Wohin steuert Ungarn?

Themis

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Im Schatten der Finanz- und Währungskrise in Europa und den USA, den arabischen Aufständen und der damit drohenden Flüchtlingswelle, dem Machtkampf in der Elfenbeinküste, der Atompolitik nach den Ereignissen in Japan und der möglichen Neuausrichtung der FDP etabliert sich in Ungarn allem Anschein nach durch die anstehende Verfassungsreform ganz leise ein demokratisch legitimierter Souverän.

Seht selbst:
Man reibt sich die Augen: Diese Verfassung könnte tatsächlich Orbáns Identifikation seines Führungsanspruchs mit dem Willen der ungarischen Nation zu einer sich selbst reproduzierenen Realität machen.
http://verfassungsblog.de/ungarn-orban-forever/

Nach seinem jüngsten Versuch der radikalen Beschneidung der Pressefreiheit in Ungarn besteht hier m.E. ein ernsthafter Grund zur Sorge.

Auch Nachbarn scheinen schon voller Ungehagen zu sein...
Die Politik des ungarischen Premiers Viktor Orban „basiert auf Revisionismus und kann zu Konflikten in Mitteleuropa führen“, betonte der slowakische Ex-Ministerpräsident Robert Fico am Mittwochabend im slowakischen Parlament in Bratislava (Preßburg).
http://www.tt.com/csp/cms/sites/tt/...remier-kritisiert-revisionismus-in-ungarn.csp

Das wäre doch mal eine Möglichkeit für Westerwelle sich zu profilieren, immerhin geht es hier um ein urliberales Kernthema.
Oder wie seht ihr das?
 

Telepathetic

Großmeister
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Diktatoren der Welt, wenn ihr nicht so enden wollt wie Mubarak: So müsst ihr es machen. So sorgt man auf strikt demokratische, strikt legale Weise dafür, dass man immer und ewig mächtig bleibt. Von Viktor Orbán lernen, heißt herrschen lernen. Hut ab: Der Mann ist in gewisser Weise richtig gut.
http://verfassungsblog.de/ungarn-orban-forever/

So verblödet ist kein Volk der Welt, dass es Ungerechtigkeit nicht bemerkt und obendrein keine Wege zur Besserung sucht.

Meiner Meinung nach wird sich Ungarn innerhalb der EU immer mehr isolieren und die EU zu Maßnahmen zwingen, wenn ihr die Einhaltung der Menschenrechte und die Demokratie wichtiger sind als elitäres politisches und ökonomisches Denken.
 

Laokoon

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So verblödet ist kein Volk der Welt, dass es Ungerechtigkeit nicht bemerkt und obendrein keine Wege zur Besserung sucht.

Naja, das hat nicht unbedingt etwas mit "kollektiver Blödheit" zu tun. Sonst hätte ja auch irgendwer in den Zwanziger und Dreißiger Jahren mal zufällig den deutschen, italienischen oder österreichischen Faschimus bemerken können.

Vielleicht hat die Bevölkerung andere Probleme? Oder erwartet nichts von der Politik? Oder findet den generellen Kurs der Regierung gut? Immerhin gibt es rechtsradikale Bürgerwehren, die gegen angebliche "Zigeunerkriminalität" vorgehen. Dass die aber tatsächlich eine breite Mehrheit der Bürger vertreten, ist wohl unwahrscheinlich, kann aber trotzdem auf eine derzeitige Grundstimmung hinweisen. Gewalt gegen die Minderheit der Roma in Ungarn hat 2010 schon Amnesty International angeprangert.

Ein zweiter Miklós Horthy bringt doch bestimmt Sicherheit und Frieden.

Die Arbeitslosenquote liegt bei 12,1 %, dass ist der höchste Wert seit 1996 (und weiter gehen die Eurostat-Werte nicht zurück), allerdings eine steigende positive Außenhandelbilanz. Aber die leicht wieder ansteigende Inflationsrate (auf knapp 4,6 %, was aber für Ungarn kein hoher Wert zu sein scheint.) macht ihnen vielleicht auch zu schaffen. :egal:
 

Simple Man

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NZZOnline: "Ungarisches Parlament billigt umstrittene neue Verfassung"
Das ungarische Parlament hat eine umstrittene neue Verfassung verabschiedet. Das neue Gesetzeswerk eröffnet der rechtskonservativen Fidesz-Partei breite Möglichkeiten zur grundlegenden Umgestaltung des Landes und zur Festigung ihrer Macht.

Sueddeutsche.de: "Angst vor Ungarns Arroganz"
Nationales Pathos als Gift: Viktor Orbans Fidesz-Partei hat den Ungarn eine neue Verfassung verordnet. Sie etabliert den Geist ideologischer, völkischer Intoleranz.

:?
 

Telepathetic

Großmeister
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Telepathetic schrieb:
Die neue ungarische Verfassung hat aus Sicht der EU ein großes separatistisches Moment in sich verborgen.
Aus einem Kommentar zu Simple Man's Zeit-Artikel
Ungarn hat ein wirtschaftliches Defizit von 78% des BIP. In der Präambel der neuen Verfassung wird mit dem Bezug auf die "heilige Krone" und den heiliggesprochenen König Stephan eine Brücke zur ungarischen Tradition geschlagen.

Ich frage mich: könnten das Anzeichen dafür sein, dass sich Ungarn aus den Geld-Töpfen der EU bedienen möchte, um sich zu einem wirtschaftlich betrachtet geeigneten Zeitpunkt aus der EU zu verabschieden und sich somit etwaiger Zahlungsverpflichtungen gegenüber den anderen EU-Staaten zu entziehen? Anders gesagt: Schulden tilgen und gewissen Lebensstandard aufbauen auf Kosten der EU?
 

Themis

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Hier noch was zum Rechtsruck in Ungarn
Budapest - Die rechtsradikale ungarische "Bürgerwehr"-Gruppe "Szebb Jövöert" marschiert seit Montagabend im Roma-Viertel der nordungarischen Kleinstadt Hajduhadhaza.
http://derstandard.at/1302516020107/Rechtsextreme-Patrouillen-in-Roma-Viertel


was übrigens auch einigen Menschen hier entgangen sein dürfte, ist der Umstand, dass im letzten Jahr das Verfassungsgericht in Ungarn de facto ausgehebelt wurde.
Am vergangenen Mittwoch verabschiedete das Parlament die umstrittene Beschneidung der Befug­nis­se des Verfassungsgerichts.
http://www.budapester.hu/index.php?Itemid=26&id=7028&option=com_content&task=view


Und schon im November letzten Jahres wurde im guardian vor der Entwicklung in Ungarn gewarnt
Only a few weeks ago the government proposed to curtail the powers of the constitutional court – which after 1989 had been modelled on the German constitutional court and which has an impressive track record in protecting democracy and the rule of law. It is conceivable that before too long Hungary will look more like Russia's "guided democracy" than like any pluralist western democracy with its checks and balances.

We know for sure that two things will happen in 2011: the Hungarian government will propose a new constitution. And Hungary will assume the (rotating) presidency of the EU at the beginning of the year. Might it not be time then for Brussels and for other EU members to make some noise about the profoundly illiberal direction Hungary is taking?
http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2010/nov/23/hungary-europe-democracy-rule-of-law

Ist schon interessant, dass die Empörung über die Entwicklung in Ungarn nicht größer ist.
 

Simple Man

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Giacomo_S

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Themis schrieb:
Ist schon interessant, dass die Empörung über die Entwicklung in Ungarn nicht größer ist.

Das liegt einfach daran, dass mit dem Thema "Schuldenkrise" die Europa-Themen in den Medien derzeit abgedeckelt sind.

Diese vehementen Verfassungsänderungen sind bedenklich, da sie von einer einzigen Partei durchgeführt werden. Andere Regierungen werden große Probleme haben, solche Fehlentwicklungen wieder zu ändern.

Das Problem liegt aber im Grunder tiefer: Wie konnte es überhaupt erst dazu kommen, dass eine einzige Partei die 2/3 - Mehrheit erreichte. Wie blank müssen die Nerven des ungarischen Wählers gelegen haben ?
 

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