Mit Plastikhelmen gegen Amerika

samhain

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dieser artikel macht nochmal sehr deutlich, mit welch ungleichen waffen dieser krieg geführt wird:

>>Mit Plastikhelmen gegen Amerika

Die Militärlaster stammen aus der DDR, die Flugabwehrgeschütze erreichen keinen Feind und auf kleinen, gelben Zetteln steht der Rückzugsplan - Szenen von der irakischen Nordfront

KANILAN, 6. April. Die Blutlachen sind
längst vertrocknet. Aber immer noch summen Dutzende von Fliegen auf dem dunklen Fleck neben dem Erdkrater, den das Geschoss eines amerikanischen Flugzeugs geschlagen hat. Ein zerfetzter Schlafsack, von Splittern durchsiebte Schaumstoffmatratzen und zerrissene Uniformhosen - mehr ist von den irakischen Soldaten nicht übrig geblieben, die hier in der Dawreh-Baracke in der Nähe des kleinen Dorfes Kanilan im Nordirak im Auftrag Saddams das Land verteidigt haben.

Ein Soldat der US-Special-Forces, die auf einem zweihundert Meter entfernten Hügel die Front beobachtet, hat sich die Zeit genommen, das ausgebrannte Führerhaus eines aus DDR- Zeiten stammenden Ifa-Lastwagens mit einem leuchtend weißen Aufkleber zu versehen. "I shoot my load on Range 1", steht da, Ich feuere meine Ladung auf Schießplatz Nummer eins ab.

Es ist der Hohn einer überlegenen und siegesgewissen, mit modernstem Gerät bewaffneten Armee in einem Konflikt mit einem - zumindest im Norden - hoffnungslos schwachen Gegner. Gnadenlos rollt die angloamerikanische Kriegsmaschine. "Wir weichen den Gegner nicht auf", sagt ein amerikanischer Offizier, "wir töten ihn." Sechzig Flugzeuge der im Mittelmeer stationierten USS Theodore Roosevelt zermalmten am Wochenende die irakischen Stellungen im Norden.

Zersprungene Visiere

Hat Saddam Hussein noch etwas in der Hinterhand? Den Einsatz chemischer Waffen etwa? Bisher wurden sie nicht eingesetzt. Seine Soldaten scheinen jedenfalls besser auf den Einsatz der tückischen Massenvernichtungswaffen vorbereitet zu sein, als auf den konventionellen Kampf gegen die Supermacht USA. In der Umgebung des ausgebrannten Ifa-Lastwagens liegen Dutzende in der Hitze des Feuers zersprungene Visiere von Gasmasken. Verkohlte Filter übersäen den Boden zwischen zerstörten Fahrzeugteilen.

Mit ihren anderen Waffen haben die Iraker keine Chance gegen den übermächtigen Feind. Der ausgebrannte Ifa-Lastwagen in der Dawrah- Kaserne war nicht einmal mehr fahrtüchtig, als er aus der Luft getroffen wurde. Immer noch klemmt ein dicker Stein unter dem linken Vorderrad. Die zerlegte Bremstrommel liegt neben dem ausgebrannten Schrott. Auf der Ladefläche stehen die Reste eines Luftabwehrgeschützes. Dieses Geschütz reicht gar nicht bis in die Höhe, aus der die US-Flugzeuge angreifen. Auch das zerborstene Rohr eines auf Metallrädern montierten Artilleriegeschützes zeigt: Die Iraker kämpfen mit museumsreifen Waffen.

Zwei weitere zerstörte Lastwagen waren offenbar mit Munition beladen, als sie aus der Luft getroffen wurden. Zwischen den in der Hitze explodierten Granaten und halbverkohlten Maschinengewehrpatronen liegen grün lackierte Helme getöteter oder geflohener Soldaten herum. Sie sind aus Plastik.

"So sind alle Helme der irakischen Soldaten", sagt Ali Osman, ein kurdischer Freischärler, der mit seiner Einheit nun den zerstörten irakischen Stützpunkt übernommen hat, in dem auch die Dawreh-Baracke steht. Der Veteran des kurdischen Widerstands gegen den Irak ist voller Bewunderung für seine angloamerikanischen Verbündeten. "Ich habe so etwas noch nie gesehen", sagt er, "gegen die Flugzeuge hilft nichts."

Wie furchtbar die Gewalt der Luftangriffe ist, erfuhren am Sonntagmorgen auch amerikanische Soldaten im Norden des Irak. Eines ihrer eigenen Flugzeuge bombardierte einen Konvoi, in dem Wadschi Barsani, der Bruder des Kurdenführers Massud Barsani, Peschmerga-Kämpfer und US-Special-Forces nahe der Front unterwegs waren. Mindestens 18 Kurden wurden getötet und 45 Menschen zum Teil schwer verletzt.

Ali Osman, der kurdische Kämpfer, weiß nichts von dem Zwischenfall. Fast ehrfürchtig grüßt er amerikanische Soldaten, die in zwei zivilen Jeeps Richtung Hinterland fahren. "Mit denen können wir bis an Ende der Welt gehen", sagt Ali Osman und hebt einen gelben Zettel vom Boden auf. Es ist der Rückzugsplan, den ein irakischer Soldat verloren haben muss.

"Wichtig!", steht mit Bleistift neben Pfeilen und skizzierten Hügelketten auf dem Rand des Zettels geschrieben. Dann weiter: "Die Soldaten sollen sich zerstreuen und nicht in großen Gruppen marschieren." Nach dem Rückzug würden die "Getreuen" die verlassenen Stellungen übernehmen. Um welche Einheit es sich handelt, wird nicht klar. "Die irakischen Soldaten haben erzählt, sie würden nach Kerbala verlegt", sagt in Kanilan der 19- jährige kurdische Ladenbesitzer Edris Maulood. Weit gekommen sind sie offenbar nicht. Jenseits der einen Kilometer entfernten Mandan-Brücke haben die US-Flugzeuge die abrückende Truppe festgenagelt und bombardieren sie seither ohne Unterlass.

Flucht in der Nacht

Der zwanzig Jahre alte Amanj Omar hat Glück gehabt. Einen Tag vor Kriegsbeginn ist er über die Frontlinie im Norden in das Kurdengebiet geflüchtet. Anfang März war er in der Ölstadt Kirkuk eingezogen worden. Mit rund 100 anderen jungen Männern erhielt er eine Grundausbildung im Schnelldurchgang. "Wir haben gelernt, wie man Schützengräben anlegt und Bunker baut", erzählt er.

In der Nacht schlich er sich davon. Manchmal muss er an seine ehemaligen Kameraden denken. Jedes Mal, wenn die Fensterscheiben wegen der Bombenexplosionen in der Ferne erzittern, denkt er an die, die geblieben sind. An die jungen Leute seiner Einheit, die jetzt mit Plastikhelmen Saddam Hussein verteidigen müssen.<<

quelle: berliner zeitung
 

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