der ultimative liebesbrief

Deimos

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vor ca. 10 jahren hab ich diesen liebesbrief im anhang eines buches zum ersten mal gelesen. er hat für mich bis heute nichts von seiner kraft verloren. stellt euch vor, ihr ehaltet eines tages ein solches schreiben, ohne absender...

Bitte höre, was ich nicht sage! Laß dich nicht von mir narren. Laß dich nicht durch das Gesicht täuschen, das ich mache, denn ich trage Masken, Masken, die ich fürchte abzulegen. Und keine davon bin ich. So tun als ob ist eine Kunst, die mir zur zweiten Natur wurde. Aber laß dich dadurch nicht täuschen, ich mache den Eindruck, als sei ich umgänglich, als sei alles heiter in mir, und so als brauchte ich niemanden. Aber glaub mir nicht! Mein Äußeres mag sicher erscheinen, aber es ist meine Maske. Darunter bin ich, wie ich wirklich bin: verwirrt, in Furcht und allein. Aber ich verberge das. Ich möchte nicht, daß es irgend jemand merkt. Beim bloßen Gedanken an meine Schwächen bekomme ich Panik und fürchte mich davor, mich anderen überhaupt auszusetzen. Gerade deshalb erfinde ich verzweifelt Masken, hinter denen ich mich verbergen kann: eine lässige Fassade, die mir hilft, etwas vorzutäuschen, die mich vor dem wissenden Blick sichert, der mich erkennen würde. Dabei wäre dieser Blick gerade meine Rettung. Und ich weiß es. Wenn es jemand wäre, der mich annimmt und mich liebt. Das ist das einzige, das mir die Sicherheit geben würde, die ich mir selbst nicht geben kann: daß ich wirklich etwas wert bin. Aber das sage ich dir nicht. Ich wage es nicht. Ich habe Angst davor. Ich habe Angst, daß dein Blick nicht von Annahme und Liebe begleitet wird. Ich fürchte, du wirst gering von mir denken und über mich lachen. Und dein Lachen würde mich umbringen. Ich habe Angst, daß ich tief drinnen in mir nichts bin, nichts wert, und daß du das siehst und mich abweisen wirst. So spiele ich mein Spiel, mein verzweifeltes Spiel: eine sichere Fassade außen und ein zitterndes Kind innen. Ich rede daher im gängigen Ton oberflächlichen Geschwätzes. Ich erzähle dir alles, was wirklich nichts ist, und nichts von alledem, was wirklich ist, was in mir schreit; deshalb laß dich nicht täuschen von dem, was ich aus Gewohnheit rede. Bitte höre sorgfältig hin und versuche zu hören, was ich nicht sage, was ich gerne sagen möchte, was ich aber nicht sagen kann. Ich verabscheue dieses Versteckspiel, das ich da aufführe. Es ist ein oberflächliches, unechtes Spiel. Ich möchte wirklich echt und spontan sein können, einfach ich selbst, aber du mußt mir dabei helfen. Du mußt deine Hand ausstrecken, selbst wenn es gerade das letzte zu sein scheint, was ich mir wünsche. Nur du kannst mich zum Leben rufen. Jedesmal, wenn du freundlich und gut bist und mir Mut machst, jedesmal, wenn du zu verstehen suchst, weil du dich wirklich um mich sorgst, bekommt mein Herz Flügel, sehr kleine Flügel, sehr brüchige Schwingen, aber Flügel! Dein Gespür und die Kraft deines Verstehens geben mir Leben. Ich möchte, daß du das weißt. Ich möchte, daß du weißt, wie wichtig du für mich bist, wie sehr du aus mir den Menschen machen kannst, der ich wirklich bin, wenn du willst. Bitte, ich wünschte, du wolltest es. du allein kannst die Wand niederreißen, hinter der ich zittere. Du allein kannst mir die Maske abnehmen. du allein kannst mich aus meiner Schattenwelt, aus Angst und Unsicherheit befreien, aus meiner Einsamkeit. Übersieh mich nicht. Bitte, übergeh mich nicht! Es wird nicht leicht für dich sein. Die langandauernde Überzeugung, wertlos zu sein, schafft dicke Mauern. Je näher du mir kommst, desto blinder schlage ich zurück. Ich wehre mich gegen das, wonach ich schreie. Aber man hat mir gesagt, daß Liebe stärker sei als jeder Schutzwall, und darauf hoffe ich. Wer ich bin, willst du wissen? Ich bin jemand, den du sehr gut kennst und der dir oft begegnet ist.
 

Wilhelm_Willkuer

Anwärter
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Und was ist mit dem/der mysteriösen Briefeschreiber/in passiert?
Wurde er/sie verstossen oder wurde er/sie akzeptiert?
 

Killuminati

Meister
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ich finde den brief sehr schön und garnicht schizophren.ich denke, dass gefühl kennt fast jeder,vielleicht nicht so extrem, aber ist es uns nicht allen bekannt?aus diesem grund versuche ich, hinter die fassade zu blicken, weil sich dahinter oft sehr wertvolle menschen befinden, aber da ich ähnlich bin, traue ich mich oft nicht....
bye
 

Storm21

Lehrling
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Extrem schön geschrieben,finde ich.Erinnert mich an mich selbst ein wenig.Der Text gibt einem echt zu denken.Es gibt ziemlich viele Menschen denk ich,die so eine Fassade/Maske haben,wenn auch nicht so stark wie in dem Text beschrieben!
CYA Storm
 

Heuli

Meister
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Der Stil ist schön, der Geist dahinter sehr traurig und erkrankt. Ich würde mich über so einen Brief wenig "freuen", ich würde wohl anfangen zu weinen. So viel Einsamkeit, die da durchfließt, so viel Schmerz, der immer weiter aufgestoßen wird. Indem der Schreiber sich hinter diesen Masken versteckt und nicht offen und ehrlich zu dem steht, was er sagt. Er ist zu dieser Maske geworden und verliert sein Ich. Sein Herz blutet und er wartet darauf, dass ihm jemand diese Wunde flickt, ohne jedoch wirklich Menschen heranlassen zu können. Es ist kein Liebesbrief, meiner Meinung nach, es ist ein Hilfeschrei, der als Lösung nur die Selbsthilfe und die innere Liebe zur Selbstheilung hat. Erst wenn man selbst liebt und lebt, kann man auch von anderen so behandelt werden. Warum verstecken, wenn es offen so viel schöner ist ? Um was fürchten, wenn doch eh noch kein Schritt gegangen ist. Weniger als nichts ist nicht möglich. :wink:
Warum leid-zufrieden in der Qual wälzen, wenn man diese ewige Unsicherheit und die langsame Verzweiflung einfach aufgeben kann ?
Schwäche ist nichts schlechtes - je mehr Schwächen man hat, desto mehr Licht kann man aufnehmen.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr freue ich mich, dass diese "Phase" schon hinter mir auf meinem Weg liegt und meine Flügel daraus erwachsen sind. Ich würde dem Schreiber jetzt dafür und überhaupt generell einen Tee anbieten, wenn ich ihn wüsste und "zur Hand" hätte. :)

Als Ausgleich biete ich Deimos einen Keks an. :wink:
 

sillyLilly

Ehrenmitglied
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ein sehr sehr ehrlicher Brief ...

auch wenn ich die Liebe zwischen 2 Menschen anders verstehe als ein Hilferuf einer einsamen Seele .... vielleicht habe ich aber auch unrecht und wir sind eigentlich alle einsame seelen ...

und um so länger ich den Brief sacken lasse umso interessanter finde ich das Ende ....
Jeder könnte es sein ...
Ein Mensch der dir nicht unbekannt ist .....
und trifft es nicht auch ein bischen auf jeden zu ?

Das uns Flügel wachsen durch die Verbundenheit mit anderen Menschen?

Ein Mensch der diesen Brief bekommen würde..... würde der nicht vielleicht hinterher jeden Mensch in seiner umgebung mit anderen Augen sehen und damit etwas verändern?

*berührt*
Lilly
 

Der Mangofarmer

Lehrling
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Deimos schrieb:
[...]Du mußt deine Hand ausstrecken, selbst wenn es gerade das letzte zu sein scheint, was ich mir wünsche. Nur du kannst mich zum Leben rufen. Jedesmal, wenn du freundlich und gut bist und mir Mut machst, jedesmal, wenn du zu verstehen suchst, weil du dich wirklich um mich sorgst, bekommt mein Herz Flügel, sehr kleine Flügel, sehr brüchige Schwingen, aber Flügel!

:oops: Oh Mann...wer schrieb nur diesen Brief? Er spricht mir aus der Seele...danke dass du ihn hier reingestellt hast, Deimos...vielen Dank.

Ich gehe jetzt besser ins Bett...lege noch ein wenig Musik auf und versuche zu schlafen...dieser Brief..! 8O
 

Hero

Geselle
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4. November 2002
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Das Gedicht ist aus dem Buch: Tobias Brocher, Von der Schwierigkeit zu lieben,
Massstäbe des Menschlichen, Band 8/1975 aus dem Kreuz Verlag, Stuttgart und Berlin


-- und superschön!!

auch ich find mich da wieder
 

cyberwotan

Meister
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also was ich an diesem text wunderschön finde, dass es eigentlich keine liebeserklärung an einen geliebten ist, sondern eher an die welt. also gerade der letzte satz bestärkt mich darin. genau das macht es für mich so wahnsinnig schön. es ist halt nicht einer von diesen romantisierten "idealperson"-texten, sondern der klare natürliche ursprüngliche wunsch mit seinen mitmenschen eng verbunden in kontakt zu treten.
ja, so jedenfalls empfinde ich das...
gruss benni
 
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