Ich sehe das Ganze mit gemischten Gefühlen, aber wenn ich gezwungen wäre die bescheuerte Wahl zwischen den G8-Leuten auf der einen und den G8-Gegnern auf der anderen Seite zu treffen, dann würde ich mich mit Sicherheit nicht auf die Seite der Gegner schlagen. Warum? Nicht nur Opportunismus, aber vielleicht auch.
Ich gliedere es mal ganz simpel wie folgt:
- Was spricht für die G8-Leute?
- Was spricht gegen die G8-Leute?
- Was spricht für die G8-Gegner?
- Was spricht gegen die G8-Gegner?
1. Für die G8-Leute spricht vor allen Dingen grundsätzliches: Es handelt sich bei dem Treffen in Heiligendamm um ein
informelles und
nicht beschlussfähiges Gremium
demokratisch gewählter Regierungschefs. Dagegen kann man als Demokrat nichts haben.
Weiterhin spricht für die G8-Leute in weiten Teilen die Agenda, die verfolgt wird - zumindest meiner Meinung nach. Man muss ja nur mal auf die dieses Jahr schwerpunktmäßig behandelten Themen Regulierung von Hedgefonds und Schuldenerlass für Afrika blicken, um zu realisieren, dass es zumindest nicht
nur um problematische Themen, sondern auch ganz stark um sehr lobenswerte Vorhaben geht.
2. Was für mich gegen die G8-Leute spricht, ist, dass das neoliberale Modell auf eine Art vertreten wird, die unter Umständen zwar unserem Liberalen gut gefallen wird, mir aber in einigen Punkten zu weit geht. Etwa wenn es um die - als Strukturmaßnahme teils sogar eingeforderte - Privatisierung von Wasserreserven geht, dann sehe ich die Souveränität des Staates gefährdet. Das neoliberale Dogma sollte meiner Meinung nach nicht dazu benutzt werden, die Macht des Staates zu Gunsten von internationalen Unternehmen auch dann zu beschneiden, wenn es um für das Überleben seiner Bürger existenziell notwendige Güter wie Wasser geht. Trotz meiner generellen Zustimmung zum Neo-Liberalismus geht es mir da einfach etwas zu weit. Ich habe nicht genug Vertrauen in internationale Unternehmen, um denen solche Gebiete anzuvertrauen. In den Markt als solches idealerweise schon, in die Akteure kaum. Da gehen Ideal und Realität imho zuweit auseinander, man betrachte nur mal den Umgang mit Lizenzrechten für in Afrika dringend benötigte AIDS-Medikamente - wären die Unternehmen Einzelpersonen und die an AIDS leidenden Afrikaner auch, dann wäre das als unterlassene Hilfeleistung zu Recht strafbar. So ist es eben eine Schattenseite der freien Martkwirtschaft.
3. Für die G8-Gegner spricht, dass sie unter anderen (und leider auch vermengt mit vielem Schwachsinn) auf solche Probleme, wie sie eben unter 2. angerissen worden sind, hinweisen und damit eine öffentliche Debatte anstoßen, die fruchtbarer sein könnte, als sie in der Art, wie sie derzeit geführt wird (wenn sie inhaltlich überhaupt geführt wird), ist. Ein bisschen Politisierung schadet der Yamba-Spar-Abo-Jugend bestimmt nicht.
4. Gegen die G8-Gegner spricht leider noch mehr als gegen die G8-Leute. Zunächst einmal sollte man festhalten, dass der Großteil der Leute, die nach Heiligendamm fahren werden, höchstwahrscheinlich ungefähr so viel Ahnung von Politik und wirtschaftlichen Zusammenhängen haben wird wie Adolf Hitler von Hebräisch. Man weiß, dass man "irgendwie total dagegen ist und so", aber warum, das weiß wenn es hochkommt jeder dritte, und von diesem Drittel kann es maximal jeder vierte sinnvoll formulieren. Und von denen, die es sinnvoll formulieren, liegt jeder zweite falsch.
Aber Ironie bei Seite: Abgesehen von denen, die am ersten Mai noch nicht genug in Kreuzberg randaliert haben und einfach nicht genug von dem Gefühl kriegen, im Namen einer guten Sache Privateigentum zu beschädigen ohne genau zu wissen warum, kommen ja auch allerlei politisch motivierte und somit zwangsläufig informiertere Leute. Aber was für welche... Kommunisten/Sozialisten/Linke werden wohl das Gros stellen, und bei allem was recht ist - wenn mir eine Gruppe von Leuten bitte nichts, aber auch gar nichts, über wirtschaftliche Zusammenhänge erklären soll, dann diese Melange aus linkem Sozialgebabbel. Denn im Gegensatz zu den G8-Leuten, die - mit unterschiedlichen Schwerpunkt - doch ziemlich homogen das neoliberale Modell zu implementieren versuchen, haben die überhaupt kein Konzept. Null, nada, niente.
Die sind dagegen, aber für nix bestimmtes. Gut, die Tobin-Steuer ist eine diskutable Idee, aber was hat das mit G8 zu tun? Und was genau ist eigentlich ein "Globalisierungsgegner" und wofür steht das? Darf man als Globalisierungsgegner kein Internet benutzen, nur von Deutschen, aber nicht von Polen gestochenen Spargel essen und VW statt Toyota fahren? Uralub fortan nur noch in der sächsischen Schweiz und nicht mehr in Thailand? Fremdsprachenunterricht abschaffen? Wie kann man allen Ernstes ein Gegner von Globalisierung sein? Das geht mir nicht in den Kopf; es kommt mir vor, als würde sich jemand als Gravitationsgegner bezeichnen. Soll heißen: Man kann ja gerne gegen etwas sein, aber dann muss dieses dagegen sein auch irgendetwas bedeuten. Es ist doch schon ein bemerkenswerter Fakt, dass sich da eine Gruppe vermeintlich gleichgesinnter Individuen unter einem Namen zusammengefunden hat, der rein gar nichts aussagt.
Und das ist symptomatisch für die gesamte Bewegung. Es gibt keinerlei Gegenkonzept. Es gibt kein Ideal, das einheitlich angestrebt wird, außer von den paar Kommunisten, die versuchen, den Protest für ihre Zwecke zu benutzen. Es gibt nichts, weswegen man sich produktiv dafür entscheiden könnte, sich selbst den bekloppten Namen "Globalisierungsgegner" zu verpassen. Es gibt einfach keinen Grund. Die Ursache dafür, dass das dennoch so viele tun, ist mir unklar.
Mehr als ein diffuses Unzufriedenheitsgefühl vermute ich in den wenigsten Fällen dahinter.
Und nur als Randbemerkung: Wer lange Jahre User dieses Forums ist, der kann sich doch ohnehin nur an den Kopf fassen und fassungslos mitansehen, was sich da gerade in Heiligendamm abspielt, oder? Gerade mal zwei Jahre ist es her, dass sich in Rottach-Egern am Bodensee die Bilderberger getroffen haben. Damals waren sie alle hier zu Gast bei uns: Finanzmagnaten wie Rockefeller, europäischer Adel, Wirtschaftsbosse, Politiker und Medienvertreter. Diese Leute waren vor 20 Jahren nahezu die gleichen und werden es teilweise auch in zehn Jahren noch sein. Sie verfügen über sehr reale Macht. Und wer protestiert in Deutschland? Ein paar durchgeknallte Verschwörungstheoretiker und maximal drei Dutzend andere Leute. Was für eine Ironie, was für ein blanker Hohn, dass jetzt bei einem informellen Treffen eines nicht beschlussfähigen Gremiums
demokratisch gewählter Regierungschefs so ein unverhältnismäßiges Tamm-Tamm gemacht wird. Es muss der Wirtschaft besser gehen, die Leute haben zu viel Freizeit, anders kann ich mir das wirklich kaum noch erklären.