WELT AM SONNTAG, Hamburg, 26. April 1953
Interview unseres wissenschaftlichen Mitarbeiters Dr. WERNER KELLER mit Oberingenieur GEORG KLEIN
Die Nachrichten aus Kanada beweisen, daß es sich bei den „fliegenden Untertassen“ nicht um Phantasieprodukte handelt. Wie hier bekannt wird, hat diese Entwicklung im Flugwesen während des letzten Krieges auch schon in Deutschland eingesetzt. Die „WELT AM SONNTAG“ stellt ihren Lesern den deutschen Experten vor, der als Augenzeuge den ersten Start einer bemannten Flugscheibe erlebt hat. Es ist Oberingenieur Georg Klein, ehemaliger Sonderberater des Reichsministeriums Speer.
Frage: Hat nach Ihrer Ansicht durch den jetzt gemeldeten Bau „fliegender Untertassen“ eine neue flugtechnische Entwicklung begonnen?
Oberingenieur KLEIN: Für den Fachmann handelt es sich hierbei keineswegs um eine ganz neue Entwicklung. Konstruktionen dieser Art wurden während des letzten Krieges zumindest auch in Deutschland bereits als Versuchsmuster entwickelt. Ich selbst war am 14. Februar 1945 in Prag Augenzeuge des ersten Starts einer bemannten Flugscheibe. Diese Versuchsmaschine erreichte im Steigflug eine Höhe von 12.400 m innerhalb von drei Minuten und entwickelte im Geradeausflug eine Spitzengeschwindigkeit von 2200 km in der Stunde. Bei diesem ersten Probeflug wurde also nahezu die doppelte Schallgeschwindigkeit erreicht. Das mag erstaunlich klingen; praktisch lassen sich aber mit diesem Scheibentyp auf Grund seiner geradezu idealen aerodynamischen Form sogar Geschwindigkeiten von 4000 km´ st und mehr erzielen.
Frage: Solche hohen Geschwindigkeiten bringen doch sicherlich fast unlösbare technische Schwierigkeiten mit sich?
Oberingenieur KLEIN: Die enormen Geschwindigkeiten erfordern besondere Metallegierungen, die bisher im Flugzeugbau verwendeten Metalle würden bei der dabei entstehenden Hitzeentwicklung schmelzen. Eine solche Legierung lag vor. Der Start in Prag war das Ergebnis einer Forschungs- und Entwicklungsarbeit, die, 1941 begonnen, Millionenbeträge verschlang. Gegen Ende 1944 waren drei verschiedene Konstruktionen fertiggestellt. Man hatte zwei grundsätzlich verschiedene Wege eingeschlagen. Den einen Typ hatte der bekannte V-Waffen-Konstrukteur Miethe entwickelt, er bestand aus einer diskusähnlichen, nicht rotierenden Scheibe von 42 Metern Durchmesser. Im Gegensatz dazu drehte sich bei den Konstruktionen von Habennohl und Schriever ein breitflächiger Ring um eine feststehende, kugelförmige Pilotenkabine. Dieser Ring war durch verstellbare Flügelblätter mehrfach unterteilt und ermöglichte damit senkrechten Start und ebensolche Landung.
Frage: Was wurde aus den damals fertiggestellten Versuchsmaschinen und ihren Konstrukteuren?
Oberingenieur KLEIN: In Prag wurden die bereits erprobte Scheibe und die noch im Bau befindlichen Maschinen einschließlich aller Konstruktionspläne kurz vor dem Einmarsch der Sowjets von uns zerstört. In Breslau jedoch fielen ein Versuchsmuster von Miethe sowie die engsten Mitarbeiter des Konstrukteurs in die Hände der Russen. Von Habermohl und seinen beiden Mitarbeitern fehlt seit der Besetzung Prags jede Spur. Der Einflieger und Konstrukteur Schriever, der zuletzt bei Bremen lebte, ist vor wenigen Wochen verstorben. Miethe, der im letzten Augenblick Breslau mit einer Me-163 verließ und sich zeitweilig in Frankreich befand, ist, wie mir bekannt wurde, heute in den USA tätig.
Frage: Sind Sie auf Grund ihrer Erfahrungen der Ansicht, daß die Flugscheiben die Luftfahrtentwicklung entscheidend beeinflussen werden?
Oberingenieur KLEIN: Angesichts der ungeheuren Geschwindigkeiten, die mit diesen Typen erreicht werden, kann man sich vorstellen, daß sie für Düsenverkehrsmaschinen eine große Konkurrenz darstellen konnten. Selbstverständlich wäre es technisch ohne weiteres möglich, „fliegende Untertassen“ zu bauen, die in der Lage waren, 30 bis 50 Passagiere aufzunehmen. Bei einer Stundengeschwindigkeit von 4000 km würde ein Flug von Hamburg nach New York nur etwa 90 Minuten dauern. Eine solche Konstruktion ist jedoch völlig unrentabel, da die Scheibe dann zu große Baumaße voraussetzt. Dieser Auffassung ist auch der mir bekannte italienische Konstrukteur Prof. Giuseppe Beluzzo. Die bei dem Bau der „fliegenden Untertassen“ gewonnenen Erfahrungen eröffnen jedoch auf dem Gebiet der Kleinstflugzeuge hervorragende Möglichkeiten. In den USA hat man bereits damit begonnen, Hubschrauber als „Lufttaxi“ einzusetzen. Es ist das Ziel großer Werke wie Sikorski und Hiller, Kleinsthubschrauber zum „fliegenden Auto“ für jedermann werden zu lassen. Einem Hubschrauber gegenüber besitzt aber die „fliegende Scheibe“ erhebliche Vorteile. Es lassen sich damit bedeutend größere Geschwindigkeiten erreichen. Als entscheidendes Moment kommt außerdem eine größere Flugsicherheit hinzu. Die Pläne für ein solches Scheibenteil sind ausgearbeitet. Dafür, daß auch der Osten nicht untätig geblieben ist, dürften meines Erachtens die letzten amerikanischen Meldungen aus Korea sprechen. Dort wurden von den UNO-Streitkräften erst vor wenigen Tagen mehrere „fliegende Scheiben“ eingehend beobachtet.
Quelle: WELT AM SONNTAG, Hamburg, 26. April 1953, Interwiev mit Oberingenieur GEORG KLEIN
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