Ein_Liberaler schrieb:
Booth schrieb:
Die Frage, die sich stellt: Würde eine Gesellschaft mit diesen offiziellen Betrugszahlen mit "minimalen" Staat besser funktionieren?
Ich schätze, es würde so gut wie keinen Unterschied machen. Wie viele Ladendiebe werden schon erwischt? Kaum einer. Wenn, dann von Hausdetektiven, nicht von der Polizei.
Schön, wenn alle Betrugsversuche nur Minimaldelikte einfachster Art wären. Kleiner Tip: Schau Dir mal diverse Klagen am Arbeitsgericht an. Ich durfte in den letzten Jahren einige male Zeuge werden, da mein Vater mehrfach gegen Ex-Arbeitgeber klagen musste, um an vetragsgemäß ihm zustehendes Geld zu kommen.
Die Frage ist, wie sehr sich der Kapitalismus vom alten Griechenland mit dem heutigen vergleichen lässt (der Dir ja auch noch viel zu zurückhaltend ist)
Stimmt, ob wir das vergleichen können, ob wir nämlich genug dazu wissen, ist fraglich.
Da hast Du allerdings recht. Thema geschenkt
Dann ein paar Worte zum Utopisten, das hat nämlich gesessen.
Ich muss gestehen, daß dies mein Ziel war
Ich glaube, dabei handelt es sich um eine Wertung, die erst noch begründet werden müßte, und es sagt im Grunde aus, daß ich von einer Idealgesellschaft träume
Ich habe sie doch bereits begründet. Deine Ansicht, daß ein maximaler Freihandelsmarkt funktionieren kann, basiert auf einer aus meiner Sicht nach falschen Annahme:
Ein_Liberaler schrieb:
Nach meiner Philosophie stehen sich zwei Rechte nie im Weg.
Aus psychologischer Sicht halte ich diese Annahme für fatal, da Konflikte zwangsläufig, ja natürlich sind. Und die wesentliche Frage der menschlichen Gesellschaft, ist, wie Konflikte im Großen, wie Kleinen bewältigt werden: Konstruktiv oder destruktiv. Ein System kann das jeweilige Verhalten der Menschen hemmen oder fördern - aber ändern lässt sich das Verhalten nur ganz langsam über Generationen durch eine andere Erziehung.
Deine Annahme, daß ein freier Markt plötzlich aus (auch) destruktiv handelnden Menschen vor allem konstruktiv handelnde Menschen macht, kann ich nicht teilen. Ich halte sie vielmehr für... utopisch

(im Sinne eines utopischen Menschheitsbildes).
Weiter im Text:
weil ich bisher meine Vorstellungen von einer idealen Gesellschaft gar nicht formuliert habe
Huch - "minimaler Staat", also möglichst keinerlei Steuern, freiester Handel auf allen Ebenen - dies ist nicht der Kernpunkt Deines Bildes einer idealen Gesellschaft? Dann hiermit meine explizite Aufforderung mein fehlerhaftes(?) Bild Deiner idealen Gesellschaft zu korrigieren.
Wenn ich Formulierungen gebrauche wie "wir alle sollten einander in Frieden lassen", dann gehe ich eigentlich davon aus, daß man nicht annimmt, ich würde in näherer Zukunft mit der Erfüllung dieses frommen Wunsches rechnen.
Die essentielle Frage dieser Diskussion lautet, ob Du glaubst, daß sich bei einer Freihandelsgesellschaft höchsten Grades in der heutigen Zeit dieses Ziel besser umsetzen ließe. Ich behaupte jedenfalls das Gegenteil
Ich gebe Dir soweit recht, daß es Menschen gibt, die nicht für die Freiheit gemacht sind.
Ich gehe noch weiter: Ich behaupte, kein Mensch ist für die völlige Freiheit "gemacht". "Die Freiheit" gibt es meines Erachtens gar nicht, da jede individuelle Freiheit eines Menschen im Konflikt zur individuellen Freiheit aller anderen Menschen steht.
Wie unfrei muß eine Gesellschaft aber sein, bis kein Alkoholiker, kein Raucher, kein übermäßiger Esser sich mehr sein eigenes Grab schaufelt?
Das worauf ich hinaus will: Damit eine Gesellschaft mit größtmöglicher Freiheit funktionieren kann, muss eine übergroße Zahl der Menschen die Fähigkeit besitzen, so positiv mit sich und den Mitmenschen umtzugehen, daß solch destruktives Verhalten extrem selten ist.
Wenn Menschen ihre individuelle Freiheit dazu verwenden, um im Nebeneffekt destruktiven Einfluss auf sich oder gar Mitmenschen auszuüben, wird dieses Verhalten Reaktionen hervorrufen. Und diese sind oft genug wiederum destruktiv. Wenn die Anzahl der Menschen mit destruktivem Verhalten zu groß ist, dann ist eine hohe Freiheit nicht möglich, da zuviele Menschen darunter leiden. Ich halte die Anzahl dieser Menschen heute für viel zu groß. Ganz schlimm daran finde ich, daß ich selber an mir feststelle, daß ich einer solchen Gesellschaft nicht genügen würde.
In einer so repressiven Gesellschaft, daß diese Leute (alle, nicht nur die mit festen familiären und freundschagtlichen Bindungen) vor sich selbst wirksam geschützt werden, möchte ich eher nicht leben.
Du gehst davon aus, daß ich argumentiere, daß dieser Schutz von der Gesellschaft kommen müsse (Kommunismus lässt grüßen). Lass mich klarstellen, daß ich eine solche Gesellschaft genauso für ein unmenschliches System halte, wie Du.
Die Menschen selber müssen ihr verhalten entwickeln, damit sie sich gegenseitig weniger Leid zufügen. Allerdings halte ich den schnellstmöglichen Weg eines größtmöglichen, freien Marktes für falsch. Die Menschen brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Und ich rede hier von vielen Generationen.
Was die Inkaufnahme fremden Leides angeht, möchte ich wirklich zwei Stufen unterscheiden - die, möglicherweise unwissende, Assistenz bei der Selbstzerstörung, etwa durch Verkauf von Alkoholika, und wirkliche gewalttaten.
Der Hersteller, wie Verkäufer von Alkoholika ist mit nichten unwissend. Beide wissen, wie viel Leid sie verursachen. Ich selber habe z.B. mal bei Thyssen-Krupp gearbeitet. Mir war klar, daß ich in jenen Jahren mit dazu beigetragen habe, Kriegsmaterial herzustellen, welches irgendwo in der Welt Tod und Leid verursacht hat. Ich war ganz sicher nicht "unschuldig" - aber ich stellte meinen persönlichen Gewinn über den Verlust dieser für mich unbekannten Menschen.
Die Welt ist sehr komplex, und nahezu jeder trägt im laufe seines Lebens durch irgendein Verhalten dazu bei, daß destruktives Verhalten möglich wird.
Und ich glaube nicht, daß durch einen größtmöglichen Freihandel dieses Verhalten verringert würde.
Schließlich bin ich im Gegensatz zu Dir der Ansicht, daß die meisten Menschen sich auf einem freieren Markt als dem unseren nicht mehr selbst schaden würde, als sie es jetzt tun.
Ich leider schon, da ich glaube, daß ein solcher Markt sich selber insofern verstärken würde, um den Menschen noch stärker einzureden, daß individuelle Bedürfnisbefriedigung das einzig wichtige ist. Es wäre aus meiner Sicht eine logische Entwicklung, da der Markt vor allem über Wachstum funktioniert.
Im Grunde forderst Du einen eingeschränkteren Markt als wir ihn schon haben
Entschuldige, daß Du mich mißverstanden hast. Mir ist der Markt letztlich schnuppe

Ich interessiere mich für die Menschen. Und ich halte einen allgemein eingeschränkteren Markt für genauso wenig förderlich im Sinne einer positiven Entwicklung der Gesellschaft wie ein allgemein befreiter Markt. Kurzfristig sehe ich Reperaturmöglichkeiten in beide Richtungen - je nach Marktbereich.
Wichtig: Aus meiner Sicht müssen sich die Menschen in ihrem Verhalten ebenso weiterentwickeln, wie das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Allein eine Änderung des Systems halte ich nicht zielführend.
die Kontrolle des illegalen Drogenmarktes scheitert so gründlich, daß es Überlegungen gibt, ob nach einer Legalisierung nicht weniger arme Menschen auf dem Bahnhofsklo elend verrecken würden.
Bin ich auch für. Die elend Verreckenden würden dann vermutlich nicht am Bahnhof rumlungern, sondern in rutergekommenen Wohnungen im Elendsvierteln. Die entscheidende Verbesserung aus meiner Sicht wäre die deutlich geringer werdende Beschaffungskriminalität. Selbst wenn dies durch eine etwas höhere Zahl von Abhängigen erkauft würde. Aber dies ist ein schwieriges Thema.
Kleine Provokation am Rande: Ich sehe in der maximalen Freihandelswelt schon die LSD-Fernsehwerbung im Kinderkanal
Wäre es nicht besser für unsere Gesellschaft, wenn weniger Menschen arbeitslos wären und in Würde von ihrer Hände Arbeit leben könnten, statt zu einem Schmarotzerleben gegen ihren Willen gezwungen zu werden?
Ja völlig. Deshalb halte ich diverse Deregulierungsmaßnahmen ja auch für sinnvoll - andere allerdings nicht. Dies müssen wir nicht im Detail durchkauen. Ich glaube aber nicht, daß eine heutige globale, maximale Freihandelsgesellschaft dafür sorgen würde, daß alle Menschen Arbeit hätten,
Ja, aber wie will man es ihnen beibringen? Am ehesten doch, indem man ihnen ermöglicht, mit Ehrlichkeit weiter zu kommen.
Was bedeutet denn "weiterkommen"? Der Freihandel ist kein Ziel für sich. Mir ist der Handel eher unwichtig - halt Mittel zum Zweck. Aber für die meisten Menschen ist Handel der Lebensinhalt. Dies hat dann solche Fehlwentwicklungen zur Folge, wie bei Bill Gates und MS zu betrachten ist.
Das entscheidende Kriterium für Bill Gates ist Marktführerschaft, nicht die Technologieführerschaft. Ihm geht es darum, daß auf möglichst jedem PC "sein" Betriebssystem läuft - nicht daß auf möglichst jedem PC ein möglichst gutes Betriebssystem läuft. Ihm geht es um seinen Handelsstatus. Nicht um das Produkt. Das Produkt ist Mittel zum Zweck - es ist beinahe Nebensache.
Dieses Verhalten ist für mich ein typisches Beispiel. Und ein solches Verhalten hat beinahe zwangsläufig Kollateralschäden zur Folge.
Ein freier Markt fördert eher die Gewaltlosigkeit, die seine Existenzgrundlage ist.
Wieso? Ich sehe keinen Grund für diese Annahme. Aus meiner Sicht ist Gewaltlosigkeit eine
Voraussetzung für einen maximal freien Markt. Die Menschen verhalten sich aber nicht einfach anders, nur weil das Wirtschaftssystem anders ist. Das Wirtschaftssystem hat ja lauter Anforderungen, denen viel zu viele Menschen heute gar nicht gerecht werden
können. Die Menschen müssen Gewaltlosigkeit
lernen. Das braucht Zeit.
Auf einem freien Markt, und nur dort, können sich die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen ergänzen, nur dort kann es für jeden etwas geben.
Du scheinst tatsächlich zu glauben, daß es nur Ergänzungen und keine Konflikte von Bedürfnissen gibt. Ich glaube dagegen, daß nahezu jedes individuelle Bedürfnis ab einem gewissen Grad des Stillens dieses Bedürfnisses einen Konflikt mit dem Bedürfnis eines Mitmenschen zur Folge hat. Solange die Menschen nicht lernen, diese Konflikte konstruktiv zu lösen, nützt auch ein Freihandel nichts.
Ich sehe das Gegeneinander viel eher im obrigkeitlichen Verteilungsverfahren als auf dem Markt.
Ich sehe das Gegeneinander
im Menschen. Ganz gleich, ob auf dem Markt, in der Obrigkeit, bei den Unternehmern, in der Familie, in der Schule, auf dem Spielplatz, im Verein - egal wo.
der Hauptunterschied ist, denke ich, unser unterschiedliches Bild von der Funktion des Marktes.
Ja - scheinbar glaubst Du, daß wenn die Umwelt es nur ermöglicht, die Menschen plötzlich alle freundlich, friedlich, vernünftig und konstruktiv miteinander umgingen. Ich halte diese Einstellung für völlig unverständlich: Menschen müssen dieses Verhalten erst weiter und besser lernen.
Nochmal: Du hast scheinbar dasselbe Grundverständnis, dem auch viele Kommunisten anhingen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Ich glaube, daß sich beides gegenseitig beeinflusst. Beides hängt voneinander ab. Beides muss sich für grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen verändern.
Und was soll eigentlich an seine Stelle treten bzw. ihn ergänzen, wenn es nach Dir geht?
Ich glaube, daß der Markt sich ganz von alleine regelt, wenn die Menschen wirklich im großen und ganzen "vernünftig und ehrlich" sind. Der Markt würde völlig anders aussehen als heute. Es gäbe keine Werbung im heutigen Sinne. Wozu andere Menschen belügen? Menschen wären in erster Linie keine Konsumenten mehr, sondern Menschen. Unternehmen würden anders funktionieren als heute. Die Menschen würden in dem Bereich arbeiten, wo sie wollen, und freiwillig oft wechseln, um sich selber auch fortzuentwickeln.
Konkurrenz würde grundsätzlich konstruktiv verstanden werden. Man würde sich nicht bemühen, Produkte anderer Hersteller schlecht zu reden. Es geht nicht um das Ziel des Gewinnens, der Marktführerschaft, der größtmöglichen Rendite, des allerhöchsten Umsatzes - es geht um die wesentliche Dinge eines Unternehmens: Das Produkt, die Kunden, die Mitarbeiter (inkl Unternehmer selbst).
Und falls Du nun bemerken willst, daß diese Vorstellung ja völlig utopisch ist: Völlig richtig - und ich stehe dazu

... allerdings mit dem Hinweis, daß ich glaube, daß die heutige Menschheit diese Utopie gar nicht leben könnte. Ja -
ich selber könnte höchstwahrscheinlich gar nicht in dieser Utopie leben - leider. Auch ich bin nunmal Kind
dieser Gesellschaft, und schleppe jede Menge destruktives Verhalten mit mir herum.
gruß
Booth