Giacomo_S
Ehrenmitglied
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- 13. August 2003
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Die normative Kraft des Faktischen oder wie man Klassiker für immer ruiniert
Faktum Nr.1: Die bayerische Steak-Katastrophe
Einmal saß ich - damals in einer beruflichen Kochpause - mit meinen Bürokollegen in einem gutbürgerlichen Münchener Restaurant. Meine Tischdame hatte, so wie ich, ein Rinderfiletsteak bestellt. Natürlich “medium” - Hand auf’s Herz: Ein Genießer kann sein Steak gar nicht anders bestellen. Es sei denn, er ist Steinzeit-Gourmet oder Vampir, dann darf es auch blutig sein.
Als ich das Steak dann anschnitt, war sofort klar: Es ist durchgebraten, bestenfalls halbrosa, (besser: “am Punkt”) aber nie und nimmer medium, sprich rosa. Das hatte ich befürchtet (aber nicht wahrhaben wollen, denn schließlich war das hier nicht Winni’s Schnitzelbude), denn in Bayern war mir dies nicht zum ersten Mal passiert. Eigentlich immer. Die Reklamation wurde anstandslos und professionell bearbeitet; und während der Rest der Gruppe aß, grinsten meine Begleiterin und ich in die Menge und machten die sprichwörtliche gute Miene zum bösen Spiel. “Ich habe es schon lange aufgegeben, in einer oberbayerischen Gaststätte ein Steak zu bestellen”, versicherte mir mein damaliger Chef beim Verlassen des Lokals. Jemand übrigens, der viel in Restaurants speist - und dafür auch ordentlich Geld ausgibt.
Nur: Warum kann in Bayern kein Koch Steaks medium braten? In der Küche eines gutbürgerlichen Restaurants arbeiten ausgebildete Köche. Die haben das gelernt wie ich, warum bekommen die das nicht auf die Reihe?
Man kann bis zu sieben Garstufen beim Steak unterscheiden, beschränken wir uns hier der einfachheit halber auf vier: Blutig, rosa, halbrosa, durch. Oder anders gesagt: Roh, super, geht zähneknirschend, Schuhsohle. Der in der Gastronomie öfter vorkommende englische Begriff “medium” entspricht exakt dem deutschen “rosa”. Wo ist also das Problem ?
Nach Jahren beruflicher Abstinenz selbst wieder als Koch in der Küche angekommen, nunmehr als Küchenchef einer kleinen Mittagsküche, holten mich bayerische Wahrheiten eines Tages ein - diesmal von der anderen Seite der Küchenluke. Das uruguayische Steak wurde von den Gästen i.d.R. medium bestellt; klassisch geht man zudem von genau dieser Garstufe aus, falls der Gast nichts anderes ordert. Genau so regelmäßig kam das Steak dann aber auch als Reklamation zurück, “das ist ja noch roh innendrin!”. Jetzt hatte ich ein Problem. Sicher, ich war im Recht, das Fleisch war definitiv rosa. Aber was hilft’s: Der Kunde ist schließlich König,. In der Gastronomie eher sogar Kaiser. Was war da passiert?
Der Vorgang ist verzwickt, aber nicht undurchschaubar. Die Ursache ist sogar ganz simpel: Bayern mögen kein rosa gebratenes, gar blutiges Fleisch. Historisch gesehen liegt das in ihrer Schweinsbratenküche begründet, die die Österreicher um (natürlich durchgebratene) Schnitzel erweitert haben. Und mit den Engländern wollten sie - als Juniorpartner Napoleons - erst Recht nie nichts zu tun haben. In der Postmoderne mag auch die Europa-Hypochonder-kommissarische Unsitte, Anweisungen wie “das Fleisch ist vor dem Verzehr durchzugaren” auf Steakverpackungen der Supermärkte zu schreiben daran schuld sein. Als Koch ist mir das herzlich egal. Du bekommst Deine Schuhsohle, wenn Du das so willst.
Sag’s halt einfach.
Das hindert den weltmännischen Bayern allerdings nicht daran, in Lifestyle-Magazinen (gut, der “Brigitte”) “medium” zu lesen. Offenbar ohne es zu verstehen. Die Inhalte werden vergessen, “medium” bleibt hängen. Und so bestellt man halt medium, und sei es nur, um auch dem allerletzten Kollegen zu versichern: Ich mag zwar Bayer sein, bin aber dennoch ein Mann/Frau von Welt.
Der langjährige, frus.. äh routinierte bayerische Koch weiss das alles längst. Er brät das Steak dann einfach grundsätzlich durch. Es reklamieren einfach bedeutend weniger Gäste das fälschlicherweise durchgebratene Fleisch, als die paar Kenner, die auch medium wollen, wenn sie medium bestellen (und Preißn san’s a no).
Hoffen wir, das dergleichen nur in Bayern passiert, denn: Auf Dauer, über die Jahre, ruiniert man mit derartigem Gebaren einen Begriff. Aus dem Begriff “medium” (= rosa) wird, durch die normative Kraft des Faktischen, ein “medium” (= durchgebraten).
Was kann der Feinschmecker also tun, um sein medium Steak zu bekommen? Es bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten: Entweder in ein teures Spezial-Restaurant gehen, ein Lokal der Kategorie “dry aged” wird das todsicher hinbekommen. Oder zu Hause kochen und den durchgaren-Europa-Wichtigtuer-Hinweis einfach ignorieren. Traurig, aber wahr.
Faktum Nr.2: Klassiker, garfertig für die Raumstation
Bayerischen Steak-Schludrigkeiten mag man ja wenigstens noch verzeihen: Es ist eine Mehrheit dumpfbackener Gäste, die zum Ruin eines Klassikers beigetragen haben. Anders sieht das aus, wenn - aus Personalmangel, Faulheit oder purem Unvermögen - die Gastronomie selbst einen ehemals anerkannten Klassiker zu Convenience-Trash verkommen lässt.
Ein Beispiel dafür ist die Beilage “Pommes Macaire”, die ich in einem gutbürgerlichen Lokal mal auf der Wochenkarte hatte. Pommes Macaire ist nicht nur ein Klassiker, sondern ist und hat auch Klasse. Und in unserer heutzutage so verdichteten Arbeitswelt ist diese französische Kartoffelzubereitung nicht ohne Aufwand. Die Kartoffeln wollen geschält, gekocht und im Ofen getrocknet werden. Durch die Kartoffelpresse gedrückt, wird die Masse mit gebratenem Speck, glasigen Zwiebelchen, Petersilie und Ei (aber eben kein Mehl) zu einer kriminellen Masse verarbeitet, die dem Koch einiges handwerkliches Können und Erfahrung abverlangt. Zu Rollen geformt, darf sich die Masse dann noch mal mindestens 1-2 Stunden im Kühlschrank ausruhen, bevor sie dann “à la minute” ,in Scheiben geschnitten, in der schwach gefetteten Pfanne goldbraun ausgebraten wird.
So weit die Theorie.
In der Praxis gibt es eine Tüten-Frostware irgendeines ominösen Herstellers, Titel: “Pommes Macaires”. “Ausgebraten” werden die eiförmigen Boller dann in der Fritte. Im Ergebnis haben die furztrockenen Kartoffel-Bouletten mit dem erhabenen Klassiker dann soviel gemein, wie … äh ...Moment ...es fehlt mir der Vergleich, denn außer dem Namen haben sie nichts miteinander gemein.
Im Grunde ist das eine Art Etikettenschwindel, und so mancher Gast, dem man das einst so servierte, wird es nicht wieder bestellen. Leider, denn in meiner kleinen Küche kann ich es mittlerweile fast nicht mehr auf die Speisekarte setzen. Die Mühe der Vorbereitung ist dann einfach umsonst: Es bleibt liegen. Sicher, man könnte “hausgemacht” auf die Karte schreiben. Aber auch diese Ergänzung ist mit Vorsicht zu behandeln. Denn wie es einerseits völliger Unfug wäre, überall auf der Speisekarte den Terminus “hausgemacht” anzubringen, so könnte andererseits der Eindruck entstehen, man würde seinen Gästen überall dann abgehalfterten Convenience-Food andrehen, wo er denn fehlt.
Besser, man lässt’s erst gleich ganz bleiben, mit den Pommes Macaire. Im Grunde vielleicht auch nicht das Schlechteste: Lieber denkt man sich neue Sachen aus.
Faktum Nr.1: Die bayerische Steak-Katastrophe
Einmal saß ich - damals in einer beruflichen Kochpause - mit meinen Bürokollegen in einem gutbürgerlichen Münchener Restaurant. Meine Tischdame hatte, so wie ich, ein Rinderfiletsteak bestellt. Natürlich “medium” - Hand auf’s Herz: Ein Genießer kann sein Steak gar nicht anders bestellen. Es sei denn, er ist Steinzeit-Gourmet oder Vampir, dann darf es auch blutig sein.
Als ich das Steak dann anschnitt, war sofort klar: Es ist durchgebraten, bestenfalls halbrosa, (besser: “am Punkt”) aber nie und nimmer medium, sprich rosa. Das hatte ich befürchtet (aber nicht wahrhaben wollen, denn schließlich war das hier nicht Winni’s Schnitzelbude), denn in Bayern war mir dies nicht zum ersten Mal passiert. Eigentlich immer. Die Reklamation wurde anstandslos und professionell bearbeitet; und während der Rest der Gruppe aß, grinsten meine Begleiterin und ich in die Menge und machten die sprichwörtliche gute Miene zum bösen Spiel. “Ich habe es schon lange aufgegeben, in einer oberbayerischen Gaststätte ein Steak zu bestellen”, versicherte mir mein damaliger Chef beim Verlassen des Lokals. Jemand übrigens, der viel in Restaurants speist - und dafür auch ordentlich Geld ausgibt.
Nur: Warum kann in Bayern kein Koch Steaks medium braten? In der Küche eines gutbürgerlichen Restaurants arbeiten ausgebildete Köche. Die haben das gelernt wie ich, warum bekommen die das nicht auf die Reihe?
Man kann bis zu sieben Garstufen beim Steak unterscheiden, beschränken wir uns hier der einfachheit halber auf vier: Blutig, rosa, halbrosa, durch. Oder anders gesagt: Roh, super, geht zähneknirschend, Schuhsohle. Der in der Gastronomie öfter vorkommende englische Begriff “medium” entspricht exakt dem deutschen “rosa”. Wo ist also das Problem ?
Nach Jahren beruflicher Abstinenz selbst wieder als Koch in der Küche angekommen, nunmehr als Küchenchef einer kleinen Mittagsküche, holten mich bayerische Wahrheiten eines Tages ein - diesmal von der anderen Seite der Küchenluke. Das uruguayische Steak wurde von den Gästen i.d.R. medium bestellt; klassisch geht man zudem von genau dieser Garstufe aus, falls der Gast nichts anderes ordert. Genau so regelmäßig kam das Steak dann aber auch als Reklamation zurück, “das ist ja noch roh innendrin!”. Jetzt hatte ich ein Problem. Sicher, ich war im Recht, das Fleisch war definitiv rosa. Aber was hilft’s: Der Kunde ist schließlich König,. In der Gastronomie eher sogar Kaiser. Was war da passiert?
Der Vorgang ist verzwickt, aber nicht undurchschaubar. Die Ursache ist sogar ganz simpel: Bayern mögen kein rosa gebratenes, gar blutiges Fleisch. Historisch gesehen liegt das in ihrer Schweinsbratenküche begründet, die die Österreicher um (natürlich durchgebratene) Schnitzel erweitert haben. Und mit den Engländern wollten sie - als Juniorpartner Napoleons - erst Recht nie nichts zu tun haben. In der Postmoderne mag auch die Europa-Hypochonder-kommissarische Unsitte, Anweisungen wie “das Fleisch ist vor dem Verzehr durchzugaren” auf Steakverpackungen der Supermärkte zu schreiben daran schuld sein. Als Koch ist mir das herzlich egal. Du bekommst Deine Schuhsohle, wenn Du das so willst.
Sag’s halt einfach.
Das hindert den weltmännischen Bayern allerdings nicht daran, in Lifestyle-Magazinen (gut, der “Brigitte”) “medium” zu lesen. Offenbar ohne es zu verstehen. Die Inhalte werden vergessen, “medium” bleibt hängen. Und so bestellt man halt medium, und sei es nur, um auch dem allerletzten Kollegen zu versichern: Ich mag zwar Bayer sein, bin aber dennoch ein Mann/Frau von Welt.
Der langjährige, frus.. äh routinierte bayerische Koch weiss das alles längst. Er brät das Steak dann einfach grundsätzlich durch. Es reklamieren einfach bedeutend weniger Gäste das fälschlicherweise durchgebratene Fleisch, als die paar Kenner, die auch medium wollen, wenn sie medium bestellen (und Preißn san’s a no).
Hoffen wir, das dergleichen nur in Bayern passiert, denn: Auf Dauer, über die Jahre, ruiniert man mit derartigem Gebaren einen Begriff. Aus dem Begriff “medium” (= rosa) wird, durch die normative Kraft des Faktischen, ein “medium” (= durchgebraten).
Was kann der Feinschmecker also tun, um sein medium Steak zu bekommen? Es bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten: Entweder in ein teures Spezial-Restaurant gehen, ein Lokal der Kategorie “dry aged” wird das todsicher hinbekommen. Oder zu Hause kochen und den durchgaren-Europa-Wichtigtuer-Hinweis einfach ignorieren. Traurig, aber wahr.
Faktum Nr.2: Klassiker, garfertig für die Raumstation
Bayerischen Steak-Schludrigkeiten mag man ja wenigstens noch verzeihen: Es ist eine Mehrheit dumpfbackener Gäste, die zum Ruin eines Klassikers beigetragen haben. Anders sieht das aus, wenn - aus Personalmangel, Faulheit oder purem Unvermögen - die Gastronomie selbst einen ehemals anerkannten Klassiker zu Convenience-Trash verkommen lässt.
Ein Beispiel dafür ist die Beilage “Pommes Macaire”, die ich in einem gutbürgerlichen Lokal mal auf der Wochenkarte hatte. Pommes Macaire ist nicht nur ein Klassiker, sondern ist und hat auch Klasse. Und in unserer heutzutage so verdichteten Arbeitswelt ist diese französische Kartoffelzubereitung nicht ohne Aufwand. Die Kartoffeln wollen geschält, gekocht und im Ofen getrocknet werden. Durch die Kartoffelpresse gedrückt, wird die Masse mit gebratenem Speck, glasigen Zwiebelchen, Petersilie und Ei (aber eben kein Mehl) zu einer kriminellen Masse verarbeitet, die dem Koch einiges handwerkliches Können und Erfahrung abverlangt. Zu Rollen geformt, darf sich die Masse dann noch mal mindestens 1-2 Stunden im Kühlschrank ausruhen, bevor sie dann “à la minute” ,in Scheiben geschnitten, in der schwach gefetteten Pfanne goldbraun ausgebraten wird.
So weit die Theorie.
In der Praxis gibt es eine Tüten-Frostware irgendeines ominösen Herstellers, Titel: “Pommes Macaires”. “Ausgebraten” werden die eiförmigen Boller dann in der Fritte. Im Ergebnis haben die furztrockenen Kartoffel-Bouletten mit dem erhabenen Klassiker dann soviel gemein, wie … äh ...Moment ...es fehlt mir der Vergleich, denn außer dem Namen haben sie nichts miteinander gemein.
Im Grunde ist das eine Art Etikettenschwindel, und so mancher Gast, dem man das einst so servierte, wird es nicht wieder bestellen. Leider, denn in meiner kleinen Küche kann ich es mittlerweile fast nicht mehr auf die Speisekarte setzen. Die Mühe der Vorbereitung ist dann einfach umsonst: Es bleibt liegen. Sicher, man könnte “hausgemacht” auf die Karte schreiben. Aber auch diese Ergänzung ist mit Vorsicht zu behandeln. Denn wie es einerseits völliger Unfug wäre, überall auf der Speisekarte den Terminus “hausgemacht” anzubringen, so könnte andererseits der Eindruck entstehen, man würde seinen Gästen überall dann abgehalfterten Convenience-Food andrehen, wo er denn fehlt.
Besser, man lässt’s erst gleich ganz bleiben, mit den Pommes Macaire. Im Grunde vielleicht auch nicht das Schlechteste: Lieber denkt man sich neue Sachen aus.