspektiven eröffnen, die auch so schon eher zu Gewinnern in Entwicklungsländern gehören.
Lohnen wird sich das ganze letztlich für die ausländischen Konzerne, die sich so günstig dort ansiedeln können um dann durch die Ausbeutung der einfachen Bevölkerung billig produzieren zu können. Der Vorteil der Charter City ist für den Konzern dann natürlich Rechtssicherheit, die ja in vielen Bananenrepubliken nicht wirklich gegeben ist (welcher El Präsidente lebt schon so lange wie Castro?).
Und natürlich verdienen die Regierigen, oh ich meinte natürlich die Regierenden, mal wieder - denn eine Hand wäscht ja bekanntlich die andere; Vitamin B eben.

< gasshô >

Benkei
 

Goatboy

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Heißt das, man soll die Entwicklungsländer einfach sich selbst und ihrem Schicksal überlassen? Denn Grenzen kann man nicht ohne weiteres ändern, korrupte Regierungen lassen sich oft nicht einmal durch große Kriege ausmerzen, geschweige denn durch Diplomatie, und Naturkatastrophen hören auch nicht so richtig auf uns. Also sparen wir unsere Hilfsgelder doch lieber, richtig?
 

Benkei

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Namaste!
Goatboy schrieb:
Heißt das, man soll die Entwicklungsländer einfach sich selbst und ihrem Schicksal überlassen? Denn Grenzen kann man nicht ohne weiteres ändern, korrupte Regierungen lassen sich oft nicht einmal durch große Kriege ausmerzen, geschweige denn durch Diplomatie, und Naturkatastrophen hören auch nicht so richtig auf uns. Also sparen wir unsere Hilfsgelder doch lieber, richtig?
Nein.

Das heißt mehr Hilfe zur Selbsthilfe leisten und Entwicklungshilfe nicht an Bedingungen knüpfen oder gar Weltbankkredite für völlig unnütze Dinge (z. B. Waffen oder Erntemaschinen, die in westlichen Fabriken produziert werden) gewähren.

Von der Utopie runterkommen, es könnte in Afrika mal so aussehen wie in Europa (vielleicht bei einer allgemeinen Verarmung Europas möglich). Lieber daran arbeiten, dass dort zuerst mal allerorts die Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Bildung, medizinische Versorgung) befriedigt werden können (nach Möglichkeit aus eigener Kraft, also unter Mitarbeit der eigenen Bevölkerung und nicht durch bloße Bevormundung oder eigennützige "Mildtätigkeit").

Und auch "Demokratie um jeden Preis" ist in meinen Augen falsch.

Vor allem auch, wenn die Hauptbotschafter der Demokratie gerade auf dem besten Weg sind, ihren eigenen Bürgern ihre Rechte zu beschneiden.

Das sind meine Gedanken dazu.
Vielleicht bin ich einfach nur ein Phantast, aber sei es drum :)

< gasshô >

Benkei
 

Goatboy

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Na ja, "Hilfe zur Selbsthilfe" ist leicht dahingesagt. Aber eben in Anbetracht dieses Zieles finde ich Romers Vorschlag ja so interessant. Wie ich bereits schrieb: die Städte würden Arbeitsplätze liefern und somit zur Handlungsfähigkeit der Bevölkerung beitragen, sie würden eine vernünftige Infrastruktur mit sich bringen, mit der die von dir genannten Grundbedürfnisse Nahrung, Kleidung, Bildung und medizinische Versorgung zumindest teilweise abgedeckt würden.
 

Benkei

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Goatboy schrieb:
Na ja, "Hilfe zur Selbsthilfe" ist leicht dahingesagt. Aber eben in Anbetracht dieses Zieles finde ich Romers Vorschlag ja so interessant. Wie ich bereits schrieb: die Städte würden Arbeitsplätze liefern und somit zur Handlungsfähigkeit der Bevölkerung beitragen, sie würden eine vernünftige Infrastruktur mit sich bringen, mit der die von dir genannten Grundbedürfnisse Nahrung, Kleidung, Bildung und medizinische Versorgung zumindest teilweise abgedeckt würden.
Klar ist "Hilfe zur Selbsthilfe" leicht dahingesagt - ebenso wie alles, was man hier "vom Schreibtisch" aus an Vorschlägen in den Raum wirft.
Ich dachte da beispielsweise an den Bau von Schulen und Krankenhäusern, der Ausbildung einheimischer Lehrer und Ärzte, Kleinkredite für die einfachen Bauern, etc.

Reiche Carter Cities würden auch für Landflucht sorgen und dafür, dass die nicht teilhabende Bevölkerung neidisch auf die Profiteure schielt und sich dann wieder falsche Ziele setzt.

Wichtig ist hinter allem, m. E. auch die Motivation.
Ich denke kaum jemand "da oben", der diese Ideen befürwortet, tut dies ohne Hintergedanken. An die leidende Bevölkerung in der Dritten Welt denkt meistens niemand (wenn nicht gerade etwas außergewöhnliches wie ein Erdbeben für Schlagzeilen sorgt), sondern eher daran, wie er mehr Profit machen kann - z. B. durch billige Arbeitsplätze und Rohstoffe, und günstig zugängige Absatzmärkte.

Wahrscheinlich liese sich die Umsiedelung deutscher Firmen (und die damit verschwindenden Arbeitsplätze hierzulande) durch die passende Propaganda auch noch als Mildtätigkeit zum Wohle der armen Drittweltler im "Protektorat" hinstellen...

Ich halte, wie gesagt, wenig bis nichts davon.

< gasshô >

Benkei
 

Goatboy

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Benkei schrieb:
Reiche Carter Cities würden auch für Landflucht sorgen
Man möge mich korrigieren, wenn ich mich irre, aber das Problem in Entwicklungsländern ist doch weniger die Landflucht als solche als vielmehr die Überbesiedlung der Städte, deren Kapazitäten den Anforderungen der vielen Einwohner nicht entsprechen können. Wäre es da wirklich so kontraproduktiv, ein paar neue gut ausgerüstete Städte zu errichten?

[...] dass die nicht teilhabende Bevölkerung neidisch auf die Profiteure schielt und sich dann wieder falsche Ziele setzt.
Willst du damit sagen, es sei besser, alle arm zu lassen als einem Teil der Armen zu Wohlstand zu verhelfen?


Wichtig ist hinter allem, m. E. auch die Motivation.
Ich denke kaum jemand "da oben", der diese Ideen befürwortet, tut dies ohne Hintergedanken. An die leidende Bevölkerung in der Dritten Welt denkt meistens niemand (wenn nicht gerade etwas außergewöhnliches wie ein Erdbeben für Schlagzeilen sorgt), sondern eher daran, wie er mehr Profit machen kann - z. B. durch billige Arbeitsplätze und Rohstoffe, und günstig zugängige Absatzmärkte.
Wo ist das Problem? Wäre es nicht genau das, was auf neudeutsch als Win-win-Situation bezeichnet wird?

Wahrscheinlich liese sich die Umsiedelung deutscher Firmen (und die damit verschwindenden Arbeitsplätze hierzulande) durch die passende Propaganda auch noch als Mildtätigkeit zum Wohle der armen Drittweltler im "Protektorat" hinstellen...
Hmm, ich weiß nicht, ob eine Umsiedlung in dem Fall wirklich sinnvoll wäre. Es würden für die Firmen ohnehin hohe Kosten entstehen, allein schon, um alle nötigen Strukturen aufzubauen. Wozu dann also bereits bestehende Werke mit ausgebildeten Arbeitskräften schließen? Vielmehr würden neue Betriebe dann wohl eher im Ausland eröffnet werden als zuhause, ja. Das könnte in der Tat ein Nachteil sein.
Wenn sich Siemens und Bosch dann als Gutmenschen und Wohltäter hinstellen, tut das auch niemandem weh.
 

Benkei

Großmeister
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Goatboy schrieb:
Man möge mich korrigieren, wenn ich mich irre, aber das Problem in Entwicklungsländern ist doch weniger die Landflucht als solche als vielmehr die Überbesiedlung der Städte, deren Kapazitäten den Anforderungen der vielen Einwohner nicht entsprechen können. Wäre es da wirklich so kontraproduktiv, ein paar neue gut ausgerüstete Städte zu errichten?
Die Landflucht sehe ich schon als Problem.
Wegen falscher Vorstellungen geben Landarbeiter und Kleinbauern ihre Jobs in ländlichen Gebieten auf oder verkaufen gar ihren Ackerboden und ziehen in die Städt um dort ihr Glück zu versuchen (ob die Familien jetzt gleich mitgenommen werden oder erstmal auf dem Land bleiben, sei mal dahingestellt).
Meistens geht es ihnen nach dieser Umorientierung schlechter als vorher. Entweder sie finden keine Arbeit und verarmen noch mehr (bis zum Verhungern will ich jetzt mal nicht gehen) oder sie finden Arbeit und leben in unwürdigen Bedingungen (als Vergleich ziehe ich mal chinesische Wanderarbeiter heran).
Die Überfüllung von Slums, also die "Kapazitätensprengung" in Bezug auf Unterkünfte und Infrastruktur, sehe ich erstmal eher als Folge der Landflucht, denn als eigenständiges Problem. Dazu wird es dann erst, wenn die Familien nachgezogen sind und die nächste Generation bereits in den Slums geboren wird.

Willst du damit sagen, es sei besser, alle arm zu lassen als einem Teil der Armen zu Wohlstand zu verhelfen?
Ich will damit sagen, dass ich es für sinnvoller halte, den allgemeinen Standard zu heben als ein paar Leuten die Möglichkeit auf Einfamilienhaus, Auto, Unterhaltungselektronik, etc. zu eröffnen.


Wo ist das Problem? Wäre es nicht genau das, was auf neudeutsch als Win-win-Situation bezeichnet wird?
Auf lange Sicht zementiert diese Situation nur die bereits jetzt bestehenden Abhängigkeiten oder verlagert diese. Die wirklichen Gewinner sind die Großunternehmen und die wirklichen Verlieren sind längerfristig die Entwicklungsländer, weil ihnen weiterhin verwehrt bleibt etwas "eigenes" aufzubauen.

Hmm, ich weiß nicht, ob eine Umsiedlung in dem Fall wirklich sinnvoll wäre. Es würden für die Firmen ohnehin hohe Kosten entstehen, allein schon, um alle nötigen Strukturen aufzubauen. Wozu dann also bereits bestehende Werke mit ausgebildeten Arbeitskräften schließen?
Um die nötigen Strukturen zu schaffen werden dann ja gerade die Carter-Cities eingerichtet.
So wie ich unsere Politik kenne, würde das dann im Falle deutscher/europäischer Beteiligung, erstmal zu Lasten der Allgemeinheit (des Steuerzahlers) gehen, und die Profiteure sitzen wieder in den Chefetagen der Großkonzerne.
Die Lobbyisten der Konzerne werden da schon passend die Parteispenden anbringen können :wink:

Vielmehr würden neue Betriebe dann wohl eher im Ausland eröffnet werden als zuhause, ja. Das könnte in der Tat ein Nachteil sein.
Wenn sich Siemens und Bosch dann als Gutmenschen und Wohltäter hinstellen, tut das auch niemandem weh.
Nein, weh tut es keinem.
Aber faktisch wird der Verbraucher wieder ver*rscht, und "Made in Germany" wird noch mehr zu leerem Geschwafel.

< gasshô >

Benkei
 
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