Occupy Everything

agentP

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1. Grüne und Linke sind ebenfalls radikale Kleinparteien. Bei den Volksparteien handelt es sich um SPD und Union.

Radikalismus
(lat.) R. bedeutet 1) im weiteren Sinne eine Einstellung, die die politischen, sozialen etc. Probleme nicht an den Oberflächensymptomen behandeln, sondern an deren Ursprung (radix = lat.: Wurzel) ansetzen will. 2) Im engeren Sinne bezeichnet R. ein kompromissloses Beharren auf Grundpositionen, das sich gegenüber den Einstellungen und Werten anderer intolerant verhält und demokratische Grundwerte (insbesondere Gleichheit und Vielfalt) letztlich ablehnt, wie z.B. der Links- bzw. Rechtsradikalismus, der gewaltsame Handlungen befürwortet.
aus Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.

Im weiteren Sinne haben wir dann außer CDU und SPD gar keine nicht-radikale Partei, wobei beide bis vor kurzem auch radikal gewesen wären, weil sie mit Sozialdemokratie bzw. Konservativismus behauptet haben die Lösung für die Wurzel allen Übels zu haben und im engeren Sinne sind die Grünen ganz sicher keine radikale Partei und die Linkspartei nur, wenn man ihnen nicht glaubt, dass sie mittlerweile treue Befürworter des auf dem Grundgesetz basierenden Systems sind.
Oder kurz: Ich halte "radikal" als Bezeichnung für die Grünen zumindest für genauso übertrieben, wie den Vergleich zwischen den Protestbewegungen der letzten 40 Jahre und den Zuständen in der Weimarer Republik.

Ach ja noch ein Nachtrag zu einem vorherigen Posting, weil es gerade in den Nachrichten kam: Die EU hat heute nach 3 Jahren angefangen den angeblichen Konsens bezüglich Reglementierung der Finanzmärkte in Gesetze zu gießen und 1 Gesetz verabschiedet, das Leerverkäufe einschränkt oder verbietet. Wenn ich das als Beispiel nehme mit wie viel Nachdruck politische Institutionen Konsens in Maßnahmen umsetzen, dann kann ich niemanden verdenken, dass er eine Alternative darin sieht, sich lieber mit Clownsnase vor der Börse zum Affen zu machen.

Und unter dem Strich sehe ich in demokratischen Institutionen, wie unsere Regierung, die mal eben unser eigenes Verfassungsgericht und dessen Beschlüsse ignoriert, wie zuletzt bei der Wahlrechtsreform, noch eher als Gefahr für die demokratischen Strukturen an, als diese Eventprotestierer auf der Straße.
 

Ein_Liberaler

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Die FDP war zum Beispiel auch keine radikale Partei, bevor sie nach der letzten Wahl aufhörte, überhaupt eine politische Partei zu sein. Der Schwenk von "an der Wurzel packen, statt Symptome zu bekämpfen" zu "unsere Politik ist die Lösung für die Wurzel allen Übels" ist imho reine Rhetorik und verkennt den jeweiligen Bedeutungsinhalt der beiden Aussagen, und zuguterletzt erlaube ich mir den Begriff radikal anders zu definieren. Radikalismus bedeutet für mich Kompromißunfähigkeit, Starrsinn, keine Rücksicht auf Verluste, Zelotentum. Ich halte es für grundfalsch, vom antiken Wortursprung ausgehend die "richtige" Bedeutung eines Wortes nachträglich festlegen zu wollen.

Simple Man schrieb:
Mhh, mal doof gefragt - wenn ich mit meinem Auto mit knapp 180 Sachen durch die Gegend brettere und dann jemanden überfahre - bin dann ich schuld oder derjenige, der das Auto gebaut hat?

Ja, wenn der Konstrukteur des Autos zufällig

- auch dafür gesorgt hat, daß Du Deine Fahrerlaubnis behalten kannst, obwohl Du ein notorischer Raser bist,

- Dir Straffreiheit zugesichert hat,

- Dir den Schaden am Auto ersetzen wird und

- Dir einen magischen Airbag eingebaut hat,

dann ist der imho eindeutig mitschuldig. Und jetzt kauf Deinem Vergleich einen Rollstuhl, denn daß der nicht einmal humpeln kann, daran bist Du ganz allein schuld.
 

Simple Man

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Halten wir also fest: wenn es schiefgeht, war es der Staat, weil er nicht genug reguliert hat oder, alternativ, weil er überreguliert. Und wenn, so ganz allgemein, reguliert wird, ist der Staat auch doof, weil er die Freiheit einschränkt.

Wo bleibt da noch mal die Verantwortung der Marktakteure? Sie könnten sich ja auch selber einschränken, d.h. in meinem Beispiel nur mit 100 Kilometern in der Stunde durch die Gegend fahren, weil sie niemanden gefährden wollen ... :gruebel:
 

agentP

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Radikalismus bedeutet für mich Kompromißunfähigkeit, Starrsinn, keine Rücksicht auf Verluste, Zelotentum.

Dann verstehe ich, dass die FDP, CDU und SPD für dich keine radikalen Parteien sind, denn da reicht es noch nicht mal mehr zur viel harmloseren "Prinzipientreue".
Bei deiner Definition denke ich spontan allerdings eher an die CSU, als an die Grünen.
Wenn ich mir den Weg der Grünen von der Gründung über die Regierungsbeteiligung bis zur Jamaika-Koalition im Saarland so ansehe, dann tue ich mich aber ehrlich gesagt schwer die o.g. Attribute anzukleben.


Ich halte es für grundfalsch, vom antiken Wortursprung ausgehend die "richtige" Bedeutung eines Wortes nachträglich festlegen zu wollen.
Ich halte persönlichen Definitionen, die vom allgemeinen Sprachgebrauch weit abweichen ebenfalls für nicht gerade hilfreich bzw. für einen rhetorischen Kniff, vor allem wenn ich sie in der Diskussion vorher nicht kenne. Radikal im Zusammenhang mit den Grünen ist mir jedenfalls in den letzten 15-20 Jahren nicht mehr ernsthaft untergekommen und wenn doch dann vermutlich in Debatten, in denen die Gegenseite dann die FDP "marktradikal" und die CSU als "rechtsradikal" tituliert (vermutlich auch auf Basis einer mir nicht geläufigen erweiterten Definition von "radikal").
 

InsularMind

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Themenbezogen ist es nun zwar nicht, aber wer legt eigentlich die Bedeutung von Begriffen fest, bzw. wie oft wird der Definitionsrahmen um Neuentwicklungen erweitert?

Und wem nützt die ganze Occupy-Bewegung, wenn die Stimmen der Menschen dahinter ohnehin polizeistaatlich wegverfrachtet werden? Denkt ihr wirklich, das Demonstrieren einiger ändert irgendwas an der Ausrichtung oder Verfolgung von banken-wirtschaftlichen Interessen?
 

haruc

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InsularMind schrieb:
Themenbezogen ist es nun zwar nicht, aber wer legt eigentlich die Bedeutung von Begriffen fest, bzw. wie oft wird der Definitionsrahmen um Neuentwicklungen erweitert?

"Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache."(Ludwig Wittgenstein)

So benutzt man heute ja auch zb. "geil" nicht mehr im eigentlichen Wortsinn, bzw muss man die Bedeutung des Wortes nach verschiedenen Kontexten ausdifferenzieren. Seine Ursprüngliche Bedeutung hat das Wort eigentlich nur noch im sexuellen Kontext, in Pronofilmen und im Dirty Talk. Ansonsten meint man damit heutzutage einfach nur "toll", "großartig", "abgefahren" usw.

Und ich bin mir fast sicher, dass die meisten Leute heute "radikal" nicht mehr im Sinne von "Probleme an der Wurzel anpacken" verstehen, sondern dass die Bedeutung des Wortes eher in Richtung "kompromissunwilligkeit", "randgruppe", "extremistisch" usw geht.

Um da zuverlässigere Angaben rauszubekommen müsste man eine Studie mittels eines Corpus durchführen. Leider ist die deutsche Linguistik da größtenteils immer noch nicht im 20. JAhrhundert angekommen.
 

Ein_Liberaler

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Ich glaube eher nicht, daß ich vom allgemeinen Sprachgebrauch weit abweiche. Im Gegenteil bin ich der Ansicht, daß die zweite, engere Definition von Schubert/Klein eher Extremismus als Radikalismus beschreibt.

Und Dir, Simple Man, empfehle ich, auch den zweiten Satz meines Beitrages zu lesen, in dem bereits die verantwortungslosen Opportunisten vorkommen. Ist es deiner Ansicht nach die Aufgabe des Staates, ihnen den Weg freizumachen?
 

agentP

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sondern dass die Bedeutung des Wortes eher in Richtung "kompromissunwilligkeit", "randgruppe",
Ja, das ist der zweite Teil der von mir zitierten Definition und wie das auf die Grünen passen soll ist mir ein Rätsel. Die Grünen sind längst eine bürgerliche Partei und keine Randgruppe, mit nachweislich vorwiegend Mitgliedern und Wählern aus der (bildungs-)bürgerlichen Mitte, die im *sorry* Kernland biederer Bürgerlichkeit die Regierung stellen und wie alle anderen Parteien große Töne spucken, wenn sie in der Opposition sind und diese Töne vergessen, sobald sie in einer Regierung Tagesgeschäft zu erledigen haben. Wie gesagt wenn das "radikal" ist, dann sind FDP, CDU und SPD auch radikale Parteien, zumindest wenn sie grade nicht mitregieren. In der Opposition und vor der Wahl haben alle gerne ein kompromissloses "Mit uns niemals!" im Portfolio, das hinterher der Koalition geopfert wird.
Wenn man dich die üblichen Koordinatensysteme zur Verortung in der politischen Landschaft anschaut, dann haben alle gängigen eines gemeinsam:
Mittiger als die Grünen geht es kaum.



Ich bin kein Grüner und ich wähle auch nicht grün, aber manche hören sich hier fast an wie mein seliger Vater. Der war Jahrgang 1920, bayerischer Polizeibeamter und hat auch in jedem Teppichtaschenträger einen potentiellen RAF-Terroristen gesehen. Das war allerdings in den 80ern und nicht in den 2010er Jahren.

Ich sehe eine klare Absicht, demokratische Strukturen durch den Druck der Straße zu ersetzen.
Versammlungen, Interessengruppen und Demonstration gehören für dich demnach nicht zu den demokratischen Strukturen?
Allein in Berlin gibt es laut Lobbycontrol 5000 Lobbyisten und eine 3 stellige Anzahl von professionellen Lobbyagenturen, die weitgehend intransparent in Hinterzimmern Einfluss auf die demokratischen Institutionen nehmen. Warum soll ich mir jetzt genau ausgerechnet besonders Sorgen um Leute machen, die auf der Straße für jeden sichtbar offen ihren Unmut kundtun?
Und nochmal: Die Friedensbewegung und die Anti-Atom-Bewegung waren deutlich länger aktiv und hatten deutlich mehr "manpower" und haben Themen bearbeitet, die deutlich leichter auf den Punkt zu bringen waren. Und hat der Druck der Strasse irgendwas bewirkt, außer dass ein gesellschaftlicher Diskurs zu den Themen am Leben gehalten wurde, was meiner Meinung nach ein zutiefst demokratischer Vorgang ist? Sind wir noch in der NATO oder hat der Druck der Straße hier mehr herausgeschlagen, als ein paar minimale Zugeständnisse? Sind wir nicht erst aus der Kernkraft ausgestiegen kurz nachdem die Zustimmung zur Atomkraft ein Rekordhoch erreicht hat und die Anti-Atom-Bewegung dank eines faulen Ausstiegskompromisses der rot-grünen Regierung schon fast tot war? Wir haben seit Jahrzehnten den "Druck der Strasse" als Teil unseres politischen System.
Wenn der "Druck der Strasse" hierzulande etwas bewirkt, dann doch nur dann, wenn klar ist, dass die Meinungsforschungsinstitute festgestellt haben, dass die paar tausend Demonstranten ohnehin einen breiten Konsens vertreten und sich die nächste Wahl gewinnen lässt, wenn man dem Druck nachgibt.

Ich glaube eher nicht, daß ich vom allgemeinen Sprachgebrauch weit abweiche.
Ich kenne radikal im Zusammenhang mit der NPD oder der MLPD und manchmal vielleicht der Linkspartei, wobei letzteres nach meinem Gefühl auch eher abnimmt.
Der Begriff "radikal" oder "radikale Partei" im Zusammenhang mit den Grünen ist mir aus der aktuellen Alltagssprache wie gesagt eher nicht geläufig, sondern wenn dann überhaupt aus stark tendenziösen und damit wenig repräsentativen Quellen. Ich lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.
 

Ein_Liberaler

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Aber das war doch gerade die Behauptung, von der dieser Diskussionsstrang ausgegangen ist - daß radikale, randständige Parteien Zulauf auf Kosten der Volksparteien haben. Daß die Grünen sich nicht retten können vor arrivierten Wohlstandsbürgern, trotz ihrer radikalen, alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten verachtenden Ideen, ist gerade das Problem. Ich weiß, daß Du die Grünen für eine freiheitliche Partei hältst, in meinen Augen ist das ein schwerer Fehler. Ich halte die Grünen für totalitär. Und das hat nichts mit Terrorismus zu tun, mit Gewalt oder mit der Befürchtung, daß der Maoist Trittin morgen eine Kulturrevolution beginnen könnte.

Daß der Druck der Straße bisher wenig bewirkt hat, ist ein Glück. Momentan ist nach den Ereignissen von Stuttgart ein Umschwung zu befürchten. Daß die Demokratie noch Bestand hat, bedeutet nicht, daß sie nicht mehr verteidigt werden müßte.

Der Begriff "radikal" oder "radikale Partei" im Zusammenhang mit den Grünen ist mir aus der aktuellen Alltagssprache wie gesagt eher nicht geläufig

Natürlich nicht. Die Grünen gelten nicht mehr als radikal, das halte ich für eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. Das bedeutet aber nicht, daß ich den Begriff in einem seltsamen Sinne gebrauche, sondern daß ich die Grünen anders einschätze als die Mehrheit.
 

agentP

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Aber das war doch gerade die Behauptung, von der dieser Diskussionsstrang ausgegangen ist - daß radikale, randständige Parteien Zulauf auf Kosten der Volksparteien haben.
Ich halte den bürgerlichen Zulauf für ein Ergebnis dessen, dass die Grünen bieder geworden sind und nicht andersrum.


Gut. Ich kann deine Sicht in keiner Weise nachvollziehen, sondern halte das wiederum für völlig übertrieben und eine krasse Fehleinschätzung.
Ich denke damit sind wir uns einig, dass wir uns da nicht einig werden und können das abhaken.
 

Telepathetic

Großmeister
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Ein_Liberaler schrieb:
Die Banken versuchen bloß, in dem Rahmen, den ihnen der Gesetzgeber steckt, Gewinne zu machen. Wenn dieser Rahmen verantwortungslose Opportunisten begünstigt, werden die erfolgreichsten Banken und Fonds bald diejenigen sein, die von verantwortungslosen Opportunisten geführt werden. Die konservativ wirtschaftenden Institute werden marginalisiert. Und wenn es dann die bekannten Drehtürkarrieren zwischen Weißem Haus und Großbanken gibt, dann ändert sich auch der gesetzliche Rahmen nicht.

Wenn die Fed billiges Geld in den Markt schüttet, werden immer gewagtere und unrentablere Projekte damit finanziert. Wenn der Staat sagt, he, wenn ihr nicht den Schwarzen und Hispanics Hypothekenkredite entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung gebt, dann versichere ich euch nicht mehr und schicke vielleicht auch mal die Steuerfahndung vorbei, dann werden riskante Hypothekenkredite vergeben, und dann werden gewiefte Makler dafür bezahlt, die schlechten Risiken jemand anderem anzudrehen.
Ich sehe, dass nicht alle Probleme auf das Wirken von Banken und Unternehmen abgewälzt werden können. Die Fokusierung der Occupier auf 'die' Banken und 'den' Finanzmarkt ist einseitig, aber wenigstens ist sie medienwirksam und diskussionsfördernd.

Wenn der Gesetzgeber nichts unternimmt, um die immer größer werdenden sozialen (und umweltbezogenen) Probleme zu beheben, die einem vorherrschenden Geschäftsgebahren eindeutig zuordbar sind, dann bleibt ja auch eigentlich nur der Gang auf die Straße, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Ich habe heute morgen einen Artikel von Colin Crouch in der vorletzten Ausgabe der Zeit gelesen, in dem er die Schuld an den heutigen Verhältnissen dem weltweiten Einfluß des Neoliberalismus und, mit diesem verbunden, dem anglo-amerikanischen Unternehmensmodell, das ausschließlich die "Maximierung des Aktionärsnutzens" vorsieht. Damit werden sämtliche Interessen der Belegschaft diesem einen Ziel untergeordnet. Ich denke, dass zeigt sich vor allem in der Praxis zuerst bei der (am leichtesten zu ersetzenden) Belegschaft einzusparen. Und mittlerweile sind die Staaten so sehr abhängig vom Wohlwollen von Rating-Agenturen, die Staaten wirken so gelähmt, in dem Versuch die Rechte ihrer Bürger zu schützen, dass vermehrte Bürger-Proteste und Demos eigentlich nur noch logische Konsequenz sind.

Was bleibt da anderes, als auf die Straße zu gehen? Gerade weil wir in parlamentarischen Demokratien leben, sind Demonstrationen notwendig, um den Bürgerwillen außerhalb von und zusätzlich zu Wahlen anzuzeigen.

Noch schnell zum Thema 'Radikalität': mir kommt das poltische Gebahren auf Europa-Ebene radikal vor. Die europäische Einheit als alternativlos zu bezeichnen, kommt mir radikal vor. Die Meinung des Neoliberalismus, nur die Profit-Interessen von Aktien-Besitzern sollen bedient werden, kommt mir radikal vor. Mich wundert nicht, dass sich radikale Meinungen zu radikalen Meinungen gesellen. Im Prinzip ist für mich jede Meinung radikal, die andere Meinungen (bzw.Bedürfnisse) schlichtweg ablehnt. Dazu gehört dann das passende Verhalten, dass sich schlimmstenfalls in terroristischen / kriegerischen Aktionen zeigt. Wobei der Eindruck, nicht gehört zu werden, auch zu einem schädlichen gesellschaftlichen Klima führen kann (ja, ich weiß, ich wiederhole mich).

Zum Glück zeigt sich, dass sich selbst in den heutigen Krisenzeiten recht wenig Gewalt entfaltet und allerorten diskutiert wird.
 

Ein_Liberaler

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Die Zeit lese ich nicht. Um zu Herrn Crouchs Schuldzuweisung Stellung nehmen zu können, müßte ich wissen, was er mit Neoliberalismus meint, aber wenn ich den Schlenker vom desaströsen Scheitern der Kapitalmärkte zum Shareholdervalue sehe, dann scheint ihm wirtschaftliche Freiheit insgesamt nicht zu passen.
 

Telepathetic

Großmeister
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Sein Artikel trägt die Überschrift "Kann der Markt moralisch sein?" Daraus:
Dass uns heutzutage jeder Versuch aussichtslos erscheint, der Wirtschaft moralische Rahmenbedingungen vorzugeben, verdankt sich meiner Ansicht nach dem historischen Triumph des Neoliberalismus. Die neoliberale Behauptung, Märkte und Unternehmen seien staatlichem Handeln haushoch überlegen, hat sich überall durchgesetzt, und nun sollen immer weitere Lebensbereiche der ökonomischen Logik unterworfen werden, auch Gesundheit und Bildung, die früher über einen eigenen Wertekanon verfügten.

Auch der Einfluß des angloamerikanischen Unternehmensmodells im Gesellschaftsrecht ist ein Beweis für den Siegeszug neoliberalen Denkens. Dieses Modell schreibt der Firma die Maximierung des Aktionärsnutzens vor (Shareholder-Value). Nichts anderes zählt.
Zeit v. 3.11.2011
 

hives

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Hier noch was aus der Zeit zum Thema (edit: naja, genau genommen zum offtopic-Thema):

Wenn man im Sozialismus den Sozialismus kritisierte, sprang gleich ein Parteisekretär auf und rief, dass der Kapitalismus tausendmal schlimmer sei. Beim ersten Mal überraschte einen das noch. Man wollte doch gar keine Lanze für den Klassenfeind brechen. Man machte sich nur Sorgen, dass was schieflief. Doch die Gesinnungswächter wussten es besser, sie erkannten gleich den Konterrevolutionär. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer den Sozialismus kritisiert, will in den Kapitalismus zurück.

Sind die paranoiden Zeiten vorbei? Wann immer man in den vergangenen 20 Jahren den Kapitalismus kritisierte, sprang gleich irgendein Ideologe auf und rief, der Sozialismus sei ja wohl zu Recht gescheitert. Mittlerweile haben wir kapiert, dass es einfacher ist, den Sozialismus zu kritisieren, als den Kapitalismus zu reformieren. Aber wie kommen wir aus der Diskursfalle heraus?
Lernen von den Versagern

Die Argumentation ist teils etwas holprig, aber der Beitrag ist imho doch diskussionswürdig...
 

Goatboy

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Ich fange ja an zu glauben, dass diese Occupy-Bewegung ein PR-Gag der Teabagger ist, um im Kontrast diszipliniert, eloquent und vernünftig zu wirken.
 

the_midget

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Aphorismus schrieb:
Weshalb ich mit diesem ganzen Haufen nichts anfangen kann...

Du meinst also die sollten gefälligst die Klappe halten, zu hause bleiben und dem Status-Quo zuliebe die Proteste einstellen?

Die Leute haben einfach die Schnauze voll. Die haben keinen Plan und keine konkreten Ziele und die gehen auch nicht rational an die Sache ran. Die merken nur, dass da was total in die Hose geht und Sie da überhaupt keinen Einfluss mehr drauf haben. Und genau darum gehts: Die wollen erstmal wieder einen Bezug zur Politik bekommen und zwar keinen intellektuellen, sondern einen körperlichen/emotionalen. Die wollen Ihren Protest gar nicht diskutieren, sondern leben und ausdrücken.

Die 99 Prozent stehen in Abgrenzung zu den 1%, die immer reicher werden und überdurchschnittlich von der Produktivität der Allgemeinheit profitieren. Der Begriff "99%" hat also nichts mit Arroganz zu tun, sondern ist ein Ausdruck von Solidarität zwischen allen, die nicht zu den reichsten 1% gehören.

In Amerika hat das Ganze eine ganz andere Qualität als hier. Dort sind die Finanzmarkt-Verlierer echte Verlierer, die wirklich vor dem Nichts stehen und die trotz harter Arbeit keine Perspektive haben. Lesen kann man das z.B. hier .

Das was du als Mic-Check bezeichnest, ist aus der Not geboren: Mangels elektronischer Verstärker und Mikrofone, spricht die Menge nach, was ein Redner vorträgt, damit das alls mitkriegen. Die nennen das auch "Human Microphone". Da das meistens unter "Speakers Corner"-mäßigen Bedingungen stattfindet und da jeder reden kann, der das möchte, halte ich deine Befürchtungen diesbezüglich für leicht übertrieben.

Das hier Entscheidungs- und Meinungsbildungsprozesse auf der Strasse landen, die eigentlich nicht dorthin, sondern in entsprechende Institutionen gehören ist nicht Ausdruck eines Mangels auf Seiten der Okkupisten, sondern der Politik: Die schafft es nämlich nicht mehr, ein gesellschaftliches Zusammenleben zu gestalten, in dem die Interessen aller angemessen und unter Teilhabe der Gesamtheit vertreten und durchgesetzt werden können.

Ich muss allerdings zugeben, dass auch ich das Ganze mit zumindest gemischten Gefühlen betrachte und ich mir auch gerade in Bezug auf Anonymous nicht immer sicher bin, ob der Schwarm intelligent ist oder doch nur ein stumpfer Mob. Andererseirs kann man von einem relativ spontanen Zusammenschluss verschiedenster Interessengruppen, die erklärtermaßen Führerlos aus einem Bauchgefühl auf die Strasse gehen, auch kaum erwarten, dass Sie gleich ein Manifest parat haben. Mit so einfach Aussagen wie "People Before Profit" wecken die aber dennoch meine Sympathie und ich hoffe, dass das Ganze nicht wirkungslos verpufft oder niedergeknüppelt wird und eventuell sogar die Mächtigen und die Politik nicht nur zu einem Umdenken, sondern auch zu einem anderen handeln bewegt werden können. Aber das wird die Zukunft zeigen.

Trotzdem freue ich mich, dich wiederzulesen, Aphorismus.
 

Helika

Meister
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Ein_Liberaler schrieb:
Die Banken versuchen bloß, in dem Rahmen, den ihnen der Gesetzgeber steckt...

Also rechtfertigt es unlauteres Geschäftsgebahren an den Tag zu legen, nur weil es kein Gesetz dagegen gibt? Fällt es nicht auch unter "gegen die guten Sitten", wenn man seine Mitbürger/Gemeinden/andere Banken/etc. durch Vorenthaltung wichtiger Informationen ausnimmt?

Mein Großvater hatte eben doch recht: Bevor man Banker wird, muss man erstmal nach Heidelberg, sich das Gewissen rausoperieren lassen...


Insofern: Ich kann diese Occupier durchaus verstehen, auch wenn ich ihre Wahl der Mittel kritisch betrachte. Sollen sie lieber bei den nächsten Wahlen ein klares Zeichen (und vor allem gegen diese Teeliebhaber) setzen.
 

Goatboy

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Helika, ich habe ein grundsätzliches Problem damit, wenn jemand Bankiers zu mehr Moral und Einhaltung der "guten Sitten" auffordert. Das richtet sich jetzt nicht an dich im Speziellen, aber ähnlicher Stimmen gibt es ja zuhauf. Denn man kann mutmaßen, dass viele derer, die da Moral von anderen verlangen, selbst nicht unbedingt Unschuldslämmer sind. In Deutschland werden jährlich 30 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen und - in diesem Zusammenhang sicher noch bedeutender - das Volumen der Schwarzarbeit wird auf rund 350 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Natürlich, es ist immer unmoralisch, wenn andere Geld verdienen wollen, sich selbst nimmt man da aber gerne aus, auch wenn die eigenen Handlungen schlicht illegal sind. Deswegen wäre ich dafür, mit Wörtern wie Sitte oder Moral in dieser Diskussion vorsichtig umzugehen.
 

Simple Man

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Also würdest du für härtere Gesetze und schärfere Kontrollen im Bank- und Investmentbereich plädieren? :gruebel:
 
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