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Bioethik und Eugenik im Wandel der Zeit
Rassenhygiene und Zwangssterilisation
"Warum sollten wir nicht den Weg bereiten für Widar, den Starken?" schrieb Fritz Lenz in seinem 1923 publizierten Werk "Menschliche Auslese". Offenbar eine rein rhetorische Frage, denn längst stand die Zielsetzung für ihn und viele seiner akademischen Zeitgenossen fest. Eine Selektion nach eugenischen Kriterien musste zahlreichen Hygieneforschern, Anthropologen und Medizinern gemäß durchgeführt werden, um der eigenen Rasse oder dem eigenen Volk im Kampf gegen die allgegenwärtigen Feinde das Überleben zu sichern. Als der Nationalsozialismus schließlich die Umsetzung dieser Ideen bis zur letzten Konsequenz ermöglichte, geschah dies nicht allein durch Sterilisationen - wie Jahre zuvor schon in Deutschland und Amerika erprobt - sondern durch tödliche Hilfsverweigerung und aktiven Mord.
In den Jahren des Nazi- Regimes zeigte sich eine sozialdarwinistische, vielleicht antihumanitär zu nennende Form von Bioethik. Sie fand in den Verbrechen eines Dr. Josef Mengele zweifellos schauerliche Höhepunkte, ist jedoch nicht auf das Deutschland der Dreißiger und Vierziger Jahre zu beschränken. Ähnliche Vorstellungen wurden vielmehr schon Jahrzehnte zuvor akademisch propagiert und haben teilweise bis heute in verschiedenartig modifizierter Weise Bestand. Ganz im Gegensatz zu derartigen Ansätzen steht das wohl berühmteste Gelöbnis aus der Geschichte medizinischer Ethik, der hippokratische Eid:
"In wie viele Häuser ich auch kommen werde, zum Nutzen der Kranken will ich eintreten," (1) gelobten die Hippokratiker der griechischen Antike. Sie hatten sich einer Maxime verschrieben, die das Leben des Einzelnen zur Priorität erklärte und der praktische Arzt hatte eben dieses ihm anvertraute Leben unter allen Umständen zu bewahren. Entsprechende Forderungen finden sich noch heute, etwa zweieinhalb Jahrtausende nach Wirken des Hippokrates im so genannten "Genfer Gelöbnis"(2), das seit 1950 als Präambel für die Berufsordnungen der einzelnen deutschen Ärztekammern dient:
"Die Gesundheit meines Patienten wird meine erste Sorge sein," heißt es dort, und: "Ich werde das menschliche Leben von der Empfängnis an bedingungslos achten." Zusätzlich finden sich zwei speziellere Gelöbnisse: "Ich werde es nicht zulassen, dass sich religiöse, nationale, rassische Partei- oder Klassengesichtspunkte zwischen meine Pflicht und meine Patienten drängen," und: "Selbst Drohungen werden mich nicht dazu bringen, meine ärztlichen Kenntnisse entgegen den Pflichten der Menschheit anzuwenden."
Diese Spezifikationen des ärztlichen Eides wurden 1948 vereinbart, drei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Drei Jahre auch nach der offiziellen Befreiung der Opfer des nationalsozialistischen Regimes, welche nicht nur in Konzentrationslagern und Strafanstalten, sondern ebenso in Kliniken, wissenschaftlichen Institutionen und Psychiatrien zu finden waren. Die Befreiung kam allerdings nicht allen Opfern zugute: mit dem Triumph der Siegermächte wurden in Deutschland zwar die meisten nationalsozialistischen Gesetze abgeschafft, das Sterilisierungsgesetz jedoch blieb zunächst unangetastet.
Auch von einer "Befreiung" der Insassen psychiatrischer Kliniken kann nur in einem menschenverachtenden Sinne die Rede sein - nach der Befreiung begann erst das Massensterben innerhalb der Anstalten: In Bernburg/Saale verdoppelten sich 1945 die Todesfälle, auf Schloss Hoym stirbt im gleichen Jahr die Hälfte der Insassen, in Taupitz sterben 546 von 600 Patienten, die Anstalt Düsseldorf-Grafenberg weist noch in den Jahren 1946/47 eine Mortalitätsrate von 55% auf, und in den Wittenauer Heilstätten stirbt nach der Befreiung über die Hälfte der Neuzugänge noch im gleichen Jahr. Ein bezeichnendes Beispiel ist auch die Klinik Klingenmünster: noch 1946 sterben 454 von 1029 Patienten - ihre Leichname sind bis heute nicht gefunden worden.
Die gesetzliche Zwangssterilisierung wiederum hat eine Geschichte, die bereits Jahrzehnte vor dem Dritten Reich beginnt: Bereits 1896 wurde "Epileptikern, Schwachsinnigen und Geistesschwachen" im US- Bundesstaat Connecticut gesetzlich die Heirat verboten, 1907 folgte in Indiana das erste Gesetz, das die Zwangssterilisation aus eugenischen Gründen erlaubte. Kalifornien und 31 weitere Bundesstaaten folgten schon bald mit ähnlichen Gesetzen. Im Jahre 2002 entschuldigten sich zwei US- Gouverneure bei den zehntausenden Opfern der bis 1974 andauernden Zwangsterilisationen.
Der erste praktische Schritt in Deutschland folgte 1920, als in Stadtroda/Thüringen systematische Sterilisationen aus "sozialhygienischen Indikationen" durchgeführt wurden. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" erschien 1933 unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, und erst 1947 sollten von einer Delegation wieder neue Richtlinien zur Sterilisation aufgestellt werden. Am Rande sei erwähnt, dass Hessen wegen heftigen Protesten auf den Erbarzt Otmar von Verschuer als Delegierten verzichten musste, der wenige Jahre zuvor als eifriger Professor unter anderem für die Anstellung von Dr. Josef Mengele in Auschwitz gesorgt hatte, schließlich nahm Werner Villinger diese Aufgabe wahr - ebenfalls ein ausgewiesener Fachmann der Materie, war er doch ab 1941 Gutachter zur Selektion von Kranken in Vergasungsanstalten unter Obhut der Euthanasie-Zentrale.
Die Zwangssterilisation ist in ihrer ideologischen Legitimation stark mit der Eugenik verbunden, deren Anfänge gewöhnlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesucht werden. Eugenische Ideen sind allerdings schon weit früher erkennbar, etwa bei Autoren der Antike oder der Renaissance. (3)
Der Begriff "Eugenik" ist dem Griechischen entlehnt und bedeutet etwa "wohl geboren" oder "gut entstanden". Als eigentlicher Begründer der Eugenik gilt der britische Privatgelehrte Francis Galton, der seine Ansichten zu diesem Thema zunächst 1869 in "Hereditary Genius" veröffentlichte und 1883 in dem Werk "Inquiries into Human Faculty and its Development" die moderne Bedeutung des Begriffes "Eugenik" prägte. Galton ging von der erblichen Bestimmung sämtlicher geistiger Eigenschaften und Fähigkeiten aus, und versuchte dies anhand von Verwandtschaftsverhältnissen herausragender Persönlichkeiten zu beweisen. Voraussetzung war gewissermaßen die Darwinsche Evolutionstheorie, und auch wenn mit ihr noch nicht die Möglichkeit oder gar ein etwaiger Nutzen von aktiver Selektion zugeschrieben wurde, zeigte sich auch Darwin selbst in einigen Briefen sehr interessiert an Galtons Werk. Die eugenischen Ideen wurden in den folgenden Jahrzehnten von zahlreichen Wissenschaftlern und Denkern aufgegriffen und in verschiedener Form weiter ausgearbeitet.
So forderte etwa Alexander Graham Bell 1883 in "Memoir upon the Formation of a Deaf Variety of the Human Race" neben der eugenischen Kontrolle von US-Immigranten ein Eheverbot unter Taubstummen, und der Insektenforscher August Forel schrieb 1905 in "Die sexuelle Frage" über die "Chinesen und einige andere Mongolen", dass man "jedenfalls ihr Blut vielmehr noch als ihre Waffen für uns zu befürchten" habe, während er den Pflegern von geistig Behinderten rät, "letztere sterben zu lassen und selbst tüchtige Kinder zu zeugen".
Die Eugenik hatte bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert in sämtlichen Industrienationen einflussreiche Vertreter, und in den folgenden Jahrzehnten wurden die beschriebenen Ideen in Bezug auf die Sterilisationen, auf verschiedene Weise umgesetzt. Die Verbindung von Rassenhygiene und Eugenik jedoch, wie sie vor allem, aber nicht nur im deutschsprachigen Raum vermehrt vertreten und schließlich von den Nationalsozialisten propagiert wurde, war nur unter der Voraussetzung einer Rassenideologie möglich, die einzelnen Rassen ein schlechteres Erbgut unterstellte. Diese biologisierende Form des Rassismus wurde zunächst auch in Deutschland nicht von allen Hygieneforschern und Eugenikern vertreten.
Als Begründer der Rassenhygiene in Deutschland gilt der 1860 geborene Alfred Ploetz, von dem 1895 das Hauptwerk "Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Grundlinien einer Rassenhygiene" erscheint. Ploetz entwirft die Utopie des totalen Züchtungsstaates, in dem Menschen ausschließlich und vollkommen nach ihren biologischen Anlagen beurteilt werden, und sämtliche Mechanismen ausgeschaltet werden, die Schwache, Kranke oder Benachteiligte schützen und somit Selektion verhindern. Zur Fortpflanzung bedarf es nach dieser Vorstellung einer Lizenz, die biologischen Kriterien gemäß vergeben wird. Ab 1904 gibt Ploetz die Zeitschrift "Archiv für Rassen- und Gesellschafts- Biologie" heraus, deren Leitung 1911 Fritz Lenz übernimmt. In der 1905 gegründeten"Gesellschaft für Rassenhygiene" finden sich prominente Persönlichkeiten wie Ernst Haeckel, Vater der biogenetischen Grundregel und Verfechter des Sozialdarwinismus, oder Erwin Baur, von dem im weiteren Verlauf noch zu lesen sein wird.
Zwei Jahre später bildet sich die "Münchener Gesellschaft für Rassenhygiene", die neben dem Verleger Ernst Klett auch die berüchtigte Schwester und Nachlassverwalterin von Friedrich Nietzsche -Elisabeth Foerster-Nietzsche - als Mitglied vorweisen kann. 1918 wird der völkische, elitäre und antisemitische "Widarbund" gegründet, dem unter anderem der bereits erwähnte Otmar von Verschuer angehört. Nach zwei weiteren Jahren beruft der preußische Minister für Volkswohlfahrt einen Beirat für Rassenhygiene, in dem sich vor allem Pflanzengenetiker wie Erwin Baur oder Carl Correns versammeln, und 1927 wird das KWI (Kaiser- Wilhelm- Institut) für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik gegründet, dem in den folgenden achtzehn Jahren eine wichtige Rolle zukommen sollte.
Als die Nationalsozialisten schließlich die Durchführung der propagierten eugenischen Ideen unter dem Motto der "Erbpflege"ermöglichen, wird Rassenhygiene und Eugenik zur staatlich verordneten akademischen Zielsetzung. Kritische Wissenschaftler, die Zweifel oder Ablehnung äußern, werden zunächst entlassen, später verfolgt. Die Gleichschaltung der Ärzteschaft wird 1936 mit der Installierung der Reichsärztekammer komplettiert. Gegen Ende des Krieges gehören 45 % der deutschen Ärzteschaft der NSDAP an.
Euthanasie und Menschenversuche
Im Herbst 1938 wendet sich ein SS-Mann namens Knauer an den Direktor der Leipziger Universitäts-Kinderklinik mit der Bitte, sein schwer missgebildetes Kind einzuschläfern. Nach gültigem Weimarer Recht war die Euthanasie nicht erlaubt und die Familie Knauer wandte sich im Folgenden direkt an Hitler. Dieser schickte seinen Leibarzt Karl Brandt, den späteren "Reichskommissar für Gesundheit", der die Aufgabe erledigte. Anschließend wurde er von Hitler mit der Entwicklung eines Mordprogramms für körperlich oder geistig behinderte Kinder beauftragt. Die Euthanasie-Aktion konnte sich nun entfalten, in deren Folge in den Jahren 1939 - 1945 etwa 250.000 Menschen getötet wurden.
Der Mediziner Karl Brandt wollte eigentlich bei Albert Schweizer arbeiten, wurde jedoch abgelehnt und fixierte sich erst in der Folgezeit auf sein zweites Vorbild Hitler. Als Idealist wird er noch heute beschrieben, ein Überzeugungstäter, der an der Ostfront mit einem ähnlichen Einsatz Menschenleben rettete, wie er an der Heimatfront "Probetötungen" an Behinderten durchführte.
Das Euthanasieprogramm lief ab 1939 unter dem Decknamen "Aktion T4" (4), benannt nach der Zentraldienststelle in der Berliner Tiergartenstrasse Nr. 4, wobei die eigentliche Schaltstelle im Hintergrund die Kanzlei des Führers war, mit dem Reichsleiter Philipp Bouhler an der Spitze. Hitlers Ermächtigungsschreiben vom Oktober 1939, das in der historischen Literatur als Beginn der Euthanasie-Verbrechen bezeichnet wird, richtete sich ausdrücklich an Brandt und Bouhler:
"Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann."
Sechs T4-Tötungsanstalten wurden im Gebiet des Deutschen Reiches zwischen 1939 und 1941 errichtet - in Pirna, Bernburg, Hadamar, Gomadingen, Alkoven und Brandenburg. Weitere Anlagen in annektierten Gebieten wurden ebenfalls genutzt. Eine erhaltene interne Statistik der "Aktion T4" enthält Daten über Vergasungen ("Desinfektionen"), die in den Jahren 1940/41 in den sechs T4-Anstalten erfolgten. Insgesamt verzeichnet sie 70 273 Tote. Die im Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz beschlossene "Endlösung der Judenfrage" wird häufig im Zusammenhang mit der "Aktion T4" gesehen. Beide Massenmorde konnten nur unter dem starken Einfluss von kollektivistisch orientierter Eugenik und Rassenhygiene geschehen, legitimiert durch das selektive Absprechen des Rechtes auf Leben aufgrund von biologischen oder vermeintlich biologischen Eigenschaften.
Ein Name, der regelmäßig in Verbindung mit dem wissenschaftlichen Grauen unter dem Nazi-Regime auftaucht, ist der von Dr. Josef Mengele, dem so genannten "Todesarzt" von Auschwitz. Auch wenn die Problematik sicher nicht auf einige "Todesärzte" zu beschränken ist, wie dies mitunter in Dokumentationen den Anschein erweckt, soll noch einmal anhand eines Beispiels kurz skizziert werden, was nicht zuletzt durch eine bioethische Ideologie, die Kriterien für den Wert des menschlichen Lebens aufstellt, und von ihren Normen abweichendes Leben als lebensunwert erachtet, legitimiert wurde.
Der studierte Anthropologe und zweifache Doktor Josef Mengele erscheint zunächst nicht als ein fanatischer Anhänger des Rassenwahns, stellt sich jedoch bereitwillig für die scheinbar grenzenlosen Forschungen unter dem Leitbild von Rassenhygiene und Eugenik zur Verfügung. Sein Mentor Professor Verschuer verschafft ihm 1943 die Position in Auschwitz, einem "Forschungsparadies" mit tausenden Versuchsobjekten. Im Rahmen vielfältiger Versuche treffen seine Forschungen vor allem Zwillinge, insbesondere Juden, Sinti und Roma. Seinen Opfern werden gezielt Gifte gespritzt, Organteile entfernt oder sie werden körperlichen Qualen ausgesetzt. Meskalin und andere "Chemikalien zur Gehirnwäsche" kommen zum Einsatz, Adrenalin wird in Augen gespritzt, Bakterien werden in das Brustfell injiziert. Blut wird bis zum Zusammenbruch entzogen. Zwei Zwillinge lässt er zusammennähen und gibt sie mit schweren, unheilbaren Verletzungen, aber noch lebend, ihren Eltern zurück. Wer nicht von weiterem Interesse ist, wird getötet. Seine Experimente verbrauchen ihre Versuchspersonen, doch für Nachschub wurde gesorgt. Von über 3000 Zwillingen in Auschwitz überleben 180. (5)
Wie schon bei Karl Brandt und vielen weiteren wissenschaftlichen Tätern scheint auch bei Mengele nicht der Rassenwahn die wesentliche Motivation für ihre Entscheidungen gewesen zu sein, sondern die Erfolge und Ergebnisse ihrer Maßnahmen und Untersuchungen. Für Dr. Josef Mengele war eine wissenschaftliche Utopie möglich geworden: die Forschung ohne ethische Grenzen. Der "Vater der Zwillinge" - wie er sich selbst nannte - hielt seine Versuche für wichtige anthropologische Untersuchungen und wollte über die Zwillingsforschung zu einer Professur kommen.
Mengeles Geschichte endet nicht mit Auschwitz oder der Befreiung, denn er schafft es, rechtzeitig unterzutauchen. Obwohl er von der amerikanischen Militärpolizei gesucht und seine Frau überwacht wird, kann er sich jahrelang regelmäßig mit der angeblichen Witwe treffen. Später flüchtet er aus Deutschland nach Südamerika, wird von Mossad und CIA gejagt, jedoch nie festgenommen. Allem Anschein nach erleidet er 1979 in Südamerika beim Schwimmen einen Schlaganfall und stirbt.
Mit diesem wechselhaften Schicksal war er im Vergleich zu der überwiegenden Mehrheit seiner Kollegen schon sehr hart gestraft, immerhin befand er sich 34 Jahre lang mehr oder weniger auf der Flucht. Im Nürnberger Ärzteprozess hingegen wurden letztendlich 16 von 23 Angeklagten, darunter 13 Mediziner, als Haupttäter verurteilt - die meisten von Mengeles Kollegen stellten sich gegenseitig eine "grundsätzlich humanistische Gesinnung" aus und bestätigten den verantwortlichen Umgang mit Patienten. Die Versuchstitel, Ergebnisse und Veröffentlichungen der Forscher vermitteln oft ein anderes Bild. Mengele war zweifellos ein sehr aktiver Forscher, aber in Verfahrensweise, Zielsetzungen und Konsequenz leider alles andere als ein Einzelfall.
Ärzteprozess, Aktenvernichtung und Nachkriegskarrieren
Als Alexander Mitscherlich und Fred Mielke 1948 ihr Buch "Das Diktat der Menschenverachtung" veröffentlichten, wurden erstmals Dokumente aus den Nürnberger Ärzteprozessen öffentlich. Die erste Auflage konnte ihr Publikum jedoch nicht erreichen, denn sie wurde komplett von der westdeutschen Ärztlichen Standesvertretung aufgekauft, um sie für die kommenden Jahre ungelesen in Tresoren zu lagern.
Mit über fünfzig Jahren Abstand scheint die Vergangenheit offenbar weit genug entfernt, die alten Eliten haben sich überwiegend verabschiedet, und so nehmen sich nun auch die großen Institutionen der Thematik in diversen Publikationen an. Die Objektivität lässt allerdings noch zu wünschen übrig: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft etwa ließ ihre Vergangenheit bisher zweimal darstellen, 1968 in der Veröffentlichung "Forschungsförderung in drei Epochen", die von Medizinhistorikern mitunter als "Verharmlosungsopus"beschrieben wird, und zum wiederholten Mal 1999, in der Auftragsarbeit "Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich" des Historikers Notker Hammerstein. Auch die jüngste Publikation versucht vor allem, die Beteiligung und Verantwortlichkeit der DFG an rassenhygienischen und menschenverachtenden Forschungen zu minimieren.
Hammerstein bestreitet die Beteiligung der Forschungsgemeinschaft an Menschenversuchen und berichtet von "Fürsorge und Vorsorgepflicht der öffentlichen Hand für Geschädigte, so genannte Asoziale oder Behinderte unterschiedlichster Art". Internierung, Zwangssterilisierung und Vernichtung werden zu Für- und Vorsorge, Rassenhygieniker zu harmlosen Mitläufern. Wie etwa Robert Ritter, der bereits 1935 gegenüber der DFG die Sterilisierung von Zigeunermischlingen forderte, da sie Mischlinge mit einem kriminellen Subproletariat seien, "dessen Minderwertigkeit in keiner Weise dem Erbstrom der Geisteskranken und Schwachsinnigen nachsteht".1943 meldet er der Forschungsgemeinschaft, dass die "Erfassung der Zigeuner und Zigeunerbastarde" im Groben beendigt sei. In "einem besonderen Zigeunerlager" - die Rede ist hier von Auschwitz-Birkenau - seien 9000 Zigeunermischlinge interniert. Nach 1945 wurden die Unterlagen Ritters weiterhin ausgewertet, seine ehemalige Mitarbeiterin Sophie Ehrhardt wurde zu diesem Zweck von der DFG gefördert.
Der Auftragshistoriker Hammerstein sieht nur sieben Medizinprojekte, die von der NS-Ideologie getragen wurden, die Forschungsgemeinschaft an sich sei zu einer Abrechnungsstelle des Reichswissenschaftsministeriums verkommen, hatte nach seinen Aussagen selbst wenig Bedeutung und mit der DFG nach 1945 ohnehin nichts zu tun. Die Wissenschaftszentrale des nationalsozialistischen Rassenwahns, das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, betrieb Hammersteins Reinwäsche zufolge die "Unterstützung normaler und seriöser Forschung". Dabei gehörte der Leiter des KWI für Anthropologie, Eugen Fischer, zweifellos zu den zentralen Gestalten der wissenschaftlichen Legitimation von nationalsozialistischer Rassenhygiene und Eugenik. Nach den Nürnberger Rassengesetzen dankte er Hitler "zum Schutz des Deutschen Blutes", dass er "den Erbforschern ermöglicht habe, ihre Forschungsergebnisse dem Volksganzen praktisch dienstbar zu machen". Die Kaiser-Wilhelm Gesellschaft selbst wurde bekanntlich 1948 in die Max- Planck-Gesellschaft umgewandelt. Max Planck persönlich schrieb als Präsident der KWG bereits 1933 an Innenminister Frick:
"Dem Herrn Reichsminister des Innern beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, dass die KWG zur Förderung der Wissenschaften gewillt ist, sich systematisch in den Dienst des Reiches hinsichtlich der rassenhygienischen Forschung zu stellen."
Die DFG hatte auch nach 1945 offenbar keine Schwierigkeiten mit der weiteren Finanzierung von verurteilten Verbrechern, sondern förderte etwa Eugen Haagen, 1943 Leiter des Hygieneinstituts der Reichsuniversität Straßburg, der im KZ Natzweiler Fleckfieberversuche an Häftlingen durchführte. Haagen war in Lyon 1954 zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, kam jedoch einige Monate später wieder frei. Von der DFG wurde seine Virusforschung weiterhin gefördert, er fand Anstellung bei der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen.
Der Medizinhistoriker Ernst Klee, dessen Veröffentlichungen über die NS-Medizin und speziell die Euthanasie zu den Standardwerken gehören, bemerkt in seinem Werk "Deutsche Medizin im Dritten Reich - Karrieren vor und nach 1945" über die historische Vertuschungsarbeit der DFG sowie vergleichbare Anstrengungen:
"Es ist absurd: In der politischen Diskussion wird jahrein, jahraus appelliert, die Wurzeln des Nationalsozialismus aufzudecken. Zugleich aber geht die Verharmlosung der geistigen Holocaust-Helfer im Wissenschaftsbereich weiter."
Selbst in der recht objektiven und umfassenden Abhandlung "Doctors under Hitler" des US- Amerikaners Michael H. Kater finden sich gravierende Fehler. Sein Bericht über die Menschenversuche der Luftwaffe im KZ Dachau behandelt den Arzt Sigmund Rascher als Alleintäter, die an den Versuchen beteiligten Vorgesetzten werden unterschlagen - vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch erwähnenswert, dass einige von Raschers Vorgesetzten schnell in der US-Forschung eine neue Anstellung gefunden hatten. An anderer Stelle werden von Kater NS- Mediziner wie Werner Kirchert, der von ehemaligen Häftlingen als einer der schlimmsten KZ-Ärzte beschrieben wurde, oder Hans Creutzfeldt, der am Erbgesundheitsgericht Berlin zur Sterilisation verurteilte, unverständlicherweise unter "Widerstand" aufgeführt.
Auch die Ergebnisse des Nürnberger Ärzteprozesses sprechen gewissermaßen für sich. Von den 90 000 praktizierenden Ärzten des Dritten Reiches waren Historikern zufolge mindestens 350 unmittelbar an Verbrechen beteiligt. Zahllose weitere beteiligten sich in der ein oder anderen Form indirekt: Im Dezember 1934 etwa richteten sich 500 fränkische Ärzte in einem Telegramm an Reichsinnenminister Frick, um eine hohe Strafe für die Gemeinschaft zwischen deutschen Frauen und jüdischen Männern zu fordern. Letztendlich wurden in Nürnberg 23 Ärzte angeklagt. Der zuvor bereits erwähnte Leibarzt Hitlers, Karl Brandt, ist einer der Ärzte, denen im Nürnberger Ärzteprozess Verbrechen nachgewiesen wurden, lediglich zwölf weitere Mediziner teilten als vermeintliche Hauptverantwortliche dieses Schicksal. Die überwiegende Mehrheit entnazifizierte sich gegenseitig.
Dass die historische Aufarbeitung der wissenschaftlichen Verbrechen so lange auf sich warten ließ und viele Vorbereitungen, Verbindungen und Kontinuitäten noch vertuscht und verschwiegen werden, kann in Anbetracht dieser Sachlage nicht wirklich verwundern. Wenn sich überhaupt noch Akten finden lassen, wird häufig der Zugang verhindert. Der Nachlass etwa von Adolf Butenandt, ehemaliges NSDAP-Mitglied und als Biochemie- Experte von seinem Vertrauten Verschuer für die Auschwitz-Forschung konsultiert, ist für "normale Benutzer" noch bis zum Jahre 2025 gesperrt. Butenandt wird schnell entnazifiziert, 1953 nimmt er am ersten Bundesgesundheitsrat teil. 1960 wird er Präsident, 1972 Ehrenpräsident der Max- Planck- Gesellschaft. Noch 1982 wird er Karin Magnussen, die 1931 der NSDAP beitrat, und ab 1941 am KWI für Anthropologie in Berlin- Dahlem vorzugsweise an Zigeunerzwillingen die Färbung des Auges untersuchte, in einem Brief mitteilen:
"Ich war begeistert zu hören, dass sie ihre wissenschaftliche Arbeit fortsetzen können. Die Arbeit über Pigmentbildung bei Chinchilla- Kaninchen erinnert mich zusätzlich an alte Dahlemer Zeiten."
Drei Jahre später wird Butenandt Ehrenbürger der Stadt München. Für Verwunderung bei so manchen Historikern sorgte er 1974, als er im Namen der MPG das Verbot der Behauptung erreichen konnte, die Institute der KWG hätten im Rahmen der Euthanasie Hirnforschung betrieben. Im offiziellen Jahresbericht des KWI für Hirnforschung 1942/1943 wird hingegen "seltenes und wertvolles Material zur Frage der frühkindlichen Hirnschäden" beschrieben, dass in der Psychiatrie des Münchener KWI anfiel und in der hauseigenen Prosektur untersucht wurde. Als der Neuropathologe Klaus- Joachim Zülch 1948 sein ehemaliges KWI für Hirnforschung besucht, stellt er fest, dass über verschiedene Räume des Institutes "etwa 10.000 Glasgefäße mit Hirnen" verteilt sind. Auf einem Münchener Friedhof werden 1990 einige der Gehirne und andere Präparate ermordeter Menschen feierlich beigesetzt. Unbeachtet bleibt, welche Wissenschaftler für das Anlegen der Sammlungen gesorgt hatten und von diesen profitieren wollten. Bestraft wurde kein einziger.
In vielen Fällen wurden die Dokumente gleich komplett vernichtet, oder bis auf die Hülle entfernt. Zahlreiche Akten wurden bereits im Jahr 1945 entfernt, die Ärzte der jeweiligen Anstalten konnten sich so ohne Probleme als Gegner von Euthanasie und Zwangssterilisation ausgeben. Die Aktenentsorgung setzte sich nach Kriegsende fort. Im Nürnberger Ärzteprozess wurden acht Personalakten von Medizinern angefordert, die durch die DFG unterstützt wurden - die Dokumente verschwanden. Ein Aktenfund, der 1950 in der Ostberliner Nervenklinik Charité erfolgte, wurde im gleichen Jahr nach einer "Durchsicht" vernichtet, "weil doch jetzt so viel über Deutschland gestänkert wird", wie der damalige ärztliche Direktor und Psychiater Friedrich Hall bemerkte. In der Wiener Klinik "Am Steinhof", aus der allein zwischen Juli 1940 und März 1941 über 3200 Menschen zur Ermordung abtransportiert wurden, fand noch 1971 eine Verbrennung von 1157 Personalakten statt. Die kompletten Personalaktenbestände der Straßburger Reichsuniversität, deren Forscher unter anderem mit dem KZ Natzweiler kooperierten, wurden 1962 vom Bundesarchiv an das Bundesverwaltungsamt übergeben. Seit 1984 gelten alle 238 Akten als "verloren". Die Liste wäre problemlos fortzusetzen.
Der Historiker Benno Müller-Hill, der im Auftrag der Max- Planck-Gesellschaft im Jahr 2000 eine ansehnliche Arbeit zur Geschichte der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft im Nationalsozialismus veröffentlichte und im Vorfeld seiner Publikation mit mehreren Klagen bedroht wurde, bemerkt schließlich in seinem "Das Blut von Auschwitz und das Schweigen der Gelehrten" benannten Werk:
"Als ich 1981 nach den DFG- Akten suchte, wurde ich von DFG- Mitarbeitern belehrt, dass die DFG im Dritten Reich nicht DFG hieß, und dass mir der Zugang zu den Akten verwehrt sei: DFG- Akten seien prinzipiell nicht einsehbar."
Während man Öffentlichkeit verhindert und Evidenz beseitigt, wird die Bagatellisierung der Verbrechen zur Normalität. Dr. Dr. Heinrich Kraut, deklariert als Gutachter in den Nürnberger Prozessen über die Beschäftigung von Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz als Zwangsarbeiter durch die I.G. Farben:
"Da die KZ- Häftlinge pro Arbeitstag 3080 Kalorien erhielten, ist eine kalorische Überforderung bei der Höhe der ausgeführten Leistungen nicht festzustellen."
Die Häftlinge bekamen in Wirklichkeit eine wässrige Suppe, nach Aussagen ehemaliger Lagerärzte nicht mehr als 1500 Kalorien pro Tag. Einmal die Woche gab es 30 Gramm minderwertige Wurst, 50 Gramm Quark und 50 Gramm Marmelade. Zum Frühstück etwas Brot und 20 Gramm Margarine. Das Leitungswasser war einzige Trinkwasserquelle, jedoch eigentlich nicht genießbar und führte zu zahlreichen Erkrankungen. 1953 gehört Kraut dem bereits erwähnten ersten Bundesgesundheitsrat an, 1968 wird er Präsident der Welthungerhilfe und fünf Jahre später überreicht man ihm das große Bundesverdienstkreuz. In Ulm befindet sich heute im Deutschen Brotmuseum das Heinrich- Kraut- Archiv für Welternährung. (6)
Auch die Kölner Karl-Pesch- Stiftung zur Förderung der Hygiene, die 1971 von der Kölner Universität ins Leben gerufen wurde, ziert sich mit einem fragwürdigen Namensgeber. Karl Pesch formulierte seine hygienischen Zielsetzungen 1934 folgendermaßen:
"Der Jude ist immer zersetzend. Die Reinerhaltung des Rassengutes ist eine der Voraussetzungen der Erhaltung des deutschen Volkes."
Der Historiker Ernst Klee bemerkte in einer jüngeren Veröffentlichung, dass ihm bei seinen Recherchen kein NS- Täter begegnet sei, "der Schuld bekannt hätte". Nahezu alle waren sie zumindest "innerlich" Gegner der Nazis, hatten niemals Rassenhygiene gefordert oder Menschenversuche befürwortet und sind ihren humanitären Pflichten als Mediziner oder Wissenschaftler stets nachgekommen. Und das versicherte man sich gegenseitig. Otmar Freiherr von Verschuer etwa, der für Mengeles Anstellung in Auschwitz sorgte und 1946 als Mitläufer entnazifiziert wurde, schrieb im gleichen Jahr über seinen untergetauchten Schützling:
"Ein Assistent meines früheren Frankfurter Instituts [...] wurde gegen seinen Willen als Arzt an das Lazarett des Konzentrationslagers Auschwitz kommandiert. [...] Von seiner Arbeit ist uns nur bekannt, dass er sich bemüht hat, den Kranken ein Arzt und Helfer zu sein."
Zwei Jahre zuvor berichtete Verschuer der DFG von anderen Zielsetzungen:
"Als Mitarbeiter in diesem Forschungszweig ist mein Assistent Dr. med. et Dr. phil. Mengele eingetreten. Er ist als Hauptsturmführer und Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt. Mit Genehmigung des Reichsführers SS werden anthropologische Untersuchungen an den verschiedensten Rassengruppen dieses Konzentrationslagers durchgeführt."Dass heute dennoch über viele Forschungen und Zusammenhänge berichtet wurde, und nicht die dreizehn in Nürnberg verurteilten Mittäter zu sadistischen Alleintätern stilisiert werden, ist vor allem einzelnen Historikern wie Ernst Klee und Robert Jay Lifton zu verdanken. Entgegen dem Mainstream beschrieb Lifton in "Ärzte im Dritten Reich" nicht die grausame Singularität einzelner mordender Ärzte, sondern das großflächige Übergehen zahlreicher Ärzte vom Heilen zum Töten, ohne ein Bewusstsein, dass sich die Aufgaben geändert hätten. Diese Entdämonologisierung ermöglicht erst die Einordnung einzelner Versuche in ideologischer und wissenschaftlicher Zielsetzung sowie die Analyse von Zusammenhängen und Bedingungen.
Es gab zur Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus neben Tätern und Mitläufern jedoch auch bewundernswerte Ausnahmen - Menschen, die sich als Ärzte oder Wissenschaftler nicht von ihren humanitären Prinzipien lösen wollten. Leider werden nach ihnen keine Stiftungen benannt, und die Geschichtsschreibung großer Institutionen wie der DFG ignoriert sie weitgehend.
Ein solcher Fall ist derjenige von Max Ufer, der 1933 von Erwin Baur, dem damaligen Leiter des KWI für Züchtungsforschung in Müncheberg, wegen seiner jüdischen Frau entlassen wurde. Nach einer schwierigen und wechselhaften Geschichte hofft er 1952 auf eine Wiederanstellung durch die Max- Planck- Gesellschaft. Er wird abgelehnt. In der tausendseitigen KWG/MPG - Geschichtsdarstellung taucht er kein einziges Mal auf. Von der MPG bekommt Max Ufer 3000 Mark, "zur Erleichterung des Übergangs". Er emigriert erneut. Von den 82 Wissenschaftlern, die seit 1933 aus der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft verjagt wurden, finden gerade zwei zu der Max- Planck- Gesellschaft zurück.
Ernst Klee schreibt gegen Ende seines Werkes "Deutsche Medizin im Dritten Reich":
"Zu danken habe ich für das Vertrauen von Opfern der NS-Medizin und ihren Angehörigen. Sie hatten angesichts der sozialen Stellung der wissenschaftlichen Täter keine Chance, als Opfer nationalsozialistischen Unrechts anerkannt zu werden."Grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Erbpflege
In den Dreißiger Jahren wurde in Deutschland eine bestimmte Idealvorstellung des deutschen Volkskörpers propagiert; alle nach damaligen Gesichtspunkten minderwertigen Bestandteile mussten identifiziert und aussortiert werden. Die betreffenden Menschen wurden durch Zwangssterilisation an der weiteren Fortpflanzung gehindert oder umgebracht. Ganz andere Zielsetzungen zeigen sich bei der zeitgenössischen, internationalen Forderung nach dem guten Erbgut. Sie kümmert sich unter vorgeblich wissenschaftlichen Gesichtspunkten mehr um Individuen als um den Genpool der menschlichen Populationen, vor allem die Rassenideologie findet sich bei dieser neuen, wissenschaftlichen Jagd nach den guten Genen nur noch selten. Die Anstrengungen konzentrieren sich momentan auf Phänomene wie vererbbare Krankheiten oder Gendefekte - immer wieder wird jedoch von verschiedener Seite auf weiterreichende Forschungsprojekte verwiesen, wie etwa angebliche Verbindungen zwischen genetischer Disposition und kriminellem Verhalten, moralischen Eigenschaften, Psychopathien oder Drogenaffinität, und die Vertreter der Sozialisation scheinen vermehrt in die Defensive zu geraten.
Wenn wir unsere Kinder vor Krankheiten bewahren können - warum nicht? Wenn wir sie sogar vor psychischen Problemen schützen können - was hält uns davon ab? Und wenn wir ihnen auch noch ganz allgemein bessere Gene, oder gar ein paar praktische zusätzliche Proteine mitgeben können - wer sind wir, das wir diese Möglichkeiten nicht schnellstmöglich ausschöpfen?
Neben ethischen, religiösen oder spirituellen Gründen sprechen jedoch nicht zuletzt biologische Realitäten gegen eine eilige Umsetzung derartiger Forderungen innerhalb der menschlichen Population. Ein wesentlicher Aspekt ist das noch fehlende Verständnis vieler Zusammenhänge und Korrelationen zwischen Proteom, Genom und Umwelt. Gerade Biotechnologie und Medizin, die sich mit autopoietischen, sich erhaltenden und reproduzierenden Lebewesen beschäftigen, müssen eine solide, verantwortungsvolle Grundlagenforschung leisten oder zumindest anstreben - der Trend ist jedoch gerade gegenläufig: die zunehmend ökonomisierte, anwendungsbezogene Forschung, die auf innovative Produkte reduziert wird und von dem Profit ihrer Financiers abhängig ist, multipliziert die Gefahren. Zudem werden gerade die Biowissenschaften immer häufiger Opfer von Fälschungen, Fehlinterpretationen und Irrtümern. (7) Die Verlässlichkeit von Versuchsergebnissen tritt in ihrer Bedeutung hinter den Marktwert von Produkt und Publizität zurück. Nicht zuletzt in Medizin und Pharmaindustrie ergeben sich hier Risiken für den Patienten bzw. Kunden, wie die Skandale großer Pharmaunternehmen regelmäßig illustrieren. (8)
Die Zielsetzungen der Wissenschaft befinden sich fernab jedes demokratischen Prozesses, und selbst elitäre Bioethik-Kommissionen hinken mühsam den Tatsachen hinterher, die täglich geschaffen werden. Wirtschaft, Industrie und Medien hingegen stürzen sich auf jede Innovation, und sorgen noch vor dem ersten Angebot für Nachfrage. Wenn die Gentechnik und mit ihr eine neue, vielleicht individualisierte Form von Eugenik zu ungebremsten Selbstläufern werden, läuft die Gesellschaft Gefahr, die Biotechnik nicht zu gebrauchen, sondern sich nach der Technik auszurichten. Doch wie können die Wissenschaften in den demokratischen Prozess eingebunden werden, wenn ihre Zielsetzung sich nach der Ökonomie richtet?
Jede Einschränkung des Genpools könnte sich letztendlich als nachteilig erweisen, etwa im Hinblick auf Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Tiefergehende Einschränkungen könnten ganze Bevölkerungen zum leichten Opfer von mikrobiologischen Feinden machen - auch wenn das reproduzierende Klonen noch weit von der gesellschaftlichen Akzeptanz entfernt ist, sollten diese Aspekte bei der Diskussion einer Beschneidung des Genpools nicht übergangen werden.
Sogar Mutationen, die keinen Selektionsvorteil darstellen, und zu ungewollten Phänomenen führen, könnten den entscheidenden Joker im Überleben der Menschheit darstellen. Die Sichelzellanämie etwa, eine durch Gendefekte ausgelöste Anomalie der Erythrozyten, behindert den Infektionszyklus des Malaria- Erregers Plasmodium. Da es sich hierbei um einen Selektionsvorteil in Bezug auf die Malaria handelt, ist die Sichelzellanämie in einigen Tropengebieten sehr weit verbreitet. Eine Austilgung dieses Gens aus dem menschlichen Genpool könnte sich etwa im konstruierten Fall einer neuen, aggressiveren und widerstandsfähigeren Variante der Malaria sogar als lebensgefährlich erweisen.
Neben diesen biologischen Schwierigkeiten sollen nun auch einige ethische und soziale Gefahren Erwähnung finden: neben einer künftigen Normierung, der möglichen Instrumentalisierung durch einflussreiche Interessengruppen sowie einer zu erwartenden Ausgrenzung "minderwertiger" Menschen in Schule, Arbeits- und Privatleben ist vor allem die Relativierung von Menschenwürde und Menschenrechten zu befürchten - nicht zuletzt, da diese Relativierung schon heute bei vielen Wissenschaftlern und Autoren im Umfeld der modernen Eugenik zu bemerken ist, und der Sinn allgemeingültiger Menschenrechte häufig mit einem großen Fragezeichen versehen wird.
Lebensunwertes Leben und nichteinwilligungspflichtige Versuchspersonen im 21. Jahrhundert
Die Bioethikkonvention des Europarates von 1998 hat viele Namen: "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin" ist die offizielle Bezeichnung, daneben wird sie auch "Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin" genannt. Tatsächlich schreibt sie fest, dass künftig die Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen prinzipiell zulässig ist. (9)
Das ist durchaus dem Text zu entnehmen, allerdings müssen einige Umwege zurückgelegt werden, bis die eigentlichen Aussagen des Vertragwerks zu erkennen sind. In Artikel 2 ist zunächst zu lesen:
"Das Interesse und das Wohl des menschlichen Lebens haben Vorrang gegenüber dem bloßen Interesse der Gesellschaft oder der Wissenschaft."
Artikel 5:
"Eine Intervention im Gesundheitsbereich darf erst erfolgen, nachdem die betroffene Person über sie aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat.
Die betroffene Person ist zuvor angemessen über Zweck und Art der Intervention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären.
Die betroffene Person kann ihre Einwilligung jederzeit widerrufen."
Artikel 6:
"(1) Bei einer einwilligungsunfähigen Person darf eine Intervention nur zu ihrem unmittelbaren Nutzen erfolgen; die Artikel 17 und 20 bleiben vorbehalten. [...]"
Artikel 17:
"(1) Forschung an einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu erteilen, ist nur zulässig, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllt:
i) Die Voraussetzungen nach Artikel 16 Ziffern i bis iv sind erfüllt;
ii) die erwarteten Forschungsergebnisse sind für die Gesundheit der betroffenen Person von tatsächlichem und unmittelbarem Nutzen;
iii) Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit ist an einwilligungsfähigen Personen nicht möglich."
Artikel 16:
"Forschung an einer Person ist nur zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
i) Es gibt keine Alternative von vergleichbarer Wirksamkeit zur Forschung am Menschen;
ii) die möglichen Risiken für die Person stehen nicht im Missverhältnis zum möglichen Nutzen der Forschung;
iii) die zuständige Stelle hat das Forschungsvorhaben gebilligt, nachdem eine unabhängige Prüfung seinen wissenschaftlichen Wert einschließlich der Wichtigkeit des Forschungsziels bestätigt hat und eine interdisziplinäre Prüfung ergeben hat, dass es ethisch vertretbar ist;
iv) die Personen, die sich für ein Forschungsvorhaben zur Verfügung stellen, sind über ihre Rechte und die von der Rechtsordnung zu ihrem Schutz vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen unterrichtet worden, und
v) die nach Artikel 5 notwendige Einwilligung ist ausdrücklich und eigens für diesen Fall erteilt und urkundlich festgehalten worden. Diese Einwilligung kann jederzeit frei widerrufen werden."
Artikel 20:
"(1) Einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu erteilen, dürfen weder Organe noch Gewebe entnommen werden.
(2) In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der durch die Rechtsordnung vorgesehenen Schutzbestimmungen darf die Entnahme regenerierbaren Gewebes bei einer einwilligungsunfähigen Person zugelassen werden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
i) Ein geeigneter einwilligungsfähiger Spender steht nicht zur Verfügung;
ii) der Empfänger ist ein Bruder oder eine Schwester des Spenders;
iii) die Spende muß geeignet sein, das Leben des Empfängers zu retten;
iv) die Einwilligung nach Artikel 6 Absätze 2 und 3 ist eigens für diesen Fall und schriftlich in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung und mit Billigung der zuständigen Stelle erteilt worden, und
v) der in Frage kommende Spender lehnt nicht ab."
Auch an minderjährigen Personen kann "unter Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters oder einer von der Rechtsordnung dafür vorgesehenen Behörde, Person oder Stelle" geforscht werden; Menschen, die unter schweren psychischen Störungen leiden, dürfen ohne Einwilligung behandelt werden, wenn "ernster gesundheitlicher Schaden droht".
Der Nürnberger Kodex von 1947 legte einmal fest, dass "die freiwillige Zustimmung" der Versuchsperson "unbedingt erforderlich" sei, und die betreffende Person "im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben". Diese Grenzen werden mit dem "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin"überwunden. Dennoch wird die neue Bioethikkonvention in vielen Zeitungs- und Internetartikeln als Werk einer "restriktiven Gentechnikpolitik" bezeichnet. (10) Viele Länder schrecken jedoch bisher vor der Ratifikation zurück, da die Forschung an Nichteinwilligungsfähigen bzw. -pflichtigen als eine Grundlagenentscheidung zu werten ist, die breite Möglichkeiten für Missbrauch schafft und vielen Kritikern zufolge einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt. Der Vertragstext ist von der Mehrheit der europäischen Staaten unterzeichnet, bisher jedoch nur von wenigen ratifiziert worden. Ursprünglich sollten auch Kriterien für das Töten von behinderten Kindern, Kranken und Alten verabschiedet werden, was jedoch nicht durchgesetzt werden konnte.
Die Forderungen nach einer neuen Euthanasie kommen nicht zuletzt aus den obersten Riegen der Intelligenz. Der australische Philosophieprofessor und Bioethiker Peter Singer (11) etwa, der gegenwärtige an der US- Eliteuniversität Princeton lehrt, vertritt eine utilitaristische Ethik, die sich an den Fähigkeiten der Geschöpfe orientiert. Einerseits machte ihn dies bei Tierrechtlern beliebt, von denen er ausgiebig zitiert wird, andererseits wurde er als Vorreiter der vollkommenen Relativierung von Menschenwürde und Menschenrechten zu einem Feindbild und Sündenbock der Eugenik- und Gentechnik- Kritik. In seinen Werken skizziert er die Grundzüge eines biologisierenden Wertesystems, in dessen Rahmen zwischen "Person" und "Nicht-Person" sowie "lebenswertem" und "nicht- lebenswertem" Leben unterschieden wird. 1984 folgert er in seinem viel diskutierten und zitierten Werk "Praktische Philosophie":
"Der Kern der Sache ist freilich klar: die Tötung eines behinderten Säuglings ist nicht moralisch gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht."Hier stellt sich wieder die grundlegende Frage: Wenn ein Leiden nicht zu vermeiden ist, soll es durch die Beseitigung des Leidenden verhindert werden? Wenn nicht aus Eigennutz der Beteiligten, so doch vielleicht aus einem hypothetischen Interesse des künftig absehbar Benachteiligten? Viele Menschen, die an schweren Behinderungen leiden, welche nach den Vorstellungen von Bioethikern wie Peter Singer ein "nicht-lebenswertes" Leben kennzeichnen, widersprechen jedoch diesen Vorstellungen und fragen nach dem Recht, dementsprechende Forderungen aufzustellen. Nach der Meinung einiger Kritiker wurden die Ansichten Singers systematisch popularisiert, in Deutschland zunächst durch die "Lebenshilfe für Geistigbehinderte e. V.", später durch Diskussionsrunden und Zeitungsartikel, die gegen "Denk- und Redeverbote" wetterten und vorgeblich um die Freiheit der Wissenschaften fürchteten.
Zu Zeiten des Nationalsozialismus umfassten die eugenischen Zielvorstellungen die Reinhaltung der "arischen Rasse" sowohl von "minderwertigen Rassen", als auch von ungewollten internen Elementen. Die erste Forderung scheint zumindest aus der öffentlichen Diskussion weitgehend verschwunden zu sein - ganz im Gegensatz dazu ist jedoch das zweite Ansinnen noch ausgesprochen lebendig. Die Vision einer segensreichen modernen Eugenik wird neben wissenschaftlichen und medienvermittelten Diskussionen auch in belletristischen Veröffentlichungen sowie diversen Infotainment- Formaten propagiert, und findet auch ihren Einzug in die Gesetzgebung.
Seit den Vierziger Jahren hat sich das Erscheinungsbild der Eugenik selbstverständlich verändert. Tötungen werden sich vorerst überwiegend auf ungeborenes Leben oder in-vitro- Kulturen beschränken, und ein staatlicher Apparat zur Vernichtung ausgewachsenen unwerten Lebens ist gegenwärtig nicht zu erwarten. Sicher wird auch die Intention für einzelne Maßnahmen eine vollkommen andere als etwa zu Zeiten des Nationalsozialismus sein: nicht Rassenwahn und erbärztlicher Befehl werden entscheiden, sondern genetische Beratung und die formell freiwillige Wahl der Untersuchten, Versuchspersonen oder doch zumindest der Eltern.
Das sollte nicht von den grundsätzlichen Risiken und Gefahren biologischer, sozialer und moralischer Natur ablenken, welche die eugenische Selektion mit sich bringt. Gerade in Anbetracht so problematischer Entwicklungen wie der zunehmenden Relativierung der Menschenwürde durch Bioethiker wie Singer, des kompromisslosen "War against Terrorism", aber auch des steigenden Bedarfs an Material für die Biotechnologie, sollte eine breite, offene Diskussion über die Prioritätensetzung der Forschung kontinuierlich die Entwicklungen, Errungenschaften, Unzulänglichkeiten und Problemfelder der Biotechnologie kritisch begleiten und hinterfragen.
Prioritäten und Aussichten
Im alten Orient reflektierten bereits die Sumerer vor mehr als viertausend Jahren in mythologischer Form über den Umgang mit körperlich und geistig Benachteiligten. Die Erzählung "Enki und Ninmach" beschreibt die Schöpfung des Menschen durch die Muttergottheit Nintu, den Weisheits- und Wassergott Enki sowie mehrere - sozusagen ausführende - weibliche Gottheiten. Nach dem ersten Akt der Menschenschöpfung ist die Göttin Ninmach offenbar mit ihrer Position als beigeordnete Geburtsgöttin nicht recht zufrieden und fordert bei einem Gelage den Weisheitsgott Enki zu einem Wettstreit heraus: Sie will Menschen mit Behinderungen schaffen, und die Schwäche Enkis dadurch beweisen, dass dieser den Benachteiligten keine Position zuweisen kann. Der Kulturstifter Enki nimmt die Herausforderung an, und gibt den Menschen, ihren Fähigkeiten gemäß, eine Aufgabe. Der Blinde wird zum Musiker, die Unfruchtbare zur persönlichen Dienerin der Königin und letztendlich findet jeder Mensch in der Gesellschaft, die als göttlich stabilisierte Harmonie verstanden wurde, seinen Platz. (12) Die Gemeinschaft ist gemäß dieser Vorstellung für das Auskommen des benachteiligten Individuums verantwortlich, sie dient seiner Erhaltung, gleich welche Voraussetzungen es mit sich bringt.
Viertausend Jahre später steht der Mensch vielleicht bald vor der Entscheidung, die genetischen Voraussetzungen der nachfolgenden Generationen zu verändern. Von allen angesprochenen grundsätzlichen Problemen, gefährlichen Kenntnislücken und unwägbaren Gefahren abgesehen, würde sich bei einer Umsetzung der aktiv verändernden Eugenik die Frage stellen, nach welchen Kriterien die Menschen denn ihren Genpool erweitern oder einschränken sollten. Sicher sind zahllose humanitäre Einsatzmöglichkeiten genetischer Eingriffe denkbar - doch in welcher Form solche Techniken, die eigentlich aus humanitären Gründen eingeführt wurden, letztendlich Anwendung finden könnten, sollte nicht übergangen oder bagatellisiert werden. Ausschlaggebend für die konkrete Umsetzung ist dabei auch, mit welchen Zielen geforscht wird, aber vor allem, welche Anwendungen gesetzliche Duldung erreichen und wie die Techniken und deren Produkte verbreitet und vermarktet werden. Die so genannte "Grüne Gentechnik", die mitunter als Retterin der Entwicklungsländer glorifiziert wird, sorgte bisher etwa für den Verkauf des Terminator-Saatguts, welches die Bauern in noch tiefere Abhängigkeit treibt, eine Milderung des Welthungerproblems jedoch scheint auf unbestimmte Zeit vertagt.
Das allgegenwärtige Streben nach maximaler Effizienz bei gleichzeitiger Kostenminimierung droht, den Einsatz der Biotechnologie durch dessen Rentabilität für einige große, Patente lagernde Unternehmen bestimmen lassen. Die Öffentlichkeit wird einerseits von den Prozessen der Entscheidungsfindung und Zielsetzung abgeschirmt und durch Informationsfiltrierung und Konzepte wie das "bad knowledge" - unter dem auch und gerade Wissen aus dem Bereich der Biotechnologie verstanden wird - an einer objektiven Beurteilung gehindert; andererseits werden durch Versprechen und selektive Berichte in den großen Medien Bedürfnisse geweckt und Nachfrage geschaffen, noch bevor die Produkte möglich sind. Wirtschaftliche, aber auch militärische und nicht zuletzt sicherheitspolitische Interessen üben zunehmend Druck auf Bioethik und Forschung aus, und die Akzeptanz von neuen ethischen Grenzen wird vermutlich mit jedem Versprechen und jeder neu eingeführten Methode weiter steigen. Kritische Beurteilungen und Warnungen werden auf irreale Ängste und Wissenslücken reduziert - die sicherlich beide existieren, jedoch keineswegs die Mehrheit der veröffentlichten Kritik ausmachen.
Die Ziele des ein oder anderen neuen Eugenikers wirken recht vertraut: Eigenschaften wie Intelligenz, Persönlichkeit, Neigung zu asozialem Verhalten oder sexuelle Orientierung sollen als genetisch disponiert und damit vererbbar bewiesen oder zumindest dargestellt werden. Zahlreiche Anläufe sind bisher unternommen worden, kein einziger konnte sich wissenschaftlich behaupten. In jüngerer Zeit beschäftigt man sich mit einigen Genen, die für Neurotransmitter codieren, doch von regelmäßigen begeisterten Verlautbarungen abgesehen wurde bisher wenig erreicht.
Auch zu Zeiten der entfesselten Forschung unter dem Hakenkreuz beschäftigten sich zahlreiche Projekte mit dem Versuch, die Vererbbarkeit von Arbeitslosigkeit, kriminellem Verhalten oder Landstreichertum nachzuweisen.
Der zu Beginn erwähnte Psychiater Werner Villinger bezeichnete 1933 in "Arbeitslosigkeit, Arbeitsscheu, Verstandesschwäche bei jugendlichen Kriminellen" die Verhinderung der Vermehrung biologisch minderwertiger Menschen als das "A und O jeder wirksamen Verbrechensbekämpfung" und berichtete von "endogener", also erblich bedingter, Arbeitslosigkeit. "Anlagebedingte Minderwertige" sah 1938 nicht nur Walter Creutz, ein Dezernent für Gesundheitswesen, in Antisozialen, Schwachsinnigen und Kritikern des NS- Regimes; auch Mediziner wie Karl Astel forderten die "Tötung von Verbrechern, auch wenn sie noch nicht selbst einen Menschen getötet haben"und wollten Kriminalität generell mit Sterilisierung bekämpfen.
Die diesbezüglichen Forschungen wurden nicht nur von der Elite der Nationalsozialisten, die grundsätzlich an jedem biologischen Nachweis der Minderwertigkeit ihrer Opfer interessiert waren, sondern auch von bekannten Organisationen aus Übersee mitgetragen. Industrielle wie der Stahlbaron Andrew Carnegie, der Ölmagnat John D. Rockefeller oder der Textilfabrikant Colonel Wickliffe P. Draper begründeten mit biologisierenden, sozialdarwinistischen Ideologien ihre Herrschaftsansprüche und stellten den wissenschaftlichen Rassenhygienikern bereitwillig Gelder zur Verfügung.
Den Nachweis für die Erblichkeit von Kriminalität, eine zentrale Bedingung für die Legitimation der angestrebten universalen Eugenik, sollte auch der Biologe Friedrich Stumpfl liefern. Seine Forschungen zu diesem Thema liefen unter dem Titel "Erbanlage und Verbrechen"und wurden zu Beginn der Dreißiger Jahre sowohl von der DFG als auch von der Rockefeller Foundation gefördert. 1936 versprach er Erbprognosen für kriminelles Verhalten - obwohl Erfolge ausblieben, wurde er 1939 Professor in Innsbruck, 1956 zum zweiten Mal. Auch der Biochemiker Ulrich Westphal, dessen DFG- Akte im Jahr 1940 abrupt endet, kam noch 1939 durch ein Forschungsstipendium der Rockefeller-Foundation nach Amerika.
Doch nicht nur die Forschungsanstrengungen, auch die Methoden finden Nachahmer. Neben zahlreichen Einzeltätern, die ohne Information der Betroffenen Versuche mit Medikamenten durchführen oder Proben entnehmen, sind auch die staatlich sanktionierten Misshandlungen durch Mediziner seit 1945 nicht ausgeblieben, Während der Militärdiktatur in Chile unter Augusto Pinochet wurden von 1973 bis 1983 Gefangene unter der Aufsicht von Ärzten systematisch misshandelt. Und nicht zuletzt Militär und Geheimdienste der Gegenwart bedienen sich der Ärzte in verschiedenster Weise: in Abu Ghoreib etwa, dem im jüngsten Folterskandal des US- Militärs in die Medien geratenen Gefängnis, waren mindestens zwei Mediziner an den Misshandlungen beteiligt, acht "Geisterhäftlinge" wurden vor dem Roten Kreuz versteckt. Wolfgang Heinz vom deutschen Institut für Menschenrechte äußerte Mitte August auf einer Pressekonferenz, dass über die Achtung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung keinerlei unabhängige Untersuchungen existieren, sondern lediglich wenige freigegebene Informationen nach Außen dringen würden. (13)
Der Historiker Michael H. Kater schrieb 1989:
"Es scheint, als sei Hippokrates heute wie damals bewusstlos. Vielleicht haben böswillige Schüler ihn betäubt. Hippokrates endgültig wieder zu beleben und damit aus der schlimmen Entwicklung zu lernen, wäre demnach, unverändert, das Gebot der Stunde."
In Bezug auf die zeitgenössischen Methoden der Eugenik ist neben der genetischen Beratung und der Genomanalyse durch PND (Pränataldiagnostik) oder PID (Präimplantationsdiagnostik) sowie anschließender Abtreibung vor allem die gezielte Veränderung menschlichen Erbgutes zu nennen, das so genannte "genetic enhancement engineering". Hierbei könnte es sich einerseits um das gezielte Ersetzen von mutierten Gensequenzen durch gesunde handeln, andererseits wären genetische "Verbesserungen", bzw. Verbesserungsversuche denkbar und wurden schon von verschiedener Seite vorgeschlagen und popularisiert. Prinzipiell sind Gen- Knock-Out und gezielte Mutationen schon jetzt machbar - beides wäre jedoch gegenwärtig, der vorhandenen Wissenslücken in Bezug auf Genom- und Proteom-Aktivität entsprechend, mit zahlreichen, unkalkulierbaren biologischen Problemen und Gefahren verbunden. Eine kontrollierte Anwendung auf den Menschen im Rahmen eines systematischen "Gen- Enhancements" scheint jedoch biotechnisch nicht unmöglich. Wieder stellt sich die Frage nach den Prioritäten, den Interessen von Minderheiten, der Öffentlichkeit und den Financiers wissenschaftlicher Forschung.
Eugenik kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, von Genmanipulation und genetischer Beratung über die Zwangssterilisierung bis hin zur Euthanasie. Entscheidend ist hierbei die Achtung von universellen Menschenrechten, die das Leben und die Unversehrtheit der Person schützen sollen. Doch gibt es gegenwärtig zahlreiche Angriffe gegen die Achtung allgemeingültiger Rechte, nicht nur innerhalb bioethischer Ideologien sondern auch im Kontext von Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung. In diesem Punkt besteht sicher die größte Gefahr, sowohl in Bezug auf die Biotechnologie als auch in Hinblick auf unsere Demokratie. Denn werden Menschenrechte erst einmal selektiv vergeben und entzogen, gerät die offene, pluralistische Gesellschaft in Gefahr.
In Anbetracht der realen Gefahren darf sich die Kritik jedoch nicht auf die Konstruktion schauerlicher Horrorvisionen beschränken, sondern muss an der Gestaltung der Zukunft mitwirken. Ob ihr dazu, von begleitenden Kommentaren abgesehen, noch lange die Chance bleiben wird, ist eine andere Frage. 1997, nach dem Klonschaf "Dolly" und anderen Erfolgen am Roslin- Institut, zeigte der Spiegel etliche Hitler- Klone auf dem Titelbild, die Überschrift lautete "Der Sünderfall". Als 1999 an der Nationaluniversität in Seoul der erste menschliche Klon erzeugt und nach wenigen Stunden wieder getötet wurde, war das selbst der Bild-Zeitung nur noch einen kurzen, sachlichen Artikel wert. Die Prioritäten hatten sich offenbar gewandelt, und mit ihr die Sensibilität der Öffentlichkeit.
Weiterführende Artikel der Redaktion:
"Operation Artischocke - Der Tod Dr. Frank Olsons"
"Die Weiße Rose - In Sachen Widerstand gegen Hitler"
Weiterführende Links:
www.vl-zeitgeschichte.de
www.gen-ethisches-netzwerk.de
www.zum.de
Quellen und weiterführende Literatur:
Ernst Klee
"Euthanasie im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens", 9. Auflage 1999
"Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945", 2001
Michael H. Kater
"Ärzte als Hitlers Helfer", 2000 (Original: "Doctors under Hitler", 1989)
Robert Jay Lifton
"Ärzte im Dritten Reich" 1988 (Original: "The Nazi Doctors: Medicalized Killing and the Psychology of Genocide", 1986)
Benno Müller-Hill
"Das Blut von Auschwitz und das Schweigen der Gelehrten" in:
Doris Kaufmann (Hrg.), "Geschichte der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft im Nationalsozialismus" (2000)
Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Byertz
"Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland", 1996
Bruce Alberts et al.
"Lehrbuch der molekularen Zellbiologie", 2.korr. Auflage 2001 (Original: "Essential Cell Biology", 1998)
Fußnoten
http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak5/igm/g47/bauerhip.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Hippokrates
Sehr kritisch betrachtet den hippokratischen Eid u.a. Prof. Julius Hackethal in seinem Buch "Der Meineid des Hippokrates"
http://www.bundesaerztekammer.de/30/Auslandsdienst/Genf.pdf
http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2003/113/html/PeterWeingart.pdf
http://www.scheffel-gymnasium.de/faecher/religion/mitte.htm
http://www.wissen.swr.de/sf/begleit/bg0030/bg_ns05a.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Euthanasie
http://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4
http://www.stiftung-evz.de/soperss/medizinische_versuche_uebersicht.html
http://www.eiselen-stiftung.de/geschichte.html
http://www.g-o.de/index.php?cmd=focus_detail2&f_id=110〉=4
http://www.wienerzeitung.at/frameless/lexikon.htm?ID=409
http://www.zeit.de/2003/21/N-F_8alschungen_Interview
http://www.zeit.de/archiv/2001/34/200134_forum.xml
http://www.stern.de/wirtschaft/versicherung/?id=355214&p=5&nv=ct_cb&eid=501116
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/14969/1.html
http://www.zeit.de/2003/25/P-Sch_9anh_9afer
http://www.deyerler.de/stefan/indexbio.htm
http://www.berlinews.de/archiv-2004/2447.shtml
http://www.bag.admin.ch/dienste/medien/2000/d/00112226.htm
http://www.ewetel.net/~martin.bode/Singer.htm
http://www.doboz.franken.de/edu/pr_ethik.html
http://www.ifdn.tu-bs.de/didaktikbio/Maps/Projekt-1/K8-Links/SingersThesen_Auseinandersetzung.htm
http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/cgi-bin/etcslmac.cgi?text=c.1.1*
Mehr zu den Sumerern:
www.sumerian.org/
www.institut-fuer-menschenrechte.de
Rassenhygiene und Zwangssterilisation
"Warum sollten wir nicht den Weg bereiten für Widar, den Starken?" schrieb Fritz Lenz in seinem 1923 publizierten Werk "Menschliche Auslese". Offenbar eine rein rhetorische Frage, denn längst stand die Zielsetzung für ihn und viele seiner akademischen Zeitgenossen fest. Eine Selektion nach eugenischen Kriterien musste zahlreichen Hygieneforschern, Anthropologen und Medizinern gemäß durchgeführt werden, um der eigenen Rasse oder dem eigenen Volk im Kampf gegen die allgegenwärtigen Feinde das Überleben zu sichern. Als der Nationalsozialismus schließlich die Umsetzung dieser Ideen bis zur letzten Konsequenz ermöglichte, geschah dies nicht allein durch Sterilisationen - wie Jahre zuvor schon in Deutschland und Amerika erprobt - sondern durch tödliche Hilfsverweigerung und aktiven Mord.
In den Jahren des Nazi- Regimes zeigte sich eine sozialdarwinistische, vielleicht antihumanitär zu nennende Form von Bioethik. Sie fand in den Verbrechen eines Dr. Josef Mengele zweifellos schauerliche Höhepunkte, ist jedoch nicht auf das Deutschland der Dreißiger und Vierziger Jahre zu beschränken. Ähnliche Vorstellungen wurden vielmehr schon Jahrzehnte zuvor akademisch propagiert und haben teilweise bis heute in verschiedenartig modifizierter Weise Bestand. Ganz im Gegensatz zu derartigen Ansätzen steht das wohl berühmteste Gelöbnis aus der Geschichte medizinischer Ethik, der hippokratische Eid:
"In wie viele Häuser ich auch kommen werde, zum Nutzen der Kranken will ich eintreten," (1) gelobten die Hippokratiker der griechischen Antike. Sie hatten sich einer Maxime verschrieben, die das Leben des Einzelnen zur Priorität erklärte und der praktische Arzt hatte eben dieses ihm anvertraute Leben unter allen Umständen zu bewahren. Entsprechende Forderungen finden sich noch heute, etwa zweieinhalb Jahrtausende nach Wirken des Hippokrates im so genannten "Genfer Gelöbnis"(2), das seit 1950 als Präambel für die Berufsordnungen der einzelnen deutschen Ärztekammern dient:
"Die Gesundheit meines Patienten wird meine erste Sorge sein," heißt es dort, und: "Ich werde das menschliche Leben von der Empfängnis an bedingungslos achten." Zusätzlich finden sich zwei speziellere Gelöbnisse: "Ich werde es nicht zulassen, dass sich religiöse, nationale, rassische Partei- oder Klassengesichtspunkte zwischen meine Pflicht und meine Patienten drängen," und: "Selbst Drohungen werden mich nicht dazu bringen, meine ärztlichen Kenntnisse entgegen den Pflichten der Menschheit anzuwenden."
Diese Spezifikationen des ärztlichen Eides wurden 1948 vereinbart, drei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Drei Jahre auch nach der offiziellen Befreiung der Opfer des nationalsozialistischen Regimes, welche nicht nur in Konzentrationslagern und Strafanstalten, sondern ebenso in Kliniken, wissenschaftlichen Institutionen und Psychiatrien zu finden waren. Die Befreiung kam allerdings nicht allen Opfern zugute: mit dem Triumph der Siegermächte wurden in Deutschland zwar die meisten nationalsozialistischen Gesetze abgeschafft, das Sterilisierungsgesetz jedoch blieb zunächst unangetastet.
Auch von einer "Befreiung" der Insassen psychiatrischer Kliniken kann nur in einem menschenverachtenden Sinne die Rede sein - nach der Befreiung begann erst das Massensterben innerhalb der Anstalten: In Bernburg/Saale verdoppelten sich 1945 die Todesfälle, auf Schloss Hoym stirbt im gleichen Jahr die Hälfte der Insassen, in Taupitz sterben 546 von 600 Patienten, die Anstalt Düsseldorf-Grafenberg weist noch in den Jahren 1946/47 eine Mortalitätsrate von 55% auf, und in den Wittenauer Heilstätten stirbt nach der Befreiung über die Hälfte der Neuzugänge noch im gleichen Jahr. Ein bezeichnendes Beispiel ist auch die Klinik Klingenmünster: noch 1946 sterben 454 von 1029 Patienten - ihre Leichname sind bis heute nicht gefunden worden.
Die gesetzliche Zwangssterilisierung wiederum hat eine Geschichte, die bereits Jahrzehnte vor dem Dritten Reich beginnt: Bereits 1896 wurde "Epileptikern, Schwachsinnigen und Geistesschwachen" im US- Bundesstaat Connecticut gesetzlich die Heirat verboten, 1907 folgte in Indiana das erste Gesetz, das die Zwangssterilisation aus eugenischen Gründen erlaubte. Kalifornien und 31 weitere Bundesstaaten folgten schon bald mit ähnlichen Gesetzen. Im Jahre 2002 entschuldigten sich zwei US- Gouverneure bei den zehntausenden Opfern der bis 1974 andauernden Zwangsterilisationen.
Der erste praktische Schritt in Deutschland folgte 1920, als in Stadtroda/Thüringen systematische Sterilisationen aus "sozialhygienischen Indikationen" durchgeführt wurden. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" erschien 1933 unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, und erst 1947 sollten von einer Delegation wieder neue Richtlinien zur Sterilisation aufgestellt werden. Am Rande sei erwähnt, dass Hessen wegen heftigen Protesten auf den Erbarzt Otmar von Verschuer als Delegierten verzichten musste, der wenige Jahre zuvor als eifriger Professor unter anderem für die Anstellung von Dr. Josef Mengele in Auschwitz gesorgt hatte, schließlich nahm Werner Villinger diese Aufgabe wahr - ebenfalls ein ausgewiesener Fachmann der Materie, war er doch ab 1941 Gutachter zur Selektion von Kranken in Vergasungsanstalten unter Obhut der Euthanasie-Zentrale.
Die Zwangssterilisation ist in ihrer ideologischen Legitimation stark mit der Eugenik verbunden, deren Anfänge gewöhnlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesucht werden. Eugenische Ideen sind allerdings schon weit früher erkennbar, etwa bei Autoren der Antike oder der Renaissance. (3)
Der Begriff "Eugenik" ist dem Griechischen entlehnt und bedeutet etwa "wohl geboren" oder "gut entstanden". Als eigentlicher Begründer der Eugenik gilt der britische Privatgelehrte Francis Galton, der seine Ansichten zu diesem Thema zunächst 1869 in "Hereditary Genius" veröffentlichte und 1883 in dem Werk "Inquiries into Human Faculty and its Development" die moderne Bedeutung des Begriffes "Eugenik" prägte. Galton ging von der erblichen Bestimmung sämtlicher geistiger Eigenschaften und Fähigkeiten aus, und versuchte dies anhand von Verwandtschaftsverhältnissen herausragender Persönlichkeiten zu beweisen. Voraussetzung war gewissermaßen die Darwinsche Evolutionstheorie, und auch wenn mit ihr noch nicht die Möglichkeit oder gar ein etwaiger Nutzen von aktiver Selektion zugeschrieben wurde, zeigte sich auch Darwin selbst in einigen Briefen sehr interessiert an Galtons Werk. Die eugenischen Ideen wurden in den folgenden Jahrzehnten von zahlreichen Wissenschaftlern und Denkern aufgegriffen und in verschiedener Form weiter ausgearbeitet.
So forderte etwa Alexander Graham Bell 1883 in "Memoir upon the Formation of a Deaf Variety of the Human Race" neben der eugenischen Kontrolle von US-Immigranten ein Eheverbot unter Taubstummen, und der Insektenforscher August Forel schrieb 1905 in "Die sexuelle Frage" über die "Chinesen und einige andere Mongolen", dass man "jedenfalls ihr Blut vielmehr noch als ihre Waffen für uns zu befürchten" habe, während er den Pflegern von geistig Behinderten rät, "letztere sterben zu lassen und selbst tüchtige Kinder zu zeugen".
Die Eugenik hatte bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert in sämtlichen Industrienationen einflussreiche Vertreter, und in den folgenden Jahrzehnten wurden die beschriebenen Ideen in Bezug auf die Sterilisationen, auf verschiedene Weise umgesetzt. Die Verbindung von Rassenhygiene und Eugenik jedoch, wie sie vor allem, aber nicht nur im deutschsprachigen Raum vermehrt vertreten und schließlich von den Nationalsozialisten propagiert wurde, war nur unter der Voraussetzung einer Rassenideologie möglich, die einzelnen Rassen ein schlechteres Erbgut unterstellte. Diese biologisierende Form des Rassismus wurde zunächst auch in Deutschland nicht von allen Hygieneforschern und Eugenikern vertreten.
Als Begründer der Rassenhygiene in Deutschland gilt der 1860 geborene Alfred Ploetz, von dem 1895 das Hauptwerk "Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Grundlinien einer Rassenhygiene" erscheint. Ploetz entwirft die Utopie des totalen Züchtungsstaates, in dem Menschen ausschließlich und vollkommen nach ihren biologischen Anlagen beurteilt werden, und sämtliche Mechanismen ausgeschaltet werden, die Schwache, Kranke oder Benachteiligte schützen und somit Selektion verhindern. Zur Fortpflanzung bedarf es nach dieser Vorstellung einer Lizenz, die biologischen Kriterien gemäß vergeben wird. Ab 1904 gibt Ploetz die Zeitschrift "Archiv für Rassen- und Gesellschafts- Biologie" heraus, deren Leitung 1911 Fritz Lenz übernimmt. In der 1905 gegründeten"Gesellschaft für Rassenhygiene" finden sich prominente Persönlichkeiten wie Ernst Haeckel, Vater der biogenetischen Grundregel und Verfechter des Sozialdarwinismus, oder Erwin Baur, von dem im weiteren Verlauf noch zu lesen sein wird.
Zwei Jahre später bildet sich die "Münchener Gesellschaft für Rassenhygiene", die neben dem Verleger Ernst Klett auch die berüchtigte Schwester und Nachlassverwalterin von Friedrich Nietzsche -Elisabeth Foerster-Nietzsche - als Mitglied vorweisen kann. 1918 wird der völkische, elitäre und antisemitische "Widarbund" gegründet, dem unter anderem der bereits erwähnte Otmar von Verschuer angehört. Nach zwei weiteren Jahren beruft der preußische Minister für Volkswohlfahrt einen Beirat für Rassenhygiene, in dem sich vor allem Pflanzengenetiker wie Erwin Baur oder Carl Correns versammeln, und 1927 wird das KWI (Kaiser- Wilhelm- Institut) für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik gegründet, dem in den folgenden achtzehn Jahren eine wichtige Rolle zukommen sollte.
Als die Nationalsozialisten schließlich die Durchführung der propagierten eugenischen Ideen unter dem Motto der "Erbpflege"ermöglichen, wird Rassenhygiene und Eugenik zur staatlich verordneten akademischen Zielsetzung. Kritische Wissenschaftler, die Zweifel oder Ablehnung äußern, werden zunächst entlassen, später verfolgt. Die Gleichschaltung der Ärzteschaft wird 1936 mit der Installierung der Reichsärztekammer komplettiert. Gegen Ende des Krieges gehören 45 % der deutschen Ärzteschaft der NSDAP an.
Euthanasie und Menschenversuche
Im Herbst 1938 wendet sich ein SS-Mann namens Knauer an den Direktor der Leipziger Universitäts-Kinderklinik mit der Bitte, sein schwer missgebildetes Kind einzuschläfern. Nach gültigem Weimarer Recht war die Euthanasie nicht erlaubt und die Familie Knauer wandte sich im Folgenden direkt an Hitler. Dieser schickte seinen Leibarzt Karl Brandt, den späteren "Reichskommissar für Gesundheit", der die Aufgabe erledigte. Anschließend wurde er von Hitler mit der Entwicklung eines Mordprogramms für körperlich oder geistig behinderte Kinder beauftragt. Die Euthanasie-Aktion konnte sich nun entfalten, in deren Folge in den Jahren 1939 - 1945 etwa 250.000 Menschen getötet wurden.
Der Mediziner Karl Brandt wollte eigentlich bei Albert Schweizer arbeiten, wurde jedoch abgelehnt und fixierte sich erst in der Folgezeit auf sein zweites Vorbild Hitler. Als Idealist wird er noch heute beschrieben, ein Überzeugungstäter, der an der Ostfront mit einem ähnlichen Einsatz Menschenleben rettete, wie er an der Heimatfront "Probetötungen" an Behinderten durchführte.
Das Euthanasieprogramm lief ab 1939 unter dem Decknamen "Aktion T4" (4), benannt nach der Zentraldienststelle in der Berliner Tiergartenstrasse Nr. 4, wobei die eigentliche Schaltstelle im Hintergrund die Kanzlei des Führers war, mit dem Reichsleiter Philipp Bouhler an der Spitze. Hitlers Ermächtigungsschreiben vom Oktober 1939, das in der historischen Literatur als Beginn der Euthanasie-Verbrechen bezeichnet wird, richtete sich ausdrücklich an Brandt und Bouhler:
"Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann."
Sechs T4-Tötungsanstalten wurden im Gebiet des Deutschen Reiches zwischen 1939 und 1941 errichtet - in Pirna, Bernburg, Hadamar, Gomadingen, Alkoven und Brandenburg. Weitere Anlagen in annektierten Gebieten wurden ebenfalls genutzt. Eine erhaltene interne Statistik der "Aktion T4" enthält Daten über Vergasungen ("Desinfektionen"), die in den Jahren 1940/41 in den sechs T4-Anstalten erfolgten. Insgesamt verzeichnet sie 70 273 Tote. Die im Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz beschlossene "Endlösung der Judenfrage" wird häufig im Zusammenhang mit der "Aktion T4" gesehen. Beide Massenmorde konnten nur unter dem starken Einfluss von kollektivistisch orientierter Eugenik und Rassenhygiene geschehen, legitimiert durch das selektive Absprechen des Rechtes auf Leben aufgrund von biologischen oder vermeintlich biologischen Eigenschaften.
Ein Name, der regelmäßig in Verbindung mit dem wissenschaftlichen Grauen unter dem Nazi-Regime auftaucht, ist der von Dr. Josef Mengele, dem so genannten "Todesarzt" von Auschwitz. Auch wenn die Problematik sicher nicht auf einige "Todesärzte" zu beschränken ist, wie dies mitunter in Dokumentationen den Anschein erweckt, soll noch einmal anhand eines Beispiels kurz skizziert werden, was nicht zuletzt durch eine bioethische Ideologie, die Kriterien für den Wert des menschlichen Lebens aufstellt, und von ihren Normen abweichendes Leben als lebensunwert erachtet, legitimiert wurde.
Der studierte Anthropologe und zweifache Doktor Josef Mengele erscheint zunächst nicht als ein fanatischer Anhänger des Rassenwahns, stellt sich jedoch bereitwillig für die scheinbar grenzenlosen Forschungen unter dem Leitbild von Rassenhygiene und Eugenik zur Verfügung. Sein Mentor Professor Verschuer verschafft ihm 1943 die Position in Auschwitz, einem "Forschungsparadies" mit tausenden Versuchsobjekten. Im Rahmen vielfältiger Versuche treffen seine Forschungen vor allem Zwillinge, insbesondere Juden, Sinti und Roma. Seinen Opfern werden gezielt Gifte gespritzt, Organteile entfernt oder sie werden körperlichen Qualen ausgesetzt. Meskalin und andere "Chemikalien zur Gehirnwäsche" kommen zum Einsatz, Adrenalin wird in Augen gespritzt, Bakterien werden in das Brustfell injiziert. Blut wird bis zum Zusammenbruch entzogen. Zwei Zwillinge lässt er zusammennähen und gibt sie mit schweren, unheilbaren Verletzungen, aber noch lebend, ihren Eltern zurück. Wer nicht von weiterem Interesse ist, wird getötet. Seine Experimente verbrauchen ihre Versuchspersonen, doch für Nachschub wurde gesorgt. Von über 3000 Zwillingen in Auschwitz überleben 180. (5)
Wie schon bei Karl Brandt und vielen weiteren wissenschaftlichen Tätern scheint auch bei Mengele nicht der Rassenwahn die wesentliche Motivation für ihre Entscheidungen gewesen zu sein, sondern die Erfolge und Ergebnisse ihrer Maßnahmen und Untersuchungen. Für Dr. Josef Mengele war eine wissenschaftliche Utopie möglich geworden: die Forschung ohne ethische Grenzen. Der "Vater der Zwillinge" - wie er sich selbst nannte - hielt seine Versuche für wichtige anthropologische Untersuchungen und wollte über die Zwillingsforschung zu einer Professur kommen.
Mengeles Geschichte endet nicht mit Auschwitz oder der Befreiung, denn er schafft es, rechtzeitig unterzutauchen. Obwohl er von der amerikanischen Militärpolizei gesucht und seine Frau überwacht wird, kann er sich jahrelang regelmäßig mit der angeblichen Witwe treffen. Später flüchtet er aus Deutschland nach Südamerika, wird von Mossad und CIA gejagt, jedoch nie festgenommen. Allem Anschein nach erleidet er 1979 in Südamerika beim Schwimmen einen Schlaganfall und stirbt.
Mit diesem wechselhaften Schicksal war er im Vergleich zu der überwiegenden Mehrheit seiner Kollegen schon sehr hart gestraft, immerhin befand er sich 34 Jahre lang mehr oder weniger auf der Flucht. Im Nürnberger Ärzteprozess hingegen wurden letztendlich 16 von 23 Angeklagten, darunter 13 Mediziner, als Haupttäter verurteilt - die meisten von Mengeles Kollegen stellten sich gegenseitig eine "grundsätzlich humanistische Gesinnung" aus und bestätigten den verantwortlichen Umgang mit Patienten. Die Versuchstitel, Ergebnisse und Veröffentlichungen der Forscher vermitteln oft ein anderes Bild. Mengele war zweifellos ein sehr aktiver Forscher, aber in Verfahrensweise, Zielsetzungen und Konsequenz leider alles andere als ein Einzelfall.
Ärzteprozess, Aktenvernichtung und Nachkriegskarrieren
Als Alexander Mitscherlich und Fred Mielke 1948 ihr Buch "Das Diktat der Menschenverachtung" veröffentlichten, wurden erstmals Dokumente aus den Nürnberger Ärzteprozessen öffentlich. Die erste Auflage konnte ihr Publikum jedoch nicht erreichen, denn sie wurde komplett von der westdeutschen Ärztlichen Standesvertretung aufgekauft, um sie für die kommenden Jahre ungelesen in Tresoren zu lagern.
Mit über fünfzig Jahren Abstand scheint die Vergangenheit offenbar weit genug entfernt, die alten Eliten haben sich überwiegend verabschiedet, und so nehmen sich nun auch die großen Institutionen der Thematik in diversen Publikationen an. Die Objektivität lässt allerdings noch zu wünschen übrig: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft etwa ließ ihre Vergangenheit bisher zweimal darstellen, 1968 in der Veröffentlichung "Forschungsförderung in drei Epochen", die von Medizinhistorikern mitunter als "Verharmlosungsopus"beschrieben wird, und zum wiederholten Mal 1999, in der Auftragsarbeit "Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich" des Historikers Notker Hammerstein. Auch die jüngste Publikation versucht vor allem, die Beteiligung und Verantwortlichkeit der DFG an rassenhygienischen und menschenverachtenden Forschungen zu minimieren.
Hammerstein bestreitet die Beteiligung der Forschungsgemeinschaft an Menschenversuchen und berichtet von "Fürsorge und Vorsorgepflicht der öffentlichen Hand für Geschädigte, so genannte Asoziale oder Behinderte unterschiedlichster Art". Internierung, Zwangssterilisierung und Vernichtung werden zu Für- und Vorsorge, Rassenhygieniker zu harmlosen Mitläufern. Wie etwa Robert Ritter, der bereits 1935 gegenüber der DFG die Sterilisierung von Zigeunermischlingen forderte, da sie Mischlinge mit einem kriminellen Subproletariat seien, "dessen Minderwertigkeit in keiner Weise dem Erbstrom der Geisteskranken und Schwachsinnigen nachsteht".1943 meldet er der Forschungsgemeinschaft, dass die "Erfassung der Zigeuner und Zigeunerbastarde" im Groben beendigt sei. In "einem besonderen Zigeunerlager" - die Rede ist hier von Auschwitz-Birkenau - seien 9000 Zigeunermischlinge interniert. Nach 1945 wurden die Unterlagen Ritters weiterhin ausgewertet, seine ehemalige Mitarbeiterin Sophie Ehrhardt wurde zu diesem Zweck von der DFG gefördert.
Der Auftragshistoriker Hammerstein sieht nur sieben Medizinprojekte, die von der NS-Ideologie getragen wurden, die Forschungsgemeinschaft an sich sei zu einer Abrechnungsstelle des Reichswissenschaftsministeriums verkommen, hatte nach seinen Aussagen selbst wenig Bedeutung und mit der DFG nach 1945 ohnehin nichts zu tun. Die Wissenschaftszentrale des nationalsozialistischen Rassenwahns, das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, betrieb Hammersteins Reinwäsche zufolge die "Unterstützung normaler und seriöser Forschung". Dabei gehörte der Leiter des KWI für Anthropologie, Eugen Fischer, zweifellos zu den zentralen Gestalten der wissenschaftlichen Legitimation von nationalsozialistischer Rassenhygiene und Eugenik. Nach den Nürnberger Rassengesetzen dankte er Hitler "zum Schutz des Deutschen Blutes", dass er "den Erbforschern ermöglicht habe, ihre Forschungsergebnisse dem Volksganzen praktisch dienstbar zu machen". Die Kaiser-Wilhelm Gesellschaft selbst wurde bekanntlich 1948 in die Max- Planck-Gesellschaft umgewandelt. Max Planck persönlich schrieb als Präsident der KWG bereits 1933 an Innenminister Frick:
"Dem Herrn Reichsminister des Innern beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, dass die KWG zur Förderung der Wissenschaften gewillt ist, sich systematisch in den Dienst des Reiches hinsichtlich der rassenhygienischen Forschung zu stellen."
Die DFG hatte auch nach 1945 offenbar keine Schwierigkeiten mit der weiteren Finanzierung von verurteilten Verbrechern, sondern förderte etwa Eugen Haagen, 1943 Leiter des Hygieneinstituts der Reichsuniversität Straßburg, der im KZ Natzweiler Fleckfieberversuche an Häftlingen durchführte. Haagen war in Lyon 1954 zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, kam jedoch einige Monate später wieder frei. Von der DFG wurde seine Virusforschung weiterhin gefördert, er fand Anstellung bei der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen.
Der Medizinhistoriker Ernst Klee, dessen Veröffentlichungen über die NS-Medizin und speziell die Euthanasie zu den Standardwerken gehören, bemerkt in seinem Werk "Deutsche Medizin im Dritten Reich - Karrieren vor und nach 1945" über die historische Vertuschungsarbeit der DFG sowie vergleichbare Anstrengungen:
"Es ist absurd: In der politischen Diskussion wird jahrein, jahraus appelliert, die Wurzeln des Nationalsozialismus aufzudecken. Zugleich aber geht die Verharmlosung der geistigen Holocaust-Helfer im Wissenschaftsbereich weiter."
Selbst in der recht objektiven und umfassenden Abhandlung "Doctors under Hitler" des US- Amerikaners Michael H. Kater finden sich gravierende Fehler. Sein Bericht über die Menschenversuche der Luftwaffe im KZ Dachau behandelt den Arzt Sigmund Rascher als Alleintäter, die an den Versuchen beteiligten Vorgesetzten werden unterschlagen - vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch erwähnenswert, dass einige von Raschers Vorgesetzten schnell in der US-Forschung eine neue Anstellung gefunden hatten. An anderer Stelle werden von Kater NS- Mediziner wie Werner Kirchert, der von ehemaligen Häftlingen als einer der schlimmsten KZ-Ärzte beschrieben wurde, oder Hans Creutzfeldt, der am Erbgesundheitsgericht Berlin zur Sterilisation verurteilte, unverständlicherweise unter "Widerstand" aufgeführt.
Auch die Ergebnisse des Nürnberger Ärzteprozesses sprechen gewissermaßen für sich. Von den 90 000 praktizierenden Ärzten des Dritten Reiches waren Historikern zufolge mindestens 350 unmittelbar an Verbrechen beteiligt. Zahllose weitere beteiligten sich in der ein oder anderen Form indirekt: Im Dezember 1934 etwa richteten sich 500 fränkische Ärzte in einem Telegramm an Reichsinnenminister Frick, um eine hohe Strafe für die Gemeinschaft zwischen deutschen Frauen und jüdischen Männern zu fordern. Letztendlich wurden in Nürnberg 23 Ärzte angeklagt. Der zuvor bereits erwähnte Leibarzt Hitlers, Karl Brandt, ist einer der Ärzte, denen im Nürnberger Ärzteprozess Verbrechen nachgewiesen wurden, lediglich zwölf weitere Mediziner teilten als vermeintliche Hauptverantwortliche dieses Schicksal. Die überwiegende Mehrheit entnazifizierte sich gegenseitig.
Dass die historische Aufarbeitung der wissenschaftlichen Verbrechen so lange auf sich warten ließ und viele Vorbereitungen, Verbindungen und Kontinuitäten noch vertuscht und verschwiegen werden, kann in Anbetracht dieser Sachlage nicht wirklich verwundern. Wenn sich überhaupt noch Akten finden lassen, wird häufig der Zugang verhindert. Der Nachlass etwa von Adolf Butenandt, ehemaliges NSDAP-Mitglied und als Biochemie- Experte von seinem Vertrauten Verschuer für die Auschwitz-Forschung konsultiert, ist für "normale Benutzer" noch bis zum Jahre 2025 gesperrt. Butenandt wird schnell entnazifiziert, 1953 nimmt er am ersten Bundesgesundheitsrat teil. 1960 wird er Präsident, 1972 Ehrenpräsident der Max- Planck- Gesellschaft. Noch 1982 wird er Karin Magnussen, die 1931 der NSDAP beitrat, und ab 1941 am KWI für Anthropologie in Berlin- Dahlem vorzugsweise an Zigeunerzwillingen die Färbung des Auges untersuchte, in einem Brief mitteilen:
"Ich war begeistert zu hören, dass sie ihre wissenschaftliche Arbeit fortsetzen können. Die Arbeit über Pigmentbildung bei Chinchilla- Kaninchen erinnert mich zusätzlich an alte Dahlemer Zeiten."
Drei Jahre später wird Butenandt Ehrenbürger der Stadt München. Für Verwunderung bei so manchen Historikern sorgte er 1974, als er im Namen der MPG das Verbot der Behauptung erreichen konnte, die Institute der KWG hätten im Rahmen der Euthanasie Hirnforschung betrieben. Im offiziellen Jahresbericht des KWI für Hirnforschung 1942/1943 wird hingegen "seltenes und wertvolles Material zur Frage der frühkindlichen Hirnschäden" beschrieben, dass in der Psychiatrie des Münchener KWI anfiel und in der hauseigenen Prosektur untersucht wurde. Als der Neuropathologe Klaus- Joachim Zülch 1948 sein ehemaliges KWI für Hirnforschung besucht, stellt er fest, dass über verschiedene Räume des Institutes "etwa 10.000 Glasgefäße mit Hirnen" verteilt sind. Auf einem Münchener Friedhof werden 1990 einige der Gehirne und andere Präparate ermordeter Menschen feierlich beigesetzt. Unbeachtet bleibt, welche Wissenschaftler für das Anlegen der Sammlungen gesorgt hatten und von diesen profitieren wollten. Bestraft wurde kein einziger.
In vielen Fällen wurden die Dokumente gleich komplett vernichtet, oder bis auf die Hülle entfernt. Zahlreiche Akten wurden bereits im Jahr 1945 entfernt, die Ärzte der jeweiligen Anstalten konnten sich so ohne Probleme als Gegner von Euthanasie und Zwangssterilisation ausgeben. Die Aktenentsorgung setzte sich nach Kriegsende fort. Im Nürnberger Ärzteprozess wurden acht Personalakten von Medizinern angefordert, die durch die DFG unterstützt wurden - die Dokumente verschwanden. Ein Aktenfund, der 1950 in der Ostberliner Nervenklinik Charité erfolgte, wurde im gleichen Jahr nach einer "Durchsicht" vernichtet, "weil doch jetzt so viel über Deutschland gestänkert wird", wie der damalige ärztliche Direktor und Psychiater Friedrich Hall bemerkte. In der Wiener Klinik "Am Steinhof", aus der allein zwischen Juli 1940 und März 1941 über 3200 Menschen zur Ermordung abtransportiert wurden, fand noch 1971 eine Verbrennung von 1157 Personalakten statt. Die kompletten Personalaktenbestände der Straßburger Reichsuniversität, deren Forscher unter anderem mit dem KZ Natzweiler kooperierten, wurden 1962 vom Bundesarchiv an das Bundesverwaltungsamt übergeben. Seit 1984 gelten alle 238 Akten als "verloren". Die Liste wäre problemlos fortzusetzen.
Der Historiker Benno Müller-Hill, der im Auftrag der Max- Planck-Gesellschaft im Jahr 2000 eine ansehnliche Arbeit zur Geschichte der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft im Nationalsozialismus veröffentlichte und im Vorfeld seiner Publikation mit mehreren Klagen bedroht wurde, bemerkt schließlich in seinem "Das Blut von Auschwitz und das Schweigen der Gelehrten" benannten Werk:
"Als ich 1981 nach den DFG- Akten suchte, wurde ich von DFG- Mitarbeitern belehrt, dass die DFG im Dritten Reich nicht DFG hieß, und dass mir der Zugang zu den Akten verwehrt sei: DFG- Akten seien prinzipiell nicht einsehbar."
Während man Öffentlichkeit verhindert und Evidenz beseitigt, wird die Bagatellisierung der Verbrechen zur Normalität. Dr. Dr. Heinrich Kraut, deklariert als Gutachter in den Nürnberger Prozessen über die Beschäftigung von Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz als Zwangsarbeiter durch die I.G. Farben:
"Da die KZ- Häftlinge pro Arbeitstag 3080 Kalorien erhielten, ist eine kalorische Überforderung bei der Höhe der ausgeführten Leistungen nicht festzustellen."
Die Häftlinge bekamen in Wirklichkeit eine wässrige Suppe, nach Aussagen ehemaliger Lagerärzte nicht mehr als 1500 Kalorien pro Tag. Einmal die Woche gab es 30 Gramm minderwertige Wurst, 50 Gramm Quark und 50 Gramm Marmelade. Zum Frühstück etwas Brot und 20 Gramm Margarine. Das Leitungswasser war einzige Trinkwasserquelle, jedoch eigentlich nicht genießbar und führte zu zahlreichen Erkrankungen. 1953 gehört Kraut dem bereits erwähnten ersten Bundesgesundheitsrat an, 1968 wird er Präsident der Welthungerhilfe und fünf Jahre später überreicht man ihm das große Bundesverdienstkreuz. In Ulm befindet sich heute im Deutschen Brotmuseum das Heinrich- Kraut- Archiv für Welternährung. (6)
Auch die Kölner Karl-Pesch- Stiftung zur Förderung der Hygiene, die 1971 von der Kölner Universität ins Leben gerufen wurde, ziert sich mit einem fragwürdigen Namensgeber. Karl Pesch formulierte seine hygienischen Zielsetzungen 1934 folgendermaßen:
"Der Jude ist immer zersetzend. Die Reinerhaltung des Rassengutes ist eine der Voraussetzungen der Erhaltung des deutschen Volkes."
Der Historiker Ernst Klee bemerkte in einer jüngeren Veröffentlichung, dass ihm bei seinen Recherchen kein NS- Täter begegnet sei, "der Schuld bekannt hätte". Nahezu alle waren sie zumindest "innerlich" Gegner der Nazis, hatten niemals Rassenhygiene gefordert oder Menschenversuche befürwortet und sind ihren humanitären Pflichten als Mediziner oder Wissenschaftler stets nachgekommen. Und das versicherte man sich gegenseitig. Otmar Freiherr von Verschuer etwa, der für Mengeles Anstellung in Auschwitz sorgte und 1946 als Mitläufer entnazifiziert wurde, schrieb im gleichen Jahr über seinen untergetauchten Schützling:
"Ein Assistent meines früheren Frankfurter Instituts [...] wurde gegen seinen Willen als Arzt an das Lazarett des Konzentrationslagers Auschwitz kommandiert. [...] Von seiner Arbeit ist uns nur bekannt, dass er sich bemüht hat, den Kranken ein Arzt und Helfer zu sein."
Zwei Jahre zuvor berichtete Verschuer der DFG von anderen Zielsetzungen:
"Als Mitarbeiter in diesem Forschungszweig ist mein Assistent Dr. med. et Dr. phil. Mengele eingetreten. Er ist als Hauptsturmführer und Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt. Mit Genehmigung des Reichsführers SS werden anthropologische Untersuchungen an den verschiedensten Rassengruppen dieses Konzentrationslagers durchgeführt."Dass heute dennoch über viele Forschungen und Zusammenhänge berichtet wurde, und nicht die dreizehn in Nürnberg verurteilten Mittäter zu sadistischen Alleintätern stilisiert werden, ist vor allem einzelnen Historikern wie Ernst Klee und Robert Jay Lifton zu verdanken. Entgegen dem Mainstream beschrieb Lifton in "Ärzte im Dritten Reich" nicht die grausame Singularität einzelner mordender Ärzte, sondern das großflächige Übergehen zahlreicher Ärzte vom Heilen zum Töten, ohne ein Bewusstsein, dass sich die Aufgaben geändert hätten. Diese Entdämonologisierung ermöglicht erst die Einordnung einzelner Versuche in ideologischer und wissenschaftlicher Zielsetzung sowie die Analyse von Zusammenhängen und Bedingungen.
Es gab zur Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus neben Tätern und Mitläufern jedoch auch bewundernswerte Ausnahmen - Menschen, die sich als Ärzte oder Wissenschaftler nicht von ihren humanitären Prinzipien lösen wollten. Leider werden nach ihnen keine Stiftungen benannt, und die Geschichtsschreibung großer Institutionen wie der DFG ignoriert sie weitgehend.
Ein solcher Fall ist derjenige von Max Ufer, der 1933 von Erwin Baur, dem damaligen Leiter des KWI für Züchtungsforschung in Müncheberg, wegen seiner jüdischen Frau entlassen wurde. Nach einer schwierigen und wechselhaften Geschichte hofft er 1952 auf eine Wiederanstellung durch die Max- Planck- Gesellschaft. Er wird abgelehnt. In der tausendseitigen KWG/MPG - Geschichtsdarstellung taucht er kein einziges Mal auf. Von der MPG bekommt Max Ufer 3000 Mark, "zur Erleichterung des Übergangs". Er emigriert erneut. Von den 82 Wissenschaftlern, die seit 1933 aus der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft verjagt wurden, finden gerade zwei zu der Max- Planck- Gesellschaft zurück.
Ernst Klee schreibt gegen Ende seines Werkes "Deutsche Medizin im Dritten Reich":
"Zu danken habe ich für das Vertrauen von Opfern der NS-Medizin und ihren Angehörigen. Sie hatten angesichts der sozialen Stellung der wissenschaftlichen Täter keine Chance, als Opfer nationalsozialistischen Unrechts anerkannt zu werden."Grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Erbpflege
In den Dreißiger Jahren wurde in Deutschland eine bestimmte Idealvorstellung des deutschen Volkskörpers propagiert; alle nach damaligen Gesichtspunkten minderwertigen Bestandteile mussten identifiziert und aussortiert werden. Die betreffenden Menschen wurden durch Zwangssterilisation an der weiteren Fortpflanzung gehindert oder umgebracht. Ganz andere Zielsetzungen zeigen sich bei der zeitgenössischen, internationalen Forderung nach dem guten Erbgut. Sie kümmert sich unter vorgeblich wissenschaftlichen Gesichtspunkten mehr um Individuen als um den Genpool der menschlichen Populationen, vor allem die Rassenideologie findet sich bei dieser neuen, wissenschaftlichen Jagd nach den guten Genen nur noch selten. Die Anstrengungen konzentrieren sich momentan auf Phänomene wie vererbbare Krankheiten oder Gendefekte - immer wieder wird jedoch von verschiedener Seite auf weiterreichende Forschungsprojekte verwiesen, wie etwa angebliche Verbindungen zwischen genetischer Disposition und kriminellem Verhalten, moralischen Eigenschaften, Psychopathien oder Drogenaffinität, und die Vertreter der Sozialisation scheinen vermehrt in die Defensive zu geraten.
Wenn wir unsere Kinder vor Krankheiten bewahren können - warum nicht? Wenn wir sie sogar vor psychischen Problemen schützen können - was hält uns davon ab? Und wenn wir ihnen auch noch ganz allgemein bessere Gene, oder gar ein paar praktische zusätzliche Proteine mitgeben können - wer sind wir, das wir diese Möglichkeiten nicht schnellstmöglich ausschöpfen?
Neben ethischen, religiösen oder spirituellen Gründen sprechen jedoch nicht zuletzt biologische Realitäten gegen eine eilige Umsetzung derartiger Forderungen innerhalb der menschlichen Population. Ein wesentlicher Aspekt ist das noch fehlende Verständnis vieler Zusammenhänge und Korrelationen zwischen Proteom, Genom und Umwelt. Gerade Biotechnologie und Medizin, die sich mit autopoietischen, sich erhaltenden und reproduzierenden Lebewesen beschäftigen, müssen eine solide, verantwortungsvolle Grundlagenforschung leisten oder zumindest anstreben - der Trend ist jedoch gerade gegenläufig: die zunehmend ökonomisierte, anwendungsbezogene Forschung, die auf innovative Produkte reduziert wird und von dem Profit ihrer Financiers abhängig ist, multipliziert die Gefahren. Zudem werden gerade die Biowissenschaften immer häufiger Opfer von Fälschungen, Fehlinterpretationen und Irrtümern. (7) Die Verlässlichkeit von Versuchsergebnissen tritt in ihrer Bedeutung hinter den Marktwert von Produkt und Publizität zurück. Nicht zuletzt in Medizin und Pharmaindustrie ergeben sich hier Risiken für den Patienten bzw. Kunden, wie die Skandale großer Pharmaunternehmen regelmäßig illustrieren. (8)
Die Zielsetzungen der Wissenschaft befinden sich fernab jedes demokratischen Prozesses, und selbst elitäre Bioethik-Kommissionen hinken mühsam den Tatsachen hinterher, die täglich geschaffen werden. Wirtschaft, Industrie und Medien hingegen stürzen sich auf jede Innovation, und sorgen noch vor dem ersten Angebot für Nachfrage. Wenn die Gentechnik und mit ihr eine neue, vielleicht individualisierte Form von Eugenik zu ungebremsten Selbstläufern werden, läuft die Gesellschaft Gefahr, die Biotechnik nicht zu gebrauchen, sondern sich nach der Technik auszurichten. Doch wie können die Wissenschaften in den demokratischen Prozess eingebunden werden, wenn ihre Zielsetzung sich nach der Ökonomie richtet?
Jede Einschränkung des Genpools könnte sich letztendlich als nachteilig erweisen, etwa im Hinblick auf Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Tiefergehende Einschränkungen könnten ganze Bevölkerungen zum leichten Opfer von mikrobiologischen Feinden machen - auch wenn das reproduzierende Klonen noch weit von der gesellschaftlichen Akzeptanz entfernt ist, sollten diese Aspekte bei der Diskussion einer Beschneidung des Genpools nicht übergangen werden.
Sogar Mutationen, die keinen Selektionsvorteil darstellen, und zu ungewollten Phänomenen führen, könnten den entscheidenden Joker im Überleben der Menschheit darstellen. Die Sichelzellanämie etwa, eine durch Gendefekte ausgelöste Anomalie der Erythrozyten, behindert den Infektionszyklus des Malaria- Erregers Plasmodium. Da es sich hierbei um einen Selektionsvorteil in Bezug auf die Malaria handelt, ist die Sichelzellanämie in einigen Tropengebieten sehr weit verbreitet. Eine Austilgung dieses Gens aus dem menschlichen Genpool könnte sich etwa im konstruierten Fall einer neuen, aggressiveren und widerstandsfähigeren Variante der Malaria sogar als lebensgefährlich erweisen.
Neben diesen biologischen Schwierigkeiten sollen nun auch einige ethische und soziale Gefahren Erwähnung finden: neben einer künftigen Normierung, der möglichen Instrumentalisierung durch einflussreiche Interessengruppen sowie einer zu erwartenden Ausgrenzung "minderwertiger" Menschen in Schule, Arbeits- und Privatleben ist vor allem die Relativierung von Menschenwürde und Menschenrechten zu befürchten - nicht zuletzt, da diese Relativierung schon heute bei vielen Wissenschaftlern und Autoren im Umfeld der modernen Eugenik zu bemerken ist, und der Sinn allgemeingültiger Menschenrechte häufig mit einem großen Fragezeichen versehen wird.
Lebensunwertes Leben und nichteinwilligungspflichtige Versuchspersonen im 21. Jahrhundert
Die Bioethikkonvention des Europarates von 1998 hat viele Namen: "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin" ist die offizielle Bezeichnung, daneben wird sie auch "Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin" genannt. Tatsächlich schreibt sie fest, dass künftig die Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen prinzipiell zulässig ist. (9)
Das ist durchaus dem Text zu entnehmen, allerdings müssen einige Umwege zurückgelegt werden, bis die eigentlichen Aussagen des Vertragwerks zu erkennen sind. In Artikel 2 ist zunächst zu lesen:
"Das Interesse und das Wohl des menschlichen Lebens haben Vorrang gegenüber dem bloßen Interesse der Gesellschaft oder der Wissenschaft."
Artikel 5:
"Eine Intervention im Gesundheitsbereich darf erst erfolgen, nachdem die betroffene Person über sie aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat.
Die betroffene Person ist zuvor angemessen über Zweck und Art der Intervention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären.
Die betroffene Person kann ihre Einwilligung jederzeit widerrufen."
Artikel 6:
"(1) Bei einer einwilligungsunfähigen Person darf eine Intervention nur zu ihrem unmittelbaren Nutzen erfolgen; die Artikel 17 und 20 bleiben vorbehalten. [...]"
Artikel 17:
"(1) Forschung an einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu erteilen, ist nur zulässig, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllt:
i) Die Voraussetzungen nach Artikel 16 Ziffern i bis iv sind erfüllt;
ii) die erwarteten Forschungsergebnisse sind für die Gesundheit der betroffenen Person von tatsächlichem und unmittelbarem Nutzen;
iii) Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit ist an einwilligungsfähigen Personen nicht möglich."
Artikel 16:
"Forschung an einer Person ist nur zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
i) Es gibt keine Alternative von vergleichbarer Wirksamkeit zur Forschung am Menschen;
ii) die möglichen Risiken für die Person stehen nicht im Missverhältnis zum möglichen Nutzen der Forschung;
iii) die zuständige Stelle hat das Forschungsvorhaben gebilligt, nachdem eine unabhängige Prüfung seinen wissenschaftlichen Wert einschließlich der Wichtigkeit des Forschungsziels bestätigt hat und eine interdisziplinäre Prüfung ergeben hat, dass es ethisch vertretbar ist;
iv) die Personen, die sich für ein Forschungsvorhaben zur Verfügung stellen, sind über ihre Rechte und die von der Rechtsordnung zu ihrem Schutz vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen unterrichtet worden, und
v) die nach Artikel 5 notwendige Einwilligung ist ausdrücklich und eigens für diesen Fall erteilt und urkundlich festgehalten worden. Diese Einwilligung kann jederzeit frei widerrufen werden."
Artikel 20:
"(1) Einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu erteilen, dürfen weder Organe noch Gewebe entnommen werden.
(2) In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der durch die Rechtsordnung vorgesehenen Schutzbestimmungen darf die Entnahme regenerierbaren Gewebes bei einer einwilligungsunfähigen Person zugelassen werden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
i) Ein geeigneter einwilligungsfähiger Spender steht nicht zur Verfügung;
ii) der Empfänger ist ein Bruder oder eine Schwester des Spenders;
iii) die Spende muß geeignet sein, das Leben des Empfängers zu retten;
iv) die Einwilligung nach Artikel 6 Absätze 2 und 3 ist eigens für diesen Fall und schriftlich in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung und mit Billigung der zuständigen Stelle erteilt worden, und
v) der in Frage kommende Spender lehnt nicht ab."
Auch an minderjährigen Personen kann "unter Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters oder einer von der Rechtsordnung dafür vorgesehenen Behörde, Person oder Stelle" geforscht werden; Menschen, die unter schweren psychischen Störungen leiden, dürfen ohne Einwilligung behandelt werden, wenn "ernster gesundheitlicher Schaden droht".
Der Nürnberger Kodex von 1947 legte einmal fest, dass "die freiwillige Zustimmung" der Versuchsperson "unbedingt erforderlich" sei, und die betreffende Person "im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben". Diese Grenzen werden mit dem "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin"überwunden. Dennoch wird die neue Bioethikkonvention in vielen Zeitungs- und Internetartikeln als Werk einer "restriktiven Gentechnikpolitik" bezeichnet. (10) Viele Länder schrecken jedoch bisher vor der Ratifikation zurück, da die Forschung an Nichteinwilligungsfähigen bzw. -pflichtigen als eine Grundlagenentscheidung zu werten ist, die breite Möglichkeiten für Missbrauch schafft und vielen Kritikern zufolge einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt. Der Vertragstext ist von der Mehrheit der europäischen Staaten unterzeichnet, bisher jedoch nur von wenigen ratifiziert worden. Ursprünglich sollten auch Kriterien für das Töten von behinderten Kindern, Kranken und Alten verabschiedet werden, was jedoch nicht durchgesetzt werden konnte.
Die Forderungen nach einer neuen Euthanasie kommen nicht zuletzt aus den obersten Riegen der Intelligenz. Der australische Philosophieprofessor und Bioethiker Peter Singer (11) etwa, der gegenwärtige an der US- Eliteuniversität Princeton lehrt, vertritt eine utilitaristische Ethik, die sich an den Fähigkeiten der Geschöpfe orientiert. Einerseits machte ihn dies bei Tierrechtlern beliebt, von denen er ausgiebig zitiert wird, andererseits wurde er als Vorreiter der vollkommenen Relativierung von Menschenwürde und Menschenrechten zu einem Feindbild und Sündenbock der Eugenik- und Gentechnik- Kritik. In seinen Werken skizziert er die Grundzüge eines biologisierenden Wertesystems, in dessen Rahmen zwischen "Person" und "Nicht-Person" sowie "lebenswertem" und "nicht- lebenswertem" Leben unterschieden wird. 1984 folgert er in seinem viel diskutierten und zitierten Werk "Praktische Philosophie":
"Der Kern der Sache ist freilich klar: die Tötung eines behinderten Säuglings ist nicht moralisch gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht."Hier stellt sich wieder die grundlegende Frage: Wenn ein Leiden nicht zu vermeiden ist, soll es durch die Beseitigung des Leidenden verhindert werden? Wenn nicht aus Eigennutz der Beteiligten, so doch vielleicht aus einem hypothetischen Interesse des künftig absehbar Benachteiligten? Viele Menschen, die an schweren Behinderungen leiden, welche nach den Vorstellungen von Bioethikern wie Peter Singer ein "nicht-lebenswertes" Leben kennzeichnen, widersprechen jedoch diesen Vorstellungen und fragen nach dem Recht, dementsprechende Forderungen aufzustellen. Nach der Meinung einiger Kritiker wurden die Ansichten Singers systematisch popularisiert, in Deutschland zunächst durch die "Lebenshilfe für Geistigbehinderte e. V.", später durch Diskussionsrunden und Zeitungsartikel, die gegen "Denk- und Redeverbote" wetterten und vorgeblich um die Freiheit der Wissenschaften fürchteten.
Zu Zeiten des Nationalsozialismus umfassten die eugenischen Zielvorstellungen die Reinhaltung der "arischen Rasse" sowohl von "minderwertigen Rassen", als auch von ungewollten internen Elementen. Die erste Forderung scheint zumindest aus der öffentlichen Diskussion weitgehend verschwunden zu sein - ganz im Gegensatz dazu ist jedoch das zweite Ansinnen noch ausgesprochen lebendig. Die Vision einer segensreichen modernen Eugenik wird neben wissenschaftlichen und medienvermittelten Diskussionen auch in belletristischen Veröffentlichungen sowie diversen Infotainment- Formaten propagiert, und findet auch ihren Einzug in die Gesetzgebung.
Seit den Vierziger Jahren hat sich das Erscheinungsbild der Eugenik selbstverständlich verändert. Tötungen werden sich vorerst überwiegend auf ungeborenes Leben oder in-vitro- Kulturen beschränken, und ein staatlicher Apparat zur Vernichtung ausgewachsenen unwerten Lebens ist gegenwärtig nicht zu erwarten. Sicher wird auch die Intention für einzelne Maßnahmen eine vollkommen andere als etwa zu Zeiten des Nationalsozialismus sein: nicht Rassenwahn und erbärztlicher Befehl werden entscheiden, sondern genetische Beratung und die formell freiwillige Wahl der Untersuchten, Versuchspersonen oder doch zumindest der Eltern.
Das sollte nicht von den grundsätzlichen Risiken und Gefahren biologischer, sozialer und moralischer Natur ablenken, welche die eugenische Selektion mit sich bringt. Gerade in Anbetracht so problematischer Entwicklungen wie der zunehmenden Relativierung der Menschenwürde durch Bioethiker wie Singer, des kompromisslosen "War against Terrorism", aber auch des steigenden Bedarfs an Material für die Biotechnologie, sollte eine breite, offene Diskussion über die Prioritätensetzung der Forschung kontinuierlich die Entwicklungen, Errungenschaften, Unzulänglichkeiten und Problemfelder der Biotechnologie kritisch begleiten und hinterfragen.
Prioritäten und Aussichten
Im alten Orient reflektierten bereits die Sumerer vor mehr als viertausend Jahren in mythologischer Form über den Umgang mit körperlich und geistig Benachteiligten. Die Erzählung "Enki und Ninmach" beschreibt die Schöpfung des Menschen durch die Muttergottheit Nintu, den Weisheits- und Wassergott Enki sowie mehrere - sozusagen ausführende - weibliche Gottheiten. Nach dem ersten Akt der Menschenschöpfung ist die Göttin Ninmach offenbar mit ihrer Position als beigeordnete Geburtsgöttin nicht recht zufrieden und fordert bei einem Gelage den Weisheitsgott Enki zu einem Wettstreit heraus: Sie will Menschen mit Behinderungen schaffen, und die Schwäche Enkis dadurch beweisen, dass dieser den Benachteiligten keine Position zuweisen kann. Der Kulturstifter Enki nimmt die Herausforderung an, und gibt den Menschen, ihren Fähigkeiten gemäß, eine Aufgabe. Der Blinde wird zum Musiker, die Unfruchtbare zur persönlichen Dienerin der Königin und letztendlich findet jeder Mensch in der Gesellschaft, die als göttlich stabilisierte Harmonie verstanden wurde, seinen Platz. (12) Die Gemeinschaft ist gemäß dieser Vorstellung für das Auskommen des benachteiligten Individuums verantwortlich, sie dient seiner Erhaltung, gleich welche Voraussetzungen es mit sich bringt.
Viertausend Jahre später steht der Mensch vielleicht bald vor der Entscheidung, die genetischen Voraussetzungen der nachfolgenden Generationen zu verändern. Von allen angesprochenen grundsätzlichen Problemen, gefährlichen Kenntnislücken und unwägbaren Gefahren abgesehen, würde sich bei einer Umsetzung der aktiv verändernden Eugenik die Frage stellen, nach welchen Kriterien die Menschen denn ihren Genpool erweitern oder einschränken sollten. Sicher sind zahllose humanitäre Einsatzmöglichkeiten genetischer Eingriffe denkbar - doch in welcher Form solche Techniken, die eigentlich aus humanitären Gründen eingeführt wurden, letztendlich Anwendung finden könnten, sollte nicht übergangen oder bagatellisiert werden. Ausschlaggebend für die konkrete Umsetzung ist dabei auch, mit welchen Zielen geforscht wird, aber vor allem, welche Anwendungen gesetzliche Duldung erreichen und wie die Techniken und deren Produkte verbreitet und vermarktet werden. Die so genannte "Grüne Gentechnik", die mitunter als Retterin der Entwicklungsländer glorifiziert wird, sorgte bisher etwa für den Verkauf des Terminator-Saatguts, welches die Bauern in noch tiefere Abhängigkeit treibt, eine Milderung des Welthungerproblems jedoch scheint auf unbestimmte Zeit vertagt.
Das allgegenwärtige Streben nach maximaler Effizienz bei gleichzeitiger Kostenminimierung droht, den Einsatz der Biotechnologie durch dessen Rentabilität für einige große, Patente lagernde Unternehmen bestimmen lassen. Die Öffentlichkeit wird einerseits von den Prozessen der Entscheidungsfindung und Zielsetzung abgeschirmt und durch Informationsfiltrierung und Konzepte wie das "bad knowledge" - unter dem auch und gerade Wissen aus dem Bereich der Biotechnologie verstanden wird - an einer objektiven Beurteilung gehindert; andererseits werden durch Versprechen und selektive Berichte in den großen Medien Bedürfnisse geweckt und Nachfrage geschaffen, noch bevor die Produkte möglich sind. Wirtschaftliche, aber auch militärische und nicht zuletzt sicherheitspolitische Interessen üben zunehmend Druck auf Bioethik und Forschung aus, und die Akzeptanz von neuen ethischen Grenzen wird vermutlich mit jedem Versprechen und jeder neu eingeführten Methode weiter steigen. Kritische Beurteilungen und Warnungen werden auf irreale Ängste und Wissenslücken reduziert - die sicherlich beide existieren, jedoch keineswegs die Mehrheit der veröffentlichten Kritik ausmachen.
Die Ziele des ein oder anderen neuen Eugenikers wirken recht vertraut: Eigenschaften wie Intelligenz, Persönlichkeit, Neigung zu asozialem Verhalten oder sexuelle Orientierung sollen als genetisch disponiert und damit vererbbar bewiesen oder zumindest dargestellt werden. Zahlreiche Anläufe sind bisher unternommen worden, kein einziger konnte sich wissenschaftlich behaupten. In jüngerer Zeit beschäftigt man sich mit einigen Genen, die für Neurotransmitter codieren, doch von regelmäßigen begeisterten Verlautbarungen abgesehen wurde bisher wenig erreicht.
Auch zu Zeiten der entfesselten Forschung unter dem Hakenkreuz beschäftigten sich zahlreiche Projekte mit dem Versuch, die Vererbbarkeit von Arbeitslosigkeit, kriminellem Verhalten oder Landstreichertum nachzuweisen.
Der zu Beginn erwähnte Psychiater Werner Villinger bezeichnete 1933 in "Arbeitslosigkeit, Arbeitsscheu, Verstandesschwäche bei jugendlichen Kriminellen" die Verhinderung der Vermehrung biologisch minderwertiger Menschen als das "A und O jeder wirksamen Verbrechensbekämpfung" und berichtete von "endogener", also erblich bedingter, Arbeitslosigkeit. "Anlagebedingte Minderwertige" sah 1938 nicht nur Walter Creutz, ein Dezernent für Gesundheitswesen, in Antisozialen, Schwachsinnigen und Kritikern des NS- Regimes; auch Mediziner wie Karl Astel forderten die "Tötung von Verbrechern, auch wenn sie noch nicht selbst einen Menschen getötet haben"und wollten Kriminalität generell mit Sterilisierung bekämpfen.
Die diesbezüglichen Forschungen wurden nicht nur von der Elite der Nationalsozialisten, die grundsätzlich an jedem biologischen Nachweis der Minderwertigkeit ihrer Opfer interessiert waren, sondern auch von bekannten Organisationen aus Übersee mitgetragen. Industrielle wie der Stahlbaron Andrew Carnegie, der Ölmagnat John D. Rockefeller oder der Textilfabrikant Colonel Wickliffe P. Draper begründeten mit biologisierenden, sozialdarwinistischen Ideologien ihre Herrschaftsansprüche und stellten den wissenschaftlichen Rassenhygienikern bereitwillig Gelder zur Verfügung.
Den Nachweis für die Erblichkeit von Kriminalität, eine zentrale Bedingung für die Legitimation der angestrebten universalen Eugenik, sollte auch der Biologe Friedrich Stumpfl liefern. Seine Forschungen zu diesem Thema liefen unter dem Titel "Erbanlage und Verbrechen"und wurden zu Beginn der Dreißiger Jahre sowohl von der DFG als auch von der Rockefeller Foundation gefördert. 1936 versprach er Erbprognosen für kriminelles Verhalten - obwohl Erfolge ausblieben, wurde er 1939 Professor in Innsbruck, 1956 zum zweiten Mal. Auch der Biochemiker Ulrich Westphal, dessen DFG- Akte im Jahr 1940 abrupt endet, kam noch 1939 durch ein Forschungsstipendium der Rockefeller-Foundation nach Amerika.
Doch nicht nur die Forschungsanstrengungen, auch die Methoden finden Nachahmer. Neben zahlreichen Einzeltätern, die ohne Information der Betroffenen Versuche mit Medikamenten durchführen oder Proben entnehmen, sind auch die staatlich sanktionierten Misshandlungen durch Mediziner seit 1945 nicht ausgeblieben, Während der Militärdiktatur in Chile unter Augusto Pinochet wurden von 1973 bis 1983 Gefangene unter der Aufsicht von Ärzten systematisch misshandelt. Und nicht zuletzt Militär und Geheimdienste der Gegenwart bedienen sich der Ärzte in verschiedenster Weise: in Abu Ghoreib etwa, dem im jüngsten Folterskandal des US- Militärs in die Medien geratenen Gefängnis, waren mindestens zwei Mediziner an den Misshandlungen beteiligt, acht "Geisterhäftlinge" wurden vor dem Roten Kreuz versteckt. Wolfgang Heinz vom deutschen Institut für Menschenrechte äußerte Mitte August auf einer Pressekonferenz, dass über die Achtung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung keinerlei unabhängige Untersuchungen existieren, sondern lediglich wenige freigegebene Informationen nach Außen dringen würden. (13)
Der Historiker Michael H. Kater schrieb 1989:
"Es scheint, als sei Hippokrates heute wie damals bewusstlos. Vielleicht haben böswillige Schüler ihn betäubt. Hippokrates endgültig wieder zu beleben und damit aus der schlimmen Entwicklung zu lernen, wäre demnach, unverändert, das Gebot der Stunde."
In Bezug auf die zeitgenössischen Methoden der Eugenik ist neben der genetischen Beratung und der Genomanalyse durch PND (Pränataldiagnostik) oder PID (Präimplantationsdiagnostik) sowie anschließender Abtreibung vor allem die gezielte Veränderung menschlichen Erbgutes zu nennen, das so genannte "genetic enhancement engineering". Hierbei könnte es sich einerseits um das gezielte Ersetzen von mutierten Gensequenzen durch gesunde handeln, andererseits wären genetische "Verbesserungen", bzw. Verbesserungsversuche denkbar und wurden schon von verschiedener Seite vorgeschlagen und popularisiert. Prinzipiell sind Gen- Knock-Out und gezielte Mutationen schon jetzt machbar - beides wäre jedoch gegenwärtig, der vorhandenen Wissenslücken in Bezug auf Genom- und Proteom-Aktivität entsprechend, mit zahlreichen, unkalkulierbaren biologischen Problemen und Gefahren verbunden. Eine kontrollierte Anwendung auf den Menschen im Rahmen eines systematischen "Gen- Enhancements" scheint jedoch biotechnisch nicht unmöglich. Wieder stellt sich die Frage nach den Prioritäten, den Interessen von Minderheiten, der Öffentlichkeit und den Financiers wissenschaftlicher Forschung.
Eugenik kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, von Genmanipulation und genetischer Beratung über die Zwangssterilisierung bis hin zur Euthanasie. Entscheidend ist hierbei die Achtung von universellen Menschenrechten, die das Leben und die Unversehrtheit der Person schützen sollen. Doch gibt es gegenwärtig zahlreiche Angriffe gegen die Achtung allgemeingültiger Rechte, nicht nur innerhalb bioethischer Ideologien sondern auch im Kontext von Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung. In diesem Punkt besteht sicher die größte Gefahr, sowohl in Bezug auf die Biotechnologie als auch in Hinblick auf unsere Demokratie. Denn werden Menschenrechte erst einmal selektiv vergeben und entzogen, gerät die offene, pluralistische Gesellschaft in Gefahr.
In Anbetracht der realen Gefahren darf sich die Kritik jedoch nicht auf die Konstruktion schauerlicher Horrorvisionen beschränken, sondern muss an der Gestaltung der Zukunft mitwirken. Ob ihr dazu, von begleitenden Kommentaren abgesehen, noch lange die Chance bleiben wird, ist eine andere Frage. 1997, nach dem Klonschaf "Dolly" und anderen Erfolgen am Roslin- Institut, zeigte der Spiegel etliche Hitler- Klone auf dem Titelbild, die Überschrift lautete "Der Sünderfall". Als 1999 an der Nationaluniversität in Seoul der erste menschliche Klon erzeugt und nach wenigen Stunden wieder getötet wurde, war das selbst der Bild-Zeitung nur noch einen kurzen, sachlichen Artikel wert. Die Prioritäten hatten sich offenbar gewandelt, und mit ihr die Sensibilität der Öffentlichkeit.
Weiterführende Artikel der Redaktion:
"Operation Artischocke - Der Tod Dr. Frank Olsons"
"Die Weiße Rose - In Sachen Widerstand gegen Hitler"
Weiterführende Links:
www.vl-zeitgeschichte.de
www.gen-ethisches-netzwerk.de
www.zum.de
Quellen und weiterführende Literatur:
Ernst Klee
"Euthanasie im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens", 9. Auflage 1999
"Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945", 2001
Michael H. Kater
"Ärzte als Hitlers Helfer", 2000 (Original: "Doctors under Hitler", 1989)
Robert Jay Lifton
"Ärzte im Dritten Reich" 1988 (Original: "The Nazi Doctors: Medicalized Killing and the Psychology of Genocide", 1986)
Benno Müller-Hill
"Das Blut von Auschwitz und das Schweigen der Gelehrten" in:
Doris Kaufmann (Hrg.), "Geschichte der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft im Nationalsozialismus" (2000)
Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Byertz
"Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland", 1996
Bruce Alberts et al.
"Lehrbuch der molekularen Zellbiologie", 2.korr. Auflage 2001 (Original: "Essential Cell Biology", 1998)
Fußnoten
http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak5/igm/g47/bauerhip.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Hippokrates
Sehr kritisch betrachtet den hippokratischen Eid u.a. Prof. Julius Hackethal in seinem Buch "Der Meineid des Hippokrates"
http://www.bundesaerztekammer.de/30/Auslandsdienst/Genf.pdf
http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2003/113/html/PeterWeingart.pdf
http://www.scheffel-gymnasium.de/faecher/religion/mitte.htm
http://www.wissen.swr.de/sf/begleit/bg0030/bg_ns05a.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Euthanasie
http://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4
http://www.stiftung-evz.de/soperss/medizinische_versuche_uebersicht.html
http://www.eiselen-stiftung.de/geschichte.html
http://www.g-o.de/index.php?cmd=focus_detail2&f_id=110〉=4
http://www.wienerzeitung.at/frameless/lexikon.htm?ID=409
http://www.zeit.de/2003/21/N-F_8alschungen_Interview
http://www.zeit.de/archiv/2001/34/200134_forum.xml
http://www.stern.de/wirtschaft/versicherung/?id=355214&p=5&nv=ct_cb&eid=501116
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/14969/1.html
http://www.zeit.de/2003/25/P-Sch_9anh_9afer
http://www.deyerler.de/stefan/indexbio.htm
http://www.berlinews.de/archiv-2004/2447.shtml
http://www.bag.admin.ch/dienste/medien/2000/d/00112226.htm
http://www.ewetel.net/~martin.bode/Singer.htm
http://www.doboz.franken.de/edu/pr_ethik.html
http://www.ifdn.tu-bs.de/didaktikbio/Maps/Projekt-1/K8-Links/SingersThesen_Auseinandersetzung.htm
http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/cgi-bin/etcslmac.cgi?text=c.1.1*
Mehr zu den Sumerern:
www.sumerian.org/
www.institut-fuer-menschenrechte.de