Der Killer und der Fuß in der Tür
Kurzfassung:
Wer heute triumphierend ruft "das Verbot lässt sich eh nicht
durchsetzen, dazu müsste man ja das gesamte Internet überwachen!!"
und dann über die Dummheit der Politiker lacht, trifft genau ins
Schwarze.
Er zieht nur die falsche Schlussfolgerung.
Langfassung:
Die Politiker sind in diesem Punkt bei weitem nicht so dumm, wie sie
angesichts der mehr als peinlichen Argumentation scheinen. Es ist
m.E. schlicht irrelevant, mit welchen grenzwertigen Aussagen sie ein
Verbot von "Killerspielen" o.ä. durchsetzen wollen. Im Endeffekt ist
es sogar völlig egal, was überhaupt verboten werden soll.
Wichtig ist einzig, _dass_ etwas verboten wird, etwas, was in
gewissem Maße anrüchig ist (damit Kritik nur begrenzt aufkommt, und
beim Normalbürger eine gewisse Scheu entsteht, das Verfemte zu
verteidigen). Vorzugsweise emotional aufgeladen, da dann der Verstand
eine Auszeit erhält, und die Verlockung, sich als guter Mensch zu
präsentieren gerne über die Logik siegt.
Denn unsere "Vertreter" haben etwas ganz anderes verstanden, was in
der aktuellen Debatte gar nicht explizit erwähnt wird - aus gutem
Grund:
Schon jetzt läuft das Internet als Mittel zur Meinungsbildung
allmählich den traditionellen Medien den Rang ab. In ein paar Jahren
wird das noch stärker der Fall sein. Die Zeitungen bauen ihre
Internetpräsenzen massiv aus, und IPTV ist momentan zwar wenig mehr
als ein Stich- / Buzzword/t, aber dieser Zustand dürfte nicht von
Dauer sein. Die Vielfalt der Medien wird so langfristig in einen
einzigen Kanal gezwängt: das Internet.
Das ist einerseits gut - Information at your fingertips (without
using the tube or buying a magazine). Andererseits ist es sehr
schlecht - denn für die Herrschenden gilt dann bei entsprechenden
Vorkehrungen: Censorship at your fingertips.
Noch ist das Netz zu einem vergleichsweise großen Teil unzensiert.
Auch wenn mit der Knute des Marken-, Urheber- und
Persönlichkeitsrechts mittlerweile schon viel Unliebsames aus dem
Cyberspace geknüppelt werden konnte (man denke an Dinge wie die
geschützte lila Farbe der Telekom und dergleichen, oder Abmahnanwälte
an sich als gesellschaftlich völlig unnötiges Phänomen). Die Drohung
mit dem wirtschaftlichen Ruin ist gerade gegenüber Privatleuten sehr
effektiv.
Dennoch ist es nichts im Vergleich zu dem, was die Filterung in Kürze
bringen würde.
Wer dann das Netz kontrolliert, bestimmt über die Informationen für -
und über (VDS) - jeden einzelnen Bürger, der online aktiv ist. Und
zur Vorbereitung genau dessen dient m.E. die aktuelle Debatte.
Wenn wir "Killerspiele", "Terroranleitungen", Pamela-Anderson-Videos
oder sonstwas verbieten, und diese Verbote über das Netz umgangen
werden können...
- dann müssen wir zwei Sachen tun:
1.) das Herunterladen bzw. Vertreiben über das Netz unter Strafe
stellen
2.) die Durchsetzung dieses Verbots bewerkstelligen. Lies: Filter und
Überwachungsmechanismen installieren. -> Zensur, und zwar, dass es
kracht.
Leute, dagegen ist selbst die VDS ein Waisenkind...
Medienkontrolle bedeutet Besitz der Meinungs- und Deutungshoheit. Was
man jetzt bei den Printmedien und ihren Online-Ablegern beklagt -
z.B. SpOn - dass sie vom Sturmgeschütz der Demokratie zur
Propagandaschleuder der Mächtigen degeneriert sind, wird dann auch
umfassend im Internet möglich. Indymedia? Gefiltert (terroristische
Propaganda). Blogbar? Gefiltert (schädlich für den
Wirtschaftsstandort Deutschland). Nachdenkseiten? Weg damit
(linksradikal). Bildblog? Verschwunden (auf Initiative der
Merkelfreundinnen Liz Mohn und Friede Springer). Lobbycontrol? Nicht
erreichbar (Hasspredigen gegen Unternehmen). Etc.pp.,usw.usf.
(Nicht dass diese Seiten alle über jede Kritik erhaben wären, aber
sie, und zig andere, stellen eine mögliche Alternative zu den
Mainstreammedien dar).
Damit einher geht dann außerdem die unsichtbare Aushebelung der
Demokratie:
Volksherrschaft ist sinnlos, wenn das Volk sich nur anhand
selektierter Informationen ein Bild von den aktuellen Zuständen und
Problemen machen kann. Wer sich keiner Alternativen bewusst ist, kann
auch keine wählen. Der Status Quo wird somit bis zur nächsten
Revolution, Weltkrieg, oder sonstigen völkerverbindenden Großereignis
zementiert.
Ein paar Abweichler wird es zwar immer geben, aber die werden gar
nicht mehr wahrgenommen.
Auch wirtschaftlich wird das Netz in einer Gesellschaft, die sich
immer mehr vom produzierenden auf das informationserzeugende und
-verarbeitende Gewerbe verlegt, zur Lebensader (Stichwort Bildung /
Information als Rohstoff des 21. Jhd.). Zugangsrestriktionen bedeuten
Macht über wirtschaftlichen und wissenschaftlichen (eine kleine
Aussicht darauf gibt subito-Debatte und ähnliche Diskussionen mit
wissenschaftlichen Verlagen) Erfolg.
- Und das wissen die [zensiert] da oben! Und deshalb bemühen sie
sich _jetzt_, wo sich noch nicht alle darüber im Klaren sind, welche
Bedeutung das Netz besitzt, und besitzen wird ("hajo, einkaufen und
E-Mails abrufen, chatten, und mal was nachgooglen..."), den Fuß in
die Tür zu bekommen. Damit es für Gegenwehr, wenn auch der Letzte
gemerkt hat, was da eigentlich mal verlorenging, zu spät ist.
Daher hat es m.E. auch vergleichsweise wenig Sinn, ausschließlich auf
die technischen Lücken in der Argumentation der jeweiligen
Mentalhinterbänkler hinzuweisen. Denn das kratzt Politiker und zum
überwiegendsten Teil nicht im Geringsten. Selbst die Effektivität von
Schutzmaßnahmen wird von ihnen ja nur da als Kriterium akzeptiert
oder gar aufgegriffen, wo sie zur Verschärfung dienen kann.
Es geht um Kontrolle. Nicht um Schutz.
Man denkt schnell, dass es sich bei den momentanen Debatten um
Nebenkriegsschauplätze handelt, aber das ist m.E. grundfalsch.
Es ist das Hauptgefecht, in viele kleine Stücke aufgeteilt: hier die
Killerspiele, dort das Markenrecht, Urheberrecht selbstredend,
woanders Bombenbauanleitungen, da drüben "terroristische Propaganda"
(und spätestens hier befindet man sich in einem Graubereich, wie bei
der "Antiterrordatei" und dem dort verwendeten Kriterium
"Hasspredigen"), und so weiter und so fort.
Man operiert dabei politikerseits auch gerne mit der Overkill-Taktik,
erst das Extremste zu fordern, und sich dann auf das zu einigen, was
auch ursprünglich das Ziel war. Nur hat bei einem solchen Ablauf der
Bürger den Eindruck, nochmal davongekommen zu sein, oder, noch
besser, dass die Gerechtigkeit/Vernunft/blabla gesiegt habe. (Eine
vertrauensbildende Maßnahme für die, die so gutgläubig, oder dumm,
sind, Menschen beim Wort zu nehmen, die sich u.a. beschweren, dass
mal schüchtern von Wählerseite das Einhalten ihrer Wahlversprechen
angemahnt wurde.)
Das Internet als Ideal, in seiner quasi basisdemokratischen Struktur
(jeder kann einstellen, jeder kann abrufen, mal von Netzknoten,
DNS-Servern etc. abgesehen) kann Machthabern nur suspekt sein. Der
mündige Bürger ist ein Buzzword, das ebenso wie "Freiheit" und
"Gerechtigkeit" einer massiven Neuinterpretation unterzogen wurde und
wird - unter anderem, weil dies mittels der gleichgeschalteten Medien
bereits möglich ist. Alle derartigen positiv besetzten Wörter werden
aktuell über wirtschaftliche Aspekte definiert, nicht über Ratio oder
gar Libertas im ursprünglichen Sinn (s. z.B. "neue soziale
Gerechtigkeit", "Reform", "Freiheit", "Eigenverantwortung"...).
Man kann gar nicht mehr "wehret den Anfängen" sagen, denn die Anfänge
sind schon lange vorbei. Und es geht auch überhaupt nicht drum, ob
ein Leben mit oder ohne "Killerspiele" noch lebenswert sei. Es geht,
überspitzt (aber leider nicht mehr zu überspitzt) gesagt, darum,
wieviel Kontrolle über den Wissenserwerb, die -verbreitung und die
Meinungsfreiheit jedes Einzelnen man Staat und Wirtschaft (die die
Filterprogramme ja offenbar nur zu gerne liefert) zubilligen sollte.
Oder vielmehr, zubilligen darf.
Und das sollte man, m.M.n., beim aktuellen Protest "pro
Killerspiele", bedenken.
P.S. Sollte es, trotz eines Verbotes, nicht zur Filterung kommen,
lasse ich mich mit Freuden als paranoider Verschwörungstheoretiker
bezeichnen. Das ist mir die Sache mehr als wert...