Lerndoping: Neuroenhancer

Sedge

Ehrenmitglied
Registriert
9. Juli 2003
Beiträge
2.196
Laut der Krankenkasse DAK erhoffen sich zwei Millionen Deutsche von den "Pillen fürs Gehirn" konzentrationsstärker und leistungsfähiger zu werden. Ursprünglich wurden die Medikamente zur Bekämpfung schwerer Krankheiten zugelassen.

Gerade Ritalin scheint die neue Mode- (oder eher Lerndroge) zu werden: In den USA sind "Ritalin-Partys" an Highschools und Colleges schon der Renner. Immer häufiger hört man von studentisch genutzter Konzentrationssteigerung, und schon für's Abi wird mit Medikamenten nachgeholfen.

Ein Zeit-Redakteur betitelt seinen Artikel Ich bin ein Zombie, und ich lerne wie eine Maschine


Wie sieht's denn hier an Board aus: Gibt's hier Erfahrungen, Meinungen, Einschätzungen zu dem "neuen Trend"?
 

DrJones

Ehrenmitglied
Registriert
21. Mai 2002
Beiträge
2.172
Interesannt...
Ich würds ehrlich gesagt mal auf n Versuch ankommen lassen.
 

soapanimal

Geselle
Registriert
8. November 2006
Beiträge
80
Erfahrungen in Sachen "Lerndrogen" habe ich nicht gesammelt. Jedoch wundert mich dieser Trend auch nicht. Meiner Meinung nach können eine Menge Menschen dem heutigen Leistungsdruck in den Betrieben und Bildungstätten ohne Hilfsmittel nicht standhalten.
Wenn ich mich nicht irre, hat R.A. Wilson so eine Entwicklung schon in den 80ern vorrausgesagt. Muss mal nachschauen wo ich es finde...

Ein Selbstexperiment mit Ritalin fände ich interessant. Ist ja auch eine verführerische Vorstellung effektiver lernen zu können, in dem man sich "nur" eine Pille einwirft.

Zum ersten Mal habe ich von Ritalin in einer Southparkfolge gehört, in welcher die besorgten Eltern ihren "hyperaktiven" Kinder diese Droge verabreichten.

Southpark Folge 404
 

Sedge

Ehrenmitglied
Registriert
9. Juli 2003
Beiträge
2.196
Na das größte Problem in meinen Augen ist, dass wenn man schon im Studium (oder sogar Abitur) mit dem Druck nicht klarkommt...... Wie soll das dann erst im Job werden :?:
 
Registriert
4. Juli 2004
Beiträge
88
ich würde sagen, die meisten jobs sind ziemlich routine-anfällig.
und des weiteren würde ich gerne sagen, dass ich nicht wüsste, wie man an das zeug kommen sollte, ohne ads vorzutäuschen.
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
ADS vortäuschen alleine tut es auch nicht. Bei Erwachsenen wird das in Deutschland meines Wissens nicht so ohne weiteres verschrieben, weil die in der Regel auch mit Therapien ganz gut erreichbar sind. Bei Kindern wird es bei schweren Fällen verschrieben, damit die überhaupt an einen Punkt kommen, an dem man mit einer Therapie bzw. einem Coaching überhaupt Erfolg haben kann. Wenn die Therapie greift, wird die Pille normalerweise wieder abgesetzt.
Insofern denke ich, dass es da eher einen florierenden Schwarzmarkt gibt, wie halt bei Viagra, etc. auch.
 
Registriert
4. Juli 2004
Beiträge
88
Ja, ich wollte sagen, "legal kommen sollte".
Wenn sich eine Krankenkasse damit beschäftigt, impliziert das ja, dass es da Wege gibt, beziehungsweise, dass man es mit einer offiziellen medizinischen Behandlung zu tun hat.
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
Nicht unbedingt. Die Krankenkassen könnten auch einfach deshalb Interesse an dem Thema haben, weil sie die Kosten bei Folgeschäden von Medikamentenmissbrauch zu tragen haben.
 

Eskapismus

Ehrenmitglied
Registriert
19. Juli 2002
Beiträge
2.151
Ich hege die Hoffnung, dass diese Braintuner ein weiterer Schritt in Richtung "legale und auf moderner Forschung beruhende Drogen" ist.
 

Giacomo_S

Ehrenmitglied
Registriert
13. August 2003
Beiträge
2.834
Ich halte dieses Neuroenhancing für ethisch sehr problematisch.

Die Pharmaindustrie würde uns gern diese Segnungen frei verkäuflich zur Verfügung stellen, frei nach dem Motto "es ist Deine persönliche Freiheit sie zu nehmen oder nicht, Du musst es ja nicht tun".
Das ist natürlich Unsinn, da wir uns ja praktisch alle in Konkurrenzsituationen befinden, in der Ausbildung, am Arbeitsplatz. Und wer ist schon immer top leistungsfähig, immer super gelaunt, immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht ? Das Doping ist Sportlern ja schließlich auch nicht erlaubt, weil es dazu führt, dass irgendwann alle dopen müssen, um überhaupt noch eine Chance zu haben.

Solange die Pharmaindustrie aber die freie Verkäuflichkeit solcher Drogen - und um nichts anderes handelt es sich - weder politisch noch in der Bevölkerung durchsetzen kann, verlegt sie sich auf andere Methoden:
Sie erfindet Krankheiten.
So z.B. die "Shift Work Sleep Disorder" - oder einfacher gesagt: Die Schlafstörungen von Schicht- und Nachtarbeitern. Wie schön, dass es in den USA dagegen das "Medikament" Modafinil gibt, ein Amphetamin - eine Substanz im übrigen, die in Deutschland bis 2008 sogar noch dem Betäubungsmittelgesetz unterlag.

Entwickelt wurde Modafinil zur Behandlung der Narkolepsie. Deren Markt ist allerdings eher klein, denn so viele Narkoleptiker gibt es natürlich nicht. Schichtarbeiter dafür umso mehr. Dass es notwenige Bereiche mit nachts tätigen Menschen geben muss, Polizei, Feuerwehr, Krankenhaus wird niemand bestreiten; dass so mancher damit Schlafprobleme hat, auch nicht. In Europa gab es aber von jeher das Bestreben, Nacht- und Schichtarbeit auf das Notwendige zu beschränken.

Neuroenhancing wird Bestrebungen, die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung nicht gänzlich dem Altar des Kapitalismus zu opfern, zunichte machen. Es kann noch mehr rund um die Uhr geschuftet werden, teure Maschinen, die immer schnelleren Produktionsgenerationen unterliegen, können noch besser ausgelastet werden ... und alle, die daran arbeiten, nehmen Drogen.

Wollen wir das ?

Absurderweise führen amerikanische Firmen an ihren Mitarbeitern Drogentests durch. Mam lässt sie ins Glas pinkeln, um herauszufinden, was sie am WE so getrieben haben oder stellt sie gar nicht erst ein.
Oder anders gesagt: Es geht nicht darum, ob sie Drogen genommen haben. Sondern darum, ob es die richtigen Drogen sind.
 

Sedge

Ehrenmitglied
Registriert
9. Juli 2003
Beiträge
2.196
In der Diskussion um Cognitive Enhancement wird oft behauptet, geistige Leistungsfähigkeit sei etwas Gutes. Daher sei auch Enhancement beispielsweise mit psychopharmakologischen Mitteln zur geistigen Leistungssteigerung etwas Gutes, sofern bestimmte Sicherheitsvorkehrungen eingehalten würden. Lassen sich dann keine gewichtigen Gegeneinwände finden, scheint der Fall klar.
Enhancement: Wer will immer mehr leisten?
Vom Versuch, die Gesellschaft nach akademischen Leistungsansprüchen zu organisieren



Viagra für das Hirn
Ein Biotech-Unternehmen vermeldet Fortschritte bei der Entwicklung von cognitive enhancern
 

Zerch

Ehrenmitglied
Registriert
10. April 2002
Beiträge
2.938
Giacomo_s seinem Beitrag ist eigentlich nichts mehr zuzufügen , was die Probleme rund um das Neuroenhancing angeht. Ich sehe ebenfalls langfristige Gefahren , welche den temporären Nutzen weit überwiegen , besonders unter gesundheitlichen Aspekt betrachtet.
 

haruc

Ehrenmitglied
Registriert
16. Dezember 2002
Beiträge
2.494
Wie sieht's denn hier an Board aus: Gibt's hier Erfahrungen, Meinungen, Einschätzungen zu dem "neuen Trend"?

Ich finde das ehrlich gesagt schrecklich. Wenn die Natur gewollt hätte dass das Gehirn pausenlos lernen kann, dann hätte sie es so eingerichtet. Da Lernen auch die Grundvorraussetzung für den Erfolg der Menschlichen Rasse ist hätte dies auch Sinn gemacht. Da wir von Vatur aus nicht 24/7 büffeln können scheint es wohl auch einen Grund dafür zu geben.

Ich denke mal dass man den Kram mit einer Methanoleinspritzung in Motoren vergleichen kann: Brauchbar um mal kurzzeitig ein bisschen mehr an Leistung rauszuholen aber im Dauerbetrieb machts die Maschine kaputt.

Außerdem gehört zum erfolgreichen Lernen auch das "Abschalten" dazu.

Fazit: Bin kein Freund von solchen Sachen.
 

Zerch

Ehrenmitglied
Registriert
10. April 2002
Beiträge
2.938
Dann ist noch die Frage wie sich das auf die Arbeitslosigkeit auswirkt. Zum einen könnte es sein dass jene die noch Arbeit haben durch ihre gesteigerte Leistungsfähigkeit noch mehr Arbeitsplätze wegnehmen , andererseits könnte es sein dass die Menschen geradezu verbraucht werden und jeder Arbeitslose dann auch ma bis zur Verbrauchung arbeiten darf , weil ständig ne Stelle frei wird. -Könnte zum produktiven Populationsabbau genutzt werden.
 

Quakle

Meister
Registriert
17. März 2004
Beiträge
301
Also ich kann da aus eigener Erfahrung berichten. Wie ziemlich viele hier am Board wissen bin ich im Vertrieb tätig und durch einen Unfall Oberschenkelamputiert. Der Unfall ist jetzt 11 Jahre her und seitdem bekomme ich opiode Schmerzmittel verabeicht. Opiode (gerade Tramadol (Hat ja auch seinen serotegenen Effekt) und Tilidin) haben einen sehr Euphorisierenden Effekt, der einem hilft zu lernen, zu arbeiten und einfach gute Laune zu haben. Da gerade Vertrieb ein gute Laune Geschäft ist habe ich natürlich einen enormen Vorteil anderen Verkäufern gegenüber, der sogar soweit geht das meine Umsätze 3 mal so hoch sind, wie die des 2. besten Verkäufers meines Unternehmens...

Nebenwirkungen sind halt die Euphorie, hin und wieder Verstopfung und eine Abhängigkeit. Wobei die Abhängigkeit bei mir nicht ins Gewicht fällt, da ich diese Schmerzmittel wohl oder übel bis ans Lebensende nehmen muss. Faktisch ist bei medizinischen Opiaten keine Organtoxizität vorhanden und auch die Entzugserscheinungen sind nicht so stark wie immer propagiert wird. (Habe mal in einer Klinik die Einnahme auf Null runtergefahren um dem Gewöhnungseffekt entgegen zu treten. Und der Entzug fühlte sich wie eine mittelschwere Grippe an.)

Ad´s habe ich auch schon gezielt zur Leistungsteigerung eingesetzt und muss sagen das die Nebenwirkungen hier meiner Meinung nach stärker sind. Vor allem bei den SSIR´s und bei denen muss man noch 2 Wochen auf die Wirkung warten. Alles in allem kann ich jedem nur davon abraten, denn es verändert den Charakter und man entwickelt automatisch eine Abhängigkeit.
 

Sedge

Ehrenmitglied
Registriert
9. Juli 2003
Beiträge
2.196
In der Kategorie “Verstörende Dystopien, schon heute” und “andere Studenten lernen mehr als du und du solltest dich schlecht fühlen” gibt es heute: Eine gesamte chinesische Klasse bekommt bei ihrem Abschlussexamen per Tropf irgendwelche Substanzen eingeflößt.

IV-drip3_thumb_thumb.jpg


http://schmalenstroer.net/blog/2012/05/leistungsdoping/

:O_O:
 

InsularMind

Erleuchteter
Registriert
9. Dezember 2003
Beiträge
1.086
Das ist echt der Hammer, dass man heute schon so weit geht. Ich hatte vor so einer Entwicklung schon lange Bange, und das Thema etwas abgewandelt auf psycho-emotionale Optimierung mal in einem alten Sci-Fi-Roman verwendet. Im Wirklichen finde ich so eine Entwicklung eher bedenklich, weil mir im Gefüge des menschlichen Nervensystems und der Hirnfunktionen schon viel zu viel herumgedoktert als auch herumspekuliert und versuchsverändert wird. Ansonsten bin ich neuen Entwicklungen und Forschungsmöglichkeiten, sogar in der Hinsicht transhumanistischer Überlegungen recht aufgerschlossen, aber alles, was an Gehirn-Tuning heran geht, lässt mir das heillose Grauen ins Mark treten. Vielleicht ist das ja eine tolle Sache für viele und meine Einwände sind nichts als herangezogene Paranoia, aber die Freideutung darüber, was man mit der Veränderung des natürlichen Gefüges des Zentrums der Menschenperson, also des Gehirns alles anstellen könnte, wenn jegliche Art von Einflussnahme gutgeheißen wird, legal und gängig wird, macht mir irgendwie Angst. Darüber entsteht ein Hebel für allerlei Profitinteressen und Fremdkontrolle -- Menschen mit zurechtmedikamentierten Gehirnen, mit gesteuerter Leistungs-Hochtaktung, mit durch Transmitter und Chemikalien induzierter oder korrigierter Persönlichkeit und konformgeregelten Wesenszügen.

Vielleicht drehe ich mir da auch gerade einen Horror-Joint davon, aber irgendwie traue ich den Leuten nicht über den Weg, welche auf diesem Gebiet forschen und ausprobieren, was alles machbar wäre. Und auch wenn das toll und für den Arbeitsmarkt willkommen erscheint, den Leistungsfaktor im Menschen noch um ein paar Ebenen höher zu bekommen, so frage ich mich ob sowas das erklärte Ziel des menschlichen Lebenszwecks werden soll.

Sieht sonst noch jemand gehirnkontrollierte Zombies am Zukunftshorizont in die Farbriken stapfen? :k_schuettel:
 

haruc

Ehrenmitglied
Registriert
16. Dezember 2002
Beiträge
2.494
hallo,

@ InsularMind,

ja das ist echt krass und ich seh das so wie Du. Anstatt Fabrikzombies wären auch durch Medikamentengabe hergestellte Supermenschen denkbar: Eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Elite, die nur 2 Stunden am Tag schläft, 22 Stunden arbeitet und dabei glücklich ist. Eine eigene Herrscherkaste, die sich aus den Abgängern von Unis herausbildet und nach unten hin hermetisch abgeriegelt ist. Die übernehmen dann die Führung in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Und am Kontrollhebel sitzen irgendwelche Pharmakonzerne, die das Gehirndoping herstellen.
Gut, die sterben dann vielleicht alle mit ein paar 30 oder 40 oder werden zu Gehirnkrüppeln, aber für Nachschub wird wohl immer gesorgt sein. Und wir "normalos", die ihre Ausbildung und Abschlüsse ohne Hirndoping gemacht haben, stehen dann blöd da, weil wir auf dem Arbeitsmarkt und auch sonstwo den gedopten Menschen unterlegen sind - außer im Zwischenmenschlichen Bereich vielleicht.

Das Ausschöpfen der menschlichen Arbeitskraft im mechanischen Sinne ist dank Automatisierung in der Zukunft unattraktiv und unbedeutend. Wichtiger ist die geistige Leistungskraft.
 
Oben