WER seinen Sommerurlaub dieses Jahr in den Vereinigten Staaten
verbringen möchte, sollte wissen, dass die Fluggesellschaften kraft
eines Abkommens zwischen der EU-Kommission und der US-Regierung
bestimmte persönliche Daten ohne vorheriges Einverständnis an die
US-Grenzbehörden übermitteln. Diese kennen also, noch bevor der
Reisende an Bord geht, dessen sämtliche Daten: Name, Vorname, Alter,
Adresse, Pass- und Kreditkartennummer, Gesundheitszustand,
Ernährungspräferenzen - die womöglich die Religionszugehörigkeit
verraten -, bisherige Reisen, Name und Alter der Begleitpersonen, ob
und von welcher Organisation die Reise finanziert wurde, u. v. m.
Sämtliche Daten werden durch ein computergestütztes
Passagierüberprüfungssystem namens Capps geschickt, das potenzielle
Verdachtspersonen herausfiltern soll. Das "Computer Assisted Passenger
Pre-Screening" vergleicht die Personendaten mit Informationen, die den
polizeilichen Informationssystemen, dem Außen- und dem
Justizministerium wie auch den Banken vorliegen, es ermittelt den
Gefährlichkeitsgrad des Reisenden, der dann mit einer bestimmten Farbe
kenntlich gemacht wird: Grün bedeutet ungefährlich, Gelb bedeutet
verdächtig, und wer Rot bekommt, darf das Flugzeug nicht betreten und
wird sofort festgenommen.
"Die Einwanderungsbehörden und das Außenministerium arbeiten zusammen,
um Personen zu identifizieren, die bei ihrer Einreise in die
Vereinigten Staaten oder schon im Vorfeld zu überwachen sind", ließ
US-Justizminister John Ashcroft wissen. "Wir überprüfen jeden Besucher
auf das Risiko einer Beteiligung an terroristischen Aktivitäten."
Jeder Reisende muslimischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten gilt von
vornherein als verdächtig und bekommt die Farbe Gelb verpaßt. Das
Grenzsicherungsprogramm gestattet es in diesem Fall, den Reisenden zu
fotografieren und Fingerabdrücke zu nehmen.
Ins Fadenkreuz geraten aber auch die Lateinamerikaner. So haben die
USA bereits Datensätze von 65 Millionen Mexikanern, 31 Millionen
Kolumbianern und weiteren 18 Millionen Menschen aus Zentralamerika
angelegt, ohne die Betroffenen zu informieren oder das Einverständnis
ihrer Regierung einzuholen. Die Datensammlung umfasst Geburtsort und
Geburtsdatum, Geschlecht und Familienstand, die Personalien der
Eltern, den Beruf sowie eine äußerliche Personenbeschreibung. Häufig
enthält sie auch noch weitere vertrauliche Informationen wie Adresse,
Telefon- und Kontonummer, Fahrzeugkennzeichen und Fingerabdrücke.
"Unser Ziel ist eine sicherere Welt. Wir müssen wissen, welches Risiko
von Personen ausgeht, die in unser Land einreisen", erklärte
ChoicePoint-Manager James Lee. Das in Atlanta ansässige Unternehmen
kauft die erwähnten Daten ein, um sie an die US-Administration
weiterzuverkaufen. Denn nach US-amerikanischem Recht ist zwar die
Speicherung persönlicher Daten untersagt, nicht aber der Auftrag an
ein Privatunternehmen, diese Aufgabe für die Regierung zu erledigen.
Die Firma ChoicePoint hat sich schon anderweitig einen Namen gemacht.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2000 hatte der Bundesstaat Florida an
die ChoicePoint-Tochter Database Technologies (DBT) den Auftrag
vergeben, die Wählerlisten zu durchforsten. Mit dem Ergebnis, dass
Tausende ihr Wahlrecht einbüßten und George W. Bush die Wahlen in
Florida mit den entscheidenden 537 Stimmen Vorsprung gewann.
OBWOHL die Fremdenfeindlichkeit nach den Attentaten vom 11. September
2001 zweifellos zugenommen hat, werden nicht nur Ausländer, sondern
auch US-Bürger scharf überwacht. Der USA Patriot Act sieht neue
Überwachungsmöglichkeiten vor, die das Briefgeheimnis, die
Privatsphäre insgesamt und die Informationsfreiheit bedrohen. Das
Telefon darf ohne richterliche Genehmigung abgehört werden. Die
Datensammler brauchen keinen Durchsuchungsbefehl mehr, um sich Zugang
zu persönlichen Daten zu verschaffen. So will das FBI von den
Bibliotheken derzeit wissen, welche Bücher die angemeldeten Benutzer
ausgeliehen und welche Webseiten sie besucht haben - um von jedem
Nutzer ein "geistiges Profil" zu erstellen. Das aberwitzigste Projekt
zur illegalen Ausspähung der Bürger entsteht freilich unter dem
Codenamen Total Information Awareness (TIA) im Pentagon.
Über jeden der 6,2 Milliarden Erdbewohner will das Pentagon
Informationsmaterial im Umfang von durchschnittlich 40 Seiten sammeln
und zur weiteren Verarbeitung in einen Hypercomputer einspeisen. Die
Zentralisierung sämtlicher über eine Person verfügbaren Daten
(Kreditkartenüberweisungen, Medienabonnements, Kontobewegungen,
Telefonanrufe, Surf-Gewohnheiten, E-Mails, polizeiliche wie auch Daten
von Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträgern und
Ärzten) hat zum Ziel, für jedes Individuum ein möglichst vollständiges
Profil zu erstellen.
Wie in Steven Spielbergs Film "Minority Report" sind die US-Behörden
überzeugt, mit diesen Methoden Verbrechen verhüten zu können. "Es wird
weniger Privatsphäre geben, aber mehr Sicherheit", meinte John L.
Petersen, Präsident des Arlington Institute, in El País am 4. Juli
2002. "Aufgrund der Verknüpfung sämtlicher personenbezogener
Informationen werden wir imstande sein, die Zukunft vorherzusehen."
Big Brother ist Schnee von gestern.