Unverstandene Denkmodelle

NoToM

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Mir fällt innerhalb Diskussionen immer wieder auf, dass ich viele Themen/Konzepte/Theorien, die als selbstverstädliches Allgemeinwissen angesehen werden, nicht wirklich verstanden habe. Spontan fallen mir dazu z.B. Begrifflichkeiten/Konzepte wie folgende ein: (sicherlich nicht abschliessend)

- Zeit
- Gott
- Krieg
- Seele
- Geist
- Unendlichkeit
- Sinn
- Realität
...

Natürlich habe ich von jedem dieser "Konzepte" ein gewisse Vorstellung, arbeite auch damit, orientiere mich daran. Jedoch wenn ich mir die Zeit nehme und die Mühe mache, darüber etwas genauer nachzudenken, fällt mir immer wieder auf, wie abstrakt diese "Konzepte" sind, wie wenig "Fleisch sie eigentlich am Knochen" haben. Trotzdem haben all diese "Konzepte" einen grossen Einfluss auf unser Leben in einem teilweise in für mein Empfinden bizarren Ausmass. Schon als Kind bin ich immer wieder über diese "Konzepte" gestolpert und niemand konnte oder wollte mir den "Sinn" dahinter wirklich erklären.

Welche Fragen sollen diese "Konzepte" beantworten, welche "Probleme" lösen oder wie wichtig und relevant ist so eine Frage überhaupt und das "Konzept" als Antwort wirklich?
Könnten andere Konzepte gewisse Fragen nicht genau so gut oder vielleicht sogar einfacher, verständlicher Beantworten?

Das "Konzept" der Zeit hilft natürlich ganz konkret bei der Planung oder dient als Physikalische Grösse. Aber obwohl es den Anschein macht, ist Zeit trotzdem nur ein mensch-gemachtes "Konzept" und nicht etwas "Reales".
Ich hoffe, ich konnte mich einigermassen verständlich machen.

Meine Frage ist nun, geht es nur mir so oder machen sich noch mehr Menschen hier solche oder ähnliche Gedanken und zu welchen Erkenntnissen ist man evt. gelangt?
 

Malakim

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Das ist ein interessantes Thema, leider kann ich im Augenblick nicht gut tippen (wurde soeben Operiert).

Es lohnt sich für Dich (denke ich) mal einen Blick auf Wittgenstein zu werfen.
Wittgenstein hat die Sprache untersucht und daraus umrissen wie weit unsere Erkenntnisfähigkeit damit gehen kann.
Dabei betrachtet er auch solche Begriffe wie Gott oder Zeit.
Das Tractatus gibts online:
http://www.mv.helsinki.fi/home/tkannist/E-texts/Wittgenstein/tractatus-deutsch.html

Interessanter (finde ich) sind noch die Späteren Werke:
http://www.amazon.de/Über-Gewißheit...s=books&qid=1234986352&sr=8-1&tag=ask12020-21
und
http://www.amazon.de/Philosophische...18223720/ref=pd_bxgy_b_text_c&tag=ask12020-21
 

hives

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Interessant wird es vor allem, wenn im Rahmen bspw. sozialwissenschaftlicher Forschungen versucht wird, aus ähnlichen theoretischen Konstrukten empirische Indikatoren abzuleiten... ;)

Zur eigentlichen Fragestellung: für mich bestätigen solche Überlegungen, dass man in Diskussionen oder Veröffentlichungen immer möglichst deutlich machen sollte, was in einem spezifischen Zusammenhang mit den entsprechenden Konstrukten konkret bezeichnet werden soll. Dabei lösen sich viele von selbst auf bzw. werden durch empirisch geerdete Begriffe abgelöst...

Die Thematik hat sicher zahlreiche interessante Aspekte, m.E. spielt da bspw. der Stellenwert der Abstraktion in der westlichen Geistesgeschichte (Stichwort Idealismus) eine Rolle - als These möchte ich mal in den Raum werfen, dass ein hohes Maß an begrifflicher Abstraktion mit ausgeprägter Realitätsferne der gedanklichen Kontrukte korreliert... ;)
 

Semiramis

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Auch wenn wohl jeder diese Konzeptbezeichnungen anders für sich interpretiert, versteht, abhängig von Erfahrungen (eigenen und anders erfahrene) - scheint es doch etwas Gemeinsames zu geben, eine Verständigungsbasis oder so etwas, dadurch bieten sie die Möglichkeit, über etwas zu sprechen, dass sich nicht ohne weiteres algemeingültig definieren lässt - - Das Problem liegt dann dabei, denke ich, wie sehr die Vorstellungen der Betreffenden von einem dieser Konzeptbezeichnungen voneinander abweichen... Vortheile und Nachtheile solch abstrakter Begriffe ;-) Ich persönlich habe eher die Vortheile solcher Konzepte vor Augen - viell. lässt es sich mit dem Beispiel des Hauses beschreiben, dass mehr ist als die Summe seiner Theile - ich denke, man kommt im Verstehen weiter, wenn man solche Gebilde erschafft, selbst wenn es keine einheitliche Definition dafür gibt, und wenn auch die Verwender selbst nicht zuvor gänzlich durchdacht haben werden, was sie selbst unter diesem Begriff verstehen wollen ... verrückterweise gibt es bei diesen Bezeichnungen trotz all der Problematik etwas wie eine gemeinsame Verständnisbasis, die ich ihrerseits wiederum nicht in Worten definieren könnte ...
ich fürchte, so scheint es mir, geht es uns eigentlich aber nicht nur bei derartigen Begriffen so, dies sind nur diejenigen, bei denen es eher auffällt, viell. weil hier die Diskrepanzen der Auffassungen größer sind?
Ich fürchte, dass es letztlich mit jedem einzelnen Wort dasselbe ist - auch von viel konkreteren Dingen hat jeder einzelen seine eigene Auffassung (von Farben, oder auch von Gegenständen: das Bild, das jeder bei einem Wort im Kopf hat, das einen konkreten Gegenstand bezeichnet ist auch ein verschiedenes), trotzdem liefert das Wort, scheinbar aufgrundlage einer irgendwie doch ähnlichen Bedeutungsbasis bei vielen (allen?) Menschen, eine Möglichkeit, sich über einen Bedeutungsinhalt zu verständigen..
Kurz, ich sehe da momentan gar keinen so großen Unterschied zu allem anderen, wo Sprache versucht, Bedeutung und Inhalt zu transportieren; allein in ihrer zunächst realen Gegenstandslosigkeit unterscheiden sie sich von anderen Wörtern, stellen dann aber nur einen weiteren Abstraktionsvorgang dar, dessen Aufgabe es ist, größere Zusammenhänge für uns begreiflich zu machen. Ich denke, wir brauchen solche Konzeptfloskeln
Unproblematisch ist das alles aber durchaus nicht...

hives schrieb:
als These möchte ich mal in den Raum werfen, dass ein hohes Maß an begrifflicher Abstraktion mit ausgeprägter Realitätsferne der gedanklichen Kontrukte korreliert... ;)
gößere Realitätsferne der gedanklichen Konstrukte durch größere Abstraktion? :lol: Realität ist eines der Konstrukte, Abstraktion bestimmt auch... so ganz verstehe ich das nicht. Würde man auf solche Begriffe verzichten, wäre man imho wohl eher nicht in der Lage abstraktere Zusammenhänge zu beschreiben, ja. Ob es jedoch realitätsnaher ist, mit solchen Begriffen Zusammenhänge zu konstruieren (und dadurch zu "verstehen") oder ohne solche Begriffe derartige Zusammenhänge gar nicht erst zu ziehen, wüsste ich nicht zu entscheiden... Viell. meinst du, hives, aber auch was anderes?

greetz,
Semis
 

NoToM

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Vielen Dank für den Input und die Links. (und gute Besserung wünsch ich dir, Malakim) Einige Gedanken dazu:

hives schrieb:
Interessant wird es vor allem, wenn im Rahmen bspw. sozialwissenschaftlicher Forschungen versucht wird, aus ähnlichen theoretischen Konstrukten empirische Indikatoren abzuleiten...

..oder in der Physik. Das "Zeit-Konzept" wird dort als feste Grösse gehandelt. Aber, Zeit ist wie gesagt, nichts Reales. Vielleicht bringe ich jetzt gewisse Dinge durcheinander, aber ist das Konzept der "Geschwindigkeit" ohne den Faktor Zeit überhaupt brauchbar? Einsteins bekannteste Formel arbeitet mit dem Faktor Geschwindigkeit. Aber ohne Zeit keine Geschwindigkeit, ohne Geschwindigkeit, Formel = "Blah" ? Also Blah = Masse x blah im Quadrat?
Oder, Zeitreisen wären Theoretisch möglich wenn man schneller als Licht ist, aber nichts kann schneller als Licht sein also sind Zeitreisen doch nicht möglich? Oder sind Zeitreisen desshalb nicht möglich, weil es "Zeit" einfach nicht gibt? Kann es sein, dass Mesnchen ein recht bizarres Bild von der Welt haben oder mache ich einfach nur seltsame Denkfehler?
 

antimagnet

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wieso soll es zeit nicht geben?

bzw. was ist daran nicht real?

bzw. was ist denn dann real, wenn es zeit nicht ist?
 

NoToM

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antimagnet schrieb:
wieso soll es zeit nicht geben?

bzw. was ist daran nicht real?

bzw. was ist denn dann real, wenn es zeit nicht ist?


Zeit, Zitat Wiki::

Das Wort Zeit bezeichnet die vom menschlichen Bewusstsein im Alltag als aufeinanderfolgend wahrnehmbare Reihenfolge im Auftreten von Ereignissen. Die menschliche Wahrnehmung von Zeit ist als Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit kommend zur Zukunft hin beschreibbar.

Realität, auch Wiki:

Als Realität (lat. realitas, von res „Ding“) oder Wirklichkeit wird im allgemeinen Sprachgebrauch die Gesamtheit des Realen bezeichnet. Real ist dabei das, was auch außerhalb des Denkens existiert, d.h. unabhängig vom nur Gedacht-Sein: Inhalte von Vorstellungen, Gefühlen, Wünschen, Wahrnehmungen u.ä. gelten im Alltagsverständnis zunächst einmal als nicht der Realität zugehörig.

Gehört "Zeit" nicht zum markierten Teil?

Aber hier gehts gleich weiter, das "Konzept" der "Realtät" ist auch etwas sehr Abstraktes für mich.
 

antimagnet

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NoToM schrieb:
Gehört "Zeit" nicht zum markierten Teil?

wenn es um die subjektiv empfundene zeit geht, schon. wenn es darum, was die uhr misst, nicht. finde ich. und realität ist in der tat sehr abstrakt...
 

NoToM

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antimagnet schrieb:
wenn es um die subjektiv empfundene zeit geht, schon. wenn es darum, was die uhr misst, nicht. finde ich. und realität ist in der tat sehr abstrakt...

Was genau misst eine Uhr? Bewegungen auf Astronomischer oder atomarer Ebene? Ist eine Uhr nicht eigentlich ein Bewegungsmesser?
 

antimagnet

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na, und da die uhr sich immer gleich schnell bewegt, können wir aus der zurückgelegten strecke der zeiger die zeit ablesen.
 

NoToM

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antimagnet schrieb:
na, und da die uhr sich immer gleich schnell bewegt, können wir aus der zurückgelegten strecke der zeiger die zeit ablesen.

Du hast doch eigentlich nur Bewegung wahrgenommen, die vergangene "Zeit" die du daraus abliest, ist eine reine Vorstellung und somit in meinen Augen und auch laut (Wiki) Definition nicht real.

Das "Zeit-Konzept" ist ja deswegen nicht nutzlos und "Zeit" ist ja nicht das einzige Vorstellungs-Konzept, dass das die Orientierung erleichtern soll oder zu erklärung der Welt herhalten muss.
Aber vielleich sind ja z.B. Zeitreisen gerade desshalb nur in der Vorstellung möglich, weil Zeit nur eine Vorstellung ist, und nicht, weil nichts scheller als Licht sein kann.

Sind solche überlegungen nicht für viele dieser Denkmodelle nötig um zB. neue Ideen für die Wissenschaft/Forschung zu liefern?

Oder wüssten wir vielleicht schon viel mehr (Achtung, nur ein Beispiel!) über ein Leben nach dem Tod, Seele, Geist usw. wenn wir unsere althergebrachten Vorstellungen mal gründlich hinterfragen würden?
 

antimagnet

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NoToM schrieb:
Du hast doch eigentlich nur Bewegung wahrgenommen, die vergangene "Zeit" die du daraus abliest, ist eine reine Vorstellung und somit in meinen Augen und auch laut (Wiki) Definition nicht real.

auch die bewegung ist eine reine vorstellung. oder kannst du mir sagen, an welchem zeitpunkt sich etwas bewegt?
 

NoToM

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antimagnet schrieb:
auch die bewegung ist eine reine vorstellung. oder kannst du mir sagen, an welchem zeitpunkt sich etwas bewegt?

Ich dachte, Bewegung sei eine Wahrnehmung und keine Vorstellung. Kannst Du es mir deine Frage beantworten oder würde es mich weiter bringen, wenn ich über den Zeitpunkt (Vorstellung) einer Bewegung (Wahrnehmung) sinniere? Ich sehe gerade nicht, wie mir das helfen könnte.
 

antimagnet

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es gibt keine bewegung. die realität ist nur JETZT. vergangenheit gibt es nur in unserem gedächtnis, zukunft in unserer fantasie. also in unseren vorstellungen. in dem momentanen zeitpunkt kann sich aber nichts bewegen, denn wenn sich etwas bewegt, ist zeit vergangen. und so ist bewegung nur eine vorstellung. wie zeit.

und wie realität auch. :wink:
 

Gilgamesh

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@NoToM

Was interessiert dich an der Zeit?
Die philosophischen Aspekte oder die physikalischen, wobei manche hier nicht unbedingt einen Unterschied sehen...
 

hives

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@Semi:

Die Frage ist doch, in welchem Maß die von dir genannte "gemeinsame Verständnisbasis" abstrakter Begriffe eine Illusion ist, die eben durch die "gemeinsame" Verwendung geschaffen wird. Jeder verwendet den Begriff, und da er so schön offen ist kann man bei fast jeder Verwendung auch die eigene Interpretation integrieren - die sematischen Diskrepanzen werden ja nicht immer expliziert.

Abstraktion ist natürlich für Menschen unabdingbar, um mit der objektiven Realität (sorry @ radikale Konstruktivisten) klarzukommen, da man nicht sämtliche Infos bottom-up, also nur von konkreten Eindrücken ausgehend, verarbeiten kann. Dass der empirische Bezug zunehmend verloren geht, je weiter man abstrahiert ist für mich eigentlich selbstverständlich (m.E. eine intrinsische Eigenschaft von Abstraktionsprozessen).


Semiramis schrieb:
Kurz, ich sehe da momentan gar keinen so großen Unterschied zu allem anderen, wo Sprache versucht, Bedeutung und Inhalt zu transportieren; allein in ihrer zunächst realen Gegenstandslosigkeit unterscheiden sie sich von anderen Wörtern, stellen dann aber nur einen weiteren Abstraktionsvorgang dar, dessen Aufgabe es ist, größere Zusammenhänge für uns begreiflich zu machen.

Ist dir schon mal passiert, dass du in einem Gespräch klären musstest, was du jetzt eigentlich genau unter "Feuerzeug" verstehst?
Sprache abstrahiert, aber es gibt doch sehr deutliche Unterschiede zwischen Begriffen wie "Feuerzeug", für die du mal schnell ein Anschauungexemplar aus der Tasche ziehen kannst, und Worthülsen, die sich nicht intersubjektiv definieren lassen....


hives schrieb:
als These möchte ich mal in den Raum werfen, dass ein hohes Maß an begrifflicher Abstraktion mit ausgeprägter Realitätsferne der gedanklichen Kontrukte korreliert... ;)
gößere Realitätsferne der gedanklichen Konstrukte durch größere Abstraktion? :lol: Realität ist eines der Konstrukte, Abstraktion bestimmt auch... so ganz verstehe ich das nicht. Würde man auf solche Begriffe verzichten, wäre man imho wohl eher nicht in der Lage abstraktere Zusammenhänge zu beschreiben, ja. Ob es jedoch realitätsnaher ist, mit solchen Begriffen Zusammenhänge zu konstruieren (und dadurch zu "verstehen") oder ohne solche Begriffe derartige Zusammenhänge gar nicht erst zu ziehen, wüsste ich nicht zu entscheiden... Viell. meinst du, hives, aber auch was anderes?

ok, you've got a point there... ;)

Jedoch sind die konstruierten Worthülsen m.E. häufig so leer bzw. individuell vollgepackt, dass jeder sich selbst aussuchen kann, ob eine entsprechende Aussage jetzt realitätsnah ist oder nicht, weil es eben nur willkürlich überprüft werden kann...

Bei Verwendung von abstrakten Begriffen spielt immer die Relation zu anderen verwendeten Begriffen die entscheidende Rolle.
Wird "Realität" bspw. im Kontext von Begriffen wie "Weltbild", "subjektive Wahrnehmung" etc. verwendet, wird der Begriff anders verstanden als wenn er im Gegensatz zu "Abstraktion" verwendet wird oder im Kontext naturwissenschaftlicher Forschungen auftaucht.

Das Problem bei Abstraktion ist m.E., dass die eigentlichen Vorgänge bzw. Phänomene zunächst verwischt werden, wenn von Begriffen, die sich auf konkrete Anschauungen beziehen, zu abstrakteren fortgeschritten wird.

Beispiel:

1a) "Der Anblick dieser Frau lässt mein Herz schneller schlagen." -> konkrete Aussage.
1b) "Diese Frau hat eine 90-60-90 Figur, ein symmetrisches Gesicht und große Brüste." -> konrete Aussage.

2) "Diese Frau gefällt mir." -> empirisch noch vergleichsweise stark geerdet. der Sprecher empfindet - kognitiv positiv bewertete - Gefühle beim Betrachten der Frau.

3) "Diese Frau ist schön." -> stärker abstrahiert. man weiß zunächst nicht, was die aussage konkret bedeutet. Ist die Frau nahe am gesellschaftlich kolportierten Schönheitsideal - was streng genommen nicht bedeuten muss, dass sie dem Sprecher gefällt? Ist sie exotisch anders als all die langweiligen Frauen, die der Sprecher sonst so sieht? Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass er Aussage 2 einfach anders formuliert hat, aus der Aussage selbst geht das jedoch nicht hervor.
Interpretation ist hier gefragt und die erschwert intersubjektive Verständlichkeit bzw. bedingt das Hinzuziehen expliziter Verdeutlichungen, Einschränkungen und Differenzierungen.

Das soll natürlich kein Plädoyer für ein Ende der Abstraktion sein ( ;) ), da ich mich dieser selbst auch sehr häufig und gerne bediene, aber mir fällt bei der Beschäftigung mit theoretischen Konstrukten auch in den Wissenschaften immer wieder auf, dass der Komplexität der zu beschreibenden Sachverhalte häufig nicht genügend Rechnung getragen wird, was dann unter anderem zu sehr zweifelhaften Klassifikationen führen kann.
 

Semiramis

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Allgemein würde ich gerne zunächst diese beiden Fragestellungen auch getrennt halten - das tatsächliche Problem der Verständigung mit solchen Worthülsen und andererseits die Frage, ob es derartige Konzepte wie "Zeit, Bewegung, Realität etc." tatsächlich objektiv gibt.
Die MEnschen haben nun mal einen gemeinsamen (oder zumindest ähnlichen) Erfahrungshorizont, diesen durch Sprache zu erklären schafft mit abstrakteren Begriffen neue Probleme der Verständigung, diese müssten näher erklärt werden, damit eine deutlichere Basis bei den theilnehmenden Subjekten geschaffen wird. Ob die Konzepte selbst, wie Zeit od. ä., tatsächlich der Realität entsprechen, ist eine völlig andere Frage - wenn man so anfängt müsste man konsequenterweise jedoch nicht nur derartige abstraktere Begriffe, mit denen wir unsere Umwelt beschreiben, in Frage ziehen, sondern auch alles, was der sinnlichen Wahrnehmung entspringt ... Wahrscheinlich leben Menschen auch in einer (oder viell. mehreren doch ähnlichen) Menschenwelt(en), von uns gefühlt und gesehen - ob es sie "objektiv" auch von außen betrachtet gibt - so what :egal: :lol:

@hives
Dabei stimme ich Dir allerdings zu.

Es gibt bei der genaueren Erklärung und Erläuterung der Konzeptbezeichnungen jedoch auch die Gefahr, dass die Begriffe "zerredet" werden, und schließlich kaum noch verwendet werden können, ohne eine zweiseitige Fußnote mit sich herumzutragen - das ist bei einigen Begriffen schon passiert, zunächst war das wohl auch eine Verbesserung gegenüber der völlig unkritischen und unreflektierten Benutzung, aber mittlerweile? Die Möglichkeit, auf andere Begriffe auszuweichen, die noch "unverbraucht" sind, hat dann mitunter sehr sonderbare Wortneuschöpfungen zum Zweck gehabt, am Konzept, größere Zusammenhänge mit einer zunächst zu definierenden Bedeutungshülse zu bezeichnen hat das aber nichts geändert. (Ich hoffe, dass ist jetzt ohne Beispiel auch verständlich, was ich schreibe :schaem: )

Aber ich glaube, ich habe jetzt durch Dein Beispiel mit der Frau eine Idee, wie Du zu der These der realitätsfernen Abstraktion gekommen bist... Erst auf einer abstrakteren Ebene ist es uns möglich, solche allgemeinen Aussagen wie ein Schönheitsideal überhaupt zu entdecken, zu definieren, zu verwenden... Wir schaffen uns durch unsere Sprache unsere Welt, wie wir sie auffassen, ein Stück weit mit - ob solchen Konzepten (hier Beispiel Schönheit) eine allgemeine Realität zukommt, ist wieder ein neues Problem, das eine Aussage wie "sie ist schön", die ihrerseits ein solches Schönheitsideal voraussetzt, bei ihrer Verwendung eigentlich neu mit aufwirft..
Auf einer normalen Sprachebene im Alltag scheinen solche Probleme übergehbar zu sein; der Satz ist verständlich, auch wenn ihm ein Schönheitsideal zugrundeliegt ... viell. wird es ja von allen Beteiligten getheilt, viell. entspringt eine Diskussion darüber, was die jeweils Beteiligten für schön halten, viell. wird den Betheiligten das allgemeine Schönheitsideal dabei bewusst, viell. aber auch nicht. Alltagssprache finde ich eigentlich die erstaunlichste von allen Verwendungsweisen, da sie verwendet und irgendwie auch verstanden wird, ohne dass sich die Beheiligten aller dahinterstehenden Implikationen bewusst sein müssen ... Wissenschaftlich gesehen fände ich allerdings eine solche Aussage "Sie ist schön" auch arg erklärungsbedürftig, bzw. unmöglich... ohne Einschränkungen (manche Menschen empfinden sie als schön) oder bezug auf das Konzept dahinter (nach dem hierzulande verbreiteten Ideal (nähere Erläuterung) ist sie schön) unverwendbar, mir scheint, ohne Erläuterungen wäre das zunächst nur eine Null-Aussage ...

greetz,
Semis
 

Malakim

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Ein paar Einwürfe:

Semiramis schrieb:
- viell. lässt es sich mit dem Beispiel des Hauses beschreiben, dass mehr ist als die Summe seiner Theile -

Wie kann etwas mehr sein als die Summe der Teile und was heißt das dann?
Ist das "mehr" dann auch ein Teil des Ganzen oder was ist das dann? (Aristoteles hat diese Frage bereits aufgeworfen)
Bei diesem Slogan (genau wie beim "Ein Ganzes ist die Summe seiner Teile") ist das Gedankliche Problem was man denn gerne unter Summe genau verstehen möchte. Mit anderen Worten dieser Slogan sagt garnichts aus.

Über Ganze und Teile von Ganzen ist man sich ganz und garnicht im Klaren in der Philosophie (siehe das Buch das ich Zufällig gerade lese: http://www.ask1.org/post504736.html#504736
Siehe auch Mereologie als Teilgebiet der Ontologie.

Edit:
Krieg ist ein recht durchdachtes Konzept. Dazu müsste man auf Carl von Clausewitz Vom Kriege verweisen.

Nochmal Entschuldigung das ich ausser Lesetipps nicht viel zu sagen habe. Ich hoffe das ich mich noch besser beteiligen kann in den kommenden Tagen.
 

Semiramis

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@Malakim
Wenn ich Dir jetzt antworte, verheddere ich mich wahrscheinlich, aber ich versuchs... also mal meine Interpretation dieses Satzes (die natürlich angreifbar ist, und dass viele Leute sich sehr viel den Kopf darüber zerbrochen haben, ist mir zumindest in Ansätzen bewusst gewesen):
Imho ist "das Haus mehr als die Summe seiner Theile" ... du hast ein paar Baumaterialien, die beidem gemeinsam sind, was du hast, ist viell. sogar auch der Bauplan - was diesen Haufen Einzeldinge jedoch von dem Haus unterscheidet, ist dass diesem eine Anordnung innewohnt - wo das hergekommen sein soll / wie es dazu kommt, möcht ich nicht entscheiden, momentan würd ich da das Bild eines Quantensprunges für aufgreifen ;-)
Mit diesem Vergleich wollte ich eigentlich nur verdeutlichen, wo imho der Unterschied zwischen gegenstandsnahen (dirket einen realen Gegenstand bezeichnenden) Wörtern und gegenstandfernen (abstrakteren) Wörtern besteht - diesen liegt nämlich auch "auf einmal" ein größerer Plan, eine abstraktere Ebene zugrunde, ein Verständnis nicht nur von einem einzelnen Ding, sondern von Zusammenhängen verschiedener Dinge..

Ich möcht auch noch auf die letzten Posts verweisen - sehen das alle hier tatsächlich in etwa genauso?? Es muss doch Einwände geben?! ^ ^

greetz,
Semis
 

agentP

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Ich finde der "Bauplan" und das Haus sind doch schon ein ganz wunderbares Bild.
Töne, Akkorde, Sinfonien wäre ein anderes Bild, das mir dazu einfällt.
Es sei denn man betrachtet die Idee des Architekten oder Komponisten auch als "Teil", dann wird es natürlich schwierig.
 
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