Politik/Wirtschaft - Demokratie/Diktatur

Booth

Erleuchteter
Registriert
19. Oktober 2003
Beiträge
1.951
Hallo allerseits,

durch einen gar nicht so umwerfend klingenden Artikel von Spiegel-Online bzgl China + Olympia habe ich mir mal wieder ein paar grundsätzlichere Gedanken gemacht - hier aber zunächst der Artikel:

Renditehungrige Manager: China-Verstehern droht Imagedebakel

Der Tenor des Artikels: China ist eine Diktatur, und viele Manager haben noch nicht ganz begriffen, daß es einer Firma schaden kann, mit Firmen (aus) einer Diktatur Geschäfte zu machen.

Und da stellen sich mir mal wieder ein paar grundsätzliche Fragen.

Zunächst mal ist für mich wichtig, darauf hinzuweisen, daß Unternehmen grundsätzlich undemokratisch organisiert sind. Für nahezu jeden Unternehmer wäre es wohl eine Horrorvorstellung, wenn er darüber nachdenkt, seine Firma demokratisch zu führen. Wieso sollten Manager also in dieser Hinsicht überhaupt schonmal Berührungsängste mit einem nicht-demokratischen Staat haben?

Nun wurde in der Vergangenheit oft behauptet, und der Artikel weist darauf ebenfalls hin, daß man bei undemokratische Staaten nie die Sicherheit hinsichtlich der "Stabilität" hätte, wie in demokratischen Staaten. Wenn ich mir die Sowjetunion anschaue, die über 5 Dekaden stabil war, oder auch das heutige China, was seit rund 25 Jahren stabil ist... umgekehrt aber zum Beispiel Demokratien in Südamerika oder Südostasien anschaue, die teilweise eine sehr kurzfristige Haltbarkeitsdauer hatten... sehe ich kein grundlegendes Indiz, welches diese Theorie untermauert.

In dem Artikel wird auch darauf hingewiesen, daß eine "offene Wirtschaft" einen "offenen Staat" benötige. Doch - wieso? "Die Wirtschaft" gibt es doch eh nicht, sondern prinzipiell ist Wirtschaft einfach ein Angebot einer Leistung, die jemand in Anspruch nehmen möchte, und dafür bereit ist eine Gegenleistung üblicherweise in Form eines Austauschs einer akzeptierten Währung zu erbringen. Das gilt für alle Leistungen - ganz gleich, ob staatlich oder nicht.staatlich. Wiki sagt hier auch ganz richtig:
Wikipedia schrieb:
Als Wirtschaft oder Ökonomie wird die Gesamtheit aller Einrichtungen, wie Unternehmen, private und öffentliche Haushalte, und Handlungen verstanden, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen.
Aus meiner Sicht heisst dies, daß im Prinzip auch staatliche Leistungen eine Wirtschaft darstellen, nur unterliegt das "Unternehmen Staat" anderen Rahmenbedingungen, als alle anderen Unternehmen - es nimmt sich das Recht heraus, bestimmte Monopole zu definieren, und darüber frei zu verfügen.

Und nun der Knackpunkt: Diese Monopole gibt es sowohl in demokratischen, als auch undemokratischen Staaten. Und in beiden Systemen gibt es eine Chance darauf, daß solche Monopole geändert werden - mal zum Vorteil, mal zum Nachteil nicht-staatlicher Unternehmen.

Interessant ist auch, wenn man den Begriff der "Diktatur" ständig liest, und endlich mal darüber nachdenkt. Ich habe oben bewusst von "demokratischen" und "undemokratischen" Staaten gesprochen, denn ein undemokratischer Staat ist mit nichten automatisch eine Diktatur, wenn man mal wieder dem Wörtbuch glauben will:
Wikipüedia schrieb:
Die Diktatur (v. lat. dictatura) ist eine Regierungsform, welche sich durch eine einzelne regierende Person, den Diktator, oder eine regierende (kleine) Gruppe von Personen auszeichnet.
Das ist der erste Satz, der alleine noch keine ausreichende Definition darstellt, da auch in einer Demokratie die regierenden Personen eine kleine Gruppe darstellen. Viel wichtiger sind die anschließenden Informationen:
Wikipedia schrieb:
Im Gegensatz zur Demokratie gibt es in Diktaturen keine freien Wahlen. Jedoch ist nicht jede Staatsform ohne freie Wahlen eine Diktatur. [...] Zum Begriff der Diktatur gehört, dass sie illegitim ist, also eine legitime Staatsform umgestürzt hat oder in ihrem Ursprung nicht verfassungsgemäß ist. [...] Wesentlich ist dabei der Verstoß gegen die Legitimität der Regierung.
Nur... letztlich beinhaltet doch jede Verfassung, daß sie geändert werden kann... zudem wird in dem Artikel klar gesagt, daß eine Demokratie auch zur Diktatur werden kann, wenn sie eben ihre "Legitimität" aushöhlt.

Eigentlich wollte ich auf den Punkt gar nicht sooo genau eingehen. Letztlich dient mir dieser Punkt nur zur Untermauerung meiner These.

Und die besagt schlicht, daß der Spiegel-Autor unrecht hat. Damit eine Wirtschaft florieren kann, bedarf es NICHT einer Demokratie. Es bedarf nur einer gewissen Stabilität insbesondere in den Wirtschafts-Bereichen, die das Aufblühen des Handels ausmachen. Diese Stabilität muss nichtmal eine intensive Rechtssicherheit bieten, wobei diese sicher die Stabilität erhöhen würde, aber definitiv ebenfalls nicht einer Demokratie entspringen muss. Ein Rechtsstaat ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit einer Demokratie.

Worauf ich eigentlich hinaus will? Auf den Punkt, der mir seit Jahren zunehmend Sorgen bereitet.

Ich halte es für durchaus möglich, daß in Russland und China echte Alternativen zu unserem demokratischen Staatsverständnis entstehen könnten, wenn es diese Länder langfristig schaffen, die nötige Stabilität, die zur Entfaltung eines erheblichen Teils der Wirtschaft nötig ist, zu realisieren. Es könnte sich sogar am Ende zeigen, daß ein undemokratischer Staat auf gewisse Anforderungen der Wirtschaft schneller reagieren kann, als ein demokratischer Staat - insbesondere, wenn es um Verletzungen der Menschenrechte geht. Denn machen wir uns nichts vor - die oberste Priorität der Wirtschaft ist es den Beteiligten Profit zu erbringen, und das auch auf Kosten von der "Konkurrenz" oder auch Unbeteiligter. Diese "Kosten" können auch weit mehr als nur finanzielle Kosten sein... letztlich interessiert das einen an der Wirtschaft beteiligten wenig, wenn es ihm selber relativ gut dabei geht.

Ich bin ziemlich gespannt, wie es in den nächsten 20-40 Jahren in der Welt weitergeht, und ich kann mir durchaus vorstellen, daß "die Demokratie" in der Welt einen spürbaren Dämpfer erhält.

Denn letztlich muss man sich schon fragen, wieviel der Demonstranten gegen Olympia mit Kleidung aus chinesischer Fertigung demonstrierte, die Kinder daheim mit Spielzeug aus chinesischer Fertigung spielen lässt, und in einen Fernseher aus chinesicher Fertigung den Bericht über die eigene heroische Tat anschaut.

gruß
Booth
 

dkR

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
6.523
Booth schrieb:
Zunächst mal ist für mich wichtig, darauf hinzuweisen, daß Unternehmen grundsätzlich undemokratisch organisiert sind. Für nahezu jeden Unternehmer wäre es wohl eine Horrorvorstellung, wenn er darüber nachdenkt, seine Firma demokratisch zu führen. Wieso sollten Manager also in dieser Hinsicht überhaupt schonmal Berührungsängste mit einem nicht-demokratischen Staat haben?

gruß
Booth
Ich finde man sollte "undemokratisch" nicht wirklich mit "böse" gleichsetzen. Welche Staatsform das im Endeffekt ist, ist doch völlig Latte, solange man sich auf Grundlegende Formen im Umgang miteinander eingien kann, ein Rechtstaat mit gesicherten Menschen- und Bürgerrechten muß ja nicht unbedingt eine Demokratie sein. Demokratie wie wir sie kennen ist ja eh eine ziemlich neumodische Erfindung und funktioniert eher schlecht denn recht.
Äh, also ich denke man sollte eher der Ansicht sein, dass westliche Manager Berührungsängste mit Menschenrechtsverletzungen haben sollte und weniger mit "undemokratie". Andere Staaten werden wohl nie eine funktionierende Demokratie (haha) nach unseren Vorstellungen haben, macht aber nichts, solange deren System sich an die Menschenrechte hält, kann das uns doch völlig egal sein. Das Feudalsystem hat auch Jahrtausende funktioniert. Wo ist das Problem?
Wirtschaft braucht keine Freiheit und keine Demokratie, Wirtschaft braucht Rechts- und Planungssicherheit.
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
Wieso sollten Manager also in dieser Hinsicht überhaupt schonmal Berührungsängste mit einem nicht-demokratischen Staat haben?
Weil man normalerweise nicht die gleichen Wertmaßstäbe im privaten, geschäftlichen und öffentlichen anlegt, was auch völlig normal ist?
Ich bin z.B. überzeugter Demokrat, wenn es um die Regierungsform geht unter der ich in einem Staat leben möchte, aber wenn es um die Erziehung meiner Kinder geht sieht das völlig anders aus. Da wird an der Ampel nicht abgestimmt, ob wir bei Rot gehen oder nicht, sondern da bin ich ganz Diktator. Ich habe kein Problem einem Bedürftigen auf der Strasse einen Euro zuzustecken oder mich ehrenamtlich sozial zu engagieren. Beides tue ich, und beides tue ich gerne. Aber ich werde zunehmend widerwillig, wenn mir der Staat Geld aus der Tasche zieht um beides zu tun. Wenn ein Amt Geld von mir will, dann nur über meinen Anwalt oder Steuerberater, wenn ich mit einem Geschäftspartner verhandle bin ich ein harter Knochen, wenn meine Frau was von mir will, dann lese ich ihr die Wünsche gerne auch mal von den Lippen ab.
Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch, dass man privat, geschäftlich oder auch politisch nach völlig unterschiedlichen Wertmaßstäben agiert und ich finde es ehrlich gesagt absurd, dass man sich darüber wundern kann.

In dem Artikel wird auch darauf hingewiesen, daß eine "offene Wirtschaft" einen "offenen Staat" benötige. Doch - wieso?

Weil man unter einer "offenen" oder "freien" Wirtschaft eine Wirtschaft versteht, die möglichst frei ist von staatlichen Eingriffen. Das ist halt mal die Definition. Unter einer "offenen Gesellschaft" versteht man eine Gesellschaft, die dem einzelnen Bürger möglichst große Freiheiten lässt.
In einer geschlossenen Gesellschaft versucht der Staat den Bürger möglichst umfassend zu überwachen und zu kontrollieren. Typische Bürgerrechte wie Reisefreiheit, Freizügigkeit etc sind dort eingeschränkt. Um jetzt nur mal ein Beispiel heranzuziehen: Wie soll z.B. freier Handel funktionieren, wenn die Handelspartner nicht frei reisen dürfen?
Oder andersrum: Je freier sich Menschen bewegen können, desto mehr potentielle Handelsbeziehungen können geknüpft werden.
In der Realität kommt natürlich erfahrungsgemäß hinzu, Staaten mit einer geschlossenen Gesellschaft gerne die Wirtschaft an sich ziehen, weil sie natürlich besonders gut taugt um die Menschen zu kontrollieren. Die einzige große Ausnahme, die man immer wieder in der Literatur findet ist hier ja das Chile Pinochets, der als Diktator zumindest eine Zeit lang einer einigermaßen freien Marktwirtschaft freien Lauf ließ.
Ansonsten kann ich nur Milton Friedmans "Kapitalismus und Freiheit" empfehlen, weil da genau dieser Aspekt, "offene Wirtschaft" benötigt "offenen Staat" ausgiebigst herumgeritten wird.


Nur... letztlich beinhaltet doch jede Verfassung, dass sie geändert werden kann... zudem wird in dem Artikel klar gesagt, dass eine Demokratie auch zur Diktatur werden kann, wenn sie eben ihre "Legitimität" aushöhlt.
Wer sagt das? Warum gibt es keine Verfassungen, die ihre eigene Unabänderlichkeit schon enthalten`?
Was du mit dem zweiten Teil sagen willst verstehe ich ehrlich gesagt gar nicht. Eine derart "augehöhlte" Demokratie ist dann eine Ex-Demokratie, eine Diktatur. So what?

Und die besagt schlicht, daß der Spiegel-Autor unrecht hat. Damit eine Wirtschaft florieren kann, bedarf es NICHT einer Demokratie.

Ich dachte die Prämisse war nicht, es bedarf einer Demokratie, sondern es bedarf einer "offenen Gesellschaft" (zumindest war das dein Ausgangspunkt oben) und das ist nicht das gleiche. Ich würde zwar sagen für die "offene Gesellschaft" ist die Demokratie vermutlich die praktikabelste Staatsform, aber es ist offensichtlich, dass nicht jede Demokratie auch eine offene Gesellschaft ist.
 

Ähnliche Beiträge

Oben